Creature

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Realitätsverlust bezeichnet die Unfähigkeit eines Menschen, das eigene Handeln mit der Objektivität der realen Welt und der Denkweise seines Umfeldes in Einklang zu bringen.
Auslöser können traumatisierende Erlebnisse, Schock, Drogenmissbrauch, aber auch der Beginn schwerer psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie und organische Psychose sein. Auch Gefangenschaft in gleichbleibender Dunkelheit, bestimmte Stoffwechselstörungen, Flüssigkeitsmangel oder allmähliches Verhungern bewirken unter anderem Realitätsverlust.
Aus der Wikipedia, 2013



»Christian, du solltest dir dringend eine Auszeit nehmen!« Dieter Arsen schaute mich an und ich wollte den Ausdruck in seinem Gesicht nicht deuten.
[ 4]Ich wusste selbst, dass ich überarbeitet war, aber was ging ihn das an? Die Tatsache, dass wir ab und zu unter Kollegen ein Bier zusammen tranken und beide aus Schwerin kamen, gab ihm noch lange nicht das Recht, Vaterstelle an mir zu vertreten.
[ 4]»Stimmt etwas nicht mit meinem Lehrgang?« Ich wollte an ihm vorbei zu meinem Wagen, doch er hielt mich am Arm fest und schaute mir in die Augen.
[ 4]»Nein, und das weißt du auch selbst. Ich meine es nur gut mit dir. Du bist völlig überarbeitet und wirkst ständig, als würde dich irgendetwas hetzen.«
[ 4]Ein fünfzigjähriger Kahlkopf mit Hornbrille, der sich um mich sorgte. Wahrscheinlich wollte er nur meinen nächsten Lehrgang haben. Als selbständiger Dozent ist jeder Kollege ein Konkurrent und diese Konkurrenz tarnt sich mit den seltsamsten Methoden. Er fürchtete doch nur um seine Dozentenstelle, die er bald verlor, wenn ich meine Arbeit weiter so gut machte.
[ 4]»Nein, alles ist gut. Ich werde mich am Wochenende ausschlafen. Mehr ist nicht!« Ich blickte demonstrativ auf seine Hand, mit der er mich festhielt.
[ 4]Er nahm die Hand von meinem Arm, aber nur, um mir seine Visitenkarte zu reichen. »Ich bin das Wochenende zu Hause in Schwerin. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, ruf mich an.«
[ 4]Wortlos steckte ich die Karte in meine Hosentasche und ließ ihn im Gang stehen. Soweit kam es noch. Ich hatte alles im Griff.
[ 4]Wer viel in der Nacht auf Deutschlands Autobahnen unterwegs ist, weiß, dass es nicht nur Geisterfahrer gibt. Dann, wenn die Scheinwerfer für lange Zeit einen Tunnel aus Licht in die Schwärze der Nacht graben und aus dem Radio sanftes Gedudel klingt, nimmt die Einsamkeit hinter dem Lenkrad seltsame, fast körperliche Formen an. Der Geisterfahrer sitzt dann nicht in dem entgegenkommenden Auto, sondern auf dem Beifahrersitz.
[ 4]Während meiner Rückfahrt von Dortmund nach Schwerin führte ich eine angeregte Unterhaltung mit einem solchen Beifahrer. Tiefgründig, über Freud und Leid des Dozentenlebens und neidische Kollegen. Als ich in Bandenitz von der A24 abbog und das gelbe Licht der Straßenlaternen über den Platz neben mir huschte, sah ich nur Leere, wo mein Gesprächspartner hätte sitzen müssen.
[ 4]Ich wusste, dass ich nervlich und körperlich an meinem Limit angekommen war und dringend einen Arzt brauchte. Aber welcher Psychologe würde verstehen, wie das Leben auf der Überholspur aussah, mit zu wenig Schlaf und dem verzweifelten Versuch, alles unter Kontrolle zu halten. Was es bedeutet, sich kopfüber auf jede Herausforderung zu stürzen und ein Leben wie im Cockpit eines Düsenjets zu führen. Gegen diese Droge ist Crack ein sanftes Beruhigungsmittel.
[ 4]Der Rest der Donnerstagnacht bestand aus schlaflosem Herumwälzen in meinem Bett mit überreizten Nerven in einem Kopf, der nicht mehr abschalten wollte. Freitagvormittag erledigte ich die Büroarbeit und am Nachmittag packte ich einen kleinen Koffer. Kurz darauf warf ich ihn ins Auto und machte mich auf den Weg zum Meer. Kein Seelenklempner, sondern eine Wochenendauszeit an der Ostsee. Das passte noch in meinen aus allen Nähten platzenden Terminkalender. Siebzig Kilometer bis zur Küste. Einsamkeit, Natur und Meer würden mich wieder fit machen. Dachte ich und ich dachte falsch.

*​

Bürgerende-Rethwisch ist ein kleiner Küstenort an der Ostsee, ziemlich genau in der Mitte zwischen Warnemünde und Heiligendamm liegend. Wenige Häuser, eine Verbindungsstraße, die am Deich entlang läuft, und ein Campingplatz. Wer nahe der Stadt Rostock, aber doch in Ruhe einen naturverbundenen Urlaub machen will, ist an diesem Platz immer gut aufgehoben.
[ 4]Ich freute mich auf zwei ruhige Tage an der herbstlichen See, während ich die Küstenstraße entlang fuhr und die Sonne im Wasser der Ostsee untergehen sah. Ich parkte meinen Wagen auf einem öffentlichen Parkplatz und steckte fünf Minuten später den Bartschlüssel in die Tür meiner alten Fischerkate. Der Rost hatte in meiner monatelangen Abwesenheit die Chance genutzt, sich in das Eisen des Schlosses zu fressen und ich musste kräftig drücken, bis sich die Tür mit einem lauten Quietschen öffnete. Staub rieselte aus der niedrigen Decke auf meinen Anorak und auf ein großes Spinnennetz, das sich im Türrahmen spannte. Die Luft roch nach einer Mischung aus Moder, Fäulnis und Fisch und erinnerte mich daran, dass es höchste Zeit war, die Hütte zu renovieren.
[ 4]Ich schmiss meinen Koffer auf den Tisch, riss die Fenster auf und warf noch einen Blick auf das Handydisplay, bevor ich es ausschaltete. Die Sturmwarnung für heute Nacht hätte ich nicht gebraucht, denn ich sah, wie die regenschweren Wolken am Himmel Fahrt aufnahmen.
[ 4]Die ersten Böen bliesen mir ins Gesicht, als ich in Richtung Wasser lief. Die Herbsturlauber waren vor dem herannahenden Sturm geflohen und so gehörte mir der Strand allein. Der Wind stemmte sich mir entgegen, aber ich lachte ihn aus, während ich durch den Sand trabte und mit tiefen Atemzügen die salzige Meeresluft einsog. Mit ausgebreiteten Armen tobte ich die Dünen hinauf und hinunter wie ein Kind und schrie das Leben hinaus in den Wind.
[ 4]Eine Stunde mochte vergangen sein, als ich meinen Anorak wieder an den Haken im Korridor meines Hauses hängte. Müde vom Lauf gegen den immer mehr zunehmenden Sturm und das Gesicht nass von Schweiß und den Spritzern der Brandung. Erschöpft, aber bis zum Bersten gefüllt mit Endorphinen.
Eine heiße Dusche und zwei Heringe mit Bratkartoffeln später saß ich in meinem mottenzerfressenen Sessel mit Melvilles’ »Moby Dick« auf den Knien. Der Wind draußen frischte immer mehr auf und ich machte mir Sorgen um das alte Haus. Schon vor Jahren hätte ich es dringend renovieren müssen und ich war mir nicht sicher, ob das verrottete Schilfdach diesen Herbst noch überstehen würde. An den alten Leitungsdrähten des Blitzableiters fraß der Rost und die letzten Gewitter mochte die Hütte nur überlebt haben, weil sie die Dünen nicht überragte.
[ 4]Die hölzernen Läden vor den undichten Fenstern klapperten in ihren Verriegelungen gegen die Wand. So ähnlich musste es geklungen haben, wenn Kapitän Ahab mit seinem Holzbein über die Decksplanken der Pequod hinkte. »Klack, klack, …, klack, klack« Welches Monster mochte in dem Mann verborgen gewesen sein, dass ihn zwang, sein Leben und das der Besatzung der Jagd nach einem Pottwal zu opfern? Oder war Ahab wie ich gewesen? Jemand, der nicht mehr von seinem Lebensweg abspringen konnte, jemand, den seine eigenen Geister vorantrieben und dessen stumme Hilfeschreie niemand hörte? Während mir die Lider zufielen, versuchte ich mir vorzustellen, wie er wohl gewesen wäre, wenn er den Wal nicht gejagt hätte. Wenn er stärker gewesen wäre als seine Geister.

*​

Das grelle Licht einer elektrischen Entladung stach wie Dolche durch meine geschlossenen Augenlider und riss mich aus dem Schlaf. Nur eine Sekunde später krachte der Donner und das Licht der Stehlampe neben meinem Sessel erlosch. Der Wind war zu einem ausgewachsenen Herbststurm geworden und die Gewalt, mit der er das Wasser der Ostsee gegen die Felsen am Strand schmetterte, spürte ich bis zu mir. Jeder Aufprall pflanzte sich als Vibration bis in die wurmstichigen Balken über mir fort. Staub und altes Schilf rieselten aus dem Gebälk und die hölzernen Fensterläden schlugen bei jeder Böe einen kakophonischen Takt an die Hauswand meiner Hütte.
[ 4]Mit zitternden Händen tastete ich nach meinem Feuerzeug und einer Kerze umher. Als ich beides fand, flüchtete ich mich wieder in meinen Sessel, schlang mir die Decke um die Schultern und wartete zusammengekrümmt darauf, dass der Orkan weiterzog.
[ 4]Die Finsternis der Mitternacht drückte gegen die undichten Butzenscheiben der Wohnstube und sickerte hinein, als wäre sie ein böser Geist. Die kleine Flamme auf dem Sideboard neben mir schuf eine winzige Insel aus schummriger Helligkeit. Jeder Luftzug ließ die Kerze flackern und erweckte dunkle Schatten an der Wand zum Leben. Der Sturm gewann immer mehr an Stärke und hämmerte jetzt Welle auf Welle gegen den Strand. Vor den Fenstern wütete die Natur mit der Gewalt eines zornigen Gottes. Furcht kroch mir den Rücken hinauf wie kalter Schleim.
[ 4]Wo waren die Kraft und das Glücksgefühl, die mich am Strand dem Sturm trotzen ließen? Ich war nur noch ein Gefäß, bis zum Rand gefüllt mit Angst. Zusammengekrümmt saß ich in meiner Insel aus flackerndem Licht, während der Orkan an Türen und Fenstern rüttelte. Er kam, um mich zu holen.
[ 4]Es ging zu Ende. Mein Lebensakku hatte unten am Strand noch einmal eine kurze Ladung erhalten, aber jetzt war es vorbei. Mein Unterbewusstsein kämpfte seit Wochen mit allem, was es hatte, gegen die schwarzen Wände der Depression. Tag für Tag rückten sie ein Stück näher. Ich stand vor der letzten Wand am Ende des Tunnels und meine Reise durch das Leben endete hier. Der Orkan draußen würde es mir abnehmen. Ein Dachsparren, der unter der Last brach oder eine Wand, die einstürzte. Ich könnte nach Hause gehen in die wohlige Wärme des Vergessens und würde nie mehr denken müssen. Was auch immer dort draußen oder in mir tobte, konnte mich haben, jetzt und hier.
So nicht!
Etwas stieg empor aus den finstersten Abgründen meiner Seele, zornig und mit gefletschten Zähnen. Jeden Anprall der Sturmböen an meine Hätte wiederholte es mit einem kraftvollen Schlag meines Herzens. Meine Verzweiflung hatte ein Monster geweckt und es fegte meine Angst hinweg, als sei sie ein Nichts.
[ 4]Viele Jahrtausende alt, bäumte es sich auf gegen das Wüten der Krankheit in mir und gegen die Urgewalt draußen in der Dunkelheit. Jemand hatte auf den Startknopf des Golems gedrückt und er erwachte aus seinem Schlaf. Schweiß perlte auf meiner Stirn, aber er rührte nicht von der Angst und die Wärme meiner Muskeln kam nicht von einer Bewegung. Etwas gab Erinnerungen frei in mir auf Dinge, die so alt waren wie die Menschheit.
[ 4]Achtlos rutschte die Decke von meinen Schultern, als ich mich mit der Geschmeidigkeit eines Tigers aus dem Sessel erhob. Der schleichende Gang, mit dem ich mich zum Fenster bewegte, war nicht meiner. Geduckt und sprungbereit schaute ich hinaus in das Chaos der Elemente und spürte keine Furcht. Die wirbelnde Schwärze da draußen war nicht mehr fremd und angsteinflößend, sondern nur noch kalt und vertraut. Was auch immer dort lauerte, ich war ihm schon einmal begegnet, vor tausenden Jahren - und hatte es besiegt.
[ 4]Es waren nicht meine Gedanken, und ohne dass ich es wollte, flüsterte ich mit zitternden Lippen ein Wort: »Bruder.«
[ 4]Die Antwort kam erwartet unerwartet.»Ich bin da und werde es immer sein.«
Diese Stimme hatte mich begleitet, mein Leben lang. »Warum?«, fragte ich und nicht weit entfernt schlug ein Blitz in den Boden.
[ 4]»Du hast Angst vor dem Werwolf im nächtlichen Wald, obwohl du weißt, dass er nur in der Legende existiert. Die leuchtenden Augen im dunklen Keller erschrecken dich zu Tode, gleichwohl du sicher bist, dass es nur eine Katze ist. Du würdest in einer finsteren Nacht nicht über einen Friedhof wandern, weil du dich vor Untoten fürchtest. Ich bringe dein Herz zum Hämmern, pumpe Adrenalin in dein Blut und mache dich bereit zu töten. Du wirst dich fortpflanzen, deine Gene weitergeben und deine Art erhalten. Dafür wurde ich geschaffen.«
[ 4]Kalt und emotionslos klingt das Echo der Worte in mir.
»Ich bin der, der dich überleben lässt, wo andere scheitern. Ich bin das Danaergeschenk der Natur an deine Rasse und die mächtigste Waffe, die je erfunden wurde.«
[ 4]»Wer bist du?«, frage ich wieder und es weiß, dass ich seinen Namen will.
[ 4]»Du kennst die Antwort. Ich bin dein dunkler Bruder. Ihr Menschen habt mir viele Namen gegeben, doch für euch bin ich nur die Legende einer finsteren Vergangenheit. Ich bin älter als deine Rasse, und wenn ein Kind gezeugt wird, werde auch ich wiedergeboren. Ich diene und beschütze das junge Leben in den ersten Jahren, wenn es noch nicht denken kann und hilflos ist. Wie auch dich. Doch je älter du wurdest, umso stärker habt ihr meine Ketten geschmiedet. Ihr habt mich in ein Verlies gesperrt, das so dunkel und finster ist, dass du nicht mehr hineinschauen willst.«
[ 4]»Aber ich bin doch frei! Ich trage keine Ketten!« Wie einen Schrei denke ich diese Worte und ein spöttisches Flüstern ist die Antwort.
[ 4]»Oh nein. Du selbst hast mich gebunden. Jede deiner Ketten trägt einen Namen, eingebrannt mit dem heiligen Feuer der Moral. Da gibt es die ›das tut man nicht‹- Kette, dann gibt es die ›was sollen deine Freunde denken‹- Kette und ganz eng um deinen Hals liegt die ›schäm dich‹- Kette.
Ihr beschreibt mich in Büchern, nennt mich ›Das Tier‹ oder ›Mr. Hyde‹. Schaust du in den Spiegel, erblickst du mich nicht mehr, denn du siehst nur noch das, was du sehen willst. Aber du irrst, denn ich bin noch immer da und warte auf meine Zeit.«

[ 4]Hatte ich mich erkältet und jetzt Fieber? Ein gläserner Zentimeter bewahrte mein Gesicht vor dem Inferno der wütenden Naturgewalt draußen, doch nichts schützte mich vor dem Horror in meiner Seele. Aber warum hatte ich keine Angst mehr?
[ 4]»Weil du mich brauchst. Befreie mich von meinen Ketten und ich gebe dir Macht und Lust, jenseits dessen, was du dir vorstellen kannst!« Ein lauter Donnerschlag ließ die Hütte erbeben.
[ 4]Ich schrie gegen die Fensterscheibe: »Ich kann nicht!«
Orgiastische Lust peitsche durch meine Nervenbahnen.
[ 4]»Doch, du kannst. Wenn du es willst. Lass mich frei und ich rette dich!«
[ 4]Meine Widerstandskraft erlosch. Sah so mein persönlicher Wahnsinn aus? Eine Stimme im Kopf, die Wahrheiten erzählt, die ich nicht wissen will? Ich schloss die Augen und wusste, dass ich sie nie wieder öffnen würde.
[ 4]Draußen wurde es still. Der Sturm hielt den Atem an wie ein sprungbereites Tier. Und dann stieg es empor, gnadenlos, unwiderstehlich, mächtig.
[ 4]»Sieh mich an!«, donnerte der Befehl in meinem Kopf.
[ 4]Irrationale Angst raubte mir den Atem und ich nässte mich ein vor Entsetzen. Ich jagte zur Haustür, riss sie auf und sprang mit einem riesigen Satz in den Rachen der Finsternis. Nur weg von hier! Gleißend hell raste ein Blitz in das Schilfdach meines Hauses und dem schmetternden Krachen folgte eine Sturmböe, die mich von den Füßen riss.
Das Dach fing sofort Feuer und Sekunden später fraßen die Flammen meine letzte Zuflucht. Fünfzig Meter schaffte ich noch, bevor ich zusammenbrach.
[ 4]Es dauerte nicht lange, bis ich wieder zu mir kam. Passiert war mir nichts. Die Feuerwehr würde nur noch Asche und verkohlte Balken vorfinden, wenn sie eintraf. Ich zuckte die Schultern. Pech gehabt.
[ 4]Der Sturm war weiter gezogen, und als der Tag graute, fand er mich auf einem Felsen am Wasser. Die Wellen rollten noch heftig an den Strand und nässten mir die Füße. Es störte mich nicht. Ein sanftes, rotes Glühen kündigte den neuen Tag an und die Vögel begannen zu zwitschern. Dann zeigte sich das erste Gleißen am Horizont, das Meer rötete sich und langsam, aber unaufhaltsam stieg der Feuerball hinter mir auf. Mit jeder Minute nahm die Kraft der Sonne zu, und als sie sich im Meer spiegelte und ihre Strahlen liebevoll meinen Rücken wärmten, wusste ich, was ich tun musste. Es war noch nicht zu spät für mich.

*​

Ein vorwitziger Sonnenstrahl wollte mich wach kitzeln, aber ich kniff nur meine Augen zu. Ich hatte mir spätes Aufstehen verdient. Erst der Sturm am Meer und dann hatte ich auch noch geträumt, mein Haus sei abgebrannt. Ich sollte mir wirklich mehr Ruhe gönnen. Am besten ich, ich begann sofort damit und schlief noch zwei Stunden. Die Hütte hatte den Sturm überstanden und ich drehte mich beruhigt zur anderen Seite und zog die Decke höher. Es reichte, wenn ich heute Abend in Schwerin ankam. Von meinem Haus am Strand bis nach Hause fuhr ich mit dem Wagen eine Stunde. Ich würde bis Mittag im Bett bleiben und danach einen schönen Strandspaziergang machen, daran konnten mich auch die Schritte in der Stube nicht hindern.
[ 4]Schritte? In meiner Hütte?
[ 4]Entsetzt richtete ich mich auf - um sofort wieder zurückzusinken. Der Schmerz in meinem Gesicht war unbeschreiblich, aber nichts gegen die freundlichen Worte, die jetzt an mein Ohr drangen.
[ 4]»Na, Christian, ein bisschen Geduld musst du schon haben. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis die Brandwunden einigermaßen verheilt sind. Du hast unglaubliches Glück gehabt. Die Feuerwehr hat dich bewusstlos fünfzig Meter entfernt von der brennenden Fischerhütte gefunden. Keiner kann sich erklären, wie du da noch rechtzeitig herausgekommen bist.«
[ 4]Ich hatte nur ein entsetztes Stöhnen. Dieter Arsen saß neben meinem Bett mit dem gleichen Ausdruck in seinem Gesicht wie vor zwei Tagen. Ich wusste jetzt, dass es Sorge war. »Wie kommst du hier her?«
[ 4]Er schmunzelte. »Erinnerst du dich, wie du meine Visitenkarte eingesteckt hast? Ich wurde aus dem Krankenhaus angerufen.« Dieter Arsen schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich unbegreiflich. Die Feuerwehrleute haben erzählt, dass es gewöhnlich nach einem Blitzeinschlag in so einer Hütte nur Sekunden dauert, bis alles in Flammen steht. Du musst einen Schutzengel gehabt haben.«
[ 4]Einen Schutzengel? Eine Erinnerung drängte sich in mein bewusstes Ich. Wie in Zeitlupe sah ich mich grundlos aus dem sicheren Haus in die Dunkelheit springen. Der Blitz hatte erst danach eingeschlagen.
[ 4]»Vertraust du mir jetzt, Bruder?«
[ 4]Ich schaute Dieter an, aber der hatte nichts gesagt …
 



 
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