Cappuccino mit Eierkuchen

misui

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Sie las die Zeitung von vorgestern. Falschrum. Vielleicht machte sie sich einen Spaß daraus, die Artikel so zu entziffern oder sie versuchte nur alles aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Sie musste nicht reden. Deshalb tat sie es auch nicht. Ein Lächeln und sofort standen eine Tasse Cappuccino und zwei Eierkuchen vor ihr auf dem Tisch.
Sie gehörte schon fast zu dem Café, wie einer der alten Holzstühle auf der Terasse, auf denen sie immer saß. Manchmal frage ich mich, ob sie nichts besseres zu tun hat, als jeden Tag hier zu warten. Und dann frage ich mich, ob ich nicht Besseres zu tun habe, als jeden Tag um neun und um vier Uhr in diesem Café zu sitzen um ihr zuzusehen, wie sie kommt und geht.
Und das nun schon seit zwei langen Jahren. Seit der Brief kam. Der Brief ihres Bruder, den sie zuletzt als Kind gesehen hatte. Es war weniger ein Brief, mehr eine kleine Notiz. Keiner kannte den genauen Wortlaut, doch alle wussten, dass er zurückkommen würde. Am Anfang.
Doch jetzt glaubt keiner mehr daran. Nur sie selbst schöpfte noch Hoffnung.
Heute war etwas anders. Das mulmige Gefühl in meiner Magengegend wollte selbst nach einem Kaffee nicht verschwinden. Es war bereits fünf Minuten nach neun und das erste Mal, dass sie zu spät kam. Als sie dann endlich auftauchte, setzte sie sich hin, als wäre nichts gewesen.
Was, wenn ihr Bruder schon früher gekommen wäre und nicht gewartet hätte? Die zwei Jahre Warten wären umsonst gewesen.
Ich wurde wütend.
„Warum kommst du zu spät?“, schrie ich sie an, „Du hättest ihn verpassen können! Hast du die Hoffnung etwa schon aufgegeben? Es ist sinnlos zu warten oder etwa nicht?“
Sie drehte sich um und ging. Am nächsten Tag war sie nicht mehr da. Um Punkt vier Uhr setzte ich die Pistole an meine Schläfe.
Sie wartete nicht mehr auf mich.
 



 
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