Chance verpasst (im Juli)

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Lio

Mitglied
Wenn ich das Mädchen mit den grünen Kniehosen heute morgen im Zug angesprochen hätte (es hatte sich mir gegenübergesetzt und fröhlich an mir vorbei geblinzelt), wenn ich sie z.B. nach ihrem Alter gefragt hätte („Ach was, auch zweiundzwanzig, genau wie ich“) oder sie gefragt hätte, ob sie bei dieser Hitze nicht auch einen riesen Durst habe (z.B. auf eine Cola oder einen Eiscafé),wenn ich nicht so blöd aus dem Fenster gestarrt hätte mit klopfenden Herzen, sie stattdessen angelächelt hätte, dann wären wir vielleicht ins Gespräch gekommen und sie hätte mir erzählt, dass sie Judith heiße(vielleicht auch Julia auf jeden Fall etwas mit J), wir wären zusammen ausgestiegen, hätten uns über dies und das aber vor allem über das herrliche Sonnenwetter unterhalten, wären irgendwo etwas trinken gegangen (ich hätte es gemocht wie sie die Hände beim Sprechen bewegt hätte) und hätten uns beide darüber gewundert, wie gut wir uns auf Anhieb miteinander verstünden, was uns auf die Idee gebracht hätte sich für später wieder zu verabreden (eventuell direkt vor der Frauenkirche), wo wir uns dann auch tatsächlich getroffen hätten und den gesamten Abend viel gelacht und vielleicht auch viel Bier getrunken hätten, beide mit roten Backen, weil wir verliebt gewesen wären und beim Abschied hätte es uns beiden Leid getan den anderen verlassen zu müssen, weswegen wir uns für den nächsten Morgen wieder verabredet hätten und dann wieder und wieder, bis wir ein Paar geworden wären und sie ziemlich bald schwanger geworden wäre, was mich aber nicht schockiert hätte, (ich hätte gesagt: „Das schaffen wir!“), woraufhin sie mich mit Tränen in den Augen umarmt hätte und das Kind bekommen hätte, was für mich ein Grund gewesen wäre, meine Ausbildung endlich abzuschließen, um die schöne Altbauwohnung mieten zu können, die wir mit dem kleinen Schreihals dann bezogen hätten, in der später dann noch ein paar mehr Schreihälse umher gerannt wären, die fortwährend an mir gerissen und gezerrt hätten, so dass ich gar keine Zeit mehr gehabt hätte den Leser mit ellenlangen Sätzen zu quälen, wofür er mir bestimmt sehr dankbar gewesen wäre. (Schade!)
 
ach je! so ein netter anfang und dann so ein - ´tschuldigung - jämmerliches ende. nix gut! bitte eine andere pointe! dann mag ich die geschichte. versprochen!

lg C.
 

FrankK

Mitglied
Hallo Lio
... so dass ich gar keine Zeit mehr gehabt hätte den Leser mit ellenlangen Sätzen zu quälen, wofür er mir bestimmt sehr dankbar gewesen wäre.
Stimmt. :)

Gerne gelesen, angenehmes Schmunzelgefühl.

Ja, Ja, wenn der Hund nicht hätte ..., hätte er den Hasen ...

Ich wollte mich erst über die vielen "hätte" auslassen, musste aber erkennen, das es ein von Dir gewollter Stil ist. Ein-Satz-Geschichten sind schwer zu lesen, wir hatten hier schon mal jemanden, der sich daran ausgetobt hatte. Leider gibt es ihn nicht mehr.


Viele Liebe Grüße
Frank
 

Lio

Mitglied
Hallo eenemenetekel,

danke für deine Kritik. Ursprünglich hatte der Satz die dreifache Länge, mit weiteren Wendepunkten und einem dramatischen Ende (Selbstmord des Erzählers). Allerdings wollte ich die Geduld des geneigten Lesers nicht zu sehr belasten (ihn womöglich selbst in den Selbstmord treiben), deshalb habe ich das ganze dementsprechend gekürzt. Schade wenn dir die Pointe nicht gefällt, naja, vielleicht beim nächsten Text:)

Hi Frank,

danke für das Schmunzeln (ein Schmunzeln ist besser als ein Stirnrunzeln)

Saludos

Lio
 
ja, tut mir auch wirklich son bissl leid!
allerdings: ein richtig "dickes" ende hätt ich erwartet - wär dann also auch nicht so spannend. hmm... was tun?
ich glaub, am meisten stört mich, dass der leser erwähnt wird.

vielleicht so in der art:
dass ich gar keine Zeit mehr gehabt hätte, den [blue]ganzen Kladderadatsch hier aufzuschreiben, was ja vielleicht auch nicht das Schlechteste gewesen wäre[/blue].
ach, ich weiß doch auch nicht. wahrscheinlich passt es schon, wie es ist. ;)

lg C.
 

Thylda

Mitglied
Lieber Lio

Ich mag gerne ein-Satz-Geschichten. Neulich im Anonymen gab es schon mal eine http://www.leselupe.de/lw/titel-Drunten-im-Wiesengrunde-94360.htm Es ist so ein bißchen wie grammatisches Zirkeltraining. Die ganze Zeit beobachte ich den Athleten bis er erfolgreich über die Ziellinie läuft. Auch Dein was-wäre-wenn gefällt mir gut. Das Lyri hat beim Anblick des Mädels schon das ganze Leben verplant. Eine Geschichte von der Liebe auf den ersten Blick in unaufdringlichem Gewand. Gern gelesen.

Liebe Grüße
Thylda
 
S

suzah

Gast
hallo lio,
deine ein-satz-geschichte ist gelungen und hat mir gefallen. ich würde aber auch, wie bereits vorgeschlagen, den letzten satz mit dem leser weglassen und mit den "schreihälsen" enden.
liebe grüße suzah
 
B

bluefin

Gast
die idee mit dem einteiler ist cool. auch der erste hauptsatz wär's - ein mädchen mit grünen kniehosen. grüne kniehosen! was für eine steilvorlage!

wer dann aber ein mädel derart belanglos anmacht (colapizzawetterblablablah), hat mehr als verdient, im konsequent nachfolgenden mief zu verenden.

gescheiter wär's gewesen, in dem ein-satz-teil "don gil de las calzas verdes" zu wort kommen zu lassen und, statt ein klägliches verschwinden der protagonisten im ausguss irgendeiner wohnküche zu beschreiben, das herauszuholen, was in grünen kniehosen wirklich drinsteckt - wenn man nicht farbenblind ist.

nix für ungut und @liobe grüße aus münchen

bluefin
 

Lio

Mitglied
Hi Bluefin,

oha, lustige Idee, die meine Vorstellungskraft sehr beflügelt:)

Hi Thylda,

freut mich, dass es dir gefallen hat und schönes Bild mit dem Athleten

eenemenetekel und suzah:
warum gefällt euch denn das Ende nicht. Das hab´ ich immer noch nicht verstanden...

Aber, dass die junge Dame plötzlich in falschen Kleidern steckt, dass wäre natürlich schon was....

Viele Grüße!

Lio
 
B

bluefin

Gast
mein gott, @lio!

ein mädel mit grünen kniehosen! grünen! knie! hosen!

die sind immer richtig! und das mädel auch. nur der rest der welt: der ist so verständnislos, dass man zahnweh kriegen könnt, als mädel mit grünen hosen an. wenn de molinas stück überhaupt einen tieferen sinn hat, dann den, dass gezeigt wird, wie doof die männer sein können: am ende zieht das mädel ihnen zuliebe die hosen aus und mutiert vom beweglichen kobold zur gelähmten reifrockträgerIn.

ich war noch gar nicht in der pubertät, da hab ich das schon bedauern müssen.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 
S

suzah

Gast
hallo lio und bluefin,
da scheint ja eine meerjungfrau aus liebe zu einem "wal" in ein mädchen mit (see-)grünen kniehosen mutiert zu sein...
wär eine neue geschichte.
liebe grüße aus berlin
 
B

bluefin

Gast
keine neue geschichte, @suzah - "don gil de la calzas verdes" erschien bereits 1635. sein autor war mönch: eine komödie, in der ein mädchen die hosen anhat.

ich wette, die süße im zug hätte das gewusst, und wenn nicht, wär sie trotzdem so eine gewesen wie "don gil". wer so einer (gedanklich!!) nur mit einer cola und dem wetterbericht kommt, liebe @suzah, und sie im gleichen atemzug schwängern will, gehört mit kartoffelsalat erschossen: literarische chance wirklich verpasst, ganz egal, in welchem monat...

...*bubbles*...

bleufin
 

Lio

Mitglied
Hi Suzah und Bluefin,

Das Problem an der Geschichte (weshalb dir das Ende vielleicht auch nicht gefällt, suzah) ist eventuell wirklich, dass sie zu gewöhnlich ist. Deshalb fand ich die Anregung von Bluefin hilfreich.
Aber es stimmt natürlich, wenn ich dem Mädchen, die grünen Kniehosen von Molina anziehe, wird es eine andere Geschichte (was aber vielleicht gar nicht schlecht wäre).

Grüße

Lio
 
S

suzah

Gast
hallo bluefin und lio,
ich hatte nicht an eine geschichte wie "don gil de la calzas verdes" oder ähnliche gedacht, sondern einfach mich über deine große begeisterung über die grünen hosen amüsiert und in meiner fantasie eine science fiction-geschichte mit den grünen hosen vorgestellt. kam wohl nict an.

liebe grüße suzah
 
B

bluefin

Gast
hallo ihr lieben,

wir wissen nicht, in welchem jahrhundert @lios zug fährt. in jenen zügen, in denen die walfische heute unterwegs sind, sind mädchen mit grünen kniehosen (knie~!!) so selten, dass sie herausragten wie ein storch aus dem froschtümpel. eigentlich gibt es sie gar nicht (mehr). vielleicht muss man noch wissen, dass "don gil" in dem stück ebengerade jene kniehosen trägt, die damals für männer mode waren.

ein literarischer erguss über ein mädchen mit grünen kniehosen ohne bezug auf die weltberühmte vorlage (die ihren urheber nahe an die inquisition brachte) ist für mich nicht denkbar.

hier vertut einer seine chance gleich dreimal:

1. er spricht das mädchen nicht an

2. er stellt sich das mädchen trotz dessen bemerkenswerter hose so doof vor, dass alles im mief enden muss

3. die gedankliche anmache lässt jeden reiz vermissen, die ein grün bekniehostes mädchen dazu bewegen könnte, dem lurch auch nur einen blick zu schenken. ob kopfkino oder nicht: für 'n appel und n' ei legt so eine das beinkleid nicht ab.

tipp, lieber @lio: pfeif dir james blunts "'re beautiful" rein, zerknüll deinen drögen entwurf dabei und schreib uns einen satz, der's wirklich in sich hat.

ganz liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
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