Chinablau

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flammarion

Foren-Redakteur
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Chinablau

Kennen Sie noch das Chinablau-Porzellan? Ich hab mir das schon immer gewünscht, weil meine Großmutter von ihrer Großmutter ein Service erbte, das jene zur Hochzeit bekommen hatte. Inzwischen sind nur noch eine Tasse und zwei Stullenteller davon in meinem Schrank übrig. Jammer und schade, denn gerade dieses fantasievolle Muster habe ich schon als kleines Kind sehr geliebt. Ich wollte soooo gern ein komplettes Service haben!
Kürzlich hatte ich bei ebay nachgesehen, da kosteten 83 Teile 125€, ein komplettes Kaffeeservice. Ich hätte beinahe mitgeboten, hab mich aber dann doch nicht getraut, weil ja jemand anderes höher bieten könnte und ich mich dann umsonst freuen würde.
Gestern bin ich mit meiner Freundin über Land gefahren, sie wollte mir ein besonders hübsches landschaftliches Idyll zeigen. Nach einem langen Spaziergang kamen wir an ein einsam gelegenes Gehöft, da stand der gesamte Hausrat im Garten. Möbel, Lampen, einfach alles. Sah aus wie eine Haushaltsauflösung. Mein Blick blieb an einem Küchentisch hängen – da stand Porzellan. Der ganze Tisch voll Chinablau! Ich hörte eine Frau schimpfen: „Schmeiß den Krempel endlich weg, hier kauft doch keiner was!“
Der junge Mann, dem die Worte galten, jätete friedlich weiter das Unkraut zwischen den Stachelbeersträuchern. Mit zitternder Stimme sagte ich: „Ich würd schon was kaufen!“, denn da standen nicht nur Kaffeetassen, sondern auch Essteller, Kompottschälchen, Mokkatassen, eine Keksschale und Teetassen nebst allen Kannen und Kännchen!
Der Mann kam auf mich zu: „Was würden Sie denn haben wollen?“
„Na, dieses alte Geschirr hier. Wieviel wollen Sie dafür?“
Bei der Frage fiel mir ein, dass mein Geld für all die vielen Teile nie und nimmer reichen würde, aber vielleicht konnte man sich ja auf Teilzahlung einigen.
Der junge Mann kratzte sich am Kinn: „Wieviel würden Sie denn geben?“
Ziemlich patzig rutschte mir heraus: „Ich hab n Hunni im Portemonnaie“.
Seine Augen leuchteten auf und die Frau sagte: „Ich geh mal n paar Tüten holen“.
Ich gab dem Mann meinen Hunderter und war sprachlos. Sollte ich wirklich das seit langer Zeit heiß begehrte Chinablau-Porzellan bekommen? Und auch noch in dieser grandiosen Vollständigkeit? Da waren nämlich nicht nur alle Vorlegeplatten, Kuchenteller, Butterdose, Käseglocke und Salzstreuer, sondern auch noch vier Deckelvasen und je ein Senf- und Honiglöffel!
Mit weichen Knien packte ich das kostbare Geschirr, das hier so lieblos übereinander gestapelt war, in die Tüten.
„Hoffentlich gehen die nicht unterwegs kaputt!“, flehte ich innerlich und hoffte auch, dass die zwei nie erfahren, welchen Schatz sie da völlig unter seinem Wert verschleudert hatten.
Zuletzt brachte die Frau einen alten Hackenporsche an: „Hier, damit Sie sich nicht so abschleppen müssen!“
Und nun brauche ich einen neuen antiken Schrank, um meinen Reichtum ordentlich präsentieren zu können.
 

HelenaSofie

Mitglied
Liebe flammarion,

ich kann Deinen Wunsch, dieses Porzellan zu besitzen, gut verstehen.Ist es doch mit so vielen schönen Kindheitserinnerungen verbunden. Hat nicht jeder etwas, was er noch einmal besitzen möchte? Am Anfang habe ich den Gedanken beim Angebot gehabt "Hättest Du doch!". Am Schluss freute ich mich einfach mit.
Deine Beschreibung der Situation spricht mich an, dass ich das Gefühl hatte, neben Dir zu stehen.
Den "Hackenporsche" musste ich aber nachschlagen.

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
HelenaSofie
 

flammarion

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vielen

dank für s lesen und kommentieren. ja, das chinablau wird wohl bis an mein lebensende in meinem kopf spuken . . .
sind wohl an die 100 teile, wenn s komplett ist. möchte nicht wissen, was das heute kostet!
lg
 

Ofterdingen

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Hi Flammarion,

Ein hübscher, anrührender Text, klingt nicht ausgedacht, sondern echt und selbst erlebt.

Über einen Satz bin ich gestolpert: "hab mich aber dann doch nicht getraut, weil ... ich mich dann umsonst freuen würde". Meist traut man/frau sich nicht, weil man/frau Angst vor einer Enttäuschung hat, und nicht, weil man/frau fürchtet, dass man/frau sich "umsonst freu(t)". Von allem anderen abgesehen ist die Wiederholung des "dann" unschön. Vielleicht fällt dir ja an der Stelle eine bessere Formulierung ein.

Mit vielen Grüßen nach Berlin,

Ofterdingen
 

flammarion

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vielen

dank für das aufmerksame lesen. hast recht, der satz gefällt mir selber nicht so recht. werd mir was einfallen lassen.
lg
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo flammarion,
hallo Ofterdingen,

bei uns gebraucht man auch den Ausdruck "sich umsonst freuen" in ähnlichen Situationen.
Marion, für die 83 Teile waren sicher 125 Euro geboten und deshalb konnte der Verkaufspreis noch steigen?

Liebe Grüße
HelenaSofie
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo HelenaSofie,

Selbstverständlich kann man vom Hochdeutschen abweichende regionale Varianten in einen Text einstreuen, wenn man ein bestimmtes Lokalkolorit erzeugen will. Dann sollten jedoch noch sehr viel mehr Einzelheiten der Umgebung und der handelnden Personen hinzugefügt werden, um ein stimmiges und überzeugendes Bild zu schaffen. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob Flammarion wirklich solchen Hintergrund möchte. Mir scheint, dass in diesem Fall weniger mehr ist.

Nur neugierhalber: Wo ist "bei uns"? Aus dem Foto in deinem Profil geht hervor, dass du in einem Iglu wohnst, also vermutlich in Grönland oder Nordkanada. Meinst du wirklich, dass kanadisch-englische oder grönländisch-dänische Ausdrücke in Flammarions Text vorkommen sollten?

LG,

Ofterdingen
 

flammarion

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yep,

manchmal wartet irgendwer schon darauf, dass ein anderer bietet und geht dann höher. meist ist das der anbieter selbst, der das angebot bis zur spitze ausreizen möchte. die enttäuschung, am ende doch nicht mithalten zu können, schmerzt.

nee, kanadisch oä ginge dann doch zu weit, icke bin mal bloß berliner . . .
lg
 

Doska

Mitglied
Hallo Flammarion, ein toller lebendiger Text mit sehr viel mitreißender Stimmung. Man gönnt es deinem Protagonisten so richtig, dass er schließlich zufrieden das herrliche Geschirr einpackt. Da wird man direkt neugierig auf die guten Stücke und würde am liebsten ein Bild davon sehen.
Einen lieben Gruß an dich
 

flammarion

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vielen

dank für s lesen und kommentieren.
sehen kann man das tolle geschirr, wenn man bei google einfach chinablau eingibt.
lg
 

Lisa König

Mitglied
Sorry flammarion,

den Ausdruck kenne ich garnicht "chinablau". Ich denke,dass damit das Kobaltblau gemeint ist, aber ich weiß es nicht genau. Bin auch nur durch Zufall auf Deine Geschichte gekommen und kann dazu eigentlich nicht wirklich etwas sagen. Allerdings ergibt sich durch meine wahrscheinliche Unkenntnis ein "Gäähhnn!

Lisa König

P. S. Nun könnt Ihr alle auf mich druffhauen.
 

flammarion

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vielen

dank für s lesen und kommentieren, liebe lisa.
chinablau bezeichnet ein spezielles porzellandekor. es war um 1920 oder so das vornehmste, das sich denken ließ. es gab selbiges auch in einem rotton, aber das war nicht so elegant, besonders, weil es sich mit dem damaligen möbel - farbton biss.
in meiner kindheit wurde das chinablau nur zu weihnachten aus dem schrank geholt, daher die affinität.
hier allerdings diente die geschichte nur dazu, unsere schreibaufgabe zum thema "abschleppen" zu erfüllen. und da bild ick mir wat uff meine orjinalität ein . . .
lg
 
S

suzah

Gast
hallo flammarion,

mir ging es wie lisa könig, ich dachte auch erst an kobaltblau und musste in wiki nachgucken. dies muster kannte ich nicht, jedoch das berühmte "zwiebelmuster".
deine kleine geschichte ist gut geschilder, hat mir spaß gemacht.

der "hackenporsche" ist zwar ein mir altbekannter begriff, aber ich stellte auch schon fest, dass manche damit nichts anfangen können.

liebe grüße suzah
 
T

Talke

Gast
China...

Ich habe deinen locker und unterhaltsam geschriebenen Text sehr gerne gelesen und konnte mir die Situation sehr gut vorstellen. (wäre gerne dabei gewesen, mir gefällt das Geschirr ebenfalls.)
Frdl. Grüße Talke
 

flammarion

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vielen

dank für s lesen und kommentieren.
ja, das teure chinablau wird immer seltener. kein wunder bei dem alter. ich glaub, das ist nicht erst 1920 auf den markt gekommen, sondern schon 1880. und nur wenige konnten sich das überhaupt leisten, schon darum werden es viele gar nicht in der kindheit kennen gelernt haben. und wer s nicht kennt, der erkennt es dann auch nicht auf m trödelmarkt.
nee, kobaltblau war es wahrlich nicht, eher vergissmeinnicht und der rotton war pink sehr ähnlich.
ganz lieb grüßt
 
D

Dominik Klama

Gast
Ich hab auch mal irgendwo was gekauft, was ich sehr toll fand und, meiner Meinung nach, für einen sensationell günstigen Preis bekam.
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Flammarion,

mir gefällt dien Kurzgeschichte sehr, gerade weil sie so unaufgeregt daherschlendert. Mal ganz abgesehen vom Gefühl des Triumphs, das die Jägerin nach dem gelungenen Beutezug durchströmt.

Ach, wie gut ich dich verstehen kann! Vor zwei Wochen erstand ich die Streublümchen von Seltmann Weiden komplett für 6 Personen, inclusive der ultrasüßen Salz- und Pfefferstreuer und einer okayenen Zuckerdose für ganz 5 (fünf!) Euronen.

Da zitterte mir beim Abtransport ebenfalls die lieblose Alditüte. :D

Nur was ich ein Hackenporsche ist, weiß ich nicht ... scheint jedenfalls für Flohmärkte gut geeignet zu sein. ;)

Herzliche Grüße
Heidrun
 

flammarion

Foren-Redakteur
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vielen

dank für s lesen und kommentieren. ja, so ist das in der welt. du weißt nicht, dass ein hackenporsche ein rentnerschreck, ein omawagen, eine einkaufs- und transporthilfe zum hinterherziehen ist und ich kann mit deinem porzellan nischt anfangen. aber toll ist beides!
ganz lieb grüßt
 
K

KaGeb

Gast
Meine Oma hatte auch so ein Set, sie hat es wie einen Schatz gehütet - aber zu meiner Jugendweihe stand das komplette Equipment auf dem Tisch.
Das war pure Liebe für mich, denn ICH war ihr wichtig.
DAS sind eine der Kleinigkeiten, die dass Unsterblich sein und werden so klar definieren.
Danke schön für dein Déjà-vu.

LG Karsten
 



 
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