Das Duell (2)

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Wolf-Wolle

Mitglied
Brummig lief der alte Wolf hin und her.
Er war schlecht gelaunt, sehr schlecht gelaunt sogar. Seit Tagen schon gab es nichts Vernünftiges zu beißen und obendrein hatte es angefangen zu schneien. Das bedeutete, sie konnten hier bald gar nichts mehr finden, kein Reh, keinen Bock, nicht einmal mehr einen Hasen.
Es würde grimmig kalt werden und erst wieder aufhören zu schneien, wenn das Land unter einer dichten, weißen Decke begraben war. Also mussten sie hinunter ins Tal, wo noch einigermaßen Aussicht auf Beute bestand. Allerdings drohte im Tal die Gefahr, dass sie von den Hirten oder ihren grässlichen Hunden erwischt wurden, falls sie sich zu sehr in deren Nähe begaben.
Wenn der Schnee später meterhoch lag, trauten sich die Menschen mit ihren zottigen Ungeheuern nicht mehr weit von den Dörfern weg. Dann waren die Wölfe uneingeschränkte Herrscher der Berge und Täler. Bis dahin musste man auf der Hut sein.

Nahe den Menschen und ihren Häusern war es aber immerhin möglich, dass sich eine Ziege, ein Schaf oder eine andere leckere Beute nach draußen verirrte.
Noch besser wäre es allerdings, wenn sich einer dieser verhassten Hunde allein und weitab vom Dorf erwischen ließ. Den würden sie bei lebendigen Leibe auffressen, ganz egal wie stark er auch sein mochte. Auch um den Preis vieler Verwundeter und sogar Toter wäre es ihm ein Fest, über so einen Teufel herzufallen.

Einauge zog unwillkürlich die Lefzen hoch und knurrte.

Als junger Wolf hatte er aus der Ferne mit ansehen müssen, wie diese Hunde über seinen Vater und andere Wölfe herfielen und sie gnadenlos töteten. Damals schwur er blutige Rache, und im Laufe der Jahre fielen einige Hunde diesem Schwur zum Opfer. Wenn er nur daran dachte, kam Wut in ihm hoch. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Aus dem Knurren wurde ein tiefes Grollen, das an ein noch fernes, langsam heranziehendes Sommergewitter erinnerte.

Der Wolf war ein ungewöhnlich großes Tier und erinnerte in seiner Erscheinung eher an einen nordamerikanischen Timberwolf als an einen Grauen dieser wilden Berge. Unter der breiten Brust spielten kräftige Muskeln. Seine dicken Pfoten hinterließen tiefe Abdrücke im frischen Schnee und weckten keine Lust auf nähere Bekanntschaft.

Von Geburt an nur ein Auge besessen, kam er mit dieser Behinderung sehr gut zurecht. Er kannte es nicht anders. Das tiefschwarze, zottige Fell verlieh ihm, auch wenn er gut gelaunt war, ein furchterregendes Aussehen. Wenn dem ahnungslosen Wanderer die mächtigen Reißzähne entgegenblitzten und ihm übelriechender Atem anwehte, glaubte jener, die Hölle habe sich aufgetan und der Leibhaftige wäre gekommen, ihn zu holen. So mancher hatte den kalten, gelben Blick des Wolfsauges als letztes Bild mit in eine andere Welt genommen

Einauge spürte einen leichten Stups an der Seite. Die Wölfin, angelockt von seinen Tönen, war herbeigekommen und versuchte ihn zu beruhigen. Sie kannte diese Stimmung bei ihm. Immer wieder leckte sie dem Wolf über die Schnauze, bis sich dieser mit einem kurzen Niesen abwandte und zum Waldrand lief.

Schon vor Tagen hatten sie begonnen, das Rudel zusammenzurufen. Zwar kamen von allen Seiten Antworten, aber noch war keine der Familien eingetroffen. Dabei wurde es langsam Zeit.
Der alte Wolf hasste solche Trödelei. Bei ihm musste alles zügig gehen. Das begriff die Jugend leider nicht.
Wieder hob er den Kopf zum Himmel und ließ ein langes Heulen hören. Dann lauschte er. Nichts. Nur der Wind blies ihm eine kalte Antwort um die Ohren. Einauge wollte sich schon abwenden, als er in der weißen Ebene vor sich dunkle Punkte bemerkte, die sich bewegten.
Na endlich!
Zufrieden trottete er zum Lager zurück, um es sich an einem windgeschützten Platz gemütlich zu machen.
Jetzt hieß es warten. Vor dem Abend waren sie bestimmt nicht hier. Im Laufe der Nacht und des nächsten Tages kam sicher der größte Teil des Rudels an. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Wer noch fehlte, würde hoffentlich unterwegs zu ihnen stoßen.

Einauge wusste, dass die große Herde, die während des Sommers weiter unten auf den saftigen Wiesen geweidet hatte, schon vor einigen Tagen losgezogen war. Der Schnee hatte auch sie überrascht. Weit dürften sie aber noch nicht gekommen sein, und der Weg war lang. Wenn das Rudel morgen beisammen war, konnten sie noch in der Nacht aufbrechen und die Herde einholen, bevor diese das Tal erreichte. Das bedeutete Fleisch und nochmals Fleisch. Vorausgesetzt, es waren nicht so viele Hunde dabei und die Hirten nicht so flink mit ihren Gewehren.

*****


Seit Stunden hetzten sie auf der Spur dahin. Die Herde kam schneller voran als ihnen lieb war. Jedoch verringerte sich die Distanz mehr und mehr. Sie konnten die Tiere schon riechen. Das machte ihren Hunger noch größer als er ohnehin schon war.

Gestern rissen sie ein verirrtes Rind.
Es kam äußerst selten vor, dass ein Tier alleingelassen, aufgegeben wurde. Sicher hatte keiner der Hirten und der Hunde sein Zurückbleiben bemerkt. Sein Pech.
Das Fleisch reichte nicht für alle. Einige Wölfe bekamen nur Knochen ab. Auch um diese wenig begehrten Beutestücke wurde erbittert gestritten.

Es war eine schwere Zeit.

Der Wind wehte beständig von der Herde zu ihnen. Das war gut. So nahmen die Hunde keine Witterung auf.
Jetzt nur keinen Fehler machen.
Wurden sie entdeckt, war es mit einem Überraschungsangriff vorbei, und nur der brachte Erfolg.
Das Rudel hatte eine beachtliche Größe erreicht. Wenn Einauge zählen könnte, wäre er auf achtundzwanzig Wölfe gekommen. Auf einen offenen Kampf mit Hirten und Hunden durften sie sich aber nicht einlassen. Dazu müssten sie doppelt so viele sein. Selbst dann wäre es sehr riskant.
Einauge wollte seine alte, bewährte Taktik anwenden. Einen Scheinangriff von der Seite her, um die Hirten abzulenken, eine Flucht, um die Hunde wegzulocken und dann mit aller Macht versuchen, einen Teil der Herde abzudrängen, in die Berge zurückzujagen.

Den Rest der Tiere mussten sie in Panik versetzen, damit diese in wilder Flucht davonrannten. Das hatte schon oft funktioniert.
Zum Überleben brauchten sie mindestens fünfzehn Rinder. Hauptsache, die Wölfe fingen nicht an, in wilder Gier die Beute an Ort und Stelle zu reißen und zu fressen. Dazu war später Zeit.
Einauge hoffte immer noch, Verstärkung zu erhalten. Offenbar hatten weniger Wölfe den Sommer überlebt als angenommen. Jungtiere sah er kaum. Nun, das war kein Nachteil. Die hatten ohnehin keine Erfahrung und brachten in ihrem Übereifer alles durcheinander.

Damit keiner die List durchschaute, mussten für das Ablenkungsmanöver mindestens acht bis zehn Wölfe eingesetzt werden. Viele aus dieser Gruppe würden nicht zurückkommen.
Nur wenn sie schnell handelten und Glück hatten, gab es bald genug Fleisch für alle.

Einauge lag auf einem Felsvorsprung und sah den Abhang hinunter. Weit unter ihm lagerte die Herde. Die Feuer der Hirten flackerten als winzige, rote Punkte durch die Nacht. Er roch den Rauch. Zwei, drei Stunden schneller Lauf, und sie wären da.
Der Wolf dachte nach.
Brachte es Erfolg, die Herde bei Nacht in ihrem Lager anzugreifen? Die Menschen sahen in der Dunkelheit nicht gut. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Aber sie konnten mit Feuer nach ihnen werfen. Vor dem Feuer hatten die Wölfe eine unergründliche Angst. Wo ein Feuer brannte, wagte sich selten ein Wolf hin. Das war seit Urzeiten so. Also blieb es bei dem alten Plan.

War die Herde am Laufen, ließ sich leichter ein Teil davon abdrängen. Sie brauchten nur deren Schwung auszunutzen, ihnen eine neue Richtung geben und fertig. So einfach war das. Leider gab es zwei Dinge, die alles etwas schwierig machten; Hunde und Hirten.

Der Wolf beging nie den Fehler, seinen Gegner zu unterschätzen. Dadurch erkannte er einen Hinterhalt schon von weitem. Er roch die Falle förmlich. Diese Fähigkeit rettete ihn mehrmals aus scheinbar auswegloser Situation. Er wusste auch, wann es besser war aufzugeben und zu fliehen, statt weiter zu kämpfen.

Einauge legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten. Er dachte an nichts und ließ den Eindruck des fernen Lagers auf sich wirken. Seit dem letzten Morgen schneite es nicht mehr. Der Wind wehte zu ihm hoch und brachte den Geruch des Lagers mit. Tief sog er die Luft in seine Lungen. Nein, heute Nacht würden sie die Herde nicht angreifen. Auch morgen nicht. Es war einfach besser, zu warten.

Die Luft war kalt und klar. Über den Bergen spannte sich in tiefstem Schwarz der Himmel von einem Ende der Welt zum anderen und war übersät mit tausend und aber tausend Diamanten. Hier oben schienen die Sterne zum Greifen nah. Mit ihrer Pracht verzauberten sie das Land. Bis zum Morgen würde die Temperatur weiter gefallen sein. Die Berge wollten Mensch und Tier aus ihrem Reich vertreiben und riefen dafür den Nordwind zu Hilfe. Der eilte auch bereitwillig herbei und sang seit Tagen sein eisiges Lied.

Die Wölfin kam heran. Sie legte sich neben Einauge auf den Fels. Beide schauten mit funkelnden Augen in die Tiefe. Die Kälte machte ihnen nichts aus. Für die Schönheit der Nacht hatten sie keinen Blick. Dort unten war Fleisch, das sie schon bald aus warmen Leibern reißen und gierig hinunterschlingen konnten. Unter ihren starken Kiefern würden Knochen brechen und heißes Blut würde fließen.
Heute nicht, morgen nicht - aber bald.
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Wolfgang,

mir scheint, dass du dich ein bisschen zu lange mit der Vorrede aufhältst. Nichts gegen die Beschreibung von Landschaft usw., das ist wichtig in diesem Text, aber es hakt meiner Ansicht nach stilistisch an mehreren Stellen. Zum Beispiel greifst du reichlich oft nach Wortklischees (zum Beispiel zog er unwillkürlich die Lefzen hoch, er war uneingeschränkter Herrscher usw.) und kommst auch mit dem Konjunktiv nicht ganz klar. Sieh dir daraufhin mal den Text genauer an. Wie gesagt, ich hätte jetzt schon ein wenig mehr Action erwartet, es ist eine sehr lange Exposition, mir scheint, eine zu lange.

Lieben Gruß
Hanna
 



 
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