Das Ende der linearen Zeit

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Michael Kempa

Mitglied
Das Ende der linearen Zeit



„Wir haben ihn!“
Die Männer hatten Dan schneller überwältigt, als er brauchte um zu wissen, wo er war.
Sie hielten seine Hände, seine Füße und einer drückte den Hals, so daß Dan kaum Luft bekam.
Die Hände gefesselt, den Mund geknebelt, beide Beine auf den Rücken gebunden, so trugen sie ihn fort. Wie ein wildes Tier, das zum Schlächter getragen wird.
Nach einer Nacht ohne Schlaf und voller Schmerzen kam das Verhör.
Es war kurz und kaum eine Stunde später durfte er stehen. Endlich stehen!
Dan sah sich um, er konnte stehen und er konnte ohne Knebel Luft holen, doch seine Hände waren noch immer eng an seinem Körper gebunden.
Es war ein Saal , der für gut 100 Menschen Platz bot, gefüllt mit neugierigen Leuten, Männern, Frauen und einigen Kindern.
Dan stand mitten im Raum und schaute schließlich einem Mann, der sich „Richter“ nannte in die Augen.
„Richter“ erhob seine Stimme:
„Dan 32-Werter, am 16.08.95 in Antwerpen geboren. Richtig?“
„Jo!“ Dan freute sich, wieder sprechen zu können.
„32-Werter, Sie werden beschuldigt, gefährlichen Landfriedensbruch und Spionage gegen die Europäische Union im Bezirk Deutschland durchgeführt zu haben! Ferner stehen Sie im Verdacht die Richtlinie 238 der UN unterlaufen zu haben!“
„Wo waren Sie im Jahre 2028, im Januar?“
Dan mußte sich erst kurz sortieren, überlegte und versuchte es mit der Wahrheit.
„Im Dezember 2027 fuhr ich mit meinem Auto von...“
Ein Raunen ging durch den Saal.
„Sie geben zu Auto gefahren zu haben?“ Der Richter bekam einen sichtbar roten Kopf und erhob sich von seinem Ledersessel.
Dan wunderte sich ein wenig, „Ja, natürlich!“ gab er von sich.
Der Richter schlug mit der flachen Hand auf den mächtigen Schreibtisch.
Ruhe trat ein. „Ich will wissen, wo Sie 2028 waren!“
„2028 gibt es so nicht,“ versuchte Dan zu erklären.
Der Richter bekam richtige Flecken am Hals, er schien fast zu platzen.
„Sie leugnen das Jahr 2028?“
„Und alle Jahre darauf,“ erwiderte Dan.
Ein Aufschrei ging durch die Menge.
„Er leugnet die lineare Zeit!“, rief einer.
„Nehmt ihm den Ring!“, kreischte eine Frau.
Der Richter schlug wieder mit der Hand auf den Tisch und stellte die letzte Frage:
„Wie stellen Sie sich die Zeit vor?“
Dan wußte, daß er nun nichts sagen sollte, doch er tat es trotzdem.
„Sie ist nicht linear, sie läuft nicht von A nach B in einer Geraden, es ist eher wie ein Knäuel oder ein Kluster...“
Der Saal tobte, Menschen sprangen auf, versuchten Dan zu schlagen, der Richter schlug auf den Tisch ein und so ging es einige Minuten, bis wieder Ruhe eingekehrt war.
Der Richter stand nun direkt vor Dan und erhob dramatisch seine rechte Hand.
„Dieser hier ist eindeutig ein Zerstörer und wahrhaftig verantwortlich für unser aller Schicksal! Ihm wird der fraktale Ring genommen! Er wird zerbrochen werden, zum Beweis, daß es nur eine Zeit gibt und geben kann!
Daß es nur einen Gott gibt, der unsere Zeit geschaffen hat!
Keine Scheinwelten und Zeitreisen.
Daß die lineare Zeit 2028 geendet hat, weil Zeitreisen unendliche Probabilitäten geschaffen haben soll, ist eine gotteslästerliche Lüge!“
Der Richter holte zu einem mächtigen Schlag aus und zerschmetterte den fraktalen Ring, der Dan die Rückkehr ermöglicht hätte.
Dan lebte von diesem Tage in der UN-Zeitsperrzone und mußte unendlich vielen Schulklassen vom ökologischen Niedergang des frühen 21. Jahrhunderts berichten. Flutkatastrophen, der Untergang von Maledivien und Kalifornien, die Eissschollenverschiebung und der kalte Winter nach den Ölfelderbränden und so weiter, bis zum Erstarken der radikalen Linearzeit-Philosophie und dem Glück zur Renaturierung der Erde war sein Lehrplan.

„Und es gibt sie wirklich? Die Linearen?“ fragte Dan 33 den Dan 34.
„Oh ja, es gibt sie! Es gibt sie! Und nie werde ich Dan 32 aus der linearen Zeit befreien können!
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hab

mal schnell 9 punkte vergeben. die geschichte gefällt mir sehr gut und kommt in meine sammlung. erinnert stark an stanislaw lem. man liest sich! lg
 



 
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