Da war ein Wort

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Walther

Mitglied
Da war ein Wort, so unaussprechlich: Liebe!
Bedeutungsebenen: Ein Schmetterling,
Der leise fliegt. Ein wunderbares Ding,
Das kribbelt, schmerzt und trauert, wilde Triebe

Entfaltet, Haare wuschelt, einfach Pling!
Macht, und die Glocken läuten! Zarte Diebe
Umgarnen Augen, rauben Schlaf! Wie Hiebe
Zerschlägt die Trennung Träume, Schäume: Sing,

Solang du es noch kannst! Ja, und umarme
Den Liebsten, halt sie fest, die flüchtige,
Die süchtige, die Liebe, und erbarme

Dich ihrer: Selten siegt der Tüchtige!
Bedeutung transformiert: Die eine Rose
Sticht blutig zu, die andre spielt Mimose!
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist ein Spiel mit Klischees und mit Ironie.
Liebe, Triebe, Diebe, Hiebe, eigentlich abgedroschene Wörter (im Berich der Poesie) werden hier verwendet und ironisiert. Dazu trägt die besondere Rhythmik des Reimes "flüchtige" - "tüchtige" bei.

Schmetterlinge machen außerdem bekanntlich Wetter. Dunkle Wolken schimmern schon in der Ferne.
 

Walther

Mitglied
Lb. Bernd,

man hätte den Text, anders gesetut, auch ins Ungereimte stellen können. Da wäre er mehr audfgefallen. So bleibt er ein wenig "unentdeckt".

Dir war es also vorhalten, einen Teil seiner Geheimnisse zu lüften. Dafür danke ich Dir sehr und wünsche Dir frohes Dichten und Werken!

LG W.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Gedicht ist rhythmisch interessant. Der Grundrhythmus ist der Jambus mit fünf Hebungen pro Zeile, wobei die Zeilen der ersten beiden Strophen mit von weiblichen Zeilen umarmten männlichen Zeilen gebildet werden.

Da war ein Wort, so unaussprechlich: Liebe!
Zäsur nach dem Komma, die Pause und die darauf folgende geschwächte Betonung von "unaussprechlich (Hauptbetonung auf erster Silbe, dadurch ist die Betonung auf "sprech" abgeschwächt und die Betonung von "Lieb(e)" verstärkt.

Bedeutungsebenen: Ein Schmetterling,
"...ebenen" wird schwach und gleichmäßig betont, hierdurch wird "Schmetter(ling)" verstärkt.

Der leise fliegt. Ein wunderbares Ding,
Ein ähnlicher Effekt: durch die schwächer betonten Silben "erbares" wird "Ding" verstärkt.

Das kribbelt, schmerzt und trauert, wilde Triebe
Die Zäsur hinter "trauert" schwächt "wilde" und verstärkt "Triebe".


Entfaltet, Haare wuschelt, einfach Pling!
"einfach" abgeschwächt, dadurch "Pling" verstärkt.

[/quote]Macht, und die Glocken läuten! Zarte Diebe[/quote]
"Macht und die" abgeschwächt, dadurch "Glocken" verstärkt.


Umgarnen Augen, rauben Schlaf! Wie Hiebe
Zerschlägt die Trennung Träume, Schäume: Sing,
Solang du es noch kannst! Ja, und umarme
Durch die Zäsur ist "Ja" verstärkt und "umarme" etwas abgeschwächt, aber nur leicht, und es wird leichter, in die Folgezeile überzugehen.
Den Liebsten, halt sie fest, die flüchtige,
durch die Zäsur hinter "Liebsten, das thematisch zur vorherigen Zeile gehört, wird "halt sie" abgeschwächt und "fest" verstärkt, der Effekt wird weiter verstärkt, weil "flüchtige" schwächer und gleichförmig betont wird,

Die süchtige, die Liebe, und erbarme
der gleiche Effekt: "...ige, die" schwach - Liebe verstärkt, "...e und er..." schwach - "...barme" verstärkt.

Dich ihrer: Selten siegt der Tüchtige!
Bedeutung transformiert: Die eine Rose
Sticht blutig zu, die andre spielt Mimose!"
"...ig zu, die" abgeschwächter Jambus, "blut" wird verstärkt.

Man sieht, dass die Rhythmik und die Betonung sehr dynamisch sind und vom Inhalt geprägt.

Es ist nicht: tatam, tatam, tatam, tatam, tatam - sondern komplexer.
 

Walther

Mitglied
Lb. Bernd,

danke für Dein ausführliches Statement, was die Rhythmik dieses etwas neuartigen Sonetts angeht. In der Tat ist dieser Text geprägt durch die Verschränkung der Sonettform mit meiner Variante des Vers libre, den ich an anderer Stelle "Dichtung auf Speed" genannt habe. Gemeint ist das Verfahren, durch den den sich quasi selbst spinnenden Ariadnefaden des Gedichts beim Leser ein Assoziationsgewitter auszulösen.

Ich werde später einmal das Experiment wagen, dieses Werk erneut anders abgesetzt unter "Ungereimtes" zu platzieren. Das Ergebnis wird sicherlich spannend sein, vermute ich heute schon.

In der Tat hast Du hervorragend herausgearbeitet, wie ich versucht habe, Form und Inhalt sich quasi verstärkend zusammenzuführen. Am besten wirkt diese Art von Lyrik sicherlich vorgetragen, weil Text und Form so ineinander passen, daß man Text und Form am Ende sich nur so vorstellen kann (das war wenigstens der Plan:)).

LG W.
 



 
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