Caspar - und wie sein Vater die Welt sah (Teil 1)

HubbyII

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Caspar – und wie sein Vater die Welt sah.

Von der schwierigen Unternehmung ein anständiger Vater zu werden

[Erster Teil]


Epilog!

Ein Nachwort als Vorwort? Nun, warum nicht, denn die im folgenden geschilderten 20 Monate liegen nun schon weit über zwei Jahre zurück, und alles was mir hier einleitend in den Sinn kommt, ist ein Rückblick auf diese Zeit. Also ist es, sinngemäß, ein Epilog, auch wenn er hier am gewohnheitsrechtlichen Platz des Vorwortes steht. Aber fangen wir am besten in der Gegenwart an...

Mein Sohn Caspar ist jetzt, da ich diese einleitenden Worte schreibe, fast zwei und ein halbes Jahr alt und er kommt im nächsten Monat in den Kindergarten. Endlich! – wie ich unumwunden hinzufügen möchte, denn ich gebe zu, dass ich sonst bald reif für die Inanspruchnahme einer Dienstleistung des Müttergenesungswerkes gewesen wäre. Aber natürlich hätte ich dazu gar keine Berechtigung – denn ich bin ja ein Mann. Und damit ist sinngemäß das Thema dieses Traktates angedeutet, nämlich, dass es für einen „normalen“ Mann gar nicht so einfach ist, eine andere als die ihm traditionell zugedachte „Ernährerrolle“ einzunehmen.

Von den vielen Hindernissen, die sich dem gewöhnlichen Mann zumindest dann in den Weg stellen, wenn er – aus welchen Gründen auch immer – entschlossen (oder gezwungen) ist, mehr als nur der familiäre Geldbeschaffer sein zu wollen, wird hier die Rede sein. Namentlich vom Kind, von dessen Mutter, der vaterignoranten Gesellschaft überhaupt und vor allem: Vom eigenen männlichen Ego!

Nehmen wir ein alltägliches Szenario zur Verdeutlichung des Gemeinten, das en passant alle soeben genannten Aspekte in der ein oder anderen Weise berührt: Caspar und ich sind auf einem öffentlichen Spielplatz. In einem durchaus nicht ungewöhnlichen Anfall von Übermut und Unachtsamkeit, fällt mein Sohn aus geringer Höhe von einem Spielgerät und beginnt zu weinen. Sofort stürzt sich eine wildfremde Frau (an mir vorbei) auf ihn, und versucht, das ihr völlig fremde Kind zu trösten. Was bildet diese Frau sich eigentlich ein? Dass das Kind heult, weil es mit dem Vater hier sein muss? Dass sie, als x-beliebige Mutter prinzipiell mehr zur Tröstung berechtigt und befähigt ist als ich, der ich das Kind seit weit über einem Jahr jeden Tag mindestens sieben Stunden alleine betreue? Aber hören wir noch auf ihre Trost spendenden Worte: „Ist ja gut, die Mama (!) kommt ja gleich wieder...“.... Damit gibt sie meinem Sohn zu allem Überfluss auch noch das entscheidende Stichwort, der mir seinerseits schamlos in den Rücken fällt; Aus sei-nem bisher wortlosen Schmerzgejammer wird die klagende Sehnsuchtsbekundung: „MaaaaaaaMaaaaaa“. Das ist Vaterignoranz - und zwar in Reinform!

Im Rückblick auf meine Erfahrungen der letzten Jahre wäre ich geneigt zu behaupten, Vater werden ist eine vergleichsweise lang andauernde und enorm schwierige Unternehmung - zumindest für jene Männer, die wirklich von Beginn an Vater im betreuenden Sinn sein wollen (oder müssen). Gleichwohl scheinen das mit Blick auf die große Zahl allein erziehender Mütter gar nicht so sehr viele zu sein. Zieht man darüber hinaus noch jene Männer ab, die ihr Kind wegen Übersollerfüllung im Berufsleben eher selten und nur zufällig zu Gesicht bekommen, dann versteht man, wie das Klischee von der „vaterlosen Gesellschaft“ entstanden ist. Aber wenn die medial nicht weniger häufig zitierte „Vatersehnsucht“ befriedigt werden soll, dann müssen keineswegs nur potentielle Väter umdenken.

Vielleicht muss auch die Gesellschaft mehr leisten, als dem „Mann-als-Vater“ nur eine Option zur Änderung seiner Steuerklasse in Aussicht zu stellen. Könnte nicht endlich einmal zugegeben werden, dass das ganze Kinder- und Erziehungsgeldsystem auf die klassische Familie mit männlichem Alleinverdiener zugeschnitten ist? Und: Wo bleiben denn die wirklich modernen Familien-Ratgeber, in denen der Vater einmal nicht als homo oeconomicus, sondern auch mal als potenzielle „Mutter“ abgehandelt wird? Kann es sein, dass die den gesellschaftlichen Auf-zucht- und Hegebereich praktisch dominierenden Frauen/Mütter gar nicht wollen, dass die Männer sich der Mutterrolle zu sehr nähern, weil sie – zu Recht – fürchten, dass eben diese traditionelle Rolle dann nicht ganz unbeschadet bleiben kann? Inzwischen müssen ja auch hartgesottene Manager auf Selbsterfahrungsseminaren um die Wette weinen, weil mit dem Einzug weiblicher Qualitäten in das ökonomi-sche Denken plötzlich „emotional-learning“ angesagt ist. Und: Sollte nicht endlich auch den Babys mal vermittelt werden, dass der Vater im frühkindlichen Fürsorgebereich nicht zwingend ein Totalversager sein muss? Nun ja, lassen wir die Kirche mal im Dorf...

Für Männer jedenfalls - und das ist es, was ich sagen möchte - ist das „Vater-auch-im-Sinne-von-Mutter-Werden“ ein permanentes Anschwimmen gegen den Strom kulturell tief eingebrannter Sichtweisen; und dazu gehört, neben den schon benannten Aspekten, bedauerlicherweise auch ein Ankämpfen gegen die eigene Sozialisation als Mann. Damit ist es gleichsam auch ein einsam-intellektuelles Anrennen wider das bessere Wissen über die Normen der modernen Leistungsge-sellschaft. Das Ganze ist also ein ziemlich abstraktes Gefecht, weil es nur im eigenen Kopf stattfinden kann. Mann muss lernen, sich selber glauben zu machen, dass es die eigenen Spermien sind, die von einzigartiger Bedeutung für das Schicksal des zukünftigen Kindes sind – was tatsächlich völliger Blödsinn ist! Mann muss lernen, sich selber einzureden, dass das Aufziehen von Kindern kein ökonomisch irrationaler Akt ist – obwohl es das de facto ist! Mann muss lernen, sich selber davon zu überzeugen, dass Mann für das Kind genauso wichtig ist, wie die Mutter - was definitiv falsch ist! Mann muss lernen, sich selber plausibel zu machen, dass Mann mit dem Erreichen des „zweiten Platz“, sowohl in der Hierarchie des Baby- wie auch des Mutterherzens, kein „Verlierer“ ist – obwohl das der gängigen kulturellen Sichtweise im Hinblick die Wahrnehmung zweiter Plätze entspricht! Kurz gesagt: Mann muss lernen, lernen, lernen!

Tja, und darum geht es irgendwie auf den folgenden Seiten, weshalb das Ganze auch nicht: „Caspars Welt“ heißt, sondern ehrlicherweise „Caspar – und wie sein Vater (also ich) die Welt sah“. Caspar ist natürlich ein Pseudonym, weil ich nicht möchte, dass sein spätere Karriere eventuell durch das Geschreibsel seines Erzeu-gers beeinträchtigt wird. Aber das Pseudonym ist auch nicht völlig aus den Fingern gesogen, denn diesen Namen hätte mein Sohn bekommen, wenn ich es hätte allein entscheiden können. Und damit sind wir beim Thema.....


Erstes Kapitel: Vom Schwanger sein
[Erinnerungen und Randbemerkungen]

Gibt es etwas Einfacheres für einen Mann als eine Schwangerschaft? Wohl kaum. Ein kurze Phase sexueller Erregung genügt, um dann den Staffelstab für 9 Monate der werdenden Mutter zu übergeben – und damit bleibt für Männer genügend Zeit, um sich noch rechtzeitig vor der Geburt ihrer Kinder aus dem Staub zu machen. Die, die dabei bleiben, dürfen dann im Kreißsaal der über Stunden qualvoll Gebärenden ein paar Minuten das Händchen halten. Schon ist die Schwangerschaft überstanden und der Mann zum Vater geworden: „Herzlichen Glückwunsch“!
Schwanger werden..

Schwangerschaft (Gravidität, Gestation), in der Humanmedizin Bez. für die Zeit-spanne zw. der Einnistung (Nidation) einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter der Frau und der Geburt - so steht es in der letzten Brockhausausgabe des alten Jahrtausends. Es folgt eine für Lexikon-Artikel ausgesprochen längliche Beschreibung verschiedenster Mutationen, denen die werdende Mutter und die befruchtete Eizelle während der 9 Monate zwischen „Nidation“ und „Niederkunft“ unterworfen sind. Nach einer vergleichbaren Darstellung möglicher Verän-derungen eines gewöhnlichen Mannes auf seinem Weg zur Vaterschaft sucht Mann jedoch vergeblich. Das war das erste, aber keineswegs das letzte Mal, dass mir die eigentliche Bedeutungslosigkeit des Vaters für den Mutter-Kind-Komplex auffiel...

Jener Tag, an dem ich über meinen zukünftigen Vater-Status in Kenntnis gesetzt wurde, war für mich keineswegs ein unvergesslicher Moment, ein Paukenschlag oder auf sonst eine Weise dramatisch; im Gegenteil, er ist mir eigentlich nur noch schwach in Erinnerung. Mag sein, dass die Ästhetik eines verfärbten Lackmuspapiers auf einen chronisch farbschwachen Mann nicht den entsprechenden Eindruck machen kann, vielleicht lag es aber auch daran, dass schon bei der gemeinsamen Entscheidung „einen Test“ machen zu wollen, das Ergebnis für mich unzweideutig feststand. In der unmittelbaren und sehr kurzen Zeit nach dem Kauf des Schwangerschaftstest erlebte ich einen gewaltigen Prozess rückwirkender Indizienverdichtungen, die jedes „negative“ Testergebnis als Bankrotterklärung meines eigenen Kombinationsvermögens erscheinen lassen würde. Nur so lässt es sich erklären, dass ich bereits beim Anblick des noch nicht ausgepackten - und verpackungstechnisch hoffnungslos überdimensionierten – Testset dachte, dass das dafür ausgegebene Geld völlig sinnlos sei: Natürlich war meine Freundin schwanger! In meinem Kopf wand sich die lange Kette unwiderlegbarer Fakten, die das gesamte Verhalten meiner Partnerin in den vergangenen Wochen vermittels der neu gewonnenen Perspektive nun als „schwangerschaftstypisch“ auswies. Eine ziemlich bemerkenswerte Typisierung übrigens, da ich ja für die Kategorisierung eines „schwangerschaftstypischen“ Verhaltens über gar keine Erfahrungswerte verfügte. Jedenfalls gelang es mir sofort, jede Verantwortung für diverse partnerschaftliche Unstimmigkeiten der letzten Zeit von mir abzustreifen - ich war schließlich nicht schwanger, sondern: „normal“...

... ohne Ausrede

Wie schon angedeutet, war der konkrete Anblick des angepinkelten Urinstreifchens für mich kein sonderlich entscheidender Moment auf dem Weg zur Vaterschaft. Ich geriet in diesem Moment weder in Euphorie noch in Panik, sondern stand dem Ganzen relativ emotionslos gegenüber - was auch daran liegen kann, dass die werdende Mutter und ich fest liiert sind, und insofern keine Fluchtbewegungen oder gegenseitige Schuldzuweisungen zu erwarten waren. Überdies sind mir Gefühlsausbrüche generell eher fremd. Da ich nicht nur als Mann, sondern zusätzlich auch als Akademiker in gewisser Weise zur Rationalität verurteilt bin, wusste ich zwar, dass sich von diesem Moment an Vieles ändern würde (so was weiß Mann eben), aber ich sah mich selber zunächst in weit geringerem Maße betroffen. Nun gut: Ich würde Vater werden, aber das haben schon Abermillionen Männer vor mir geschafft und außerdem waren bis dahin noch über sieben Monate Zeit.

Nun ist das Vater werden in heutiger Zeit ein Prozess, der von den Vertretern „meiner“ Generation ganz anders bewältigt werden muss (und wird) als von den meisten Vorgänger-Generationen. Für uns Männer der aufgeklärten Generation - so möchte ich mal ganz selbstbewusst jene nennen, die sich selber in einer angemessenen geistigen Distanz zwischen den Kulturwertgefühlen der so genannten „68er“ und den „89ern“ verorten – für uns also, gibt es leider keine Ausreden; weder im Bezug auf Partnerschaft, noch auf Beruf oder Umweltbewusstsein und schon gar nicht im Bezug auf Kinder. Die uns wohl eher zufällig zugefallene Umbruchszeit zwischen totaler Politisierung und totaler Entpolitisierung, zwischen sexueller Revolution und asexueller Gegenrevolution („oversexed and underfucked“, wie es ein zeitgenössischer Straßenphilosoph nannte) hat uns ohne Zweifel ihren Stempel aufgedrückt. Meine Generation, das ist irgendwie die Zeit des gepflegten „Bombastrock“ - mit Musikern, die selber noch Instrumente spielten - der damals noch links-liberalen „Grünen“ und die Zeit, als man beim Haschisch rau-chen noch inhaliert hat!

Ich gehöre mithin zu jenen Männern, die in der prinzipiellen Hoffnung leben wollen, dass es tatsächlich ein „richtiges Leben im Falschen“ gibt; gerade weil es kei-nen sichtbaren Grund gibt daran zu glauben. Aber irgendwo muss es sie geben, die Welt jener Menschen, die keinen probiotischen Jogurt kaufen, noch nie einen „Milchhieper bekommen haben und deren Freundschaften auch ohne massenhafte Zufütterung von „Ferrero-Küsschen“ funktionieren. Menschen also, von denen man kurz gesagt hoffen darf, dass ihre Kinder nicht von Beginn an dazu verurteilt sind, „Arschloch-Kinder“ (Michael Mittermaier!) werden zu müssen

Von uns „Aufgeklärten“ wird zu Recht erwartet, dass wir selbstverständlich jene häuslichen Tätigkeiten übernehmen, die für unsere Väter (oder zumindest Großväter) noch ein Scheidungsgrund gewesen wären. Auf Kinder bezogen meint das, dass wir mindestens Babynahrung zubereiten und Windeln wechseln können müssen und zwar unabhängig davon, ob wir berufstätig sind oder nicht. Kurz gesagt: Ich bin Teil einer Generation ohne Ausreden und muss mich deswegen mit allen Konsequenzen meiner zukünftigen Vaterschaft auseinandersetzen und sie bewusst annehmen. Ich würde mich also klaglos dem, nun auch für mich beginnenden, unerbittlichen Ernst des Lebens stellen und endlich erwachsen werden; Ich würde meinen Nikotin- und Alkoholkonsum schon aus Solidaritätsgründen zu werdenden Mutter einstellen, mich über Bausparverträge und sonstige finanzielle Ange-legenheiten informieren und meinen Lebenswandel überhaupt in geordnete Bahnen lenken. Soweit die Theorie. Bedauerlicherweise leidet ein nicht geringer Teil meiner Generation auch an einer gewissen Disziplinlosigkeit...

In der Praxis passierte also nichts. Zumindest zum Zeitpunkt des Testes und in der unmittelbaren Folgezeit kann ich mich nicht an irgendeinen spontan vollzogenen Verhaltenswandel erinnern. Heute weiß ich, dass es hier um Aspekte des bewussten Vater-Seins handelt, einer Zeit, die für mich noch in weiter Ferne lag. Da auch meine Freundin - trotz mancher (vorher nicht gekannter) weinerlicher Emotionsbekundungen - eher zu den gelassenen Menschen zu zählen ist, wurde auch von ihrer Seite kein Druck auf mich ausgeübt und dahingehend unterblieb ein sichtbarer Verhaltenswandel meinerseits. Während meine Freundin für sich sofort Konsequenzen zu ziehen begann, verharrte ich noch einige Zeit im Leben vor der Schwangerschaft....

Allerdings: Es konnte zwar keinen Zweifel darüber geben, dass die Vaterschaft für mich unentrinnbar war, aber irgendwie nervte es mich ungemein, dass ich im Hinblick auf die Bestimmung des richtigen Zeitpunktes, wann ich Vater werden wollte, jetzt überhaupt keine Einflussmöglichkeiten mehr hatte. Vielleicht hätte man das besser vorher besprechen sollen? Aber wann war eigentlich „vorher“?

Kurze Philosophie über die Bestimmung des „richtigen Zeitpunktes“ Vater zu werden

Jeder Vater werdende Mann, der Verwandte und/oder Freunde hat – und das meint dann wohl die Mehrzahl – wird mit der Frage nach dem „richtigen Zeitpunkt“ für ein Kind konfrontiert. Bei den meisten taucht dieser Sachverhalt schon in der späteren Pubertät das erste Mal auf, nämlich spätestens dann, wenn die Eltern einsehen müssen, dass ihre Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt schon weit aufgeklärter sind, als sie selber es zu einem vergleichbaren Zeitpunkt waren. Unabhängig davon, wie auch immer Eltern im Einzelnen diese Einsicht bewältigen, steht für die meisten fest, dass man durchgängig vor den Konsequenzen unbedachter sexueller Kontakte zu warnen hat; und das ist (jenseits der AIDS-Problematik) nichts anderes als der unmissverständliche Hinweis darauf, dass für das Vater-Werden (und natürlich noch weit nachdrücklicher für das Mutter-Werden, aber darum geht es hier ja nicht) in diesem Moment nicht der richtige Zeitpunkt ist.

Im Regelfall wird „mangelnde körperliche oder geistige Reife“ als nicht näher auszuführendes Argument dafür angegeben, dass der „richtige Zeitpunkt“ jetzt noch nicht ist. Das ganze ist übrigens – anbei bemerkt - ein interessantes kulturelles Konstrukt, denn aus biologischer Sicht ist es völlig absurd, körperliche und geistige Reife zu trennen; jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, dass geschlechtsreife Tiere der geistigen Unreife bezichtigt werden. Und was soll überhaupt geistige Reife bedeuten? Wie ein bekannter Kabarettist unlängst vermerkte, gibt es eine nicht unbeträchtliche Anzahl, vorwiegend durch extrem schwache Kopfbehaarung erkenntliche Männer, die neben ihren unveräußerlichen Deutschenrechten auch das Kinderzeugungsrecht haben; obwohl sie nahezu in jeder Lebenslage demonstrativ ihre mangelnde geistige Reife zur Schau stellen. Spätestens also mit dem Eintritt in Wahl-, Autofahr- und das unbeschränkte Konsumfähigkeitsalter, wird es also völlig unplausibel, solche Gründe zu akzeptieren. Und wer – wie ich – jede Gelegenheit nutzt, auch mal einen heimlichen Blick in „Das Goldene Blatt“, in „Gala“, „Bunte“ oder ein ähnliches Erzeugnis der Regenbogenpresse zu werfen, stellt fest, dass schwangere Prinzessinnen oder Pop-Stars, wegen ihres großen Glückes „ein Wunschkind“ zu bekommen, geradezu euphorisch gefeiert werden - selbst wenn sie gerade erst 18 Jahre alt sind. Für „reiche“ oder „berühmte“, oder kurz: „erfolgreiche“ Menschen verlaufen Reife-Prozesse offensichtlich weit schneller als für „arme“ Menschen [Ich erinnere mich übrigens auch noch gut an die frühe Berichterstattung über die „erste (und natürlich große) Liebe“ unseres damals 14-jährigen(!) „Goldfisches“, Franzi von A., zu einem 22-jährigen Schwimmkollegen und frage mich, warum man ihn nicht wegen Kindesmissbrauch vor Gericht gestellt hat – denn das hätte man bei jedem „normalen“ Bürger getan...].

Tatsächlich kann man aus sozialwissenschaftlichen Untersuchungen entnehmen, dass der „richtige Zeitpunkt“ aus Sicht von Eltern eigentlich nie altersabhängig, sondern immer nur elternabhängig ist. Damit ist er also auch nicht von irgend einem körperlichen oder geistigen Reifezustand – bzw. nur vom entsprechenden Zustand der Eltern - abhängig! Vor allem aus Studien über „Sektenangehörigkeit aus der Sicht betroffener Eltern“ erhellt sich der Sachverhalt, dass Kinder immer Kinder bleiben – also letztlich nie reif für eigene Entscheidungen sind – und dass sie sich immer dann als „unreif“ erweisen, wenn sie nicht das tun, was ihre Eltern von ihnen erwarten.

Im Bezug auf das Kinder-kriegen ist also mit dem Zustand der geistigen oder körperlichen Reife nichts anderes gemeint als – und das spiegelt die gesellschaftliche Normierung der Gegenwart wider – ein Zustand sozialer Abgesichertheit, was übersetzt einen Zustand „ökonomischer Reife“ bezeichnet. Ein Kind muss man sich also finanziell „leisten“ können, wodurch es durchaus vergleichbar mit anderen kostspieligen Anschaffungen ist. Nun ist das im Klischee unserer Elterngeneration für Töchter ein relativ einfach zu erkennender Reifezustand, der sich dann einstellt, wenn ein halbwegs vermögender Partner gefunden wurde - auch wenn mittlerweile die Erkenntnis Raum gewonnen hat, dass das Töchterklein we-nigstens einen Schulabschluss haben sollte.

Aber die eigentliche Frage ist doch, wann sind wir ärmeren Männer eigentlich „reif“ bzw. „reich genug“ für ein Kind, wenn wir die gegenwärtige Situation – und damit meine ich nicht jenen Zustand, den unsere Elterngeneration für aktuell hält – genauer betrachten? Gibt es für Männer unserer Generation tatsächlich einen ökonomischen Reifezustand, der in etwa mit einer bestimmten beruflichen Position und einem daran gekoppelten Einkommen korreliert? Wohl kaum, denn der statische Zustand, der früher unter dem Begriff „Beruf“ relativ eindeutig erreicht werden könnte, ist heute durch den dynamischen Begriff der „Karriere“ ersetzt worden. Und Karriere ist etwas nur schwerlich zu Vollendendes und erfordert kontinuierliches Engagement bei gleichzeitig überdurchschnittlicher Leistungsbereitschaft. Ein Kind aber bedeutet damit fast zwangsläufig das Ende der Karriere; mindestens aber einen nicht mehr aufzuholenden Einschnitt in selbige. Und wenn man hier nicht dem Rückfall in die alten Rollenklischees das Wort reden will, nämlich, dass die Frau dem Mann den Rücken für seine Karriere „frei-hält“, dann müssen beide Partner an ihren Karrieren basteln dürfen. Das wiederum bedeutet, dass der richtige Zeitpunkt für ein Kind eigentlich nie kommen kann.

Zu Recht wird der, diesen gesellschaftlichen Sachzwängen positiv gegenüberstehende Teil der Gegenwartsgeneration, „dinks“ genannt und bringt damit das asoziale Lebensmotto in die kürzstet mögliche Form: „double income, no kids!“ So kommt man also nicht weiter. Weshalb ich dafür plädieren möchte, den „richti-gen“ Zeitpunkt als jenen anzusehen, an dem ein Kind gezeugt worden ist und von dort aus alles andere als irrelevant zu betrachten.


Das Bekenntnis

Kurz nach dem Test gab es dann auch eine offizielle Bestätigung durch die Frauenärztin meiner Freundin, aber auch dies ließ mich persönlich nicht „schwangerer“ werden. Wahrscheinlich war es das Verhalten meiner Freundin - nicht mir gegenüber, sondern sich selbst gegenüber - das mich langsam, ohne jeden Druck aber doch unaufhaltsam, in Richtung Schwangerschaft trieb. Anfänglich stellte ich fest, dass ich die abendliche Weinflasche nun allein leeren musste, was mir im Wortsinne zunehmende Kopfschmerzen bereitete. Dieser Sachverhalt, den ich in der mir eigenen Art akzeptierte, wurde begleitet vom guten Vorsatz, zumindest weniger rauchen zu wollen. Vielleicht sollte ich auch erwähnen, dass das Sexualleben in diesem frühen Stadium der Schwangerschaft durchaus einfacher wurde - weil ja nix mehr passieren kann, was nicht schon passiert wäre. Insgesamt aber geschah einfach sehr wenig, Punkt.

Der Tag an dem ich dann tatsächlich „schwanger“ wurde, war der Tag, an dem sich „Unterbewusstsein“ und „Über-Ich“ (so hätte es wohl Freud gesehen) zum ersten Mal notgedrungen über diesen Sachverhalt austauschen mussten. Genauer gesagt war dies der Moment, an dem ich meiner eigenen Mutter die bevorstehende Krönung zur Oma mitteilte. Obwohl ich wusste, dass ich von ihrer Seite nichts anderes als ernst gemeinte Freude zu erwarten hätte, war ich unglaublich nervös als ich zum Telefonhörer griff und stotternd zur Verkündigung ansetzte. Gerade weil ich mich auch heute noch an jedes Wort erinnere, würde ich das mit diesem ersten „öffentlichen Bekenntnis“ einsetzende Bewusstsein als jenen Zeitpunkt ansehen, mit dem auch ich endlich meine vorschwangerschaftliche Unschuld verlor: Nun war auch ich: Schwanger!

Mit dem ersten Bekenntnis war ein Bann gebrochen, und es dauerte wohl keine zwei Wochen, da wussten Hunderte von Freunden, Bekannten und Verwandten Bescheid. Überall gab ich nun breitwillig Auskunft über das werdende Wunderkind, das, nach dem ersten Ultraschallbild zu urteilen, offensichtlich ein Wurm, oder, wenn es gut liefe, vielleicht eine Kaulquappe werden würde. Natürlich hielt ich mich in Bezug auf unnötige Demonstrationen einer beginnenden Persönlichkeitsveränderung geflissentlich zurück. Noch immer begründete ich das nun konsequent ausgesprochene Rauchverbot in verschiedenen Zimmern unserer Wohnung mit der Rücksichtnahme auf meine Freundin und ihre Schwangerschaft; so als ob ich nicht auch mein Kind meinen würde. Im Freundeskreis blieb ich betont unaufgeregt; Auskünfte erteilte ich sachlich, manchmal jovial scherzend, aber nie mit jener fürsorglich-salbungsvollen Betroffenheitsmiene, die so charakteristisch für die Pädagogik der Alt-68er ist, und die ich in der Schule so nachhaltig zu hassen gelernt habe. „Alles ist okay, niemand muss sich Sorgen machen, dies ist bloß eine Information!“

Während ich also weitgehend „Normalität“ auszustrahlen bemüht war, verhielt sich mein näheres soziales Umfeld immer merkwürdiger. Einige verfielen anfänglich bei meinem Anblick immer wieder in manisches Kopfschütteln und murmel-ten Halbsätze wie „Also, dass du...“ oder „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du..“ oder „Irgendwie komisch, dass du...“. Ich begann mir - erfolglos - darüber Gedanken zu machen, warum diese Menschen das Vater-Werden gerade in mei-nem Fall für so undenkbar hielten. Haben die mich etwa immer für impotent gehalten?

Von einer weiteren Gruppe wohlmeinender Zeitgenossen wurde ich darüber belehrt, wie ich mich jetzt zu Hause zu verhalten hätte, wie ich noch besser Rücksicht auf „Mutter und Kind“ nehmen könne und was ich in Zukunft unbedingt bedenken müsse. Meine eigene Mutter nutzte selbstredend die Gelegenheit, mich zum wiederholten Male über die Gefahren des Rauchens aufzuklären, da sie ihre Position nun strategisch eindeutig verbessert sah. Aber außer meiner Mutter interessierte sich eigentlich nur noch eine kleine Minderheit meiner Bekannten für mein Befinden; der Rest fragte eigentlich immer nach meiner Freundin - einige sogar, ohne sie überhaupt je gesehen zu haben..

„Schwanger werden“ bedeutet für den typischen Egomanen – und das sind wir Männer letztlich alle – zu bemerken, dass Mann zumindest kurzfristig aus dem Weltzentrum heraus gekickt wird. Und außerdem bedeutet es, in einem nicht ge-ringen Maße, neue Autoritäten anzuerkennen, ganz gleich, ob diese tatsächlich einen Erfahrungsvorsprung haben oder nicht. Zunächst muss man sich in intellektueller Hinsicht zwangsläufig jenen ergeben, die schon Vater und/oder Mutter sind - die eigenen Eltern eingeschlossen. Lässt man die eigenen Eltern mal außen vor - deren Erziehung nur um den Preis kritisiert werden könnte, dass man sich selber als missraten darstellt - konnte ich feststellen, dass es sich beim Rest eigentlich nur um Mütter handelte, die allesamt nicht mehr mit den Vätern ihrer Kinder zusammen waren. Insoweit hatten sie eher theoretische Vorstellungen davon, welche Verantwortungen und Pflichten auf einen werdenden Vater zukommen. Darüber hinaus musste ich jetzt auch noch die Überlegenheit jener anerkennen, die eben (noch) nicht Väter oder Mütter waren und es sich dahingehend erlaubten, mir Vorträge über „Freiheit“ sowie den anstehenden Verlust derselben halten zu können. Selbst jene 10-15 jährigen Kinder, die mir in meinem Sportverein zu Trainingszwecken überantwortet sind, wussten schon, was auf mich zukommen würde und sparten nicht mit Glückwünschen (Mädchen) und Mitleidsbekundungen (Jungen).

Das schlechte Gewissen

Wie der Zufall es wollte, zog auch einer meiner besten Freunde - ein ausgesprochen gewissenhafter Mensch - in punkto Schwangerschaft kurze Zeit später nach. Durch ihn habe ich vor allem eines gelernt, nämlich, wie viele Dinge man in so einem Fall tatsächlich schon lange vor der Geburt bedenken kann und - sozusagen im Rückschluss - welche Gedanken ich mir sträflicherweise noch nicht gemacht hatte. Ob wir denn schon diese oder jene spezielle Vorsorge-Untersuchung gemacht hätten, ob wir schon eine Hebamme zur Nach- und Vorsorge bestimmt hätten, ob wir schon ein Krankenhaus ausgewählt hätten und vor allem: Ob wir uns denn schon das „unbedingt notwendige“ Informationsmaterial von den Krankenhäusern und -kassen, den Gesundheits-, Familien-, Jugend- und sonstigen -ämtern besorgt hätten. Stets konnte ich nur verlegen den Kopf schütteln. Oh, ich werdender Rabenvater. Nur noch knapp 6 Monate bis zur Geburt und noch keine Anzeichen von (panischer?) Fürsorge....

Ich habe mir dann per Internet ein ganze Latte staatlich geförderte Broschüren und Bücher zum Thema „Familie“ bestellt (alles umsonst!) und pflichtschuldigst alle ausliegenden Handzettel und Informationen in Apotheken, auf Ämtern und bei Ärzten eingesteckt. Nur zur Erinnerung: Das werdende Kind mochte jetzt auf die schier unglaubliche Größe von vielleicht 4 bis 5 Zentimetern angewachsen sein und meine Freundin war noch genauso schlank und schön wie immer.

Was den ganzen Bücher- und Zettelkram betrifft, so würde ich aus heutiger Sicht meinen, dass man das zwar alles lesen kann, aber irgendwie nicht unbedingt muss. Das Meiste ist doch übertrieben abstrakt; und das sage ich in meiner Eigenschaft als jemand, der schon von Berufs wegen eigentlich eine gewisse Wertschätzung für Abstraktionen aufbringt. Besonders die staatlichen Informationsbroschüren könnten nahezu alle den gleichen Untertitel tragen: „Das Kind als Gegenstand öffentlicher und privater Verwaltung“. Inhaltlich geht es dort in der Regel um verschiedene Formen öffentlicher Rechtfertigung, in denen erklärt wird, wer aus welchen Gründen, für wen oder was zuständig ist, warum dieses oder jenes Gesetz, die eine oder die andere Vorschrift erlassen wurde und welchen Sachverhalten damit Rechnung getragen werden soll, bzw. welche Ausnahmefälle es gibt. Die Texte wurden mit ziemlicher Sicherheit von gestandenen BürokratInnen abgefasst und sind ungefähr so aufregend zu lesen, wie das Impressum der als „Gratis-Sonntagszeitungen“ ausgewiesenen Werbepostillen der heimischen Wirtschaft [erst heute weiß ich, dass ich als jugendlich-pubertierender Austräger dieser Zeitungen etwas moralisch Gutes tat, wenn ich sie zum Zwecke meiner Arbeitszeitrationalisierung im weitläufigen Gelände des örtlichen Schlossparks vergrub].

Alle nicht-staatlichen Broschüren und Informationsblätter sind dagegen weit angenehmer zu lesen, auch wenn es sich oft um mehr oder weniger schlecht getarnte Produktwerbung der „Baby-Nahrungs-Windel-Spielzeug-Hersteller“ (kurz: „Ba-by-Konzerne“) handelt. Da steht meistens kurz und prägnant was lebensnah Wichtiges drin, und den Teil mit den anempfohlenen Produktmarken kann man ja einfach überlesen. Andererseits benötigt man diese Produkte teilweise auch und es ist gut zu wissen, dass es das auch gibt. In dieser Hinsicht lohnt es sich also durchaus, die großen „Baby-Konzerne“ auf die bevorstehende Geburt potentieller Kundschaft hinzuweisen, da meistens kostenlose Proben von allen möglichen Produkten mitgeschickt werden.

Während der Wochen in denen sich nach und nach die Produktproben und die Informationslektüren auf den Ablageflächen der Wohnung zu ansehnlichen Türmen stapelten, begann meine Freundin langsam ein kleines „Bäuchlein“ zu kriegen. Nicht, dass es schon mit meinem ausgewachsenen Bauch zu vergleichen gewesen wäre, aber immerhin verspürte ich schon ein wenig Vorfreude auf jenen - natürlich vergänglichen - Zeitpunkt, an dem sie dicker als ich sein würde. Da wir außerdem ungefähr gleich groß sind, hegte ich sogar anfänglich die Hoffnung, dass sie - zumindest für kurze Zeit - schwerer als ich sein würde.

Entscheidung

Der vierte Schwangerschaftsmonat meiner Freundin - der für mich ungefähr der zweite war – war eine ausgesprochen ruhige Zeit. Die Bücherstapel hatten so eine Art maximaler Höhe erreicht, womit auch mein schlechtes Gewissen über man-gelnde Vor- und Fürsorge etwas abgeschwächt wurde - was mich gleichsam auch wieder in dir mir eigene Trägheit verfallen ließ. Der Gewichtszuwachs meiner Freundin war nach meinem Befinden kaum nennenswert, aber, wie die Frauenärztin meinte, „genau richtig“. Auf dem Ultraschallbild schien sich die wohlbekannte Kaulquappenform langsam in Richtung eines nicht genau bestimmbaren Aliens zu transformieren, und ich war nicht wirklich sicher, ob ich das als evolutionären Fortschritt werten sollte.

Das soziale Umfeld war informiert, hatte seine Ratschläge, seine Freude oder Häme hinreichend Kund getan und war nun weitgehend „befriedet“. Es war eindeutig Abwarten angesagt! Gleichwohl fiel in diese Zeit, die für mich bedeutsamste Entscheidung, nämlich jene, dass ich - unmittelbar nach Ablauf der gesetzlichen Schonfrist für die Mutter – zu Hause bleiben würde. Aber vielleicht muss ich dazu etwas ausholen.

Als akademischer Methusalem – weil schon 33 Jahre alt und noch immer keinen Doktortitel - und zu allem Überfluss noch als männlicher Sozialwissenschaftler mit theoretischer Schwerpunktsetzung, ist man am viel beschworenen „Standort Deutschland“ ungefähr genauso gefragt, wie ein 55-jähriger Bergmann mit 80%iger Körperbehinderung. Angesichts meiner „Nutzlosigkeit“ für die Produktivgesellschaft also, schien es nur konsequent zu sein, dass ich der werdenden Mutter die Rolle des väterlichen Ernährers überlassen würde müssen und im Gegenzug die alltägliche Aufzucht und Hege unseres zukünftigen Kindes übernehmen würde. Glücklicherweise bekam ich gleichzeitig den positiven Bescheid über die Gewährung eines Stipendiums, was zwar nicht meine gesellschaftliche Nutzlosigkeit verändern würde, aber meine finanzielle Lage. Und das ist eine schlichte Überlebensfrage, weil das ganze „System“ nach wie vor darauf hin angelegt ist, dass es einen männlichen Großverdiener gibt und die „normale“ Frau sowieso zu Hause ist und ihre Einkommensquelle sorgsam umhegt. Denn das „großzügig“ bemessene Kinder- und Erziehungsgeld wird ja vom Staat als „zusätzliches“ Einkommen betrachtet, obwohl es nur dann „zusätzlich“ wäre, wenn das Einkommen ansonsten unverändert bliebe. Dies wiederum setzt implizit voraus, dass nur ein Einkommen existiert, denn wenn es zwei gibt, dann fällt in Zukunft notwendigerweise eines davon aus. Denn ein abstraktes „Einkommen“ wird sich wohl kaum um ein Kind kümmern können, oder?

Jedenfalls war damit die bisher wichtigste Entscheidung meines Lebens gefallen.

Risikoschwangerschaft?

Noch eine Sache dieses, ansonsten so beschaulich verlaufenden Zeitraums verdient es hier geschildert zu werden. Diese spielte sich zu Beginn meines dritten (also des fünften mütterlichen) Schwangerschaftsmonats ab und wieder hat es was mit dem Gefühl des „Alt-Sein“ zu tun.

Da auch meine Freundin nach medizinisch festgelegten Arterhaltungskriterien wegen ihres greisenhaften Alters von 33 Jahren schon fast zu den „Risikoschwangerschaften“ gehört, hat man uns mehrere Male angeraten, den sogenannten „Trisomie-21-Test" zu machen. Das ist jener Test, mit dem festgestellt werden kann, ob beim Kind ein „Down Syndrom“ auftreten wird, also jene genetisch bedingte Fehlentwicklung, die früher „Mongolismus“ hieß. Die zärtlich-populäre Anrede „Mongo“ war während meiner gesamten Grundschulzeit die beliebteste Beleidigung überhaupt, weil zu jener Zeit die Problematik relativ häufig diskutiert wurde und darüber hinaus eine Fernsehdokumentation über Mongolismus mit dem Titel „Unser Walter“ lief, die sich fraglos auf den Schulhöfen zum Schaden aller Kinder, besonders jener mit dem Namen Walter, auswirkte. Insoweit war mir das Thema zumindest in emotionaler Hinsicht nicht völlig fremd.

Andererseits hat die Frauenärztin meiner Freundin gesagt, dass der Trisomie-21-Test die Gefahr einer Fehlgeburt deutlich erhöhen würde, und dass sie eigentlich davon abraten würde, zumal meine Liebste innerhalb der Risikogruppe der noch gebärfähigen „Methusaleminnen“ zu den weniger Gefährdeten gezählt werden müsse. Angesichts dieser kompetenten Meinung beschlossen wir recht schnell, diese Meinung den anderen kompetenten Meinungen vorzuziehen. Dennoch schlug sie uns vor, wir könnten ja zwecks subjektiver Angstbewältigung eine Organdiagnostik durchführen lassen. Sie würde uns eine Überweisung zu einem echten Spezialisten schreiben, und der würde das Kind im wörtlichen Sinne noch mal auf „Herz und Nieren“ untersuchen. Einige Wochen später waren wir in einer Kli-nik bei Prof. Dr. Soundso (das ist kein Pseudonym, denn ich habe seinen Namen tatsächlich vergessen - oder verdrängt?!), einem weithin bekannten Spezialisten für pränatale Diagnostik. Schon anhand der langen Wartezeit - bei gleichzeitig keinem erkennbaren Publikumsverkehr - erkannte ich, dass wir es hier mit jemand enorm Wichtigem zu tun hatten. Um das Gute vorweg zu nehmen: Als wir dran waren, nahm er sich tatsächlich relativ viel Zeit für uns...

Der Spezialist

Vielleicht muss ich an dieser Stelle bekennen: Wenn Mann hier in der Spezialabteilung für pränatale Diagnostik in einer Spezialklinik sitzt, hat Mann notgedrungen kein sonderlich gutes Gefühl, denn Mann befindet sich schließlich auf dem Territorium einer anerkannten Autorität zur Lösung von Problemen, welche man gar nicht haben möchte. Es fällt mir schwer, das Gefühl welches ich hatte, genauer zu beschreiben, aber ich denke der gute alte Begriff der „Angst“ trifft die Sache ganz gut. Die lange Wartezeit bei gleichzeitig ungewöhnlicher Stille trägt enorm dazu bei, sich schon jetzt das Schicksal des behinderten Kindes vorzustellen und damit den Rest seines Lebens neu zu verplanen. In dieser sensiblen Lage kann ein Gespräch nicht damit beginnen, von dem Spezialisten darüber aufgeklärt zu wer-den, dass die Entscheidung keinen Trisomie-21-Test gemacht zu haben, „in unserem Alter“ geradezu „unverantwortlich“ sei.

Aber: Genau so begann das Gespräch, und schon in diesem Moment bereute ich, hierher gekommen zu sein. Es folgte ein ellenlange Belehrung über Statistiken, Wahrscheinlichkeiten, Risikokoeffizienten usw. Fast glaubte ich, dass er vergessen haben könnte, dass wir nicht hier waren, um uns über unsere Unverantwortlichkeit hinsichtlich des nicht durchgeführten Trisomie-21-Tests belehren zu las-sen, sondern dass wir zum Zweck einer Organdiagnostik gekommen waren. Aber sein Monolog rotierte scheinbar endlos um Risiken und noch mehr um die Segnungen medizinischer Früherkennungsmethoden, besonders des schon mehrfach erwähnten Tests.

Zaghafte Einwände unsererseits - die mit dem erhöhten Fehlgeburtenrisiko oder schlicht die Entscheidung, in diesem Falle das zu tun, was wir für richtig hielten - wurden stets mit neuen Zahlen gekontert und langsam wurde das Gefühl der Angst vom Gefühl der Schuld ergänzt. Das Risiko für ein Down-Syndrom lag immerhin doch bei 1:600 - was aus seiner fachärztlichen Sicht offensichtlich be-deutete, dass man sich dieses Schicksalsschlages so gut wie sicher sein konnte. 1:600 bezieht sich übrigens nur auf das gesamte Altersspektrum, während es innerhalb dieses Spektrums noch unterschiedliche Risikofaktoren, wie etwa Rauchen, Alkohol- und sonstige Formen des Drogen- oder Medikamentenmissbrauch gibt. Risikomindernder in unserem Falle war die schlichte Tatsache, dass sich diese Zusatzrisiken nicht auf den Lebenswandel des Vater beziehen, sondern auf die Mutter, die in dieser Hinsicht ziemlich „clean“ ist.
Also trotz einer unglaublich geringen Wahrscheinlichkeit tatsächlich ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen und: Ungeachtet der viel größeren Wahrscheinlichkeit, dass das Kind aus vielen anderen Gründen trotzdem eine Behinderung haben könnte (denn der genannte Test bezieht sich nur auf das Down-Syndrom) und: Ungeachtet der Risiken im Gefolge eines positiven Tests (dessen „Hinweise“ zu 95% schlicht falsch sind) einen zusätzlichen Eingriff zulassen zu müssen, mit dem die ungewollte „Abtreibung“ eines gesunden Kindes riskiert wird und zuletzt: Ungeachtet der Frage, ob wir nicht sowieso jedes Kind akzeptieren würden, saßen wir da und waren fix und fertig mit den Nerven.

Schlussendlich begann er doch noch mit seiner Organdiagnostik, die per Ultraschall durchgeführt wird und der Untersuchung durch den Frauenarzt, bzw. der Frauenärztin entspricht. Sie dauert allerdings bedeutend länger und die Monitore sind wesentlich größer. Aber auch hier wird die „Ultraschall-Maus“ an irgendwelchen Eckpunkten der fötalen Gliedmaße fixiert und, computergestützt, mit anderen, den „richtigen Eckwerten“ verrechnet. Außerdem werden die inneren Organe - die hier tatsächlich recht gut sichtbar sind - auf Position, Funktion und Größe geprüft. Am Ende spuckt das Diagnose-Programm die verrechneten Daten aus, die anschließend mit einem „Normalitätsraster“ - ebenso aus Zahlenwerten bestehend - abgeglichen werden, bis schließlich die Ergebnisse auf einen standardisierten Befundzettel übertragen werden. Auf diesem sind nur „Ja“ und „Nein“ Kategorien eingetragen, und das Wunschergebnis sollte immer „Nein“ sein, weil sich alle „Ja“ Kategorien auf Störungen oder Fehler beziehen - das entspricht der medizinischen Wahrnehmung des Menschen als potentiellem Patient...

Wir - oder besser unser Kind - erhielt das Traumergebnis in Form ausschließlicher „Neins“. Offensichtlich spürte der gewiefte Mediziner unsere aufkeimende Erleichterung und kritzelte noch rasch etwas in das kleine für handschriftliche Bemerkungen freigehaltene Feld am Ende des Befundzettels: „Dadurch Down-Syndrom nicht ausgeschlossen!“

So ein Spezialist gehört in ein unterirdisches Speziallabor, wo er bis an sein Lebensende spezielle Etiketten auf spezielle Urinproben kleben sollte, aber er darf keinesfalls auf die Menschheit und schon gar nicht auf arglose und verunsicherte, also auf werdende Eltern losgelassen werden.

Ach ja...

Bevor ich es vergesse: Eine kleine Anekdote am Rande. Wir wurden von der Frauenärztin vorab darüber informiert, dass wir im Rahmen der Organdiagnostik auch einen Befund über das biologische Geschlecht des Kindes erhalten könnten. Und irgendwie ging die werdende Mutter, die in diesem Punkt von rasender Neugier getrieben war, davon aus, dass uns das automatisch mitgeteilt würde. Aber: errare humaum est! Als die „Patientin“ am Ende der Untersuchung zaghaft nach dem Geschlecht des Kindes fragte, sagte der Prof. Dr. Soundso, darauf habe er jetzt gar nicht geachtet, weil wir vorab keine speziellen Anfragen in diese Richtung gestellt hätten.

In der Tat, das hatten wir nicht - und ich schon gar nicht. Persönlich war mir das Ergebnis schon deswegen egal, weil mir klar war, dass ich jedes Geschlecht annehmen würde (müssen) - folglich ist mir schon die Idee zu dieser Frage versagt geblieben. Auf der anderen Seite wusste ich intuitiv, dass es nur ein Junge sein konnte, denn meine Wünsche tendierten deutlich in Richtung eines Mädchens. Und weil ich mich selber bei den wirklich wichtigen Dingen im Leben - und darum schien es sich hier ja zweifelsfrei zu handeln - für einen ausgesprochenen Pechvogel halte, spreche ich von mehr als einer bloßen Ahnung...

Mit Blick auf die unverkennbare Enttäuschung in den schönen blauen Augen der Mutter, besann sich Prof. Dr. Soundso dann aber wohl doch noch eines Besseren und sagte: „Na ja, soweit ich das sehen konnte, wird es wohl ein Junge werden“ worauf die bisher von mir für stumm gehaltene und schon etwas betagt wirkende Arzthelferin heftig nickte und sagte: „Hundertprozentig!!!“; woraufhin hin der Mediziner seinerseits väterlich hinzufügte, dass Frau Hinundher (auch ihren Namen habe ich vergessen) dafür ein besonderes Auge habe und sich in dieser Frage eigentlich nie irren würde.

Ein Junge! Wusst´ ich´s doch...


to be continued...
 



 
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