Er war weg. Er war verreist. Mit einer Zärtlichkeit, die weh tat, betrachtete sie die Fotografie ihres Mannes, die auf der Anrichte stand. Er ist auf eine lange Reise gegangen, dachte sie. Irgendwann würde sie ihm folgen.
Der Schmerz um ihn verließ sie nicht, wo sie auch ging und stand. Er hatte sie zurück gelassen. Nach über vierzig Jahren zurück gelassen. Sicher, sie war darauf vorbereitet gewesen. Man kann nicht immer, wie man möchte. Als es soweit war, hatte sie die Tochter benachrichtigt, seine Sachen gepackt und den Wagen bestellt. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man eine Reise, einen Abschied, vorbereitet und überall mit anfasst oder ob man alleine zurück bleibt. Das ist das Schlimmste: alleine zurück bleiben. Ein letzter Kuss, ein Händedruck, und dann musste sie sich umdrehen und war alleine. Ganz alleine. Zum ersten Mal seit über vierzig Jahren.
Daran musste sie sich nun gewöhnen. Manchmal kam ihre Tochter oder eine Nachbarin. Sie sprachen mit ihr und nötigten sie, etwas zu tun, damit sie die Einsamkeit nicht so spürte. Sie sollte essen, spazieren gehen, schlafen. Sie ließ sie gewähren, lächelte freundlich und sagte immer, sie komme schon zurecht. Sie sollten sich nur keine Umstände machen.
Einmal war die Tochter mit ihr einkaufen. Sie sollte ein neues Kleid bekommen. Tatsächlich kaufte sie sich eines. Es war ein wunderschönes Kleid, aus leichtem Baumwollstoff, in fröhlichem Türkis, mit großen weißen Blüten darauf. Die Tochter hatte abgeraten: "Das ist zu jugendlich, Mutter, das trägst du ja doch nicht." Aber sie hatte es gekauft. Ihm würde es gefallen.
Und an seinem Geburtstag trug sie es dann. Warum nur wollte die Tochter unbedingt mit ihr zum Friedhof fahren an diesem Tag? Warum sagte das Kind "Vater" zu diesem grauen Stein mit dem Blumenbeet davor?
"Das ist doch nicht Vater!", sagte sie empört. "Vater ist verreist, nicht tot!" Zu ihrem Erstaunen las sie Trauer und Resignation in den Augen der Tochter.
Und wieder die leere Wohnung. Das riesige Ehebett, sein Bett. Der Schmerz krampfte ihr die Brust zusammen. Er hatte heute Geburtstag. Er war für sehr lange Zeit verreist.
Keuchend sank sie in den Sessel, ein Stechen in der Brust. Sie müsste jetzt ihre Herztropfen einnehmen. Das Bildnis auf der Anrichte zeigte ihren Mann, wie er vor ein paar Jahren sommers auf dem Balkon gesessen hatte. Es war eine glückliche Zeit gewesen. Man sah es ihm an. Er blinzelte in die Sonne. Oder blinzelte er ihr zu?
Auf einmal wurde ihr warm und leicht zumute. Er lächelte sie an, und plötzlich war sie froh. Nun würde sie ihm folgen.
Der Schmerz um ihn verließ sie nicht, wo sie auch ging und stand. Er hatte sie zurück gelassen. Nach über vierzig Jahren zurück gelassen. Sicher, sie war darauf vorbereitet gewesen. Man kann nicht immer, wie man möchte. Als es soweit war, hatte sie die Tochter benachrichtigt, seine Sachen gepackt und den Wagen bestellt. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man eine Reise, einen Abschied, vorbereitet und überall mit anfasst oder ob man alleine zurück bleibt. Das ist das Schlimmste: alleine zurück bleiben. Ein letzter Kuss, ein Händedruck, und dann musste sie sich umdrehen und war alleine. Ganz alleine. Zum ersten Mal seit über vierzig Jahren.
Daran musste sie sich nun gewöhnen. Manchmal kam ihre Tochter oder eine Nachbarin. Sie sprachen mit ihr und nötigten sie, etwas zu tun, damit sie die Einsamkeit nicht so spürte. Sie sollte essen, spazieren gehen, schlafen. Sie ließ sie gewähren, lächelte freundlich und sagte immer, sie komme schon zurecht. Sie sollten sich nur keine Umstände machen.
Einmal war die Tochter mit ihr einkaufen. Sie sollte ein neues Kleid bekommen. Tatsächlich kaufte sie sich eines. Es war ein wunderschönes Kleid, aus leichtem Baumwollstoff, in fröhlichem Türkis, mit großen weißen Blüten darauf. Die Tochter hatte abgeraten: "Das ist zu jugendlich, Mutter, das trägst du ja doch nicht." Aber sie hatte es gekauft. Ihm würde es gefallen.
Und an seinem Geburtstag trug sie es dann. Warum nur wollte die Tochter unbedingt mit ihr zum Friedhof fahren an diesem Tag? Warum sagte das Kind "Vater" zu diesem grauen Stein mit dem Blumenbeet davor?
"Das ist doch nicht Vater!", sagte sie empört. "Vater ist verreist, nicht tot!" Zu ihrem Erstaunen las sie Trauer und Resignation in den Augen der Tochter.
Und wieder die leere Wohnung. Das riesige Ehebett, sein Bett. Der Schmerz krampfte ihr die Brust zusammen. Er hatte heute Geburtstag. Er war für sehr lange Zeit verreist.
Keuchend sank sie in den Sessel, ein Stechen in der Brust. Sie müsste jetzt ihre Herztropfen einnehmen. Das Bildnis auf der Anrichte zeigte ihren Mann, wie er vor ein paar Jahren sommers auf dem Balkon gesessen hatte. Es war eine glückliche Zeit gewesen. Man sah es ihm an. Er blinzelte in die Sonne. Oder blinzelte er ihr zu?
Auf einmal wurde ihr warm und leicht zumute. Er lächelte sie an, und plötzlich war sie froh. Nun würde sie ihm folgen.