Captain Keppschapps fantastische Welt

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tinta

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Hallo, liebe Leser, Kinder im Alter von 6 bis 9 Jahren lassen sich gern ins Reich von Captain Keppschapp entführen. Und Ihr? Wollt Ihr auch einen Schatz entdecken? Lieben Gruß, Tinta
PS: Über zahlreiche Rückmeldungen freue ich mich sehr!
PPS für Zeder: Deine Mail hat die Sache ins Rollen gebracht (siehe meine Mail vom 1. Juni 04). Viel Spaß bei der Lektüre, Tinta

Captain Keppschapps fantastische Welt

Dennis wünschte, er hätte doch besser den längeren Weg gewählt von der Schule nach Hause. Er wünschte, er hätte nicht die schmale Gasse betreten, die eigentlich viel kürzer war als die Straße. Doch jetzt war es zu spät. Jetzt konnte er nichts mehr ändern. Unbehaglich trat er von einem Fuß auf den anderen.
„Na, wen haben wir denn da?“ grinste Ben und rieb sich die Hände. Ben war der Anführer der gefürchteten Drei. So nannten sie ihre Bande. Ben war der Dickste und Gemeinste. Seine Freunde waren Falko, nicht minder gemein als Ben, aber strohdoof in der Birne, und Frederick. Dieser wirkte immer etwas ängstlich. Deshalb hatte er sich wohl auch mit Ben zusammen getan.

Falko ruckelte an Dennis Tornister. „Na, hast du noch was Schönes in Deinem Tornister?“ fragte er hinterlistig. Dabei wusste er doch ganz genau, dass Dennis nie Süßigkeiten bei sich trug. Wegen der schlechten Zähne, sagte seine Mutter. Nicht, dass Dennis schlechte Zähne gehabt hätte, aber die wollte er ja auch gar nicht erst kriegen.
„Willst du mal wieder einen Ausflug in die Mülltonne machen?“ fragte der gemeine Ben und trat grinsend einen Schritt näher. Er wollte Dennis gerade packen, da riss dieser sich los und rannte so schnell er konnte.
„Angsthase, Pfeffernase, so ein blöder Osterhase“, sangen Ben, Falko und Frederick im Chor. Dennis lief schneller.
„Angsthase, Pfeffernase....“, klang es ihm in den Ohren. Im Laufen drehte er sich um. Immerhin, sie waren ihm nicht hinterher gekommen. Doch Dennis wollte lieber auf Nummer Sicher gehen, er rannte weiter und weiter, bis er völlig außer Atem endlich zu Hause ankam.

Mama war noch nicht da. Sie würde erst am frühen Abend aus dem Büro nach Hause kommen. Und sein Vater kam immer erst heim, wenn Dennis schon im Bett war. Dennis betrat die Küche und schmierte sich ein Butterbrot. Seit sie in diesem Haus wohnten, ging das jeden Tag so: Er sah seine Eltern immer erst am Abend. Seine Mutter wirkte oft erschöpft und er wollte sie nicht beunruhigen. Also erzählte er ihr nicht von der Bande der gefürchteten Drei. Manchmal hätte er es gern getan, aber er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Von seinem ersten Tag in der neuen Schule? Wo sie ihn in die Mülltonne gesteckt hatten? Dass er nicht wusste, wie er sich wehren sollte? Einer gegen drei, was konnte er da schon ausrichten? Seufzend lief er durch die Wohnung. Ein wenig langweilte er sich.

Plötzlich fiel ihm der Speicher ein. Sie wohnten noch nicht lange in dem alten Haus. Bisher war Dennis nur ein einziges Mal auf dem Dachboden gewesen. Die alte Truhe gleich unter dem Fenster war ihm aufgefallen. Was da wohl drin sein mochte? Dennis füllte eine Tasse mit Kakao und balancierte sie vorsichtig die Treppe hinauf. Er erreichte den Speicher. Bei jedem Schritt, den er machte, knarrten die Holzdielen unter ihm. Mit Bedacht setzte er die Tasse ab. Es war ziemlich stickig hier oben. Dennis öffnete das Fenster über der Truhe. Es war fast blind, vermutlich war es schon jahrelang nicht mehr geputzt worden. Es quietschte, als er es nach oben hin öffnete. Das Sonnenlicht drang herein und überflutete den bis dahin im Schummerlicht liegenden Dachboden. Die Truhe erstrahlte im hellen Licht. Ein bisschen sah sie aus wie eine Seemannstruhe. Sie war aus dunklem Holz, das hier und da eine Macke hatte. An den Kanten befanden sich Beschläge aus Messing. Es war schon etwas angelaufen und schimmerte leicht grünlich. Vorn in der Mitte befand sich ein Schloss. Dennis wollte es öffnen, doch es war fest verschlossen.
„Hm“, murmelte Dennis. „Ohne den Schlüssel werde ich die Truhe nicht öffnen können.“ Er ließ seinen Blick durch den Speicher wandern. Der Boden war bedeckt mit Holzdielen. Wäscheleinen waren vom einen Ende bis zum anderen gespannt, allerdings schien niemand mehr den Speicher zum Wäschetrocknen zu nutzen, zumindest konnte Dennis nirgends Wäsche entdecken. Außer der Truhe und einer alten Decke befand sich nichts in dem Raum. Plötzlich bemerkte Dennis eine Holzdiele auf dem Boden, die sich ganz leicht nach oben wölbte. So, als sei darunter ein Hohlraum. Dennis trat näher und tastete den Streifen am Boden ab. Tatsächlich ließ sich die Diele herausnehmen. Unter ihr – Dennis stockte der Atem – lag ein kleiner Schlüssel. Dennis nahm den Schlüssel und steckte ihn ins Schloss der Truhe. Er drehte den Schlüssel herum und das Schloss schnappte auf.

Nun war Dennis aber wirklich gespannt. Er hob den Deckel hoch. Die Truhe war mit einem grünlich glänzenden Stoff ausgeschlagen. In ihr befand sich nichts. Außer einem Buch. Der Buchdeckel war fest. Mitten darauf klebte ein blauer Stein. Und darunter stand:
Captain Keppschapps phantastische Welt

Dennis war ein kleines bisschen enttäuscht. „Ich hatte schon gehofft, da wär’ ein Schatz drin“, brummte er. Dennoch war er neugierung. Und er nahm das Buch heraus. Er ahnte ja nicht, was er da in den Händen hielt! Er hob den Buchdeckel. Gleich auf der ersten Seite stand:
Willkommen, Fremder, wenn Du diese Zeilen liest, bist Du schon mitten drin.

Dennis stutzte. Was hatte das denn zu bedeuten? Unwirsch schüttelte er den Kopf. Er las weiter.
Du möchtest einen Schatz entdecken? Nur immer herein!
„Wie herein?“ rief Dennis laut und erschrak über seine eigene Stimme. Er las weiter:
Es ist ganz einfach. Berühre den Stein auf dem Buchdeckel und sprich laut die Zauberformel: Captain Keppschapp, ich möchte zu Dir. Captain Keppschapp, ich bin bereit. Nun hol mich zu Dir!

Na, das würde nie klappen. Da war sich Dennis aber ganz sicher. Trotzdem klappte er das Buch zu. Er berührte den Stein und bemerkte ein leichtes Zittern seiner Hand. „Captain Keppschapp“, begann er mit unsicherer Stimme. Wie war das noch mal? Was sollte er sagen?
Er las noch einmal nach. Dann klappte er das Buch wieder zu. Berührte den Stein. Und sprach laut und deutlich:
„Captain Keppschapp, ich möchte zu dir. Captain Keppschapp, ich bin bereit. Nun hol mich zu dir!“

Plötzlich begann der Dachboden sich zu drehen. Immer schneller. Immer schneller. „Uaaaaaaahhh“, brüllte Dennis. „Uaaah, was passiert hier?“ Noch ehe er sich besinnen konnte, wurde er wie auf einem Schleudersitz hochgerissen und sauste durch das Fenster. Hoch hinaus bis zum Himmel. Er schoss durch die Wolken und stellte erstaunt fest, dass er die Welt von oben sah. Das war toll. Dennis flog durch die Luft wie ein Vogel. Nur viel, viel schneller. Gerade begann es ihm so richtig Spaß zu machen, da wurde er plötzlich nach unten gekippt. Mit dem Kopf nach unten setzte er, ohne dass er irgend etwas dagegen hätte tun können, zum Sturzflug nach unten an. „Aaaaaaah“, schrie er gegen den Wind und seine Stimme klang, als wäre es nicht seine eigene. Mit dem Kopf nach unten sauste durch die Lüfte. Unter sich entdeckte er das Meer. Eine winzige Nuss-Schale schien darin zu schwimmen. Er sauste weiter Richtung Meer. Es war, als säße er auf einer Rakete! Die Nuss-Schale wurde größer, größer und noch größer. Plötzlich erkannte Dennis, dass da ein riesig großes Schiff war. Und das er genau darauf zuflog. „Hiiiiilfeeeee!“, brüllte Dennis. Doch er konnte den Kurs nicht ändern. Das Schiff kam immer näher. Anders gesagt, Dennis stürzte immer weiter auf das Schiff zu. Als er ungefähr in Segelhöhe war, machte er zu allem Überfluss einen Purzelbaum. In der Luft! Und dann landete er recht unsanft auf dem Holzboden des Schiffes.

„Das war einsame Spitze“, lachte jemand. „Vor allem der Purzelbaum!“ Dennis rappelte sich hoch. Vor ihm stand ein merkwürdig aussehender großer Kerl. Sein Haar stand wirr in alle Richtungen. Dennis betrachtete ihn. Er hatte ein freundliches Gesicht, eine Knollnase und um seine Augen herum waren jede Menge Lachfalten. Er trug eine Uniform, die sich über seinem runden Bauch spannte. Auf seiner Schulter hockte ein Papagei. Dieser hatte rote Flügel, einen gelben Hals und grüne Tupfen auf den Wangen. Aber das Auffälligste an ihm war eine weit abstehende kunterbunte Feder mitten auf dem Kopf.
„Das war einsame Spitze“, krächzte der seltsame Vogel. „Vor allem der Pursselbaum!“ Dennis musste lachen. Was für ein merkwürdiges Gespann!

„Willkommen auf meinem Schiff!“, sagte der Mann. „Ich bin Captain Keppschapp.“
„Willkommen auf meinem Schiff! Ich bin Herr Dumpfbacke!“ krächzte der Papagei.
„Herr Dumpfbacke?“ Dennis lachte. „Ich bin Dennis!“ Captain Keppschapp schüttelte ihm die Hand. „Also, du möchtest einen Schatz entdecken?“ fragte er leichthin. Dennis verwirrte das. „Woher weißt du das?“ entfuhr es ihm.
Captain Keppschapp lachte schallend. Sein ganzer Körper schien mitzulachen. Glucksend schlug er Dennis seine Pranke auf die Schulter. „Na, sonst wärst du ja wohl nicht hier, oder?“ Dennis wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte. Bevor er es sich überlegen konnte, fuhr Captain Keppschapp fort:
„Auf einem Schiff gibt es immer jede Menge zu tun, Dennis. Als erstes will ich dir das Fernrohr erklären.“ Er zeigte auf ein großes Gestell mit einer dicken Röhre gleich an der Schiffspitze.
„Wenn du hier durchschaust, kannst du sehr, sehr weit sehen.“ Er drehte das Rohr in alle Richtungen. „Es lässt sich drehen. Du kannst also von hier das ganze Meer überblicken.“ Dennis nickte. „Das wird von nun an deine Aufgabe sein. Es gibt hier gefääährliche Piraten. Vor denen müssen wir uns in Acht nehmen. Also schlafe nie ein bei der Beobachtung.“
Dennis nickte. „Eye, eye, Captain!” sagte er. Das hatte er einmal in einem Seemannsbuch gelesen.
Captain Keppschapp grinste. „Also, dann“, lachte er. „An die Arbeit.“

Dennis schaute durch das Fernrohr. Es war unglaublich. Das Meer umgab sie bis zum Ende des Horizontes. Und da wechselte sich das tiefdunkle Blau des Meeres lediglich mit einem helleren Blau des Himmels ab. „Wunderschön“, flüsterte er. Er schwenkte sein Fernrohr in alle Richtungen. Wo er hinsah, war alles blau. Dann, nach einer Weile, begannen seine Augen zu tränen. Er hatte dort wohl schon einige Stunden gehockt. Jedenfalls glaubte Dennis, er würde nie mehr etwas anderes als Blau sehen können. Was Captain Keppschapp wohl machte?

Er entdeckte ihn an der Reling. Fröhlich pfeifend hockte er vor einer Angel. Seine Hosenbeine hatte er hochgekrempelt und ließ die nackten Beine über die Reling baumeln. Der Papagei tanzte derweil auf seiner Schulter. „Das gibt unser Abendessen!“ rief Captain Keppschapp grinsend.
„Das gibt unser Abendessen“, krächzte der Papagei. „Hm, lecker Fisch, mag Herr Dumpfbacke sehr!“
Grinsend wandte sich Dennis wieder seinem Fernrohr zu. Doch was war das? Er stutzte. Kurz vor dem Horizont tauchte ein Schiff auf. Dennis drehte an dem Vergrößerer. Das erste, was er erkennen konnte, war die Fahne des Schiffes. Sie war schwarz mit einem Totenkopf und gekreuzten Knochen darunter. Dennis stockte der Atem. „Captain Keppschapp“, brüllte er. „Captain Keppschapp, kommen Sie schnell!“ Dieser sprang so schnell auf, dass der Papagei entsetzt aufflatterte und zu Dennis flog.

Captain Keppschapp sah durch das Fernrohr. Ein einziger Blick bestätigte, was Dennis schon erkannt hatte. „Piraten!“ zischte Captain Keppschapp. „Herr Dumpfbacke, wir brauchen deine Hilfe. Flieg hin und finde heraus, was die vorhaben!“ Das ließ sich der Papagei nicht zwei Mal sagen. „Eye, eye, Sir!“ krächzte er. Dann flog er mit weiten Schwingen in Richtung des Piratenschiffes.
„Du hast deine Arbeit gut gemacht!“ lobte Captain Keppschapp. „Herr Dumpfbacke ist zwar der schnellste Vogel weit und breit, aber bis er zurück ist, wird es einige Zeit dauern. Also, ich schlage vor, wir kümmern uns jetzt erst mal um unser leibliches Wohl. Komm, ich habe uns ein paar wunderbare Fische geangelt.“

Er führte Dennis in das Innere des Schiffes. Dieser staunte nicht schlecht, als er die kleine Küche betrat. Da war alles da, was man in einer Küche so braucht. Ein kleiner Herd mit einer Pfanne. Ein Tisch, zwei Stühle. Und sogar ein winziger Kinderstuhl. „Einfach toll!“ begeisterte sich Dennis, dessen Magen vor lauter Hunger schon knurrte.
„Wart erst mal das Essen ab!“ entgegnete der Captain und begann, die frisch gefangenen Fische in der Pfanne zu braten. „Du kannst schon mal den Tisch decken“, wies er Dennis an. „Teller und Besteck findest Du in diesem Schrank dort“, und er wies auf eine kleine Kommode. Dennis entnahm ihr zwei Teller und Besteck, doch Captain Keppschapp korrigierte ihn sofort: „Vergiss Herrn Dumpfbacke nicht. Der will seinen eigenen Teller.“ Also deckte Dennis den Tisch für Drei. Vor den Kinderstuhl stellt er den Teller für Herrn Dumpfbacke. Als das Essen gerade fertig war und Dennis und der Captain ihre Plätze am Tisch eingenommen hatten, flog der Papagei zum Fenster herein. Ermattet ließ er sich auf dem Kinderstuhl nieder. Dennis reichte ihm ein kleines Schälchen mit Wasser. Herr Dumpfbacke trank davon und dann begann er zu krächzen:
„Hoho, die werden Augen machen!“ begann er und amte dabei wohl den Piratenkapitän nach. „Fantopia hat viel Gold. Das können wir gut gebrauchen, was?“ In einer anderen Stimme kicherte der Papagei „Hahaha!“
Das waren wohl die anderen Piraten.
„Morgen früh, wenn sie alle schlafen, werden wir sie überraschen. Wir haben nichts zu befürchten. Die haben ja nicht mal Kanonen!“ Und dann kicherte der Papagei wieder: „Hahaha!“
„Fantopia!“ donnerte Captain Keppschapp. "Denen machen wir einen Strich durch die Rechnung. Esst, Leute, und dann machen wir uns auf den Weg.“

So schnell sie konnten zogen der Captain und Dennis die Segel hoch. Und sie hatten Glück. Ein starker Wind kam auf und blies sie fort. Fort zur Insel Fantopia. Sie erreichten sie am frühen Abend. Kaum hatten sie den Anker gelegt, da riefen die Kinder „Captain Keppschapp! Captain Keppschapp kommt.“ Captain Keppschapp grinste und nahm sein Megaphon. Dann rief er:
„Bewohner Fantopias! Ich habe eine wichtige Nachricht für Euch. Wir treffen uns am Marktplatz!“

Am Marktplatz herrschte ein dichtes Gedränge. Der Bürgermeister Fantopias mahnte zur Ruhe. Captain Keppschapp berichtete, was passiert war. „Wenn dieser Junge nicht gewesen wäre“, schloss er und zeigte auf Dennis „wärt Ihr alle in großer Gefahr. Doch nun werden wir es den Piraten zeigen!“ Der Bürgermeister trat ans Mikrofon, mahnte abermals zur Ruhe und sprach:
„Bewohner Fantopias, wie Ihr alle wisst, sind wir ein friedliebendes Volk. Wir haben keine Kanonen, keine Messer und keine Gewehre....“
„Aber wir haben Grips!“ rief ein Mädchen. Alles lachte.
„Ganz genau“, bestätigte der Bürgermeister. „Wir verabscheuen Gewalt, doch wenn wir keine andere Wahl haben, greifen wir zur List. Lasst uns beraten, was zu tun ist.“
Die Gemeinde rückte näher zusammen.

Wenig später verstreuten sich alle in sämtliche Richtungen der Insel. Ein hektisches Treiben begann. Immer wieder wurden Tomaten und Zitronen bergeweise zum Hafen gebracht. Ein Bauer karrte merkwürdige grüne Kugeln an. Die waren über und über mit Stacheln besät. „Was ist das?“ fragte Dennis den Captain. „Kakteen!“, rief dieser erstaunt und wollte sich ausschütten vor Lachen. Bis spät abends war ganz Fantopia auf den Beinen. Man versteckte sich hinter einem hohen Turm am Hafen, gleich neben die riesigen Haufen von Zitronen, Tomaten und Kakteen.

Die Sonne war noch nicht wieder über dem Meer aufgetaucht, da näherte sich das Piratenschiff dem Hafen.
„Merkwürdig“, brummte der Piratenkapitän. „Nicht ein einziger Fischer ist unterwegs.“ Ein hässlicher Pirat neben ihm fuhr sich übers stoppelige Kinn und grinste breit. Ein Schneidezahn fehlte ihm. „Dann haben wir ja leichtes Spiel, Chef“, johlte er. Das gefiel dem Piratenkapitän. Sie setzten den Anker und betraten die Insel. Doch sie kamen nicht weit. Um es genau zu sagen, eigentlich nur zwei Schritt weit. ZACK! traf den Kapitän eine Zitrone an der Stirn. „Auuu!“ brüllte dieser und befühlte die immer dicker werdende Beule an seinem Kopf. „Hast du mich gehauen?“ brüllte er seinen Matrosen an. „Nein, Chef, wirklich nicht“, rief dieser ängstlich. ZACK! Da traf ihn eine Tomate ins Gesicht. Sie zermanschte und hinterließ ihr Fruchtfleisch auf seinem Gesicht. „Wie siehst du denn aus?“ brüllte der Piratenkapitän. ZACK! Da erwischte ihn ein Kaktus mitten auf der Nase. „Aauuuu!“ jammerte der Piratenkapitän und versuchte, sich die Stacheln aus der Nase zu ziehen. Dann legten die Inselbewohner erst richtig los. ZACK! Eine Tomate. ZACK! Die Zitrone hinterher. Und ZACK und ZACK ein paar Kakteen. AUUUU! brüllten die Piraten. AUAAAA! Da hatte der Piratenkapitän aber die Nase voll. Nicht nur von den Kakteen, den Zitronen und Tomaten. Nein, er wollte so schnell wie möglich weg von hier.
„An Bord, Männer!“ brüllte er. „An Bord, nichts wie weg hier!“ Alle Piraten sprangen wieder auf ihr Schiff und legten schleunigst ab. Captain Keppschapp lachte schallend.

Nachdem sie die Tomatenmatsche weggewischt und die Zitronen wieder aufgelesen hatten, schlug der Bürgermeister Captain Keppschapp und Dennis vor, noch eine Nacht zu bleiben auf Fantopia. "Wir haben nämlich allen Grund zum Feiern", lachte der Bürgermeister. Und wirklich, es war eine herrliche Fiesta auf dem Marktplatz! Die Palmen waren mit bunten Lampions geschmückt, die Luft war erfüllt von dem Geruch allerlei Köstlichkeiten, und natürlich gab es eimerweise Zitronenlimonade. Denn die Zitronen mussten ja dringend verarbeitet werden. Ein paar Musiker spielten bis tief in die Nacht und es wurde viel getanzt und gelacht.

Als sie müde waren, schlenderten Dennis und der Captain zum Strand. Dort hatte man für sie Hängematten zwischen Palmen gespannt.
„Wow! Was für ein Sternenhimmel!“ rief Dennis aus, als er in seiner Hängematte sachte hin und her schaukelte. „Hm“, machte Captain Keppschapp. “Junge, es hat mir Spaß gemacht mit dir heute. Ich denke, wir können es morgen angehen.“ fügte er hinzu. „Was denn?“ wollte Dennis wissen. Der Captain lachte glucksend. „Unsere Schatzsuche, Dennis.“

In dieser Nacht träumte Dennis von der Bande der gefürchteten Drei. In seinem Traum war er aber nicht einer gegen Drei, sondern er hatte Captain Keppschapp und Herrn Dumpfbacke an seiner Seite. Wie auf Fantopia die Piraten kriegten der dicke Ben, Frederick und Falko es mit matschigen Tomaten und stacheligen Kakteen zu tun. Dennis lachte im Traum so laut, dass er davon aufwachte. Schlaftrunken sah er sich um. Das Gelächter hörte nicht auf. Verwirrt kratzte sich Dennis am Kopf. Erst jetzt bemerkte er die kleinen Äffchen, die sich über irgend etwas königlich zu amüsieren schienen. Sie pflückten die Kokosnüsse von den Palmen. Sie waren grün und noch nicht besonders groß. Sie warfen sie zu Dennis auf seine Hängematte. „Hey!“ brüllte er und schmiss sich in den Sand. "Lasst das, Ihr Affen! Ich habe keine Lust, so ein Ding auf den Kopf zu kriegen!" schimpfte er. Die Affen schien das nicht weiter zu stören. Von dem Gebrüll wachte auch Captain Keppschapp auf. Er lachte dröhnend, als er die Affen sah, wie sie Dennis mit Kokosnüssen bewarfen. „Nichts wie weg hier“, japste er. „Wir haben noch viel vor heute. Ich muss dir unbedingt meine Schatzkarte zeigen.“

Der Wind blies einigermaßen und ihr Schiff trieb gemächlich übers Meer. Diesmal hatte Dennis seinen Posten am Fernrohr noch nicht bezogen, vielmehr studierte er mit dem Captain und Herrn Dumpfbacke eine alte, leicht vergilbte Karte, die an den Rändern etwas verkohlt war. So, als habe sie einst jemand aus dem Feuer gerettet. Dennis war gespannt. „Und wo soll der Schatz vergraben sein?“ fragte er. Der Captain lächelte geheimnisvoll. „Ich habe Jahre gebraucht, um das herauszufinden“, meinte er und sah dabei übers Meer. „Um Fantopia herum gibt es 1.783 Inseln. Eine davon birgt einen Schatz. Du kannst dir sicher vorstellen, wie schwierig es war, herauszufinden, welche von den 1.783 Inseln die richtige ist.“ Dennis nickte. Der Captain wies auf ein paar Wörter, die jemand auf die Karte gekritzelt hatte. Dennis versuchte, sie zu lesen:

Thets suiris med retnu thcan red ni eid

“Was hat das zu bedeuten?“ fragte Dennis.
„Ja, Dennis, das habe ich mich auch gefragt. Lies diese Zeilen mal von hinten.“ Dennis besah sich das Gekritzel noch einmal. „Och!“ entfuhr es ihm. „Das ist spiegelverkehrt geschrieben. Da steht:
Die in der Nacht unter dem Sirius steht.

Dennis grinste. „Sirius ist ein Stern.“
„Genau!“ lachte der Captain. „Du bist ein cleveres Kerlchen. Sirius ist sogar ein verdammt heller Stern. Und mit deiner Hilfe werden wir die Insel finden.“ Der Captain breitete eine neue Karte über den Tisch. „Eine richtige Sternenkarte“, entfuhr es Dennis. Captain Keppschapp tippte auf einen Stern. „Das ist der Morgenstern. Auch Sirius genannt. Der ist genau hier. Und nach meiner Berechnung müsste es die dreihunderfünfunddreißigste Insel westlich sein. Da schippern wir jetzt hin.“

Während sie über die Wellen glitten, fischten Dennis und der Captain wundervolle Meeresfrüchte. Herr Dumpfbacke döste derweil im Schatten auf seinem Kinderstuhl. Als die Nacht hereinbrach, bezog Dennis wieder seinen Posten am Fernrohr. Diesmal beobachtete er die Sterne. Der hellste von ihnen stand genau über einer Insel, die nicht mehr weit von ihnen entfernt war. Sie steuerten die Insel an. In einer Bucht ankerten sie und betraten die Insel. Der Captain bewaffnete sich mit einem Buschmesser, einem Seil und einer Schaufel.

„Wohnen hier eigentlich Menschen? Oder vielleicht Menschenfresser?“ flüsterte Dennis. „Kannibalen gibt es hier keine“, wisperte der Captain zurück. „Soweit ich weiß, ist die Insel unbewohnt.“ Er rollte die Karte aus. „Da entlang!“ befahl er und sie begannen ihren Marsch. Plötzlich blieb der Captain stehen. „Herr Dumpfbacke!“ sagte er. „Du hältst vorerst besser den Schnabel. Man kann nie wissen.“ Herr Dumpfbacke gab ein beleidigtes „Muss den Schnabel halten“ von sich. Immerhin, von da an verhielt sich der verrückte Vogel ruhig.

Vor ihnen breitete sich ein riesiger Dschungel aus. Während sie durch hohes Gestrüpp wanderten, hörten sie allerlei merkwürdige Geräusche. Hohe Schreie ließen Dennis erschaudern. „Das ist bloß der Fantopische Vogel“ flüsterte der Captain. Meterhohes Farn umgab sie. Überall hörte man es rascheln.
„Ich hab’ Angst vor Schlangen“, wisperte Dennis. Wär’ er doch bloß auf dem Schiff geblieben, dachte er.
„Denk einfach nicht dran!“ wisperte der Captain zurück. Sie waren schon eine Weile gelaufen, da lichtete sich der Wald vor ihnen. Durch die Kronen der riesigen Urwaldbäume erstrahlte helles Licht. War es der Mond, der den Nachthimmel erleuchtete oder tatsächlich das Licht von Sirius? Dennis wusste es nicht. Der Captain unterbrach ihn in seinen Überlegungen. „Hier ist es. Hier müssen wir graben.“

Er nahm einen Stock und zeichnete ein Kreuz auf den Boden. Dann vergewisserte er sich anhand der Schatzkarte noch einmal. „Das müsste genau hier sein. Ich denke, das ist richtig“, brummelte er und setzte die Schaufel an. Er grub ein tiefes Loch. Das dauerte ganz schön lange! Es dämmerte bereits, als der Captain eine kurze Pause einlegte. Erschöpft wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. Dennis nahm die Schaufel und buddelte weiter. Ungefähr sieben Mal stieß er mit der Schaufel in die Erde, da stieß er auf etwas Hartes.
„Captain!“ rief er. „Ich glaub, da ist etwas!“ Aufgeregt schaufelte er weiter. Wieder rammte er die Schaufel in die Erde. Plong! Da war eindeutig etwas ganz Hartes.
„Du musst außen rum graben!“ Auch der Captain war nun voller Spannung. „Lass mich mal!“ rief er. Dennis kletterte aus dem Loch heraus. Der Captain sprang sogleich hinein und grub weiter. Er schaufelte noch eine Menge Erde aus dem Loch. Aber dann war es endlich soweit.
„Er ist es!“ hauchte der Captain. „Junge, wir haben den Schatz gefunden!“ „Schatz gefunden, Schatz gefunden!“ jubelte Herr Dumpfbacke.
Als der Captain die Kiste etwas anheben konnte, band er das Seil um sie herum. Die beiden Enden warf er Dennis zu, der oben am Rand der Grube wartete. Behende kletterte der Captain heraus. „Und jetzt: Alle Muckis anspannen und kräftig ziehen!“ befahl er. „Hau Ruck! Hau Ruck!“ Zusammen zogen sie die schwere Kiste aus dem Loch. „Haurucki! Haurucki!“ krächzte Herr Dumpfbacke. Als die Kiste auf sicherem Boden stand, plumpsten Dennis und der Captain erschöpft daneben. Schweigend betrachteten sie die erdverkrustete Kiste. Nichts an ihr deutete auf ihren Inhalt. Sie hatte kein Schloss. Jemand hatte lediglich feste Schnüren um sie herum verknotet.

Der Captain strich über ihren Deckel. „Wollen wir sie öffnen?“ flüsterte Dennis. Der Captain nickte. Er zog das Buschmesser aus der Schneide und zerschnitt die Schnüren. „Du hast die Kiste entdeckt. Also darfst du sie auch öffnen!“ sprach Captain Keppschapp feierlich. Dennis hob den Deckel an. Was er sah, raubte ihm den Atem:
Funkelnde Edelsteine, goldene Ketten, diamantbesetzte Schwerter, goldene Kelche und wunderschön schillernde Kämme. Und mitten drin ein purpurroter Stein von der Größe eines Hühnereis.
„Wahnsinn!“ entfuhr es Dennis.
„Wahnsinn ist das, Wahnsinn!“ amte der Papagei ihn nach.
Captain Keppschapp grinste. „Ihr wisst ja gar nicht, was das Beste an dem Schatz ist!“ Dennis war verwundert. „Das Beste an dem Schatz? Das verstehe ich nicht.“ Plötzlich begann der Captain auf einem Bein zu hüpfen. Und dann auf dem anderen. Einen richtigen Freudentanz vollführte er! „Das ist der Schatzmelder, Dennis! Wir haben ihn gefunden!“
„Schatzmelder, yippidippidu!“ trällerte Herr Dumpfbacke. Als der Captain sich beruhigt hatte, sagte er:
„Komm, lass uns den Schatz auf unser Schiff bringen. Und später erkläre ich dir, was es mit dem Schatzmelder auf sich hat.“

Die Sonne brach durch die Wolken. Ein neuer Tag begann. Dennis konnte nicht glauben, was der Captain ihn über den Roten Riesen verraten hatte. So hieß der hühnereigroße Stein, den sie in der Schatzkiste gefunden hatten. Immer, wenn sich in der Nähe ein Schatz befand, begann er zu blinken.
„Und das heißt, mein lieber Dennis, das du immer, wenn du magst, mit mir auf Schatzsuche gehen kannst“, schlussfolgerte er. „Ist das nicht großartig, mein Junge?“ Verwirrt hatte Dennis genickt. „Wo doch unser Abschied naht“, hatte der Captain fortgefahren. „Abschied?“ rief Dennis. „Wieso denn Abschied?“ Der Captain blickte ihm tief in die Augen.
„Na ja, die Geschichte geht hier langsam zu Ende. Du musst nämlich zurück." Dennis sah den Captain verständnislos an. "Zurück nach Hause. Aber jetzt haben wir ja den Roten Riesen. Und wenn du mal wieder auf Schatzsuche gehen willst, weißt du ja, wo du mich finden kannst.“ Dennis schüttelte den Kopf. „Nö. Weiß ich nicht.“
„Weiß er nich, weiß es nich!“ krächzte Herr Dumpfbacke. Kopfschüttelnd lächelte der Captain. „Im Buch, Dennis. Im Buch findest du mich. Captain Keppschapps phantastische Welt. Das ist hier. Und dieses Buch liegt zu Hause auf dem Dachboden!“ Dennis dachte an seine Eltern. Ob sie ihn vermissten?

„Du musst zurück in deine Welt“, las der Captain seine Gedanken. „Es ist spät, wir sollten jetzt schlafen. Doch vergiss nie, du weißt jetzt, wo du mich finden kannst.“ Dennis nickte und hüllte sich in einen Schlafsack. Er wollte auf dem Deck schlafen. Über ihm funkelte der weite Sternenhimmel. Dennis entdeckte Sirius, den großen und den kleinen Wagen. Dann schlief er ein.

"Vergiss nie. Du weißt jetzt, wo du mich finden kannst.“ Das waren die letzten Worte des Captains zu Dennis. Als Dennis aufwachte, lag er mit dem Kopf auf dem Buch. Der Dachboden wirkte schummrig. Der Abend schien hereingebrochen zu sein.

„Dennis! Hier bist du!“ Seine Mutter erschien in der Tür. „Ich habe dich überall gesucht.“ Nur mit Mühe fand Dennis sich zurecht.
„Wie lange war ich denn weg?“ fragte er zaghaft.
„Wie lange du weg warst? Was soll denn diese Frage? Heute Mittag warst du in der Schule. Und jetzt ist es abends und ich bin gerade aus dem Büro gekommen.“ Dennis nickte stumm. „Nun lass uns zu Abend essen und du erzählst mir, wie es in der Schule war.“

Am nächsten Tag begegnete Dennis auf dem Heimweg von der Schule wieder der Bande der gefürchteten Drei. Sie verstellten ihm den Weg. Ben baute sich vor ihm auf. „Na, wollen wir mal wieder in die Mülltonne gestopft werden?“ säuselte er. Falko griff nach Dennis Tornister. „Finger weg!“ fauchte Dennis ihn an. Erschreckt ließ Falko von ihm ab. Dennis überlegte fieberhaft. Was hatten die Bewohner Fantopias gesagt?
„Wir haben Grips. Wir verabscheuen Gewalt, doch wenn wir keine andere Wahl haben, greifen wir zur List“, murmelte Dennis. „Was redest du da?“ keifte Ben.
„Mir hat mal jemand gesagt, dass nicht Stärke zählt, sondern das, was man im Kopf hat“, sprach Dennis mit fester Stimme.
„Wie? Was soll das heißen?“ fragte Ben lauernd.
„Versteh ich auch nicht“, zischte Falko.
„Was meint der wohl?“ jammerte Frederick.
„Das heißt, das der Klügste auch der Beste ist“, schlussfolgerte Dennis. „Und da du dumm bist wie Bohnenstroh kannst du nicht der Beste sein.“
„Aber du, was?“ Ben schien beleidigt.
„Genau. Ich weiß immerhin, was ein Schatzmelder ist. Und du nicht. Wetten?“
„Was ist ein Schatzmelder?“ wollte Falko wissen.
„Halt’s Maul!“ fuhr Ben ihn an.
„Aber Ben, ich wollte doch nur wissen...“
„Sei still!“ brüllte Ben.
„Weißt du denn nicht, was ein Schatzmelder ist?“ wollte Frederick wissen.
„Na ja, der meldet... ähm... der meldet...äh..“
„Siehst du? Du weißt es nicht. Und wo Fantopia liegt, weißt Du auch nicht.“
„Fantopia? Wo soll das denn sein? Nie gehört“, rutschte es aus Ben heraus.
„Captain Keppschapp kennst du auch nicht. Wetten?“
„Wer soll das denn sein?“ rief Falko.
"Ihr seid dumm wie Heuschrecken. Mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben. Und nun lasst mich durch.“
Ben, Falko und Frederick waren ziemlich durcheinander. Ben wusste nicht so recht, was er tun sollte. Er kratzte sich am Kopf. Dennis fackelte nicht lange und schubste ihn zur Seite.

„Macht, dass Ihr weg kommt. Am besten zurück in die Schule. Da lernt Ihr wenigstens mal was!“ sagte Dennis. Und dann lief er fröhlich pfeifend nach Hause.
 



 
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