Christine, Opa und der Froschkönig

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Maribu

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Christine, Opa und der Froschkönig

Gestern war Enkelin Christine bei uns.
Interessant ist für sie unser Gartenteich. Sie hat dreizehn grüne Frösche gezählt, die im Wasser schwammen, auf den Blättern der Seerosen nach Fliegen schnappten oder sich am Rand auf einem Stein oder im Gras sonnten.
Wir können uns noch so leise anschleichen, sie haben ein sehr gutes Gehör und springen sofort ins Wasser. Wenn wir aber einige Minuten still am Rand stehen bleiben, kommen sie nach und nach zurück und nehmen ihre Plätze wieder ein.
Ich hatte Christine schon mehrmals das Märchen vom Froschkönig vorgelesen. Das Weihnachtsmärchen hatte sie gemeinsam mit Oma und den acht und zehn Jahre alten Brüdern auch gesehen.
Ich fragte, wer von ihnen der Froschkönig sei. Sie zeigte auf einen, der reglos, alle Viere von sich gestreckt, im Wasser lag.
Sie gab mir den Kescher und sagte: "Opa, fang in bitte!"
Ich hatte Glück. Als er den Schatten vom Stiel bemerkte, wollte er gerade abtauchen. Ich war aber mit dem Fangnetz unter ihm, so dass er geradeswegs eintauchte. Er zappelte und versuchte immer wieder hochzuspringen, bis Christine ihn endlich behutsam in ihre Faust nehmen konnte. Danach saß er still auf ihrer Hand und genoss die Sonne. Sie beugte ihren Kopf hinunter. Er sprang aber sofort ins kühle Nass.
"Opa, das ist nicht der Froschkönig!" sagte sie bestimmt. "Der wollte sich nicht küssen lassen!"
"Nein", antwortete ich. "Der ist noch viel zu klein! Aber der da, der könnte es sein!" Ich zeigte auf einen großen dunkelgrünen Frosch mit gelben Punkten, der gerade auf ein Seerosenblatt geklettert war.
"Ja Opa, der muss es sein!"
Ich hielt den Kescher vorsichtig ans Ende des Blattes. Er hatte es aber gemerkt, denn er bewegte sich. Aber anstatt ins Wasser zu springen, hüpfte er freiwillig ins Netz. Ich holte ihn hoch. Er verhielt sich ganz anders. Er zappelte nicht und versuchte auch nicht herauszuspringen. Er saß ganz still auf dem Netzboden und seine kleinen Augen blickten erwartungsvoll nach oben. Christine holte ihn heraus, und er blieb regungslos auf ihrer Handfläche sitzen.
"Na, bist du der verwunschene Prinz?" fragte ich und musste lachen. Im selben Moment hatte Christine ihm schnell und doch zaghaft einen Kuss aufgedrückt. Er quakte eigenartig und sprang in den Teich. Sie wischte sich noch nicht mal den Mund ab und statt "Der ist kalt und eklig!" rief sie begeistert:
"Hast du gehört Opa, der hat 'danke!' gesagt."
"Ja, das meine ich auch gehört zu haben. Aber er ist ja leider kein Prinz geworden, sondern als Frosch zu seinen Artgenossen zurück gesprungen."
"Das geht nicht sofort, Opa! Sabine vom Waldkindergarten hat uns erzählt, dass es um Mitternacht und nur bei Mondschein passiert."
"Na ja, du gehörst ja zu den Waldkindern. Ihr beobachtet ja die Natur und wisst es besser als ich."
"Opa, du darfst ja länger aufbleiben. Kannst du heute Nacht an den Teich gehen?"
"Ja, dass kann ich machen."
Sie war aber nicht davon überzeugt. "Opa, du musst da aber wirklich hingehen!"
"Ja, mache ich!"
"Versprochen?"
"Ja, versprochen!"

Was man verspricht, muss man halten! Ich ging um Mitternacht in den Garten. Es war nicht nur hell, der Garten strahlte wie bei Sonnenschein, beleuchtet von einem gelb-rötlichen Vollmond, aus dem der deutlich erkennbare Mann im Mond mich auszulachen schien.
Kurz bevor ich den Teich erreichte, stieg da etwas Schemenhaftes heraus. Ich schlich näher heran. Ein seltsames Wesen, halb Frosch, halb Mensch, stand auf einem großen Seerosenblatt. Es hatte eine glitzernde Jacke an und auf dem Kopf glänzte eine goldene Krone. Nur am Unterkörper waren noch Froschschenkel zu erkennen.
Ich traute meinen Augen nicht! "Das hättest du wohl nicht gedacht, Opa, dass deine Enkeltochter Christine mich tatsächlich durch ihren Kuss befreit?!"
Ich holte tief Luft. Ich konnte es nicht fassen! War ich vielleicht trotz des Versprechens früher ins Bett gegangen und hatte nur geträumt? Ja, so musste es gewesen sein!
Ich hörte mich antworten: "Wo willst du denn hin, du Karnevalsprinz mit deinem menschlichen Oberkörper und deinem Froschunterleib?" Ich lachte schallend, dass es durch den Garten hallte.
"Ich fliege gleich davon ins Frosch-Prinzenland und in zwölf Jahren, wenn Christine achtzehn Jahre alt wird, komme ich wieder und werde sie heiraten!"
"Ha, ha, ha!" lachte ich höhnisch. "Du willst fliegen mit deinen Froschschenkeln?" Ich hatte das kaum ausgesprochen, da hörte ich ein knackendes Geräusch. Seine Hinterbeine fielen ab und und aus dem Körper spreizten sich Flügel.
Langsam flog er in die Höhe und rief: "Auf Wiedersehen! Grüße Christine von mir! Sag ihr, dass sie auf mich warten soll.
Am 1. Juli 2026 komme ich zurück. Sie wird dann meine Frau und die Königin von Ahrensfelde!"
Ich beobachtete ihn noch eine ganze Weile, wie er dem Licht entgegenflog und kleiner und kleiner wurde. Dann schob sich eine Wolke vor den Mond und ich stand allein im dunklen Garten.

(für Kinder von vier bis sieben Jahren)
 

Maribu

Mitglied
Christine, Opa und...

Hallo flammarion,

danke für die gute Bewertung!

Ich hoffte schon immer, einmal Leser(innen) mit einem Text
zum Weinen zu bringen. - Nun ist es mir ausgerechnet mit einer "Kindergeschichte" gelungen!

Lieben Gruß
Maribu
 

molly

Mitglied
Christina war sicher glücklich über die Nachricht vom erlösten Frosch.
Schöne Geschichte, gern gelesen und Glückwunsch zur besten Geschichte des Monats.
Liebe Grüße
molly
 

Maribu

Mitglied
Christine, Opa und...

Hallo Molly,

danke für die Bewertung und den Glückwunsch!

Lieben Gruß
Maribu
 
U

USch

Gast
Hallo Maribu,
eine sehr schöne Geschichte, die ich mal meinen Enkelkindern in Hamburg mailen werde, damit Mutter oder Vater sie vorliest.
LG USch
 

guenni

Mitglied
Froschkönig

Hallo, Maribu,

eine mit viel Fantasie geschriebene Geschichte für kleine Kinder! Sie scheint meiner Meinung nach aber unvollständig zu sein!
Mich würde sehr interessieren, was der Opa der am nächsten Morgen garantiert nachfragenden Tochter erzählen wird!?
Muss er sie enttäuschen, macht er ihr Hoffnungen, ...?

lg guenni
 

Maribu

Mitglied
Hallo guenni,

danke für Deine Nachfrage!
Die Tochter wird ihrem Kind (seiner Enkelin) die Geschichte vorlesen.
Was wahr ist, wird sie lächelnd bestätigen.
Über den Rest wird sie nachdenken und schon unterscheiden können, ob es stimmen kann oder märchenhaft ist.

Der Opa kann hoffen, dass sie die Geschichte aufbewahrt und sich in zwölf Jahren, wenn sie achtzehn wird, daran erinnert.
Vielleicht denkt sie dann an ihn, wo immer er dann ist.

Lieben Gruß
Maribu
 



 
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