DIN

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R. Herder

Mitglied
DIN



An der Iris findet sich noch ein Stück Licht
das mir erlaubt: die Wiederschau der
furchtsam arrangierten Anmut deiner Hände
wie sie (dem Strich entgegen) durch mein
Flimmern streifen ähnlich einer Hoffnung
die ihr Dasein sucht in Fußnoten.¹


Vom Brand der (in dein Haar gelegt) das nie
gekannte Ende aller Gegenseitigkeiten
sanft zu Asche werden lässt ist Sakrosanktes
zu erwarten // die Namensgebung einer Tat
die kritisch zerrt an jenen Verhältnissen
die seit jeher verwachsenen Normen unterliegen.



1 Und niemals findet.
 
H

Hakan Tezkan

Gast
bereits der titel deines gedichts, rené, bietet dem leser ein gerüst: „din“ ist das kürzel für das deutsche institut für normung – man denke da an die papierformate din a4 oder din a5 usw (die übrigens für sich wieder eine metapher darstellen können: das vorgegebene format für das eigene schreiben, oder: denken)– und schafft gleich den boden, auf dem man sich später im gedicht bewegt.

in der ersten strophe erfährt man von einer normen.freien begegnung zwischen lyr.ich und lyr.du, dessen anmut nur furchtsam arrangiert, d.h. unter gewissen, noch unbekannten gefahren her.gerichtet wurde. dass die hände durch das flimmern (und „gegen den strich“) des lyr.ichs streichen, zeigt die sehnsucht(fiebrig-flimmern) nach jener schönheit, und verdeutlicht zudem den revolutionären akt, der dahinter steckt.
man spürt auch eine gewisse dringlichkeit heraus, allein schon durch die sprachliche wendung „findet sich NOCH ein stück licht“. das streichen durch das gesicht vergleicht das lyr.ich mit einer hoffnung, die ihr dasein in fußnoten(also: außerhalb des 'vorgegebenen' textes) sucht, in erklärungen, die nicht gegeben werden können. das bild ist wirklich geil, auch wie du den blick des lesers lenkst: großartig.

dann erfolgt ein bruch im gedicht. es wird ein brand gelegt[im haar des lyr.ichs(d.h.:im natürlichen, ursprünglichen)], der alle gegenseitigkeiten zerstört, denn eine normung sucht nach einem konsens, also der auflösung von unterschieden, um einheitlichkeit herstellen zu können. man erwartet jetzt: sakrosanktes, was so viel bedeutet wie: unantastbares, unveränderliches. diese norm wird zu heiligem terrain.
das lyr.ich holt jetzt zum end.gültigem schlag aus: der brand widerspricht der gesetzmäßigkeit der gegenseitigkeit.

natürlich ist mir bewusst, dass du nicht gegen das „din“ hetzt, vielmehr geht es doch darum, dass einzig die unterschiede zwischen dir und mir jene schatten mit ein wenig farbe füllen. einzig durch die unergründliche einzigartigkeit eines jeden individuums ist solch eine zärtlichkeit, oder: liebe einem menschen gegenüber möglich. oder könnte man sich wirklich in sich sebst verlieben? jedenfalls: ist das gedicht gegen anpassung jeglicher art.
denn gleichzeitig kann man das ganze natürlich auch auf politische ebene projizieren, und noch in viele andere bereiche, aber ich habe mich, sentimental wie ich bin, für die liebe entschieden.

wie immer habe ich das gefühl, total daneben zu liegen.

gern gelesen,
hakan


ps: entschuldige diese „schulische“ herangehensweise, nur durch sie konnte ich dein gedicht ausleuchten, um das gefühlte in gedachte worte zu fassen, vorher habe ich deine sprache lediglich gespürt, stumm, lautlos.

pps: bin mir noch nicht sicher, ob ich eine 8 oder eine 9 gebe...
 

R. Herder

Mitglied
Danke für deine Ausführlichkeit, Hakan.

Ich glaube, in diesem Gedicht wurde ein Gegenüber umgebracht. Und gar abgefackelt. Was noch? Der stets scheiternde Versuch einer immerhin halb angedachten Revolution in den eigenen vier (Kopf- und Körper-)Wänden.

Wichtig ist wohl das ewig präsente Wissen um das Scheitern-müssen.


Mehr kann ich grad gar nicht sagen.
Nimms mir nicht übel.


Grüße,
René.
 
H

Heidrun D.

Gast
Ein großartiges Gedicht.

Schreiben kann ich dazu auch nichts, weil ich sonst heulen muss.

Heidrun
 
H

Hakan Tezkan

Gast
hi rené,

sorry, in meinem kommentar schrieb ich "im haar des lyr.ichs", hier meint ich natürlich das lyr.du.
das weissen darum ist allgegenwärtig, und es schmerzt. aber ein miteinander bedingt eben beeinflussung, also: irgendwo auch anpassung.

nicht schlimm, dass du nicht zu mehr in der lage bist. ich red auch gerne in monologen...:p

hakan
 

mori

Mitglied
Hallo Rene,

einen Text wie diesen kann ich nur in mich hineinlesen und dort liegen lassen, wo er ankommt. Manchmal im Herzen und manchmal im Kopf, manchmal überall. Daran rühren mag ich dann nicht.
Dazu fehlen mir die wunderbaren analytischen Fähigkeiten Hakans,
der Kopf und Herz zusammen bringt und die Worte findet, die ich nur fühlen kann.

Aber anscheinend geht es nicht nur mir so.
Du hast hier mutig, spielerisch, schwer und leicht die Worte gesetzt. Sehr schön !

Liebe Grüße
Annette
 

R. Herder

Mitglied
Vielen Dank für euern Zuspruch. Er wundert mich beinahe. Aber freilich freuts mich, wenn euch der Text was geben konnte.


Grüße,
René.
 
P

penelope

Gast
lieber r.,

der text gibt nicht nur: er ist: auch wenn er wirklich das scheitern an sich darstellt, vermag er noch vieles andere: er ist hoffnung zugleich, obwohl alle wege und möglichkeiten fast ausnahmslos abgeschnitten werden. aber schon mit der ersten zeile arbeitest du doch gegen die absolute finsternis: An der Iris findet sich noch ein Stück Licht...
so heißt es für mich: auf deine erste zeile zu antworten wäre weiter zu lesen: also lese ich weiter, mit aufgebrachter aufmerksamkeit, stillgestellt die innere uhr, den gegensturm, die auflehnung, die sich gegen das/dein scheitern sich wendet.
aufgebracht, maximal konzentriert, bemühter, als je zuvor - gerate ich in einen strudel des versagens: Flimmern streifen ähnlich einer Hoffnung/die ihr Dasein sucht in Fußnoten.¹... oh!: und die fußnote dazu (und das ist schon genial: eine fußnote in einem gedicht: neu: einzigartig: eine meisterleistung): 1 Und niemals findet....
wie denn auch! so daß ich auch lese, wetternde regungen und denken an quitten, aufgebracht, in aufbringendem, die blätter, die bäume, die normen: verwirbelnder sturm: quintessenz...

wie immer der begeisterung nicht genug, auch wenn du es nicht magst, lieber die harte kritik möchtest... dennoch

lg von deiner fanmeile

penelope
 

R. Herder

Mitglied
penelope, vielen Dank für deine Eindrücke. Mir fällt nach wie vor nicht viel ein, was ich zu diesem Text oder den Kommentaren sagen könnte. Aber wenn es soweit ist (falls es soweit kommt), werd ichs hier aufschreiben. So bleiben mir nur die Grüße: bis denn:

René.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Rene,
ich gebe zu, dass ich mit "Post" mich ein wenig schwer tue, aber "DIN" gehört unter "Das Beste", aber vielleicht steht es ja da schon, ich hatte jetzt wenig Zeit für die Lupe.

LG Franka
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Rene,

ich habe nachgeschaut, es steht wo es hingehört, unter den Besten
Weshalb letzte Kommentare? Wir haben doch im November keine Sommerpause.

LG Franka
 
F

Fettauge

Gast
Ungereimtes

So recht kann ich mich für diesen Text nicht erwärmen. Mir ist er zu intellektualistisch aufgemotzt. Sprachlich kann ich absolut kein Glanzlicht finden. Ich empfehle den Text nicht, er spricht mich einfach nicht an.

Gruß, Fettauge
 
O

orlando

Gast
Für mich einer der besten Lupentexte überhaupt.
Es ist diese Anmut, diese Eleganz der Sprache, die mich nach wie vor überzeugen.
Ein wunderbare, kluges Gedicht.

orlando
(Ex-HeidrunD.)
 
F

Fettauge

Gast
Hallo R. Herder,

ein Gedicht, das bemüht ist, etwas auszusagen und es doch nicht zu sagen, es aber nicht zu verschweigen, denn gesagt muss es werden. Fragt sich nur, was hier eigentlich gesagt werden soll.

Der Titel DIN (Deutsche Industrienorm) weist auf herkömmliches (genormtes) Verhalten hin (hier: zwischen Mann und Frau), deren tatsächliches Verhalten diese Norm aber verletzt - so könnte ich mir den Inhalt entsprechend dem Titel vorstellen. Leider wird hier gar nichts verletzt, meine Erwartung höchstens enttäuscht.

Was mir an diesem Gedicht zuerst auffiel, war die bemüht hochgestylte Sprache, die Verwendung von "schönen Wörtern" wie z. B. Iris, die furchtsam arrangierte Anmut deiner Hände (kann man Anmut eigentlich arrangieren, noch dazu furchtsam?), eine Hoffnung, die ihr Dasein in Fußnoten sucht (hier wolltest du wohl sagen, dass die Hoffnung, bei der Dame zu landen, nicht allzugroß war? Aber hast recht, hört sich verdammt gebildeter an, man merkt gleich, dies hat ein nicht allzu praktisch veranlagter Intellektueller verfasst, der die Liebe bisher wahrscheinlich rein theoretisch studiert hat).

In der zweiten Strophe, nachdem in der ersten nur bewundert und gehofft und allerlei Überflüssiges bedacht wurde, erwarte ich als Leserin, dass nun endlich das Erwartete passiert, nämlich die Verletzung der DIN-Norm. Aber zuviel erwartet, das halberotische Philosophieren geht weiter: Das rote Haar der Angebeteten ist das nie gekannte Ende aller Gegenseitigkeiten und lässt es sanft zu Asche werden (für Begriffsschwache: Das Ich hat entweder keine roten oder gar keine Haare), das rote Haar verkündigt unheilsschwanger Heiliges. Und weil das Haar rot ist, vermutet unser kleiner verliebter Spießer: Na, bei der Dame darf man sich auf einiges gefasst machen! Wer hat schon rote Haare! Haare est omen!

Das drückt der Autor folgendermaßen aus: Vom Brand (der in dein Haar gelegt - wer war das?!) erwartet er zudem die Namensgebung einer Tat, die kritisch zerrt an den Verhältnissen, die seit jeher verwachsenen Normen unterliegen.
Das muss man übersetzen: Das verliebte Ich erwartet jetzt, dass die Dame sich jeder erdenklichen Unkonventionalität, die in der verklemmten Vorstellungswelt des Ich schlummert, schuldig macht: "Hallo, Süßer!" Aber so praktisch sagt er es uns nicht, der R. Herder.

So kann man natürlich die Anmache einer Straßennutte ins Erhabene transportieren und dies so verschwurbelt wie nur irgend möglich rein sprachlich kaschieren. Um noch mal auf die DIN-Norm zurückzukommen: Der Autor hält offensichtlich das Geschäft zwischen Nutte und notgeilem Bock für eine Sache, die gesellschaftliche Normen verletzt. Da kann ich ihn trösten: So ist es nicht, Prostituierte haben einen gesellschaftlich anerkannten Beruf und zahlen sogar Steuern - also alles ganz normal, und hinter so manch einer Nutte verbirgt sich eine liebende Hausfrau.

Mich verwundert das sprachliche Verschwurbeln allerdings überhaupt nicht, die Sache wäre schließlich peinlich, wenn er allzu deutlich würde und Bekannte dies ungehörige Tun des Ich mitkriegten, die es dann bestimmt, natürlich völlig entstellt, weitertratschen würden. Was mich an diesem Text verwundert, sind allerdings die Kommentare, die sich vor Begeisterung bald überschlagen. Der Rest ist Schweigen.

Liebe Grüße, Fettauge
 

R. Herder

Mitglied
An alle,

ich bin seit geraumer Zeit nicht aktiv in diesem Forum. Aber ich lese mit Neugier Kommentare, so sie meinen alten Texten unterschrieben werden. Ich danke euch für Zustimmung und Verriss. Ich selber habe DIN nichts hinzuzufügen, außer: wer hier überzüchtete Romantik zu lesen glaubt, hat den Mord nicht entdeckt.

Ich wünsche euch das Beste.

RH
 



 
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