Das Abenteuer seines Lebens

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Das Abenteuer seines Lebens​

Sorgfältig betrachtet Rolf sein Gesicht im Spiegel.

Die Haut erscheint noch glatt, ohne erkennbare tiefere Falten. Unter den Augen erkennt er dunkle Schatten. Sagen wir `mal, leichte dunkle Schatten, nicht so doll. Das kommt bestimmt von den zwei Bierchen, die er gestern Abend mit Heinz und Helmut genossen hat.

Das Haar ist noch schön dicht. Langsam fährt er sich mit der ganzen Hand von der Stirn her rückwärts durch den Haarschopf bis zum Hinterkopf, so wie es der Werbemensch im Fernsehen macht. Das Haar ist OK. Na gut, vorne rechts und links sieht man zwei U-Boot Ausbuchtungen. Aber das ist vererbet. Sein Vater hatte die gleichen, leichten Ecken. Rolf kann diesen Umstand mit den väterlichen, leichten U-Boot Ecken nachweisen. Er hat noch ein Foto von seinem Vater. Damit kann man seine Aussage eindeutig belegen. Eindeutig.

Rolf zieht nun betont ruhig sein Hemd aus und betrachtet prüfend seinen Oberkörper. Schultern, Arme, Brustraum, alles sieht normal aus. Als kritischer Betrachter findet er sich weder zu dick noch zu dünn. Na gut, die Oberarme könnten schon ein bisschen kräftiger sein. Aber das kann man mit drei, vier Wochen Krafttraining schon hinkriegen. Der Bauch ist mittelstark geformt. Kein hard body, kein Schwammbauch. Eben mittelstark geformt. Geformt ist ein guter Ausdruck, denkt Rolf bei sich. Den Ausdruck merkt er sich für das Gespräch.

Jetzt zieht er sein Oberhemd wieder an und geht ruhig vom Bad ins Bürozimmer. Zuerst betrachtet er seine fachlichen Unterlagen. Uni Diplom, Einstellungsvertrag bei der Elektronikfirma, dazu zwei Auszeichnungen, eine für eine Erfindung, und eine für Verbesserungen im Testablauf. Das sind kleinere Sachen, aber immerhin, kleine Dinge können so wertvoll sein, besonders, wenn Menschen auf sich allein gestellt sind. Die Unterlagen sind sauber in einer Reihe angeordnet.
Darunter hat er das Heiligste seiner Heiligtümer liebevoll ausgebreitet. Die ärztlichen Gutachten, alle sind aktuell. Der Hausarzt, der HNO-Spezialist, der Facharzt für innere Medizin, alle bescheinigen dem Aspiranten eine gute Gesundheit ohne nennenswerte Einschränkungen. Über die nicht nennenswerten Einschränkungen denkt ein starker Mensch nicht nach, nach der Devise: Nebensächliches ausblenden. Pflege deinen Stärken, jawoll.

Die nächste Station ist das Wohnzimmer. Rolf setzt sich betont aufrecht auf das Sofa und betrachtet die Unterlagen auf dem Couchtisch vor sich. Er prüft noch einmal, ob er tatsächlich aufrecht sitzt, und dann holt er tief Luft. Jetzt ist die Zeit zur Entscheidung reif. Hier sitzt ein Mann in seinen besten Jahren, 32 Jahre alt - und geschieden. Also gibt es da keine Ehefrau mit und ohne Kind, die er weinend zurück lassen würde. Moni ist gut versorgt, und Hansi wird jetzt sechs. Der kommt schon im Leben zurecht. Der Hansi kommt ganz auf den Vater. Und die finanzielle Versorgung der beiden ist in trockenen Tüchern. Rolf hinterlässt keine Schulden.

Entschlossen greift er zu den Unterlagen auf dem Tisch. „Nein, noch nicht zugreifen!“, warnt ihn seine innerer Stimme. Rolf bemerkt, wie seine Hand leicht zittert. Er atmet tief ein, hält die Luft kurz an, und atmet dann bewusst und langsam wieder aus. Noch einmal! Einatmen, Atem anhalten, langsam ausatmen.

So, jetzt ist er bereit. Mars One, eine europäische Organisation, sucht 40 Astronauten für eine Reise zum Planeten Mars im Jahre 2023. Die Weltraumpioniere sollen die erste Kolonie auf dem Planeten Mars einrichten. Es ist eine Reise ohne Wiederkehr. Und es ist ein Abenteuer ohne Vergleich.
Hier sitzt ein Pionier, und dies ist das Abenteuer seines Lebens. Konzentriert beginnt Rolf, das Bewerbungsformular auszufüllen. Seine Augen glänzen.
 

nanja

Mitglied
Hallo Rhondaly DaCosta,

hab gerade deine Kurzgeschichte gelesen. Ein paar typographische Fehler sind mir aufgefallen:

- pflege deinen Stärken
- innere Medizin (eher: Innere Medizin)
- innerer Stimme

und auch ein paar Formulierungen klangen seltsam für mich:

- Ehefrau mit und ohne Kinder - dann hat er aber doch Kinder (halt aber vermutlich nicht von einer Ehefrau), hört sich aber irgendwie seltsam an
- europäische Organisation: die Art der Organisation sollte spezieller erwähnt werden, finde ich
- der Planet Mars wird zweimal in dieser Doppelung in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen erwähnt
- kommt auf den Vater: das hört sich vielleicht nur für mich seltsam an, denn ich bin Österreicherin, bei uns würde man jedenfalls sagen: kommt nach dem Vater, aber das kann ja in anderen Sprachräumen ganz anders sein...
- über das "mittelstark geformt" bin ich zuerst gestolpert, aber das hast du dann ja selbst thematisiert und weiter ausgebaut, also passt's dann auch irgendwie...

So und nun weg von den Kleinigkeiten: Gut hat mir gefallen, wie du dir Zeit nimmst, diesen Mann anhand seiner Äußerlichkeiten ausführlich zu beschreiben und so in Interaktion mit seinem innerlichen Monolog auch seine Persönlichkeit mehr und mehr ausbaust - man kann Einiges über diesen Rolf erahnen, auch wenn letztlich nur eine sehr kurze Szene beschrieben wird. Außerdem finde ich die Fragestellung spannend: Was beschäftigt einen wohl, wenn man mit dem Gedanken spielt, sich auf eine derartige Mission zu begeben? Wie muss man gestrickt sein? Da wäre auch eine tiefergehende Charakterstudie noch möglich - zum Beispiel die abenteuerlustigen Elemente in Rolf mehr zur Sprache kommen zu lassen - die er ja für sein Vorhaben zweifelsohne braucht!

Alles in allem war der Text durchaus spannend und klar aufgebaut. Die beiden Abschlusssätze finde ich allerdings noch nicht prägnant genug, ohne dass ich sagen könnte, warum genau.... Das ist schade, weil es dann den Leseeindruck zum Schluss noch etwas trübt.
 
Hallo nanja,

ich danke dir fürs Lesen, und ich freue mich über deinen ausführlichen Kommentar.
Die typographischen Fehler habe ich ausgeräumt. Über deine Vorschläge denke ich nach.

Liebe Grüße. Rhondaly.
 
Das Abenteuer seines Lebens​

Sorgfältig betrachtet Rolf sein Gesicht im Spiegel.

Die Haut erscheint noch glatt, ohne erkennbare tiefere Falten. Unter den Augen erkennt er dunkle Schatten. Sagen wir `mal, leichte dunkle Schatten, nicht so doll. Das kommt bestimmt von den zwei Bierchen, die er gestern Abend mit Heinz und Helmut genossen hat.

Das Haar ist noch schön dicht. Langsam fährt er sich mit der ganzen Hand von der Stirn her rückwärts durch den Haarschopf bis zum Hinterkopf, so wie es der Werbemensch im Fernsehen macht. Das Haar ist OK. Na gut, vorne rechts und links sieht man zwei U-Boot Ausbuchtungen. Aber das ist vererbet. Sein Vater hatte die gleichen, leichten Ecken. Rolf kann diesen Umstand mit den väterlichen, leichten U-Boot Ecken nachweisen. Er hat noch ein Foto von seinem Vater. Damit kann man seine Aussage eindeutig belegen. Eindeutig.

Rolf zieht nun betont ruhig sein Hemd aus und betrachtet prüfend seinen Oberkörper. Schultern, Arme, Brustraum, alles sieht normal aus. Als kritischer Betrachter findet er sich weder zu dick noch zu dünn. Na gut, die Oberarme könnten schon ein bisschen kräftiger sein. Aber das kann man mit drei, vier Wochen Krafttraining schon hinkriegen. Der Bauch ist mittelstark geformt. Kein hard body, kein Schwammbauch. Eben mittelstark geformt. Geformt ist ein guter Ausdruck, denkt Rolf bei sich. Den Ausdruck merkt er sich für das Gespräch.

Jetzt zieht er sein Oberhemd wieder an und geht ruhig vom Bad ins Bürozimmer. Zuerst betrachtet er seine fachlichen Unterlagen. Uni Diplom, Einstellungsvertrag bei der Elektronikfirma, dazu zwei Auszeichnungen, eine für eine Erfindung, und eine für Verbesserungen im Testablauf. Das sind kleinere Sachen, aber immerhin, kleine Dinge können so wertvoll sein, besonders, wenn Menschen auf sich allein gestellt sind. Die Unterlagen sind sauber in einer Reihe angeordnet.
Darunter hat er das Heiligste seiner Heiligtümer liebevoll ausgebreitet. Die ärztlichen Gutachten, alle sind aktuell. Der Hausarzt, der HNO-Spezialist, der Facharzt für Innere Medizin, alle bescheinigen dem Aspiranten eine gute Gesundheit ohne nennenswerte Einschränkungen. Über die nicht nennenswerten Einschränkungen denkt ein starker Mensch nicht nach, nach der Devise: Nebensächliches ausblenden. Pflege deine Stärken, jawoll.

Die nächste Station ist das Wohnzimmer. Rolf setzt sich betont aufrecht auf das Sofa und betrachtet die Unterlagen auf dem Couchtisch vor sich. Er prüft noch einmal, ob er tatsächlich aufrecht sitzt, und dann holt er tief Luft. Jetzt ist die Zeit zur Entscheidung reif. Hier sitzt ein Mann in seinen besten Jahren, 32 Jahre alt - und geschieden. Also gibt es da keine Ehefrau mit und ohne Kind, die er weinend zurück lassen würde. Moni ist gut versorgt, und Hansi wird jetzt sechs. Der kommt schon im Leben zurecht. Der Hansi kommt ganz auf den Vater. Und die finanzielle Versorgung der beiden ist in trockenen Tüchern. Rolf hinterlässt keine Schulden.

Entschlossen greift er zu den Unterlagen auf dem Tisch. „Nein, noch nicht zugreifen!“, warnt ihn seine innere Stimme. Rolf bemerkt, wie seine Hand leicht zittert. Er atmet tief ein, hält die Luft kurz an, und atmet dann bewusst und langsam wieder aus. Noch einmal! Einatmen, Atem anhalten, langsam ausatmen.

So, jetzt ist er bereit. Mars One, eine europäische Organisation, sucht 40 Astronauten für eine Reise zum Planeten Mars im Jahre 2023. Die Weltraumpioniere sollen die erste Kolonie auf dem Planeten Mars einrichten. Es ist eine Reise ohne Wiederkehr. Und es ist ein Abenteuer ohne Vergleich.
Hier sitzt ein Pionier, und dies ist das Abenteuer seines Lebens. Konzentriert beginnt Rolf, das Bewerbungsformular auszufüllen. Seine Augen glänzen.
 

Andraika

Mitglied
Ich fand den Text auch gut, ich habe am Ende aber einen stärkeren Knaller erwartet. Irgendwie habe ich die ganze Zeit gedacht, der würde sich umbringen wollen. Klar ist so eine Mars-Mission was Großes, aber von der Art wie du es formulierst und in den Text einbaust wirkt das Ende nicht groß genug für den wahnsinnig guten Rest.
 
Hallo Andraika,

ich danke dir fürs Lesen und für deinen Kommentar.

Beim Schreiben habe ich auch erst gedacht, ich könnte das Ende mit mehr Effekt gestalten. Dann habe ich den Text gefühlsmäßig so belassen, wie er jetzt ist.
Nachträglich bin ich zufrieden, dass ich zum Schluß keinen Knalleffekt gesetzt habe. Der eher verhaltene Ausklang gefällt mir jetzt von der Stimmung her besser.
Möglicherweise sucht man für die Marsstation mehr den Typ von Pionier, der ruhig und besonnen seinen Aufgaben nachgeht, so wie Rolf sich bei der Vorbereitung seiner Bewerbung verhält.

Also, ich danke dir, und ich wünsche dir mit deinen Werken viel Freude.

Liebe Grüße. Rhondaly.
 



 
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