Colour my world

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"She´s like a rainbow".
Das Lied der Rolling Stones erklang aus dem in der Dusche an einer dicken Kordel baumelnden Radio. Sie drehte den Lautstärkeregler des Gerätes bis zum Anschlag. Der Song, mit dem der Hersteller "Worldcolour" für Farben mit Lotuseffekt warb, war seit Wochen zu ihrem Wegbegleiter geworden.

"She comes in colours everywhere, she´s like a rainbow."
Laut sang sie mit. Beim Shampoonieren ihrer langen, glatten Haare tanzten langhaarige junge Menschen vor ihrem geistigen Auge. Weite bunte Hosen, eng anliegende Batikhemden mit Mustern in allen Farben des Kaleidoskops. Modeschmuck um Hals und Handgelenke. Für einen Moment fühlte sie sich eins mit diesen jungen Leuten. Hippies, wie es sie früher gegeben hatte, heute belächelt, gleichsam aber wehmütige Gedanken an eine scheinbar bessere Zeit auslösend. VW-Bus mit Regenbogen auf der Seitentür. "She´s like a rainbow." Hier war es wieder!
“Schade, diese Zeit ist vorbei. Heute ist alles schlechter“ dachte sie. Das Lied endete, sie machte das Radio aus und stieg aus der Dusche.

Der Duft des Kaffees lag in der Luft, den Frühstückstisch deckte sie aus Gewohnheit mit zwei Kaffeebechern, obwohl Marco nicht mehr da war. Marco, der ihr die Becher samt zugehörigen Tellern zum Geburtstag geschenkt hatte. Zartes Gelb, Blümchenmuster, darüber, in geschwungenen Buchstaben die Aufschrift "Colour my world". Ha, wie auf dem Werbeplakat von "Worldcolour", das gegenüber ihres Hauseingangs auf eine Werbewand aufgeklebt war.

Colour my world?
Nichts war weiter entfernt in ihrer grauen Gedankenwelt als die Erfüllung dieses Wunsches. Der heftige Krach, der sich an einer Lappalie entzündet hatte, wie immer, wenn es Streit gab.
"Der Rasen ist grün" hatte Marco nicht zum ersten Mal gesagt und resignierend auf den Fernseher gezeigt, "aber ich sehe es nicht. Was ich sehe sind Schattierungen von Grau. Dunkel, mittel, hellgrau. Grau, grau, grau!
Wer hat den einzigen Schwarz-Fernseher in der Stadt?" hatte er gefragt.
"Natürlich, meine Freundin!
Wer ist der Einzige, der Fußball Schwarz-Weiß sehen muss?
Ich! Die Dunkelgrauen gegen die Hellgrauen. Unmöglich! Wäre ich doch besser zuhause geblieben und hätte mir das Spiel da angesehen."

Nadja hatte ungläubig geschaut, nie hatte sie ein Problem darin gesehen, keinen Farbfernseher zu besitzen. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob das vielleicht an ihrer Arbeit liegen könnte, dass sie darin kein Problem sah, aber nein, das konnte nicht sein! Natürlich musste sie damit leben, dass diese Art von Arbeit von den meisten ihrer Freundinnen nicht verstanden wurde, sie aber liebte sie: Das Schreiben von Trauerreden, Kondolenzschreiben und persönlichen Entschuldigungsbriefen im Auftrag. Handschriftlich auf weißem Büttenpapier. Schwarze Tinte. Einfühlsame, blumige Worte für dunkelgraue Stunden. Sie liebte die dankbaren Reaktionen der Auftraggeber.
"Das hätten sie nicht schöner formulieren können“ oder „Sie haben wieder Farbe in unser Leben gebracht mit ihren einfühlsamen Worten" hörte sie oft und das bestärkte sie, mit dieser Arbeit weiterzumachen.

Marco hatte sich in helle Aufregung hineingesteigert.
"Das Schwarz-Weiß Fernsehen wird mir langsam zu bunt!" hatte er geschrien, "Ich gehe nach Hause, zu meinem Farbfernseher! Riesiger Bildschirm! Farbe! Grün, Gelb, Rot, alles im Überfluss vorhanden. Gleich gucke ich die Roten gegen die Gelben auf grünem Rasen, wie es sich gehört! Nicht die Dunkelgrauen gegen die Hellgrauen."

Im Nachhinein konnte sie sich nicht mehr an alle Details erinnern. Es war, als hätte der Streit einen Schockzustand ausgelöst, aus dem sie nur langsam erwachte. Stück für Stück. Sie musste wohl rot gesehen haben, das wurde ihr immer deutlicher bewusst. "Da hast du deine Gelben und Roten!" hatte sie geschrien, als sie den Teller mit der heißen Tomatensuppe gegen die gelb gestrichene Wand warf. Die Suppe war die Wand herunter gelaufen und erinnerte an ein expressionistisches Bild. Er war daraufhin blass geworden und hatte die Wohnung ohne Worte verlassen.

Nun saß sie am Frühstückstisch, starrte in den Kaffeebecher und überlegte, wie es mit Marco weitergehen würde. Von draußen wehten die Geräusche des Parks herein, der direkt hinter dem Haus lag: Vogelgezwitscher, Stimmen vereinzelter Spaziergänger, Schritte der Jogger und das Plätschern des Brunnens. Erste Sonnenstrahlen hatten ihren Weg in die Wohnung gefunden. Wieder kam ihr der Regenbogen ins Gedächtnis. "She wears colours everywhere, she´s like rainbow."

Vielleicht ist das eine gute Idee, dachte sie. Den Tag positiv beginnen, freudig und farbenfroh! Sie ging zu ihrem Kleiderschrank, suchte eine Weile und entschied sich dann für ein luftiges Sommerkleid, dessen Muster alle Farben des Regenbogens beinhaltete. Wie das "Worldcolour"-Werbemädchen auf der anderen Straßenseite. Was würde ihre Kollegin im Institut sagen, dachte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Kollegin, die sie sonst nur in Schwarz und Weiß kannte. Das würde eine Überraschung werden.

Sie setzte sich wieder an den Küchentisch. Aus einem Werbeblatt eines überregionalen Elektronikhändlers schnitt sie das Bild eines Farbfernsehers raus, klebte es auf einen Bogen Schreibpapier, nahm den Füllfederhalter und schreib ein paar Zeilen an Marco. Schmückte den Briefbogen mit smilies: Lachende Gesichter, Herzen und Kussmünder in gelb und rot. Sie legte den Bogen in einen Umschlag, versah diesen mit seinem Namen und steckte ihn in ihre Jackentasche, bevor sie die Wohnung verließ.

"Colour my world with hopes of loving you" dachte sie und betrat beschwingten Schrittes den Weg, der quer durch den Park zu Marcos Wohnung führte.
 
Hallo Monsieur Milian,

schöne Idee, das Thema Farbe aufzugreifen. Gut finde ich auch den positiven Schluss. Allerdings finde ich beim Lesen keinen rechten Bezug zwischen "color my world" und der Story.
Man weiß nicht so recht, was genau das Problem ist, ist es ein akuter Streit in einer ansonsten intakten Beziehung oder schwelt da schon lange ein Konflikt, der sich durch den Schwarz-Weiß-Fernseher an die Oberfläche schafft? Und was hat ihr Beruf damit zu tun?
Diese Stelle habe ich nicht verstanden:
Nadja hatte ungläubig geschaut, nie hatte sie ein Problem darin gesehen, keinen Farbfernseher zu besitzen. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob das vielleicht an ihrer Arbeit liegen könnte, dass sie darin kein Problem sah, aber nein, das konnte nicht sein! Natürlich musste sie damit leben, dass diese Art von Arbeit von den meisten ihrer Freundinnen nicht verstanden wurde, sie aber liebte sie
Inwiefern steht der Farbfernseher in Beziehung zur Meinung ihrer Freundinnen über ihren Beruf?

Viele Grüße
DasKatastrophenprinzip

Und ein paar Kleinigkeiten, die ich vielleicht anders schreiben würde - was nat. Geschmacksache ist:

Der Duft des Kaffees lag in der Luft - vielleicht Kaffeeduft lag in der Luft?


Marco hatte sich in helle Aufregung hineingesteigert - für mich bedeutet helle Aufregung so was wie Begeisterung, kann mich natürlich irren, hier hätte ich aber eine andere Formulierung gewählt.

schreib - schrieb (Zeitsprung)
 
Danke für deine Anmerkungen

Hallo "das Katastrophenprinzip",
danke für deine ausführlichen Anmerkungen, die mir weiterhelfen werden, den Text zu optimieren. Werde das in den kommenden Tagen mal tun. Tatsächlich wird man "betriebsblind" wenn man seinen eigenen Text betrachtet; ich werde versuchen, die Unklarheiten/Unlogiken aus dem Text zu entfernen. Danke nochmals!
 

RainerK

Mitglied
Hallo Monsieur Milan,

deine Art zu schreiben gefällt mir gut; auch die Idee dahinter hat etwas, finde ich.
Der Schluss gefällt mir zwar nicht, denn sie bricht ja gerade zu neuen Ufern auf, dann kann sie dem "Blödmann" auch gleich endgültig den Laufpass geben, aber es war deine Intention, dem Text einen positiven Abschluss zu geben; da will ich dir natürlich nicht `reinreden :).

Ich würde die Wiederholung von "...Nicht die Dunkelgrauen gegen die Hellgrauen."..." `rausnehmen; hat er weiter oben schon gesagt; der Satz davor unterstreicht seinen Unmut sowieso; ist mir praktisch zuviel Zaunspfahl :)

VG
RainerK
 



 
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