Das Elend einer Bratwurst

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Lio

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„Ach Weh“, seufzte die Bratwurst jämmerlich, dabei perlte heißes Fett aus ihren Poren.
„Ach, was für ein Unglück!“, rief sie mit tränenerstickter Stimme.
Hinzugefügt werden muss, dass es sich bei dieser Wurst keinesfalls um einen depressiven Charakter handelte. Bis dahin unterschied sie sich in ihrem Verhalten nicht von all den anderen Würsten, die in der Würstchenbude über die Theke gingen: Sie ertrug den platzarmen Aufenthalt in der Großpackung, erfreute sich über die züngelnden Flämmchen, die sie braun und knusprig werden ließen und sträubte sich nicht, als eine Metallzange nach ihr griff und sie auf einen Pappteller legte. Denn auch wenn sie wusste, dass ihre Zeit nun gekommen war, rückte dennoch der alles entscheidende Augenblick näher, der Moment von dem man sich erzählte, wenn man im Kühlfach lag oder auf dem Grill schmorte. Der Moment, in dem einem alle Leiden des Lebens klein und nichtig vorkämen, ja, in dem man sich bewusst wurde, dass man sogar eine doppelte Packung an Lebensleiden auf sich nehmen würde, wenn man diesen einen, finalen Kontakt dann noch einmal erfahren dürfe.
„Ach Weh!“ rief die Bratwurst wieder, als sie einsam und allein auf dem Pappteller davon getragen wurde.
„Ha´m keen Senf mehr!“, hatte der Würstchenbudenbesitzer gesagt.
 

Lio

Mitglied
„Ach Weh“, seufzte die Bratwurst jämmerlich, dabei perlte heißes Fett aus ihren Poren.
„Ach, was für ein Unglück!“, rief sie mit tränenerstickter Stimme.
Auch wenn es nun einen solchen Anschein hat, handelte es sich bei dieser Wurst keinesfalls um einen depressiven Charakter. Bis dahin unterschied sie sich in ihrem Verhalten nicht von all den anderen Würsten, die in der Würstchenbude über die Theke gingen: Sie ertrug den platzarmen Aufenthalt in der Großpackung, erfreute sich über die züngelnden Flämmchen, die sie braun und knusprig werden ließen und sträubte sich nicht, als eine Metallzange nach ihr griff und sie auf einen Pappteller legte. Denn auch wenn sie wusste, dass ihre Zeit nun gekommen war, rückte dennoch der alles entscheidende Augenblick näher, der Moment von dem man sich erzählte, wenn man im Kühlfach lag oder auf dem Grill schmorte. Der Moment, in dem einem alle Leiden des Lebens klein und nichtig vorkämen, jener Augenblick, in dem man alles erkennen und verzeihen würde.
„Ach Weh!“ rief die Bratwurst wieder, als sie einsam und allein auf dem Pappteller davon getragen wurde.
„Senf is´aus!“, hatte der Würstchenbudenbesitzer gesagt.
 

Ofterdingen

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Hallo Lio,

Dein Text "Flatterhaftigkeit" war so ultrakurz, dass sich der geneigte Leser fast alles dazudenken musste.

Diesmal sind alle möglichen Einzelheiten da, und man braucht nur seinen Senf dazu zu geben. Aber warum ist das so wichtig (und wichtig ist es offenbar, weil dir gerade die Schlussbemerkung eine Textänderung wert war)?

Etwas ratlos,

Ofterdingen
 

Lio

Mitglied
Hallo Ofterdingen,

vielen Dank für deine Beschäftigung mit dem Text. Vor dem Schreiben dieser Kurzprosa hatte ich gerade eine Wurst ohne Senf essen müssen und wollte zeigen, wie sehr die Beiden (für mich) zusammen gehören.
Der letzte Satz bricht den Textfluss, weil die Wurst wieder mit der harten Realität konfrontiert wird.

Aber ich glaube, ich habe schon den Fehler in diesem Textauszug erkannt: Ich erkläre nicht, warum es für die Wurst solche eine große Enttäuschung ist, dass kein Senf da ist. Deshalb fragt sich der Leser, für den Senf und Wurst nicht zwangsläufig zusammengehören, nach der Lektüre: "WAs soll das ganze?"
Lieg´ ich richtig?

Viele Grüße von


Lio
 

jon

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Teammitglied
Ich frag mich das nicht, ich bin bekennender Senf-und-nicht-Ketchup-zur-Wurst-Esser. Und wär ich eine Wurst, würd ich auch wollen, dass ich schmecke und nicht nach meinen Tod wegen Fadheit vergessen – oder noch schlimmer – in unguter Erinnerung behalten werde. Wer will das schon …
 
Hallo Lio,

ein schöner Text über das Innenleben einer Bratwurst. Würde fast besser in Humor&Satire passen.


Zitat:
Denn auch wenn sie wusste, dass ihre Zeit nun gekommen war, rückte dennoch der alles entscheidende Augenblick näher, der Moment von dem man sich erzählte, wenn man im Kühlfach lag oder auf dem Grill schmorte.

Den oben herausgebenen Satz finde ich nicht so ideal.
Denn und dennoch folgen aufeinander. Ich würde das erste "denn" entfallen lassen.

Dass der Senf der Höhepunkt jedes Bratwurstlebens ist, kommt auf jeden Fall raus. Wenn du eine Erklärung einfügst, wird der Senf der Geschichte eher fade.
Ich würde es auch so lassen, wie jon ja schon gesagt hatte.

Bis bald,
Michael
 

Lio

Mitglied
„Ach Weh“, seufzte die Bratwurst jämmerlich, dabei perlte heißes Fett aus ihren Poren.
„Ach, was für ein Unglück!“, rief sie mit hohler Stimme.
Auch wenn es nun einen solchen Anschein hat, handelte es sich bei dieser Wurst keinesfalls um einen depressiven Charakter. Bis dahin unterschied sie sich in ihrem Verhalten nicht von all den anderen Würsten, die in der Würstchenbude über die Theke gingen: Sie ertrug den platzarmen Aufenthalt in der Großpackung, erfreute sich über die züngelnden Flämmchen, die sie braun und knusprig werden ließen und sträubte sich nicht, als eine Metallzange nach ihr griff und sie auf einen Pappteller legte. Denn auch wenn sie wusste, dass ihre Zeit nun gekommen war, rückte der alles entscheidende Augenblick immer näher. Der Moment von dem man sich erzählte, wenn man im Kühlfach lag oder auf dem Grill schmorte. Der Moment, in dem einem alle Leiden des Lebens klein und nichtig vorkämen, jener Augenblick, in dem man alles erkennen und verzeihen würde.
„Ach Weh!“ rief die Bratwurst wieder, als sie einsam und allein auf dem Pappteller davon getragen wurde.
„Senf is´aus!“, hatte der Würstchenbudenbesitzer gesagt.
 

Lio

Mitglied
Hi Michael (und Jon),

schön, dass euch der Text gefällt.

@Michael. Habe die Stelle ausgebessert ...

Viele Grüße!

Lio
 
Hübsch

Beim Lesen habe ich es bis zum vorletzten Satz (einschließlich) als humoristische Allegorie aufgefasst. Ja, ich begann mich schon mit der Hauptperson, dem (sprichwörtlichen) armen Würstchen, zu identifizieren und Parallelen zum menschlichen Durchschnittsleben zu ziehen. Und dann der unerwartet konkrete Schluss - ich weiß nicht, ob es beabsichtigt war, aber so kann der zum Tiefsinn geneigte Leser sich freundlich verulkt fühlen. Passt zur Kürze des Textes und zum Thema Würstchentod. - Arno Abendschön
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also

ich finde den text klasse. habe herzhaft gelacht. endlich mal wieder was für meine sammlung!
lg und frohes fest wünscht
 



 
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