Da dachte ich an Sokrates...

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margot

Gast
ich habe keine lust, heine zu widerlegen.
ich finde den spruch von sokrates klasse.
als ich las, was du daraus in deinem poem
machtest, mußte ich an morgen denken. was
anderes fiel mir nicht ein. denn morgen
sind wir immer klüger, da morgen morgen
ist. und übermorgen morgen morgen. usw.
oder nach sokrates: daß ich heute nichts
weiß, weiß ich morgen besser.
oder: morgen weiß ich mehr nichts als heute.
dein schlußsatz: ich weiß, daß ihr nichts wißt
kann nur als teilaussage in der dialektischen
spannung zwischen heute und morgen gesehen
werden, in der das individium als ein "von
jetzt auf nachher" zu verstehen und zu
bemitleiden ist. sokrates umging diese
problematik und beschränkte sie auf die
bewußtheit eines singulären denkenden geistes.
er steht damit in der tradition von aussagen
wie: ich denke, also bin ich.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Je mehr ich weiß, um so mehr begreife ich, dass ich nichts weiß.
So also weiß ich, dass ich immer weniger weiß, je klüger ich werde.
Manche Leute wissen alles.
Gut.

Rekritik, woher weißt Du eigentlich, dass wir nichts wissen?

Viele Grüße von Bernd
 
M

margot

Gast
und woher willst du, bernd, wissen, daß wir mit
"mehr-wissen" klüger werden? ich zweifle daran.
es geht um die sinnvolle projektion von wissen
auf einen erkennenden geist. in diesem fall bedeutet
mehr nicht automatisch "mehr". daß du langsam begreifst,
daß du eigentlich nichts weiß, finde ich interessant.
denn das ganze ist lediglich ein gedankenexperiment.
nicht mehr - auch von sokrates so gedacht.
ähnlich wie nietzsches "übermensch".

ralph
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ralph,

wenn ich mich mit einem Sachgebiet nur oberflächlich beschäftige, denke ich bald, ich weiß alles darüber. Wenn ich genauer hineinblicke, sehe ich, was alles mir fehlt. Das habe ich schon mehrfach ähnlich erlebt. Je genauer ich etwas kenne, umso eher erkenne ich die Lücken, und die nehmen anteilmäßig einen immer größeren Raum ein.

Die ist gleichzeitig paradox. Und oft kann man das fehlende durch "Fühlen" ersetzen und kommt sogar sehr oft besser oder genauer damit zurecht, aber nicht immer.

Wissen ist nicht alles. Aber oft hilft es. Nur sollte man eben nie denken, man weiß.

Und das wende ich jetzt auf das eben geschriebene an :) .
Viele Grüße von Bernd
 
M

margot

Gast
nichts anderes velangt man von einem moderator.
nach allen seiten gefällig sein.
mit nichts sagen - die gemüter besänftigen
das wäre kein job für mich.
nicht auf dauer. diplomatie bedeutet "die eiszeit"
in unseren köpfen. wenn wir augenscheinlich nicht
zur brüderlichkeit kommen. ich kenne keine welt,
in der aufgrund von diplomatie und nichtssagendem
rumgesülze eine bessere welt geworden wäre.
okay, fülle deine wissenslücken - oder erkenne sie
zumal.

viel spaß bei dieser sisiphusarbeit

ralph
 

rekitrik

Mitglied
Gedankenspiel - Reaktionstest?

Hallo Bernd,

eine wirklich gute Frage. Da die Ausgangsthese bereits besagt, dass ich auch nichts weiß, ergibt sich die Endaussage aus einer paradoxen Logik. Sofern ich aber bereits die These durch die Antithese ersetze folgt, dass ich wissend bin. Und somit wäre meine Folgerung hinreichend bewiesen. Für war ein Teufelskreis der sich immer um das Eine dreht : Ihr wisst nichts ;)

Besten Dank für den Kommentar - aber das ist ja wohl auch deine Aufgabe (schmunzel).

Gruß rekitrik
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ralph,

ich habe mich bereit erklärt, im Forum "Experimentelles" als Moderator mitzumachen. Das betrifft aber nicht meine Meinungsäußerung. Sie war auch nicht freundlich oder als Gesülze, sondern ein Erlebnisbericht.
Ich habe vorher auch schon immer geschrieben, was ich dachte, oder den Mund (respektive die Finger) gehalten.

Außerdem ging es hier um "Nichts" - schon wieder paradox.

Viele Grüße von Bernd

Hallo, Rekritik, ja, es stimmt.
Und hier habe ich (fast) zum ersten Mal ein Smiley eingesetzt, da es "Nichts" verkörpert.

PS: Man bot Sokrates an zu fliehen, aber er blieb und trank den Schierlingsbecher. Er sollte die Jugend verdorben haben - und ging ins Nichts - und wurde so unsterblich.

Grüße von bernd
 
M

margot

Gast
hatschi, wenn ich das höre, drehe ich mich glatt
in meinem grabe um.

besserwisserei im 21. jahrhundert - das übertrifft alles.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
O Ralph,

Besserwisserei?

Ich lerne dazu ...
... verstehe es nicht ...
... und ich versuche nicht, es Dir recht zu machen ...


---
Ein anderes schönes altes Paradoxon für Rekritik, das in Zusammenhang mit dem Gedicht steht.

... die Kreter sagen, dass alle Kreter lügen ...

Viele Grüße von Bernd
 

Svalin

Mitglied
"Ich weiß, daß ich nichts weiß!"

Als Dichter sollte man lieber keine Anleihen bei Sokrates nehmen ;-)

Diese berühmte, aber häufig verkürzt wiedergebene Formulierung entstammt der von Platon aufgezeichneten Apologie des Sokrates: "Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas Tüchtiges oder Sonderliches wissen; allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber, wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht. Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen." (1)

Der wegen Blasphemie und Verführung der Jugend angeklagte Sokrates entlarvt in seiner Verteidungsrede das vermeintliche Wissen seiner Mitmenschen, neben Staatsmännern und Handwerkern inbesondere auch bei den Dichtern: "Ich erfuhr also auch von den Dichtern in kurzem dieses, daß sie nicht durch Weisheit dichteten, was sie dichten, sondern durch eine Naturgabe und in der Begeisterung, eben wie die Wahrsager und Orakelsänger. Denn auch diese sagen viel Schönes, wissen aber nichts von dem, was sie sagen; ebenso nun schien es mir auch den Dichtern zu ergehen. Und zugleich merkte ich, daß sie glaubten, um ihrer Dichtung willen auch in allem übrigen sehr weise Männer zu sein, worin sie es nicht waren." (2)

Das ist doch irgendwie witzig ;-)

Grüße Martin
 

Svalin

Mitglied
@ralph

ich habe das, was Sokrates über die Dichter seiner Zeit sagt, in deinem >guten Dichter<Thread zur Diskussion gestellt. Könnte durchaus interessant sein ;-)

@rekitrik
Da die Ausgangsthese bereits besagt, dass ich auch nichts weiß, ergibt sich die Endaussage aus einer paradoxen Logik. Sofern ich aber bereits die These durch die Antithese ersetze folgt, dass ich wissend bin. Und somit wäre meine Folgerung hinreichend bewiesen.
Warum so kompliziert ;-) Bereits die Ausgangsthese >Ich weiss, dass ich nichts weiss!< sagt (formal): Ich weiss ja etwas, wenn ich nichts weiss, nämlich dass ich nichts weiss, was dann allerdings der Aussage des zweiten Halbsatzes widerspricht. Wir haben es hier eigentlich mit einer semantischen Paradoxie zu tun, deren logischer Widerspurch darin besteht, dass eine Aussage nicht gleichzeitig sowohl wahr als auch falsch sein kann (darf). Verantwortlich dafür ist die Selbstbezüglichkeit der durch den Sprecher getroffenen Aussagen. Diese Aussage führt, so sie wahr ist, dazu, dass der Satz nur falsch sein kann, die Aussage also falsch ist, und umgekehrt (ähnlich dem Lügnerparadoxon des Epimenides). Das lässt sich im Rahmen der klassischen Logik eigentlich gar nicht lösen, worüber schon ganze Generationen von Mathematikern und Philosophen verzweifelt sein sollen. Insofern ist es ganz interessant, was du uns hier so unbekümmert unterbreitest ;-)

Grüße Martin
 

rekitrik

Mitglied
unbekümmert ????

Hallo Svalin,

ist doch gar nicht kompliziert, womit die Endaussage ein weiteres mal belegt wäre, ohne dadurch bewiesen zu sein. Wie gesagt, handelt es sich um eine paradoxe Logik, was für sich ja schon ein Widerspruch ist. Gerade dass man eigentlich gar nicht in die Folgerung einsteigen kann, macht die Folgerung ja so interessant.

Nach meiner Erfahrung wird viel zu selten am Ursprung oder auch der eigentlichen These gezweifelt. Ständig wird versucht die Argumentation zu durchbrechen, was aber nicht funktioniert, wenn die Ausgangslage entsprechend definiert wird.

Insoweit tische ich hier also eine unbekümmerte Gesellschaftskritik auf.

Gruß rekitrik
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Rekritik, es ist eines der ernsthaftesten Gedichte der letzten Zeit, ein würdevolles und traditionsbewusstes Gedicht, das sich direkt an das Denken wendet.

Grüße von Bernd
 

Svalin

Mitglied
@rekitrik

Ja, das leuchtet ein. Durch die Vorspie(ge)lung scheinbarer und provozierender "Unwissenheit" die vermeintliche Aufgeklärtheit seiner Mitmenschen zu testen, dürfte Sokrates gefallen ;-) Ich glaube, genau das hat er mit den Mitmenschen seiner Zeit auch "veranstaltet". Also dürfte der gesamt Threadverlauf - als eine Art "Real-Time-Parodie" - der Beweisführung dienen.
Ich grinse und schweige augenblicklich :D

Grüße Martin
 
M

margot

Gast
ich glaube nicht, daß sokrates irgendwelche
mitmenschen austesten wollte. der satz hat
einfach erkenntnistheoretischen gehalt.
der ist philosophie pur. er trifft damit
keine aussagen über das wissen oder nicht-wissen.
es geht um die problematik des bewußt-seins
und die rolle der sprache als ausdrucksmittel von
erkenntnis - und natürlich das in-frage-stellen
von erkenntnis perse.

ralph

ps: wittgenstein eierte auch auf diesem gebiet herum.
 



 
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