Hallo R. Herder,
ein Gedicht, das bemüht ist, etwas auszusagen und es doch nicht zu sagen, es aber nicht zu verschweigen, denn gesagt muss es werden. Fragt sich nur, was hier eigentlich gesagt werden soll.
Der Titel DIN (Deutsche Industrienorm) weist auf herkömmliches (genormtes) Verhalten hin (hier: zwischen Mann und Frau), deren tatsächliches Verhalten diese Norm aber verletzt - so könnte ich mir den Inhalt entsprechend dem Titel vorstellen. Leider wird hier gar nichts verletzt, meine Erwartung höchstens enttäuscht.
Was mir an diesem Gedicht zuerst auffiel, war die bemüht hochgestylte Sprache, die Verwendung von "schönen Wörtern" wie z. B. Iris, die furchtsam arrangierte Anmut deiner Hände (kann man Anmut eigentlich arrangieren, noch dazu furchtsam?), eine Hoffnung, die ihr Dasein in Fußnoten sucht (hier wolltest du wohl sagen, dass die Hoffnung, bei der Dame zu landen, nicht allzugroß war? Aber hast recht, hört sich verdammt gebildeter an, man merkt gleich, dies hat ein nicht allzu praktisch veranlagter Intellektueller verfasst, der die Liebe bisher wahrscheinlich rein theoretisch studiert hat).
In der zweiten Strophe, nachdem in der ersten nur bewundert und gehofft und allerlei Überflüssiges bedacht wurde, erwarte ich als Leserin, dass nun endlich das Erwartete passiert, nämlich die Verletzung der DIN-Norm. Aber zuviel erwartet, das halberotische Philosophieren geht weiter: Das rote Haar der Angebeteten ist das nie gekannte Ende aller Gegenseitigkeiten und lässt es sanft zu Asche werden (für Begriffsschwache: Das Ich hat entweder keine roten oder gar keine Haare), das rote Haar verkündigt unheilsschwanger Heiliges. Und weil das Haar rot ist, vermutet unser kleiner verliebter Spießer: Na, bei der Dame darf man sich auf einiges gefasst machen! Wer hat schon rote Haare! Haare est omen!
Das drückt der Autor folgendermaßen aus: Vom Brand (der in dein Haar gelegt - wer war das?!) erwartet er zudem die Namensgebung einer Tat, die kritisch zerrt an den Verhältnissen, die seit jeher verwachsenen Normen unterliegen.
Das muss man übersetzen: Das verliebte Ich erwartet jetzt, dass die Dame sich jeder erdenklichen Unkonventionalität, die in der verklemmten Vorstellungswelt des Ich schlummert, schuldig macht: "Hallo, Süßer!" Aber so praktisch sagt er es uns nicht, der R. Herder.
So kann man natürlich die Anmache einer Straßennutte ins Erhabene transportieren und dies so verschwurbelt wie nur irgend möglich rein sprachlich kaschieren. Um noch mal auf die DIN-Norm zurückzukommen: Der Autor hält offensichtlich das Geschäft zwischen Nutte und notgeilem Bock für eine Sache, die gesellschaftliche Normen verletzt. Da kann ich ihn trösten: So ist es nicht, Prostituierte haben einen gesellschaftlich anerkannten Beruf und zahlen sogar Steuern - also alles ganz normal, und hinter so manch einer Nutte verbirgt sich eine liebende Hausfrau.
Mich verwundert das sprachliche Verschwurbeln allerdings überhaupt nicht, die Sache wäre schließlich peinlich, wenn er allzu deutlich würde und Bekannte dies ungehörige Tun des Ich mitkriegten, die es dann bestimmt, natürlich völlig entstellt, weitertratschen würden. Was mich an diesem Text verwundert, sind allerdings die Kommentare, die sich vor Begeisterung bald überschlagen. Der Rest ist Schweigen.
Liebe Grüße, Fettauge