Campari Orange

Ich sitze auf der Terrasse, und schaue mir das Swimmingpool an. Das Wasser steht still, es ist ganz glatt. Der Rasen daneben ist etwas verbrannt. In der Ecke suchen ein paar Hummeln nach Honig in den Blüten. Aus der Nachbarschaft dringt elektronische Musik herüber. Die Luft steht. Es ist sehr heiß. Der Schweiß läuft über meinen nackten Oberkörper. Ich nehme einen Schluck Campari Orange. Von oben ist der Motor eines Sportflugzeuges zu hören. Das Geräusch entfernt sich bereits. Ich denke sitzend, dass dem Piloten wohl sehr heiß sein muss. Dann kommt mir in den Sinn, dass ich noch Kleidung für mich einkaufen will. Ich brauche zwei Hosen, eine kurze und eine lange, denke ich im Gartenstuhl sitzend. Ich zerfließe in der Hitze, kann für Minuten nichts denken und meine Wahrnehmungen werden nicht im Hirn weiterverarbeitet. Kindergeschrei aus der Nachbarschaft lässt mich wieder zu mir kommen. Ich denke an Michael: er wurde von seiner Freundin verlassen, die er doch erst seit fünf Wochen hatte. Jetzt lenkt er sich mit einem Buch ab. Das muss ihn schon schwer getroffen haben. Aber es schadet im bestimmt nicht, wenn er sich ein bisschen bildet, denke ich im Gartenstuhl sitzend. Ich hatte schon seit zwei Jahren keine Beziehung mehr, sinniere ich, das hat mein Leben unkomplizierter gemacht. Wenn ich mal von dem Two Night Stand vor drei Monaten absehe. Ich höre ein Auto die Auffahrt des Nachbarn entlang fahren. Und denke im Gartenstuhl sitzend an die gestiegenen Ölpreise. Das Zuschlagen der Autotüre ist zu hören. Dann Stille. Ich könnte mich mit Mathematik beschäftigen. Da sind die Ergebnisse verifizierbar. Ja, Mathematik, denke ich im Gartenstuhl sitzend. Eine Hummel summt in zwei Meter Entfernung vorbei. Ich nehme einen Schluck von meinem Getränk und denke nichts, im
Gartenstuhl sitzend. Im Wasser des Pools liegt jetzt ein grünes Blatt. Es ergibt einen schönen Kontrast zu dem Blau. In der Nachbarschaft wird jetzt wieder Musik abgespielt. Mehr Bass. Wenn ich mich mehr mit Musik beschäftigt hätte, könnte ich jetzt vielleicht ein guter DJ sein, denke ich im Gartenstuhl sitzend und wische mir den Schweiß von der Stirn. Ich könnte mir den Ventilator aus dem Haus holen, denke ich. Oder warten bis Wind aufkommt. Ich warte. Und denke nichts. Jäger, kommt es mir fünf Minuten später in den Sinn, könnte auch eine interessante Beschäftigung sein. Ich würde auf ein Wild warten und es erschießen. Und dann essen. Wild schmeckt gut, wenn man es über Nacht in Buttermilch einlegt. Außerdem hätte ich ein Gewehr. Mit Munition. Ich genieße die Musik aus der Nachbarschaft und denke an Fortpflanzung. Genauer gesagt an Koitus. Vor zwei Wochen war ich tanzen, denke ich im Gartenstuhl sitzend. Die Musik war schon OK. Das Publikum auch. Ich hatte sogar einen Flirt. Selbst das Angebot an Getränken hat meine Erwartungen erfüllt. Einen Block weiter ist jetzt ein Rasenmäher zu hören. Ich blicke auf und sehe eine Amsel in der Hecke, wie sie mit ihrem Schnabel im Boden scharrt. Sie flattert ein wenig, als sie meinen Blick bemerkt. Im Hintergrund sind jetzt weitere Flatterer zu hören. Welch Energieverschwendung es doch ist, Straßenlaternen die ganze Nacht brennen zu lassen, denke ich im Gartenstuhl sitzend. Andererseits ist es auch angenehm, wenn beim späten Heimkommen eine Beleuchtung den Weg erhellt. Ich greife in die Kühlbox und schenke mir nach. Nehme einen Schluck und denke nichts. Plötzlich verstummt der Rasenmäher. Ich genieße die Musik aus der Nachbarschaft. Das Wasser im Pool steht immer noch still. Das Blatt bildet immer noch einen Kontrast. Ich schlafe ein und träume, dass ich im Garten sitze und sich ein Vogelschwarm in einem Baum niedergelassen hat. Ich habe mich die ganze Zeit bis zum Herbst nicht aus dem Gartenstuhl bewegt. Habe nur Campari Orange getrunken. Jetzt liegt der Rasen voller Laub. Und ich sehe einen Igel, wie er aus dem Gebüsch hervorschaut. Ich denke an die Ölpreise im Gartenstuhl sitzend. Und wie sie im Herbst erwartungsgemäß gestiegen sind. Der Pool ist leer, nur einiges Laub befindet sich darin. Plötzlich wache ich durch das wiedereinsetzende Geräusch des Rasenmähers auf. Im Nachbarhaus wird die Musik lauter gestellt. Ich genieße wieder die Musik. Ich trinke von meinem Glas. Es schmeckt gut. Nächstes Jahr werde ich mir ein neues Handy kaufen. Mit mehr Speicherplatz und einer besseren Kamera, denke ich im Gartenstuhl. Ich schaue in den Pool, das Blatt schwimmt noch und bildet immer noch den Kontrast. In der Nachbarschaft ist schon wieder ein Auto zu hören. Möglicherweise dasselbe wie vorhin. Morgen muss ich wieder einkaufen gehen, ich brauche Orangensaft und Brot, denke ich im Gartenstuhl sitzend, und vielleicht eine Zeitung. Die Hummeln sammeln immer noch. Ihr Brummen ist angenehm. Ich sehe auf und mein Blick fällt auf Michael. Er hat sein Buch in den Schoß gelegt und nimmt einen Schluck Campari Orange im Gartenstuhl sitzend. Dann greift er zu den Zigaretten und fragt mich nach Feuer, während er das Buch auf den Tisch legt. Es handelt von Quantenphysik.
 



 
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