Das Burgopfer

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Lutz LEOPOLD

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Ich erkläre dass die folgenden Orte, Personen und Geschehnisse frei erfunden sind. Natürlich könnte es sich irgendwo, irgendwie und irgendwann ähnlich zugetragen haben.

Im 13. Jhd. zieht Heinrich von Kaming, ein Enkel Armins von Kaneck von der Donau, mehr unfreiwillig mit seinem Weib, nach Norden in die Veste Hettig ein. Seine Frau Marlies, verwöhnte Tochter eines Herzogs, ist der eigentliche Grund weshalb ihn seine Familie an die Grenze abschiebt. Sie ist ehrgeizig, herrisch und streitsüchtig.
Prompt kreischt sie, kaum dass sie durchs Burgtor kommen, auf: „Oh, das ist ja ein fürchterlicher Saustall.“
„Meine Liebste, die Veste war länger ohne Herrn. Wir werden es uns schnell wohnlich machen.“
Das vom Burgvogt Fridolin den Frauen zugewiesene Holzhaus empört Marlies noch mehr. „Was glaubt er, dass ich in dieser wurmstichigen Behausung wohnen werde?“
Marlies zieht sich mit ihren Frauen in den gemauerten Turm zurück.
Fridolin zuckt mit den Achseln und denkt: „Na mit der edlen Dame wird’s noch einiges geben.“
Die Probleme lassen nicht lange auf sich warten. Nur für Marlies gibt es im Turm eine abgeschlossene Kammer. Ihre vier Damen sind im großen Raum untergebracht, durch den jedes Mal die Wachablöse auf dem Turm durchgehen muss. Das löst laufend Gekreische und Gezänk aus. Immer öfter muss sich Heinrich damit auseinander setzen.
Schließlich beschließt er: „An der Südpforte werde ich die Festungsmauer verstärken und einen Steinbau anschließen. Da hast du meine Liebe mit den Damen Platz genug.“
„An die Festungsmauer angebaut, wie ein Schwalbennest. Mein Gemahl dass dir nichts Besseres einfällt.“
Fridolin ist mit Heinrich auf der Jagd und zeigt ihm den breiten Felsen der sich hoch über der Schlucht des Hettigbaches erhebt. „Warum planst du nicht eine komplett neue bequemere Burg.“
„Du bist genau so verrückt wie mein Weib. Die Herrschaft wirft nicht genug ab um einen großen Bau zu finanzieren.“
„Die Hettig ist wirklich nur ein notdürftig befestigter Ort. Eng und veraltet. Ich habe in Romberg einen Baumeister getroffen der plant dir ein ordentliches Herrenhaus.“
„Aber die Kosten und der Arbeitsaufwand?“
„Die Bauern der vier Ortschaften sollen endlich ihren Beitrag zur Herrschaft leisten.“
Als Marlies der Bauwunsch unterbreitet wird jubelt sie auf: „Mein Gemahl endlich hast du begriffen was nottut. Aus Romberg fehlt noch der Zehent und der Ettenauer muss dir auch noch Geld geben.“
„Hm“, ganz überzeugt ist Heinrich nicht, doch bald gibt er dem Drängen seiner Frau nach.

Der wesentlich größere Platz auf dem Felsen erlaubt Heinrich, gemeinsam mit dem Meister aus Romberg den Fridolin holen ließ, auch großzügig zu planen. Fridolin erhöht den Druck auf die leibeigenen Bauern damit sie mehr Frondienst leisten. Auch die Familie Heinrichs ist bereit ihm einen ordentlichen Batzen zu geben. Der Neubau drei Kilometer bachabwärts näher am großen Fluss geht deshalb rasch voran.

Marlies reitet mit Kunigunde einer ihrer Damen in die Ortschaft Merzensdorf. Am Ortseingang steht in ihren zerlumpten Kleidern Klara die Dorfhexe am Straßenrand. In sicherer Entfernung, mehr dem Ort zu, lungern drei Buben die höhnisch mit den Fingern auf die alte Frau zeigen und „Hexe, Hexe wirst bald brennen“, schreien.
Marlies hebt hoheitsvoll ihr Haupt und ruft Klara zu: „Aus dem Weg Alte.“
„Halte ein hohe Frau. Es geht um das Wohlergehen der neuen Burg und eures Geschlechts.“
„Was geht das dich an?“ Marlies hat unwillkürlich ihr Pferd angehalten und blickt ungehalten zu der Frau hinunter.
„Es ist alter Brauch. Den Geistern muss ein Opfer gebracht werden, damit die Burg auch uneinnehmbar wird.“
„Opfer? Was für ein Opfer?“, die Neugierde lässt Marlies verweilen.
„Ein frisch geborenes Kind, am besten ein Bube, im Torbogen eingemauert sichert vor Feinden und bösen Geistern.“
„Du bist ja verrückt. Eine Hexe!“, schreit Marlies empört und gibt ihrem Pferd die Sporen.
Kunigunde eine, obwohl sie zwei Jahre bei den Zisterziensern lernte, abergläubische junge Frau meint später als sie mit ihrer Herrin zur Burg zurückkommt: „Alle Burgherren tun es. Der Großegger tat es sicher auch, deshalb hielt seine Burg dem letzten Raubzug der Böhmen stand.“
„Du glaubst wirklich?“, Marlies ist zwar nicht abergläubisch, doch trotzdem ein Kind ihrer Zeit. „Woher soll das frisch geborene Kind kommen? Wer gibt sein Kind her?“
„Sprecht Ihr mit eurem Gemahl. Ich spreche mit der Alten. Die Hexe hilft uns sicher.“
Marlies spricht mit Heinrich ihren Mann. „Hast du schon an das Burgopfer gedacht? Unser neues Heim sollten wir doch standesgemäß schützen.“
Heinrich schaut nur verblüfft, „was meinst du?“
„Alle großen Burgen haben ein eingemauertes Kind im Torbogen. Wir sollten es auch tun.“
Heinrich, dem die Launen seiner Frau schon länger auf die Nerven gehen, reicht es diesmal. „Du bist verrückt! Wir bekommen den Segen der Kirche. Der Abt der Romberger Dominikaner weiht unsere Burgkapelle und segnet die Burg sobald wir die Mauern hochgezogen haben.“
Der Abt weiht in Vertretung des Passauer Bischofs die Kirchen. Dass er sich bereit erklärte die kleine Burgkapelle persönlich zu weihen ist für Heinrich eine besondere Ehre.
„Ohne das Burgopfer kann es auch passieren, dass die Burg nicht fertig wird. Schau dir unsere derzeitige Veste an. Die ist auch nie fertig geworden.“
„Ich diskutiere mit dir nicht länger. Du wolltest den Neubau und den bekommst du. Der Bau geht zügig voran.“

Zwei Tage später stürzt ein Teil der Mauer ab. Das Mauerwerk am Felsenrand wurde nicht richtig verankert. Drei Bauern kommen zu Tode. Der Tod der Bauern berührt Heinrich kaum, doch dass sich der Bau um einen Monat verzögert macht ihn wütend. Als am folgenden Morgen auch noch ein herunterfallender Stein den Meister aus Romberg erschlägt und niemand den Bau weiterführen kann verzweifelt Heinrich.
Für Marlies sind die Vorfälle Wasser auf ihren Mühlen. „Ich habe dich gewarnt. Einen guten Maurer oder gar Baumeister zu finden ist schwer. Das Burgopfer hätte dich davor bewahrt.“
„Schluss! Ich reite mit Fridolin nach Romberg um den Abt um Gottes Hilfe zu bitten.“
„Ja krieche nur dem Pfaffen unter die Kutte“, höhnt Marlies. „Helfen wird er dir nicht.“

Am nächsten Morgen auf der Baustelle stellt Heinrich fest wie unbeholfen die wenigen Handwerker und die Bauern sind. Er reitet deshalb unverzüglich mit Fridolin nach Romberg ins Kloster.
„Hochwürden ihr müsst mir helfen und den Fluch der auf meinem Bau lastet mit Christi Hilfe vertreiben.“
„Mein Sohn, es gab einen Unfall, sowas geschieht auf allen Burgen und auch auf den Baustellen der Kirche. Such einen neuen Baumeister und beruhige dich.“
„Aber es besteht ein Fluch. Einige Leute meinen es fehlt das Burgopfer.“
„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, entsetzt bekreuzigt sich der Abt. „An solchen Aberglauben darfst du nicht einmal denken.“
„Dann kommt und segnet meine Burg“, bestimmt Heinrich.
„Ich komme wie vereinbart und es üblich ist. Sobald die Burgkapelle fertig ist werde ich den Bau einweihen.“
„Aber das dauert. Wir bauen gerade die Südmauer.“
„Das ist eben dein Fehler. Mach die Kapelle fertig, gib ihr ein Dach und ich komme.“ Der Abt dreht sich von Heinrich ab.

Heinrich begreift. Der Abt will ihm nicht helfen. Nachdenklich reitet er mit seinem Gefolgsmann heim.
Marlies merkt an dem verschlossenen Gesicht ihres Gatten dass er keinen Erfolg hatte und höhnt. „Was habe ich dir Prophezeit. Der Abt kann dir nicht helfen. Aber ich habe eine erfreuliche Nachricht für dich: Ein erfahrener Maurer sucht einen Auftrag.“
Heinrichs Miene hellt sich auf. „Ja, wer? Wo ist er?“
„In Oberhöflein, dort hat er gerade den Gutshof fertig gestellt. Ich habe Josef losgeschickt um ihn herzubitten.“
„Das hast du gut gemacht, Weib.“

Meister Hans von Höflein, wie sich der aufgeblasene Wicht nennt, übernimmt die Baustelle. Heinrich ist ebenfalls täglich auf der Baustelle und bemängelt: „Früher ging die Arbeit schneller voran. Was sind das für Behinderungen?“
„Es sind Kleinigkeiten, die den Baufortschritt hemmen. Ich fürchte hoher Herr ihr habt noch kein Burgopfer gebracht.“
„Das ist doch heidnischer Aberglaube“, wehrt Heinrich ab.
„Wie ihr meint Herr, doch die weise Alte aus Merzensdorf hätte die erforderliche Gabe bereit. Es kostet euch weniger als einen Monatslohn und wir sparen uns viel Zeit.“
Heinrich wendet sich ab. Er kämpft mit sich und als ihn am Abend Marlies fragt: „Wie geht es auf der Burg voran?“, kann er nicht anders als zu antworten: „Schleppend. Sprich mit der Hexe und frag sie was es kostet.“
„Endlich wirst du vernünftig. Ich kenne den Preis. Dafür bekommen wir nächste Woche das Kind. Einen Pater aus Geras habe ich auch gefunden. Der weiht die Opfergabe und segnet unsere Burg. Der Abt aus Romberg kann uns.“
„Ist gut handle“, stimmt Heinrich zu.

Es ist eine kleine verschworene Gruppe, Heinrich, Marlies, Hans von Höflein, Klara die Hexe und ein Wandermönch. Klara hält das wimmernde Baby, ein Knabe, im Arm und reicht es stolz Hans damit er es in die vorbereitete Nische legt. Während der Mönch endlos betet mauert Hans das lebende Kind ein. Als die Mauer verschlossen ist schlagen die Gläubigen ihr Kreuz und entfernen sich.
Nur Klara weiß woher sie das Kind hat. Keinem der anderen hat es interessiert und deshalb fragte auch keiner.
Eine Magd im Dorf wurde von einem der Ritter auf Hettig geschwängert. Der Kerl gab ihr das Geld für die Abtreibung. Das Mädchen wendete sich an Klara die für diese verbotene Tat bekannt ist.
„Abtreiben willst? Das ist in deinem Alter zu gefährlich. Komm bevor es sichtbar wird in meine Hütte im Wald und bringe im Geheimen das Kind zur Welt.“
„Aber was mache ich mit dem Kind? Man wird mich, wenn bekannt wird das ich einen Bangert habe, verjagen.“
„Keine Sorge ich bringe das Kleine ins Kloster. Wenn es ein Knabe ist kommt es zu den Geraser Prämonstratenser und kann später sogar Abt werden.“
„Ich habe aber das Geld für die Abtreibung“, beharrt das Mädchen.
„Ja das Geld musst du mir schon geben. Die Mönche versorgen das Kind auch nicht umsonst.“
Das Mädchen willigt ein und ist glücklich, dass seinem Kind scheinbar eine glänzende Zukunft winkt. Die Alte kassiert so für das Kind von der Mutter und dann von Heinrich.

Auf der Burg geht tatsächlich nun alles wie geschmiert. Als der Herbst kommt und der Winter vor der Türe steht können die Burgleute in die neuen Gebäude einziehen.
Bald kommt ein Gerücht auf: „Auf Hettig wurde ein Burgopfer gebracht.“
Wer die undichte Stelle war wurde nie geklärt. Der Wanderprediger, oder der großmäulige Meister, wahrscheinlich sogar die Alte? Jedenfalls kommt es auch dem Mädchen zu Ohren.
„Es war doch ein Knabe?“, fragt das Mädchen die Alte. „Hast du das Kind wie versprochen zu den Mönchen nach Geras gebracht?“
„Ach du Dummerchen, die in Geras haben den Knaben zwar aufgenommen aber was sollten sie den mit einem Baby das noch gestillt gehört. Natürlich haben sie das Kind an ein Nonnenkloster weitergegeben.“
„In welchem Kloster ist mein Kind? Es heißt das zur Zeit meiner Niederkunft ein Knabe in Hettig eingemauert wurde.“
„Na und? Blöde Gans. Willst du schreien und den Leuten erzählen dass du eine Hure mit einem Bastard bist.“ Klara weist dem Mädchen höhnisch die Tür.
Das Mädchen geht weinend nach Hause und wird sich nun der eigenen Sünde bewusst. Nach einer unruhigen Nacht geht sie deshalb zu Burg Hettig hinauf. Als sie auf der Brücke zum Tor steht überlegt sie was sie tun kann.
„Verflucht sei diese Burg, Unfälle sollen sich häufen, verlassen wird sie eines Tages sein und verfallen“, so denkt sie zuerst.
Dann denkt sie an ihren Buben, der der Legende nach in den Mauern der Burg groß und mächtig heranwächst. „Oh, wenn die Burg verfällt, was wird aus ihm?“
Ihr Hass gilt der Burgherrschaft, „Das Geschlecht der Kaming soll verrecken und vergessen sein!“
Eigentlich sollen alle diese hohen Herrschaften verflucht sein. Deswegen brüllt das Mädchen mit erhobener Faust gegen das Tor: „Alle künftigen Herren dieser Veste soll das Unglück treffen und der Teufel holen.“
Nach diesem Fluch geht das Mädchen an den Rand der Brücke die zum Tor führt und stürzt sich in den Abgrund. Ihre Leiche wird nicht geborgen zu unzugänglich ist die Schlucht. Ihre Knochen müssen noch heute unter der dünnen Erdschicht, die sich im Laufe der Jahrhunderte darüber bildete, liegen.
Der erste den der Fluch trifft ist Heinrich. Als er mit seiner Frau Marlis einen Monat später in Begleitung des Romberger Abtes über die Brücke reitet scheut sein Pferd just an der Stelle an der sich auch das Mädchen hinabstürzte. Das Pferd bäumt sich auf und wirft seinen Reiter in hohem Bogen über den Brückenrand. Seine Leiche wurde zwar gesucht, doch nicht gefunden, sei es weil die Schlucht schwer zu begehen ist oder weil die Bauern glücklich über den Tod des Burgherren nicht richtig suchten.
Für Marlies, die ein hohes Alter erreicht, wird das Leben eine Qual. Als Witwe, von ihrer Familie gemieden, ist sie verurteilt in der bescheidenen Grenzburg ihr Leben zu fristen. Ihre Damen nützen bald die Gelegenheit um sich zu verabschieden. So war Marlies, die Herzogstochter, bald nur mehr von niederen Mägden umgeben. Besucher erhielt sie kaum.

Zwei Generationen später, die Herren von Hettig waren Geschichte, verübten von der Burg aus die Ritter Johann und Hermann Raubzüge und verbreiteten in den umliegenden Dörfern Angst und Schrecken. Sie wurden gefasst und unter dem Jubel der Zuschauer gehängt. Dann eroberten die Hussiten die Veste. Sie feierten ihren Sieg und als sie weiter zogen zog die Pest mit ihnen. Keiner der Plünderer sah seine Heimat wieder. Anschließend erhielt Ullrich, der am Abort in den Tod stürzte, die Burg.
Die zeitliche Abfolge von Eroberungen und Übergaben der Burg sind bis heute ungeklärt. Spätere Herren, der vielen Un- und Todesfälle müde, verlegten ihren Wohnsitz von Hettig nach Schloss Merzensdorf. Die Burg wurde bedeutungslos und verfiel. Heute ist Hettig eine Ruine.
Die Besucher Hettigs können noch immer das Wimmern des Knaben hören, doch aus welchem Torbogen es kommt kann nicht festgestellt werden. Eine weibliche Gestalt mit wehendem Umhang wurde oft in den Vollmondnächten beobachtet wie sie um den Bergfried schwebt. Manche behaupten das unter der Torbrücke an manchen Neumondnächten eine Gestalt hockt und seufzt: „Ich wollte es nicht. Es war der Wille meines Weibes.“
 



 
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