Cafe James

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memo

Mitglied
Cafe James

Der Innenhof ist mit einem bunten Blätterteppich bedeckt. Ich spüre den weichen Boden, als ich vor dem kleinen Cafe stehe. „Zu verkaufen“ – Es fällt mir schwer zu realisieren, was die Buchstaben der schlichten Schrift bedeuten. Ich grabe meine kalten Hände tief in die Manteltasche. Der Novembernebel kriecht die Tür empor, als ich den warmen Raum betrete.
James lacht.
„Das ist der letzte Cappuccino, den ich dir hier mache!“
Wehmütig löffle ich den Milchschaum. Einerseits bin ich ganz froh, da ich kaum mehr Zeit dazu finde und doch - so viele Montage habe ich in den letzten Jahren hier verbracht und James für einige Stunden entlastet. Unzählige Gespräche geführt. Viele Erfahrungen gemacht. Gelacht, geweint und geliebt.


JULIA

Ich erinnere mich noch gut an diesen Vormittag im Sommer. Der erste Gast war Julia und sie war nicht mehr ganz nüchtern. Sie setzte sich auf den hohen Barhocker und schaute mich mit ihren großen, schwarzen Augen an. „Jetzt bin ich zu Fuß über eine Stunde von zu Hause hermarschiert. Es ist toll so durch die Natur zu wandern.“ Ich wusste, dass sie kein Geld mehr für den Bus hatte. Nur sie durfte bei James anschreiben. Also gab ich ihr ein Glas Rotwein.

„Ich bin das schwarze Schaf der Familie!“, sagte sie oft.
Ihr Vater war Direktor der Kunsthochschule unserer Stadt. Und dies war wohl auch der Grund, warum sie schon über 10 Jahre dort studierte und es nicht schaffte, das Studium abzuschließen. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, sie wollte sich dafür entschuldigen. Nicht offensichtlich, jedoch mit diesem bitteren Sarkasmus, durch den diese junge, kluge Frau immer ein Hauch von Tragik umgab. „Mein Bruder ist sehr erfolgreich,“ sagte sie,“ Ich bin wirklich stolz auf ihn. Auch wenn er mich nicht sehen will und er eigentlich ein Idiot ist.“ Unerwartet sprang sie auf.
„Darf ich spielen? Ich habe es als Kind gelernt und es gehasst.“ Ich hatte befürchtet, dass sie mich das fragen würde. James wollte nicht, dass jemand ohne sein Wissen das Klavier benutzte. Doch wir waren ganz allein im Lokal und ich konnte Julia schwer einen Wunsch abschlagen. „Komm, spielen wir vierhändig!“ Also saßen wir schließlich auf dem breiten Schemel und musizierten. Ich bemerkte bald, dass sie nicht, oder nicht mehr spielen konnte.
Dies sagte ich ihr natürlich nicht, sondern klimperte ebenfalls unfähig, aber lächelnd in die Tasten. Es war eine groteske Situation. Ich könnte nun sagen, dass es mir Spaß gemacht hat. Aber ganz so war es leider nicht. Ich hatte eher Mitleid. Und ich hoffe, dass Julia dies nie spürte.

Unvermittelt stand sie nach einer Weile auf und zog ihre Zeichnungen hervor. Es waren eigenwillig filigrane Linien. Wirr und sensible waren sie, jedoch so schien mir, ohne ausdrucksstarker Kraft. Das passte zu Julia. Ich erkannte ihr Talent und doch war nichts Greifbares mehr da. Sie schien wie eine Hülle die tief war, aber leer. Als habe sie irgendjemand oder irgendetwas ausgehöhlt.
Sie lud mich zu einer Ausstellung in einem unbekannten Landgasthaus ein, drückte mir ein chaotisches Stück Papier mit einigen Daten in die Hand und bat mich noch einmal zu kommen. Ich kam nicht.
Einmal schenkte sie mir einen Pullover. Ich wollte nicht unhöflich sein und nahm ihn an. Er war mit einer schönen Wolle selbst gestrickt, jedoch etwas zerzaust und ausgeleiert. Ich hängte ihn auf die kleine Gardarobe. Getragen habe ich ihn nie.
Julia lächelte bezaubernd, aber sie war unberechenbar. Jeder der sie kannte, distanzierte sich von ihr. Besonders Männer. Sie lockte sie in ihre Falle und gab ihnen keine Chance. Sie war den meisten rhetorisch und intellektuell überlegen. Ich wusste, ich durfte ihr in solchen Situationen keinen Alkohol mehr geben. Es war nicht einfach ihr zu widersprechen. Man durfte sie nicht provozieren, da sonst die Situation leicht eskalierte. Ich wollte mich von ihr nicht beschimpfen lassen.
Aber eines Tages hatte ich keine Wahl. Plötzlich ging sie in die Knie und rutschte vom Barhocker. Es war ein trauriges, absurdes Bild. Ich sah diese unglaublich zarte Gestalt am Boden hocken und undeutlich fluchen, da sie noch ein Glas Wein wollte. Ich war mit der Situation überfordert. Im Cafe James wurde nur klassische Musik gehört, Schach gespielt, philosophiert und Zeitung gelesen. Wahrscheinlich nahm ich James als Ausrede, der mir aber auch den Rat gab, sie mit Vorsicht zu behandeln. Ich wusste, dass er sie sehr mochte. So suchte ich nach einer höflichen Formulierung und bat sie schließlich doch eindringlich zu gehen. Sie sah mich an, als sie sich schwankend an der Tür zu mir umdrehte. Es war dieser Blick, den ich fürchtete und der mich fragte:
„Auch du lässt mich fallen?“
Diesmal sprach sie kein Wort.

Etwa eine Woche später plauderte ich mit einem freundlichen Mann, der Julia gut kannte.„Du weißt es noch nicht? Unser Mädchen hat es nicht mehr geschafft.“
Ich habe sicher gefragt wie sie es getan hat. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich will es wohl nicht wissen. Ich rede mir natürlich ein, dass ich nichts mit der ganzen Sache zu tun habe. Ich war ja sicher kein wirklich wichtiger Mensch für Julia. Wir kannten uns im Grunde kaum.
An diesem letzten Tag wollte sie ihren Pullover zurück. Erst später erkannte ich, dass sie ihn achtlos in einem Regal neben der Bar liegen gesehen haben musste.
Ich habe ihre Augen gesehen, als sie ging. Sie waren dunkel, wunderschön und einsam. Aber vor allem enttäuscht. Von mir, von ihrer Familie, von sich selbst?
Vielleicht war dieser Tag nur ein weiterer dieser unzähligen Punkte, ein winziger nur - in ihrem verworrenen, dunklen Weltbild. Einer zuviel.
 

memo

Mitglied
Cafe James

Der Innenhof ist mit einem bunten Blätterteppich bedeckt. Ich spüre den weichen Boden, als ich vor dem kleinen Cafe stehe. „Zu verkaufen“ – Es fällt mir schwer zu realisieren was die Buchstaben der schlichten Schrift bedeuten. Ich grabe meine kalten Hände tief in die Manteltasche. Der Novembernebel kriecht die Tür empor, als ich den warmen Raum betrete.
James lacht.
„Das ist der letzte Cappuccino, den ich dir hier mache!“
Wehmütig löffle ich den Milchschaum. Einerseits bin ich ganz froh, da ich kaum mehr Zeit dazu finde und doch - so viele Montage habe ich in den letzten Jahren hier verbracht und James für einige Stunden entlastet. Unzählige Gespräche geführt. Viele Erfahrungen gemacht. Gelacht, geweint und geliebt.


JULIA

Ich erinnere mich noch gut an diesen Vormittag im Sommer. Der erste Gast war Julia und sie war nicht mehr ganz nüchtern. Sie setzte sich auf den hohen Barhocker und schaute mich mit ihren großen, schwarzen Augen an. „Jetzt bin ich zu Fuß über eine Stunde von zu Hause hermarschiert. Es ist toll so durch die Natur zu wandern.“ Ich wusste, dass sie kein Geld mehr für den Bus hatte. Nur sie durfte bei James anschreiben. Also gab ich ihr ein Glas Rotwein.

„Ich bin das schwarze Schaf der Familie!“, sagte sie oft.
Ihr Vater war Direktor der Kunsthochschule unserer Stadt. Und dies war wohl auch der Grund, warum sie schon über 10 Jahre dort studierte und es nicht schaffte, das Studium abzuschließen. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, sie wollte sich dafür entschuldigen. Nicht offensichtlich, jedoch mit diesem bitteren Sarkasmus, durch den diese junge, kluge Frau immer ein Hauch von Tragik umgab. „Mein Bruder ist sehr erfolgreich,“ sagte sie,“ Ich bin wirklich stolz auf ihn. Auch wenn er mich nicht sehen will und er eigentlich ein Idiot ist.“ Unerwartet sprang sie auf.
„Darf ich spielen? Ich habe es als Kind gelernt und es gehasst.“ Ich hatte befürchtet, dass sie mich das fragen würde. James wollte nicht, dass jemand ohne sein Wissen das Klavier benutzte. Doch wir waren ganz allein im Lokal und ich konnte Julia schwer einen Wunsch abschlagen. „Komm, spielen wir vierhändig!“ Also saßen wir schließlich auf dem breiten Schemel und musizierten. Ich bemerkte bald, dass sie nicht, oder nicht mehr spielen konnte.
Dies sagte ich ihr natürlich nicht, sondern klimperte ebenfalls unfähig, aber lächelnd in die Tasten. Es war eine groteske Situation. Ich könnte nun sagen, dass es mir Spaß gemacht hat. Aber ganz so war es leider nicht. Ich hatte Mitleid. Und ich hoffe, dass Julia dies nie spürte.

Unvermittelt stand sie nach einer Weile auf und zog ihre Zeichnungen hervor. Es waren eigenwillig filigrane Linien. Wirr und sensible waren sie, jedoch so schien mir, ohne ausdrucksstarker Kraft. Das passte zu Julia. Ich erkannte ihr Talent und doch war nichts Greifbares mehr da. Sie schien wie eine Hülle die tief war, aber leer. Als habe sie irgendjemand oder irgendetwas ausgehöhlt.
Sie lud mich zu einer Ausstellung in einem unbekannten Landgasthaus ein, drückte mir ein chaotisches Stück Papier mit einigen Daten in die Hand und bat mich noch einmal zu kommen. Ich kam nicht.
Einmal schenkte sie mir einen Pullover. Ich wollte nicht unhöflich sein und nahm ihn an. Er war mit einer schönen Wolle selbst gestrickt, jedoch etwas zerzaust und ausgeleiert. Ich hängte ihn auf die kleine Gardarobe. Getragen habe ich ihn nie.
Julia lächelte bezaubernd, aber sie war unberechenbar. Jeder der sie kannte, distanzierte sich von ihr. Besonders Männer. Sie lockte sie in ihre Falle und gab ihnen keine Chance. Sie war den meisten rhetorisch und intellektuell überlegen. Ich wusste, ich durfte ihr in solchen Situationen keinen Alkohol mehr geben. Es war nicht einfach ihr zu widersprechen. Man durfte sie nicht provozieren, da sonst die Situation leicht eskalierte. Ich wollte mich von ihr nicht beschimpfen lassen.
Aber eines Tages hatte ich keine Wahl. Plötzlich ging sie in die Knie und rutschte vom Barhocker. Es war ein trauriges, absurdes Bild. Ich sah diese unglaublich zarte Gestalt am Boden hocken und undeutlich fluchen, da sie noch ein Glas Wein wollte. Ich war mit der Situation überfordert. Im Cafe James wurde nur klassische Musik gehört, Schach gespielt, philosophiert und Zeitung gelesen. Wahrscheinlich nahm ich James als Ausrede, der mir aber auch den Rat gab, sie mit Vorsicht zu behandeln. Ich wusste, dass er sie sehr mochte. So suchte ich nach einer höflichen Formulierung und bat sie schließlich doch eindringlich zu gehen. Sie sah mich an, als sie sich schwankend an der Tür zu mir umdrehte. Es war dieser Blick, den ich fürchtete und der mich fragte:
„Auch du lässt mich fallen?“
Diesmal sprach sie kein Wort.

Etwa eine Woche später plauderte ich mit einem freundlichen Mann, der Julia gut kannte.„Du weißt es noch nicht? Unser Mädchen hat es nicht mehr geschafft.“
Ich habe sicher gefragt wie sie es getan hat. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich will es wohl nicht wissen. Ich rede mir natürlich ein, dass ich nichts mit der ganzen Sache zu tun habe. Ich war ja sicher kein wirklich wichtiger Mensch für Julia. Wir kannten uns im Grunde kaum.
An diesem letzten Tag wollte sie ihren Pullover zurück. Erst später erkannte ich, dass sie ihn achtlos in einem Regal neben der Bar liegen gesehen haben musste.
Ich habe ihre Augen gesehen, als sie ging. Sie waren dunkel, wunderschön und einsam. Aber vor allem enttäuscht. Von mir, von ihrer Familie, von sich selbst?
Vielleicht war dieser Tag nur ein weiterer dieser unzähligen Punkte, ein winziger nur - in ihrem verworrenen, dunklen Weltbild. Einer zuviel.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo memo,

eine intensive und letztendlich traurige Geschichte, die ich gern gelesen habe. Eigentlich verwunderlich, dass sie so wenig Beachtung findet.
Genau wie Julias Liebe, die vom Prot. nicht erhört wurde.
Anbei ein paar Vorschläge von mir, wie es sich (aus meiner Sicht) besser lesen würde.

Der Innenhof [blue]vor dem kleinen Café[/blue] ist mit einem bunten Blätterteppich bedeckt. [strike]Ich spüre den weichen Boden, als ich vor dem kleinen Cafe stehe[/strike] „Zu verkaufen“ [blue]steht auf einem Schild an der Tür[/blue] – Es fällt mir schwer, es zu akzeptieren. [strike]zu realisieren was die Buchstaben der schlichten Schrift bedeuten[/strike]. Ich grabe meine kalten Hände tief in die Manteltasche. Der Novembernebel kriecht die Tür empor, als ich den warmen Raum betrete.
James lacht.
„Das ist der letzte Cappuccino, den ich dir hier mache!“
Wehmütig löffle ich den Milchschaum. Einerseits bin ich ganz froh, da ich kaum mehr Zeit dazu finde[blue],[/blue] und doch - so viele Montage habe ich in den letzten Jahren hier verbracht und James für einige Stunden entlastet. Unzählige Gespräche geführt. Viele Erfahrungen gemacht. Gelacht, geweint und geliebt.


JULIA

Ich erinnere mich noch gut an diesen Vormittag im Sommer. Der erste Gast war Julia[blue],[/blue] [strike]und sie war[/strike] nicht mehr ganz nüchtern. Sie setzte sich auf [strike]den[/strike] [blue]einen der[/blue] [strike]hohen[/strike] Barhocker und schaute mich mit ihren großen, schwarzen Augen an. [red](Direkte Rede beginnt immer mit einer neuen Zeile)[/red]
"Jetzt bin ich zu Fuß über eine Stunde von zu Hause hermarschiert. Es ist toll[blue],[/blue] so durch die Natur zu wandern.“ Ich wusste, dass sie kein Geld mehr für den Bus hatte[strike]. Nur sie [/strike] [blue], aber sie[/blue] durfte bei James anschreiben. Also gab ich ihr ein Glas Rotwein.

„Ich bin das schwarze Schaf der Familie!“, sagte sie oft.
Ihr Vater war Direktor der Kunsthochschule unserer Stadt. [strike]Und dies[/strike] [blue]Das[/blue] war wohl auch der Grund, warum sie schon [blue]seit[/blue] über 10 Jahre[blue]n[/blue] dort studierte und es nicht schaffte, das Studium abzuschließen. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, sie wollte sich dafür entschuldigen. Nicht offensichtlich, jedoch mit diesem bitteren Sarkasmus, durch den diese junge, kluge Frau immer [blue]von[/blue] ein[blue]em[/blue] Hauch [strike]von[/strike] [blue]aus[/blue] Tragik [strike]umgab[/strike] [blue]umgeben war[/blue]. ("Cut")
„Mein Bruder ist sehr erfolgreich,“ sagte sie,“ [strike]I[/strike]ich bin wirklich stolz auf ihn. Auch wenn er mich nicht sehen will und er eigentlich ein Idiot ist.“ Unerwartet sprang sie auf.
„Darf ich spielen? Ich habe es als Kind gelernt und [strike]es[/strike] gehasst.“ ("Cut")
Ich hatte befürchtet, dass sie mich das fragen würde. James wollte nicht, dass jemand ohne sein Wissen das Klavier benutzte. Doch wir waren ganz allein im Lokal und ich konnte Julia schwer einen Wunsch abschlagen.("Cut")
„Komm, spielen wir vierhändig!“ Also saßen wir schließlich auf dem breiten Schemel und musizierten. Ich bemerkte bald, dass sie nicht, oder nicht mehr[blue],[/blue] spielen konnte.
[strike]Dies[/strike] Das sagte ich ihr natürlich nicht, sondern klimperte ebenfalls unfähig, aber lächelnd in die Tasten. Es war eine groteske Situation. Ich könnte nun sagen, dass es mir Spaß gemacht hat. Aber ganz so war es leider nicht. Ich hatte Mitleid[strike]. Und ich hoffe[/strike][blue]und hoffte,[/blue] dass Julia [strike]dies[/strike] es [strike]nie[/strike] nicht [strike]spürte[/strike] [blue]bemerkte[/blue].

Unvermittelt stand sie nach einer Weile (Nach einer Weile stand sie unvermittelt )auf und zog ihre Zeichnungen hervor ([red]Woher hervor? Sie hatte doch keine Tasche dabei.). [/red][strike]Es waren[/strike] E[strike]e[/strike]igenwillig[blue]e[/blue] [blue]Bilder aus [/blue]filigrane[blue]n[/blue] Linien[blue],[/blue] [strike]W[/strike]wirr und sensib[blue]e[/blue]l[strike]e[/strike] [strike]waren sie[/strike], jedoch[blue],[/blue] so schien mir, ohne [strike]ausdrucksstarker Kraft[/strike] Ausdruck.

So, bis hier hin, Memo, erst mal, weil ich nicht weiß, ob Du derartige Vorschläge magst. Ich liebe greifbare Texte, und versuche weitgehend auf Füllworte oder Erklärungswörter zu verzichten. Da bleibt mehr für die Fantasie der Leser da.

Naja, bin mal auf Deine Antwort gespannt.

LG, Karsten
 

memo

Mitglied
Lieber Karsten!

Du hast meine Julia gefunden und beachtet.
Das ist schön!
Es freut mich sehr, dass du die Geschichte so aufmerksam gelesen hast. Deine Verbesserungsvorschläge sind gut. Ich werde sie überdenken und sicher teilweise anwenden.
Vielen Dank für deine positive Antwort.
Auch ich mag reduzierte Texte, die Freiraum für eigene Gedanken lassen.

Alles Liebe
memo
 

memo

Mitglied
Cafe James

Der Innenhof vor dem kleinem Cafe ist mit einem bunten Blätterteppich bedeckt. „Zu verkaufen“ steht auf dem Schild an der Tür - Es fällt mir schwer es zu akzeptieren. Ich grabe meine kalten Hände tief in die Manteltasche. Der Novembernebel kriecht die Tür empor, als ich den warmen Raum betrete.
James lacht.
„Das ist der letzte Cappuccino, den ich dir hier mache!“
Wehmütig löffle ich den Milchschaum. Einerseits bin ich ganz froh, da ich kaum mehr Zeit dazu finde und doch - so viele Montage habe ich in den letzten Jahren hier verbracht und James für einige Stunden entlastet. Unzählige Gespräche geführt. Viele Erfahrungen gemacht. Gelacht, geweint und geliebt.


JULIA

Ich erinnere mich noch gut an diesen Vormittag im Sommer. Der erste Gast war Julia und sie war nicht mehr ganz nüchtern. Sie setzte sich auf einen der hohen Barhocker und schaute mich mit ihren großen, schwarzen Augen an. „Jetzt bin ich zu Fuß über eine Stunde von zu Hause hermarschiert. Es ist toll so durch die Natur zu wandern.“ Ich wusste, dass sie kein Geld mehr für den Bus hatte. Nur sie durfte bei James anschreiben. Also gab ich ihr ein Glas Rotwein.

„Ich bin das schwarze Schaf der Familie!“, sagte sie oft.
Ihr Vater war Direktor der Kunsthochschule unserer Stadt. Und dies war wohl auch der Grund, warum sie schon seit über 10 Jahre dort studierte und es nicht schaffte, das Studium abzuschließen. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, sie wollte sich dafür entschuldigen. Nicht offensichtlich, jedoch mit diesem bitteren Sarkasmus, durch den diese junge, kluge Frau immer von einem Hauch aus Tragik umgeben war.
„Mein Bruder ist sehr erfolgreich,“ sagte sie,“ Ich bin wirklich stolz auf ihn. Auch wenn er mich nicht sehen will und er eigentlich ein Idiot ist.“ Unerwartet sprang sie auf.
„Darf ich spielen? Ich habe es als Kind gelernt und es gehasst.“ Ich hatte befürchtet, dass sie mich das fragen würde. James wollte nicht, dass jemand ohne sein Wissen das Klavier benutzte. Doch wir waren ganz allein im Lokal und ich konnte Julia schwer einen Wunsch abschlagen.
„Komm, spielen wir vierhändig!“ Also saßen wir schließlich auf dem breiten Schemel und musizierten. Ich bemerkte bald, dass sie nicht, oder nicht mehr spielen konnte.
Dies sagte ich ihr natürlich nicht, sondern klimperte ebenfalls unfähig, aber lächelnd in die Tasten. Es war eine groteske Situation. Ich könnte nun sagen, dass es mir Spaß gemacht hat. Aber ganz so war es leider nicht. Ich hatte Mitleid. Und ich hoffe, dass Julia dies nie spürte.

Unvermittelt stand sie nach einer Weile auf und zog einige Zeichnungen aus ihrer alten Ledertasche hervor. Es waren eigenwillig filigrane Linien. Wirr und sensibel waren sie, jedoch so schien mir, ohne ausdrucksstarker Kraft. Das passte zu Julia. Ich erkannte ihr Talent und doch war nichts Greifbares mehr da. Sie schien wie eine Hülle die tief war, aber leer. Als habe sie irgendjemand oder irgendetwas ausgehöhlt.
Sie lud mich zu einer Ausstellung in einem unbekannten Landgasthaus ein, drückte mir ein chaotisches Stück Papier mit einigen Daten in die Hand und bat mich noch einmal zu kommen. Ich kam nicht.
Einmal schenkte sie mir einen Pullover. Ich wollte nicht unhöflich sein und nahm ihn an. Er war mit einer schönen Wolle selbst gestrickt, jedoch etwas zerzaust und ausgeleiert. Ich hängte ihn auf die kleine Garderobe. Getragen habe ich ihn nie.
Julia lächelte bezaubernd, aber sie war unberechenbar. Jeder der sie kannte, distanzierte sich von ihr. Besonders Männer. Sie lockte sie in ihre Falle und gab ihnen keine Chance. Sie war den meisten rhetorisch und intellektuell überlegen. Ich wusste, ich durfte ihr in solchen Situationen keinen Alkohol mehr geben. Es war nicht einfach ihr zu widersprechen. Man durfte sie nicht provozieren, da sonst die Situation leicht eskalierte. Ich wollte mich von ihr nicht beschimpfen lassen.
Aber eines Tages hatte ich keine Wahl. Plötzlich ging sie in die Knie und rutschte vom Barhocker. Es war ein trauriges, absurdes Bild. Ich sah diese unglaublich zarte Gestalt am Boden hocken und undeutlich fluchen, da sie noch ein Glas Wein wollte. Ich war mit der Situation überfordert. Im Cafe James wurde nur klassische Musik gehört, Schach gespielt, philosophiert und Zeitung gelesen. Wahrscheinlich nahm ich James als Ausrede, der mir aber auch den Rat gab, sie mit Vorsicht zu behandeln. Ich wusste, dass er sie sehr mochte. So suchte ich nach einer höflichen Formulierung und bat sie schließlich doch eindringlich zu gehen. Sie sah mich an, als sie sich schwankend an der Tür zu mir umdrehte. Es war dieser Blick, den ich fürchtete und der mich fragte:
„Auch du lässt mich fallen?“
Diesmal sprach sie kein Wort.

Etwa eine Woche später plauderte ich mit einem freundlichen Mann, der Julia gut kannte.
„Du weißt es noch nicht? Unser Mädchen hat es nicht mehr geschafft.“
Ich habe sicher gefragt wie sie es getan hat. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich will es wohl nicht wissen. Ich rede mir natürlich ein, dass ich nichts mit der ganzen Sache zu tun habe. Ich war ja sicher kein wirklich wichtiger Mensch für Julia. Wir kannten uns im Grunde kaum.
An diesem letzten Tag wollte sie ihren Pullover zurück. Erst später erkannte ich, dass sie ihn achtlos in einem Regal neben der Bar liegen gesehen haben musste.
Ich habe ihre Augen gesehen, als sie ging. Sie waren dunkel, wunderschön und einsam. Aber vor allem enttäuscht. Von mir, von ihrer Familie, von sich selbst?
Vielleicht war dieser Tag nur ein weiterer dieser unzähligen Punkte, ein winziger nur - in ihrem verworrenen, dunklen Weltbild. Einer zuviel.
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo memo,

eine gelungene story, die gut wiedergibt, wie sich ein "normalo" im umgang mit einer speziellen frau fühlt. fast selbstverständlich läuft es auf den verrat am ende hinaus, ebenso wie häufig genug auf suizid. und die implizierte frage nach der eigenen verantwortung der erzählerin. der ton passt dazu. nur der schlußabsatz fällt vielleicht ein wenig ab. da wäre meiner meinung nach mehr drin.

grüße
nofrank
 



 
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