Computerlyrik

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Hieronymus

Mitglied
Turing hat es blitzgescheit erraten:
Jede Manipulation von Zeichen,
lesen, schreiben, löschen, speichern, streichen,
meistern zuverlässig Automaten.

Dichter sitzen längst an der Konsole,
mühn sich, Zeilen reimend anzugleichen,
klare Formenstrenge zu erreichen –:
bleischwer widerstehen die Symbole.

Ihre Sache ist noch nicht verloren.
Wozu baute Turing die Maschine?
Man verfasse eine Reimroutine!

Alles Weitre leisten Prozessoren,
reihen endlos neue Zeichenketten
zu Terzinen, Stanzen und Sonetten ...
 

mitis

Mitglied
super! wäre ein total neuer aspekt in der lyrik-debatte!!! (siehe die entsprechenden threads im lupanum)
deinem gedicht kann ich keine wertung entnehmen, aber eigentlich finde ich das gut. "turing" kenne ich nicht.
ich bezweifle, ob computerlyrik wirklich sinnvoll funktioniert. hoffentlich nicht.
lg mitis
 

MarenS

Mitglied
Ein schönes Gedicht mit einem scheußlichen Gedankengang. Mir wurde schon einmal gesagt, das "reimen" heute ganz einfach sei, mit Hilfe des Computers. Da schüttelts mich!
Ich oute mich auf dieses Sonett hin als gnadenlose Zetteldichterin - am liebsten noch mit Bleistift. Es mag daran liegen, dass man mit dem PC nicht so schön rumschmieren kann.

Grüße von Maren
 

Hieronymus

Mitglied
Hallo mitis,

Alan Turing war ein englischer Mathematiker, der als erster ein theoretisches Modell für eine logische Maschine entworfen hat. Nach dem zweiten Weltkrieg hat er dann auch mit "richtigen" Computern gearbeitet. Er hat sich auch schon gefragt, ob ein Computer irgendwann einmal ein Gedicht schreiben kann, das man von menschlichen nicht mehr unterscheiden kann.

Gruß
Hieronymus
 

Hieronymus

Mitglied
Hallo Maren,

ich schreibe Gedichte auch am liebsten auf Papier, damit die ersten Ideen, die man verwirft und später vielleicht doch braucht, nicht verloren gehen.
Ich glaube, es dauert noch lange, bis ein Computer akzeptable Gedichte schreiben kann. Aber ganz auschließen kann ich es nicht.

Gruß
Hieronymus
 
T

Thys

Gast
Hallo Hieronymus,

Diese ollen Mathematiker und Informatiker.
Irgendwo auf dem Wege gegen Limes 00 schafft die Touring-Maschine bestimmt auch mal ein gutes Gedicht. Bin mir sicher, dass der Text von keiner Touring-Maschine erschaffen würde ;)

Automatische Grüße

Thys
 

Hieronymus

Mitglied
Hallo Thys,

danke für das Kompliment.
In ihrem Bemühen um formale Korrektheit haben Mathematiker, Informatiker und Sonettenschreiber allerdings etwas gemeinsam.

Gruß
Hieronymus
 
T

Thys

Gast
...und dann aber scheiden sich die Wege ziemlich schnell. Was für ein Graus daran zu denken, dass Mathematik interpretiert würde. Lieschen Müller deutet 1+1 zu 5, Schmitze Jupp macht aus 1+1 = -3 usw usf. Und wenn ich mir nur vorstelle, SW, prozedurale SW würde plötzlich ein Eigenleben entwicklen... autsch. Und wie schlimm zu denken, dass ein Gedicht vollkommen frei von Phantasie von jedem Leser in gleicher Weise aufgefasst würde. Beweisbare Gedichte... ach Du scheiße...
 

Hieronymus

Mitglied
Ich gebe Dir vollkommen recht.
Das Nachdenken über künstliche Intelligenz hilft einem, das spezifisch Menschliche zu erkennen. Rechnen, früher eine menschliche Domäne, können die Computer jetzt besser. Die Menschen beherrschen das Schreiben von Gedichten besser, die in meinen Augen immer eine Mehrzahl von Interpretationen zulassen sollten.
 

Carlo Ihde

Mitglied
Ich glaube nicht an die Dicht-Maschine.
(Ihr sicher auch nicht, ich weiß..)

Denn: wenn Turing nach logischen Kriterien arbeitende Maschinen entwickelte, so beherrschten diese doch eigentlich nur elemtarste Mathematik.
Mir hat neulich eine Mathematikerin gesagt, dass die Mathematik entweder unverständlich oder trivial ist.
So eine Lyrik würde folglich die Lyrik-Maschine auswerfen.
Beides will der Mensch nicht. Und doch beherrscht er es selbst und kann es mit weniger Aufwand als der Computer.

Oder nicht?
 

Hieronymus

Mitglied
Hallo Carlo,

der Satz, dass Mathematik entweder unverständlich oder trivial ist, ist wirklich ein guter Aphorismus, denn den Lernenden kommt sie oft unverständlich vor, die Lehrenden sagen oft: "Das ist doch trivial", wenn sie nicht weiterwissen. Es kommt mir aber durchaus nicht trivial vor, wie eine Suchmaschine aus Millionen von Dateien die wichtigsten herausfinden kann, wenn ich ein paar Suchbegriffe eingebe.
Ich glaube auch nicht, dass ein Computer in absehbarer Zeit ein Gedicht schreiben kann, da dies zu eng mit der schöpferischen Freiheit des Menschen verbunden ist. Aber vielleicht gibt es ja mal so etwas wie CAP (computer-aided poetry), bei der der Rechner zum Ende einer Zeile Reimwörter vorschlägt, oder Fehler im Versmaß rot unterkringelt :D

Gruß
Hieronymus
 
T

Thys

Gast
Aber vielleicht gibt es ja mal so etwas wie CAP (computer-aided poetry), bei der der Rechner zum Ende einer Zeile Reimwörter vorschlägt, oder Fehler im Versmaß rot unterkringelt :D

Sowas wär denkbar. Der Reimvorschlag dürfte kein großes Problem sein. Fehler im Versmaß ist auch kein Unding. Könnte ähnlich arbeiten wie ein Programm, das Grammatiken überprüft. Nette Idee :)
 
H

Heidrun D.

Gast
Grüß` dich, Hieronymus,

einen zufallsgesteuerten Poesie-Automaten gibt es schon seit längerer Zeit. Die Maschine wurde im Sommer 2000 auf dem Landsberger Lyrikfestival vorgestellt und hat dortselbst ihr erstes Gedicht ausgespuckt.

Der Erfinder ist Hans Magnus Enzensberger (wer sonst?). Technisch gleicht der Apparat den beweglichen Buchstabenblättern, die den Passagieren am Flugplatz Ankunft und Abflug künden.

Enzensberger zeigte sich ein wenig enttäuscht, dass der erste öffentliche Wurf so überdeutlich des Meisters eigene Handschrift zeigte; es kommt wohl doch stark auf das Sprachmaterial an, mit dem das Teil gefüttert wird ...

Liebe Grüße
Heidrun D.
 

Carlo Ihde

Mitglied
Fehler im Versmaß? Halte auch ich eher für eine engstirnige Deutung. Wenn mehr Fehler als Normalfälle im Versmaß vorhanden wären, würde der Compi alles umkringeln, anstatt den "Fehler" als Norm zu betrachten. Auch ist das krampfige Kleben am "richtigen" Rhytmus eine Verengung des Menschen auf die Stimulation seines Gleichmäßigkeitsempfindens während des Lesens von etwas so hochgradig menschlichem wie Lyrik. Durch das Fordern von Rhytmus als Maschendrahtgeflecht für eine Schar von Wörtern, zeigt in meinen Augen der Mensch, das er nur schön finden kann, was er für maschinell-perfekt hält. Ich aber liebe den menschlichen Faktor, besonders wenn er Makel bedeutet.
 

Hieronymus

Mitglied
@Heidrun:
Danke für den Hinweis.

@Carlo
Mein Vorschlag war ironisch gemeint, deshalb auch der Smiley. Ich dachte an WORD, das jedes Wort unterkringelt, das es nicht in seinem Wörterbuch hat. Das gekonnte (d.h. begründetete) Abweichen vom Versmaß (wenn denn eins erkennbar ist) ist allerdings schwieriger als das sture Einhalten. Es kann dem Ganzen auch einen besonderen Reiz verleihen, wie die Synkopen in der Musik.

LG an beide
Hieronymus
 



 
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