Das Buch

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tomtom

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Die Nacht von Donnerstag auf Freitag. Das Augustschlafzimmer war aufgeheizt. Ich lag verschwitzt in meinem Bett, rote Digitalziffern zeigten 01:12. Ich konnte nicht einschlafen. Am liebsten wäre ich mitten auf dem Meer gewesen, auf einer Luftmatratze, umgeben vom kühlenden Wasser, tausende Kilometer von Köln entfernt, weg von all dem. Gedanken quälten mich nach dem Zwei-Stunden-Telefonat mit Iris, dem klärenden Gespräch, dass so viele Fragen offen ließ.

Irgendetwas war anders seit dem letzten Wochenende, dass wir bei ihr verbracht hatten, zusammen mit Verena und David. Am Samstag waren wir mit ihnen im Freibad gewesen, Iris’ Freundin Anja war auch dabei, mit ihrem Zweijährigen. Ich lag etwas distanziert auf meinem Badetuch, las in meinem Roman, ging alleine schwimmen, alberte nicht – wie sonst oft – mit David herum. Etwas stand zwischen ihnen und mir. Vielleicht lag es auch an Anja, ich mochte sie nicht besonders, in ihrer perfekten, oberflächlichen Art.
Ich freute mich, als David plötzlich neben mir stand und seine kleine Hand mir ein Weingummi gab. Zuneigung.
Wir hatten eigentlich keinen Sex an diesen drei Abenden, ich quengelte, also befriedigte sie mich am Samstagabend auf ihrem Sofa beim Fernsehen mit der Hand. Die Kleinen schliefen schon. Lustlos war es, kalt, Egoismus meinerseits, ich genoss es nicht.
Es ist zu heiß, um Sex zu haben, sagte sie.

Ich fühlte mich irgendwie ausgegrenzt an diesem Wochenende, es waren eigentlich nur Kleinigkeiten; sie fragte die Kinder im Freibad, ob sie etwas zu trinken wollten, mich nicht. Am Sonntagabend gab es Pommes von der Frittenbude, sie schmeckten nicht und sie salzte sie nach, bei den Kindern und bei sich. Ich sah sie an.
„Und ich?“, sagte ich.
„Entschuldigung, war nicht böse gemeint, ich dachte, du streust dir selber was drüber, ich weiß ja nicht..., wegen der Dosierung.“
Ich nahm es ihr nicht ab. Ich dachte nur noch, wie gedankenlos sie sein konnte.
Andererseits hatte ich sie in den drei Tagen ein paar mal rüde kritisiert, nicht als Reaktion auf ihr Verhalten, es kam aus mir, spontan. Ein Ventil ging einfach auf.
„Fahr nicht so hart den Bordstein hoch, der Reifen geht kaputt“, fuhr ich sie an, als sie am Samstag nach dem Freibad ihren Uno auf dem Gehsteig vor Anjas Wohnung parken wollte. Wir aßen auf ihrem Balkon noch zu Abend. Das war neu, wir hatten uns in sechs Monaten noch nie ernsthaft gestritten, und überrascht fragte sie, warum ich sie denn so angreifen würde. Ich wunderte mich über mich selber.
Vielleicht lag es an der unerträglichen Hitze, vielleicht waren wir deswegen gereizt. Wir redeten kaum an diesem Wochenende. Aber als ich am Montag morgen ihre Wohnung Richtung Büro verließ, spürte ich, dass sich etwas verändert hatte.

Ich sah merkwürdige Bilder, ein Gesicht, dass ich nicht kannte, skurrile Träume verselbstständigten sich, ich merkte, dass ich einschlief. Endlich.
Radio Köln weckte mich kurze vier Stunden später, aber es fiel mir noch nicht mal schwer aufzustehen. Freitag, nur fünf Stunden arbeiten.
Im Büro war ich durch den Schlafmangel und durch die Ereignisse der letzten Tage etwas aufgekratzt. Fast war ich geneigt, in einer Zigarettenpause einem Arbeitskollegen über meinen Seelenzustand zu erzählen. Aber ich bekam noch gerade so die Kurve und verkniff mir meinen Mitteilungsdrang. Solche Gespräche sollte man im Kollegenkreis vermeiden, es bringt nichts, außer vielleicht ein oder zwei Sätze gespieltes Verständnis, wenn überhaupt. Liebeskranker Idiot, würden sie wahrscheinlich denken, die Männer zumindest.

Nach der Arbeit fuhr ich mit der Bahn in die Innenstadt, stieg am Neumarkt aus und ging in die Meyersche Buchhandlung. Ich wollte mir Kurzgeschichten von Haruki Murakami kaufen.
Immer wenn ich in der Meyerschen Buchhandlung bin und Probleme mit Frauen habe, führt mein Weg mich als erstes in die Geschenkbuchabteilung im Erdgeschoss. So auch an diesem Freitagmittag. Dort gibt es ein dickes, schwarzes Buch, es sieht so aus wie eine Bibel. Das Buch der Antworten. Ich bin abergläubisch. Etwas. Ich fand es, nahm es in meine Hände, schloss meine Augen, konzentrierte mich und strich mit meinem Daumen leicht über die Seiten. Sollte ich mich von Iris trennen, fragte ich, und klappte das Buch auf: Ändere Deine Sichtweise. Hm, irgendwie passen die Antworten immer, dachte ich. Nun gut, vielleicht sollte ich es versuchen.
Schließlich fuhr ich mit der Rolltreppe in den ersten Stock, ging auf eine Angestellte zu und fragte nach Murakami. Sie musste nicht in ihrer Datenbank suchen, sofort ging sie auf ein Regal zu. Ich folgte ihr. Ein ganzes Fach nur Murakami. Ich nahm Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah und blätterte darin. Es waren sehr kurze Kurzgeschichten, die erste war nur sechs Seiten lang. Ich ging an die Kasse und bezahlte. Auf der Rolltreppe nach unten blätterte ich noch ein wenig durch das Buch. Plötzlich fiel mir noch eine Frage ein. Ich ging noch einmal zum Buch der Antworten.
Wird Iris sich von mir trennen, fragte ich, und schlug das Buch auf:
Handle so, als sei es bereits geschehen. So so..., das tue ich bereits, dachte ich.


Ich lernte Iris auf einer Flirtseite im Internet kennen. Sie war nicht die erste Frau, die ich auf diese Art kennengelernt hatte. Vor Jahren hatte ich damit angefangen und das hatte folgenden Grund: Ich wollte damals gezielt auf eine ganz spezielle Art von Frauen treffen: Frauen, die im Sternzeichen Skorpion geboren sind. Also war in dieser Zeit in meinem Flirtprofil immer zu lesen: Hübsche Skorpionin gesucht, oder so etwas in der Richtung.

Eine Art Experiment, ein Versuch, denn: Skorpione sollen gut zu Fischen passen, so steht es in einem Astrologiebuch, das ich irgendwann einmal zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, wahrscheinlich von meinen Eltern.
Ich weiß nicht mehr, wie ich an diesem heiligen Abend reagiert hatte, als ich das Geschenk auspackte. Bestimmt hatte ich gesagt: Schön, so ein Buch wollte ich mir immer schon mal kaufen, danke. Oder so etwas in der Art. Ich weiß auch nicht mehr, in welcher Ecke meiner Wohnung das Buch verschwunden war, als ich von Weihnachten bei meinen Eltern wieder zurück in meine Wohnung kehrte.
Jedenfalls, vielleicht zwei Jahre später, an einem langweiligen, grauen Novembersonntagnachmittag, sah ich es, und mir musste damals wohl ziemlich langweilig gewesen sein, denn ich nahm es und machte es mir damit auf meinem Sofa gemütlich. Wahrscheinlich dachte ich damals: So, dann wollen wir mal sehen, wie die Fische so sind, und ich sah im Inhaltsverzeichnis nach, auf welcher Seite die Wesensbeschreibung der Fische begann.
Meine neu gewonnenen Erkenntnisse waren ernüchternd. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was ich damals dachte, aber ich weiß noch, ich las, dass Helden nicht gerade in diesem Zeichen geboren sind. Zu weich, zu zögerlich, zu sensibel, zu mitfühlend. Aber ich weiß auch noch, es gab eine zweite Chance für mich, denn, so mein Buch: Fast genau so wichtig wie das Sternzeichen ist der Aszendent. Um ihn auszurechnen, musste allerdings der exakte Geburtszeitpunkt bekannt sein.
Also rief ich meine Mutter an und fragte sie, um welche Uhrzeit ich geboren wurde. Wahrscheinlich sagte sie: Mein lieber Junge. In ungefähr vier Monaten, vor..., lass mich rechnen ..., dreiunddreißig Jahren, es war an einem wunderschönen Märztag, da kamen plötzlich um elf Uhr morgens die Wehen, und ich sagte zu Papa, lass uns schnell ins Krankenhaus fahren, ich glaube, es ist so weit. (sie konnte auch dreißig oder neunundzwanzig gesagt haben, denn ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann alles begann)
Vermutlich sagte ich darauf: Aha, und wann war es denn dann genau so weit?
Um Punkt zwölf Uhr Mittag, ich weiß noch, dass die Glocken der Kirche neben dem Krankenhaus läuteten. Ganz klein warst du, und nachdem du ein wenig geschrieen hattest, lagst du ganz ruhig auf meinem Bauch. Du warst ein ganz liebes Baby, auch später noch, als Kind, du warst eigentlich immer ganz lieb. Ein ganz sensibles auch, als du drei Monate alt warst, hattest du Neurodermitis.
Ein liebes, sensibles Kind mit Neurodermitis?, dachte ich damals wahrscheinlich, und ich fragte meine Mutter, ob ich auch irgendwie zögerlich als Kind war.
Ja, sagte sie, zögerlich und auch sehr vorsichtig.
Ich musste damals glaube ich schlucken, als ich dies hörte. Wahrscheinlich dachte ich: Nicht, dass an dem Sternzeichenkram doch was dran ist. Na ja, selbst wenn, mein Aszendent kann mich bestimmt noch heraus reißen, versuchte ich mir damals gut zuzureden.
Ich verabschiedete mich von meiner Mutter und widmete mich den Tabellen im Anhang meines Astrologiebuches. Nachdem ich - weiß der Kuckuck wo - den Breitengrad des Ortes am Niederrhein ermittelt hatte, in dem ich geboren war, und ich mit dem Zeigefinger über die Zeilen und Spalten fuhr, kam ich der Wahrheit langsam näher:
Krebs. Mir schwante nichts Gutes. Ich kannte mich mit solchen Dingen nicht aus, aber ich wusste, dass es im Tierkreis auch so etwas wie Löwen, Stiere oder Schützen gab.
Was ich dann im Kapitel über Krebse lesen musste, ernüchterte mich ein zweites Mal an diesem grauen Novembersonntagnachmittag:
Wie auch die Fische und die Skorpione, gehören die Krebse zur Familie der Wasserzeichen, die Welt der Gefühle. Der Krebsmann: Leider verträgt er, der ein weibliches Zeichen ist, sich nicht gut mit der männlichen Psyche.
Ich blickte auf und starrte an die Decke. Ich grübelte. Wenn ich über mich nachdachte, war mir irgendwie so, als ob das Ganze nicht so einfach von der Hand zu weisen war. Ich dachte, kann sein, dass was dran ist. Mist.
Aber ich weiß noch, dass ich schon eine Stunde später nicht mehr darüber nachdachte, wahrscheinlich sah ich eine Sonntagsnachmittagstierdokumentation und nickte darüber ein.
Aber es ist so, dass ich in den darauf folgenden Jahren bei jedem neuen Kennenlernen mein Astrologiebuch aus meinem Bücherregal fischte, um zu erfahren wie sie denn so sein könnte.
 
K

Kasoma

Gast
Hi,Tomtom,

interessanten Charakter hast du da erfunden (ich hoffe für dich, er ist tatsächlich nur erfunden!?)
Ein Mann, der sich zurückgesetzt fühlt, weil die Liebste ihm nicht die Pommes salzt, das ist schon extrem und würde mich zu einem Anfall von Jähzorn verleiten, machte mir ein Mann deswegen Vorwürfe...klar, ich bin eine Widder-Frau, die rasten bei sowas völlig aus!!!

Nein, im Ernst, mir hat es gefallen, obwohl die Szene mit dem Jungen im Freibad und die Sexszene im Anschluß, ne, da ist der Übergang zu abrupt, das haut so nicht hin, guck noch mal nach!?
Ansonsten ist der Stil sehr tagebuchtypisch, gerade das fand ich hier sehr passend...gut gemacht...

Lieber Gruß von Kasoma
 



 
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