Chamäleon

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werman

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Blitzartig schnellte die grossartig lange Zunge nach vorne und erwischte die Fliege mühelos. Er sass nun schon über eine halbe Stunde vor der Scheibe und studierte das prachtvolle Chamäleon dahinter. Perfekt an seine Umwelt angepasst, sass es kaum sichtbar auf dem Ast und schaute ihn skeptisch an. Je länger es ihn so anstarrte, hatte er das Gefühl es verspottete ihn. „Ja ich weiss, ich verschmelze nicht so gut mit der Umwelt wie du, aber das ist doch etwas Gutes, oder nicht?“, flüsterte er seinem Reptilienfreund zu. Sein Äusseres hob sich von den anderen Zoo Besuchern ab, anstatt im H&M kaufte er seine Kleider gerne in Secondhand-Shops ein. Mit seinem 90er Jahre Stil sah er aus wie seine Vorbilder aus London und New York, dessen Bilder er stets auf Instagram anschaute. Er war stolz, nicht in der Masse unterzugehen und konnte es sich nicht verkneifen, andere Leute zu belächeln. Er konnte einfach nicht verstehen, wie die anderen Leute nur so blind dem Strom folgen und sich stets den Anderen anpassen konnten, ohne jegliche Individualität zu wahren.
Das Chamäleon hatte sich inzwischen den Ast hinauf zu den Blättern bewegt und dabei ihre grüne Farbe angenommen. Selbstzufrieden schaute er es an und dachte sich, zum Glück bin ich nicht so ein armes reaktionäres Ding wie du. Komplett in Gedanken versunken, bemerkte er zunächst gar nicht, dass sich jemand neben ihn gesetzt hatte. Als er einen flüchtigen Blick zur Seite warf, rutschte ihm fast das Herz in die Hose. Da sass tatsächlich Rahel. Dieselbe Rahel, die ihm so sehr gefiel, mit der er aber noch nie ein Wort gewechselt hatte. Sie schien seinen Blick bemerkt zu haben und drehte sich zu ihm um. „So ein Chamäleon ist schon etwas Faszinierendes, ich wünschte manchmal ich könnte mich auch so anpassen, so dass mich keiner sehen würde, du nicht auch?“ „Ja total“, antwortete er schnell, ohne ihr wirklich zugehört zu haben. Das ist deine Chance, dachte er, du musst ihr gefallen, vermassle es bloss nicht. Mittlerweile war Rahels Aufmerksamkeit vom Chamäleon zu seinem T-Shirt gewandert. Belustigt fragte sie ihn: „Du hörst dir doch nicht wirklich diese öde Musik an, die sind ja mal komplett uncool.“ Es war ein T-Shirt von „The Smiths“, seiner absoluten Lieblingsband. Sicher nicht höre er sich die Musik an, er habe nur das Shirt cool gefunden, erwiderte er mit einem unsicheren Lächeln. Sein Blick schweifte zur Scheibe. Das Chamäleon schaute ihn starr an. Als er den Blick erwiderte, hörte er die Stimme des Reptils in seinem Kopf sagen: „Na, wer ist denn jetzt das Chamäleon?“ Er schaute schnell wieder weg.
 



 
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