Das Ende einer alternativen Schreinerei

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Seshmosis

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Das Ende einer alternativen Schreinerei

Lange schon waren wir uns nicht mehr über den Weg gelaufen. Ehrlich gesagt, ich würde ihn sicher nicht wieder erkannt haben, wenn er nicht so offenkundig versucht hätte, sein Gesicht vor mir zu verbergen: Michael, Künstlername Egon, Klassenkamerad der letzten und ereignisreichsten beiden Schuljahre, TAZ-Leser der ersten Stunde und von jeher ungemein alternativ. Unser Wiedersehen war ihm sichtlich peinlich.
Es gibt zwei Möglichkeiten, warum man auf dem Fürther Königsplatz selbst von flüchtigen Bekannten lieber nicht gesehen werden möchte. Die erste und ältere steht in Zusammenhang mit dem dort ansässigen, etwas verwahrlost wirkenden Sex-Shop. Die zweite mit dem zwar gepflegten, architektonisch aber eher belanglosen Sozialrathaus. Denn wer dort ein- und ausgeht steht im Verdacht, Sozialhilfeempfänger zu sein, obwohl sich darin sinniger Weise auch das Kulturreferat befindet. Und wer zum Sozi, früher in Fürth „Wolferla“ genannt, muss, dem haftet die Schande an. Egal aus welchen Gründen er sich in einer misslichen Situation befindet, statt des wohl eher angebrachten Mitleids wird er mindestens eine gerümpfte Nase bekommen.

Michael alias Egon also war verlegen, was sich so äußerte, dass er mit krampfhafter Aufmerksamkeit in die Luft stierte. Welcher Teufel mich ritt, weiß ich nicht mehr, aber ich sprach ihn an. Mit „Hallo“ und „Wie geht’s?“ und den anderen platten Floskeln, die sich bei solchen Gelegenheiten unter Umgehung des Gehirns artikulieren. Ich hatte vermutet, ihn auf der Suche nach kleinen Liebeshelfern ertappt zu haben, doch damit lag ich genau daneben. Er wollte in das andere Gebäude, er war am Ende. In alter Verbundenheit und mit neuer Neugier lud ich Michael-Egon zu einer Tasse Kaffee in ein nahe gelegenes Café, was er entsetzt ablehnte. Bloß nicht in einen von diesen Szene-Treffs, dort könne er ja auf Bekannte treffen und das sei das Allerletzte, wonach ihm der Sinn stand. Mit mir unterhalten, ja gerne, aber ein bisschen weiter weg, wenn es denn möglich wäre und ich die Einladung aufrechterhalten würde. Animiert von einer erheblichen Menge Kaffee, unterstützt von ungezählten, handgerollten Glimmstängeln, breitete Michael-Egon nach und nach die gesamte Tragik seiner derzeitigen Situation vor mir aus.

Vor nicht allzu langer Zeit galt Michael-Egon noch als Hoffnungsträger eines alternativen Wirtschaftssystems. Geschäftsführer eines selbstverwalteten Schreinerei-Kollektivs mit hervorragender Auftragslage und Kundschaft aus der gesamten 68er Szene, die inzwischen zu Haus und Hof und vor allem Geld gekommen war. Sieben Schreinerinnen und Schreiner, anderenorts Tischlerinnen und Tischler genannt, fanden Brot und Befriedigung im alternativen Handwerksbetrieb mit integrierter Selbstverwirklichung, bis eines Tages...

Jeden Montagmorgen traf sich das schreinernde Kollektiv zur Wochenbesprechung. Termine wurden geplant, Aufgaben verteilt, alles und jedes einvernehmlich geregelt. Bis zu jenem verhängnisvollen Montag, als Brigitta das Wort ergriff.
„Das Wort Hammer ist sexistisch. Es ist eindeutig die umgangssprachliche Bezeichnung für den erigierten Penis. Ich habe das voll in meiner Frauengruppe durchdiskutiert und wir sind da absolut im Konsens. Es ist für mich unzumutbar zu sagen, gib mir mal den Hammer rüber. Überhaupt ist es für jemanden mit meinem Bewusstseinsstand unvereinbar mit so einem Relikt der patriarchalisch-chauvinistischen Gesellschaft zu arbeiten. Und das gilt nicht nur für mich. Moni und Martina sind genau meiner Meinung. Also, entweder diese Dinger verschwinden augenblicklich aus der Werkstatt oder wir.“
Die männlichen Teile des Kollektivs waren schlicht gesagt geplättet. Michael, in der Werkstatt Egon genannt, blickte zu Georg, Georg blickte zu Richy, Richy blickte zu Archie und Archie blickte zu Egon. Ihnen war klar, in der nun zwangsläufig anstehenden urdemokratischen Abstimmung waren sie chancenlos. Denn im Kollektiv-Vertrag stand klipp und klar, dass die Frauen, da in der Minderheit, Doppelstimmrecht besitzen. Vier Männer, vier Stimmen, drei Frauen, sechs Stimmen, wegen der Chancengleichheit und so.
Brigitta, Moni und Martina hatten klargemacht, wo der Hammer hängt bzw. wo er nichts mehr verloren hatte, nämlich in dieser alternativen Schreinerei, und zwar subito. Egon, im Betrieb verantwortlich für die technischen Abläufe, zermarterte sich das Gehirn und fand die Lösung: „Wir arbeiten ab sofort mit Tackermaschinen.“
Gesagt, getan und Elektro-Tacker angeschafft und den Kollektiv-Frieden gerettet.
Bis zum nächsten Montag.

Georg, der pazifistische Altgeselle, meldete sich bei der Montagsbesprechung mit betretener Miene zu Wort. „Ich habe mir das lange durch den Kopf gehen lassen und ich möchte wirklich nicht, dass durch meine subjektive Befindlichkeit die kollektiven Abläufe gestört werden, aber ich kann es einfach nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass wir hier seit einer Woche Möbel zusammenschießen. Versteht mich bitte nicht falsch, aber allein der Gedanke, dass ihr oder ich hier in unserer friedlichen Werkstatt mit solchen aggressiven Maschinen Klammern in Holz schießen, macht mich völlig fertig. Ich habe nicht vor dem Ausschuss für Wehrdienstverweigerer Blut und Wasser geschwitzt und mir beim Zivildienst den Arsch aufgerissen, um jetzt tagtäglich den Abzug zu drücken. Und dann noch die Geräusche, Peng, Peng, Peng, das ist ja wie im Krieg. Ich bekomm das psychisch nicht auf die Reihe. Ich denke, es ist am besten, wenn ich aus dem Kollektiv aussteige, obwohl natürlich meine ganze Existenz dranhängt und meine Frau und meine vier Kinder, wir kommen sowieso kaum über die Runden, wie ihr wisst, ich möchte euch das hier auch nicht kaputtmachen, aber meine Kapitaleinlage bräuchte ich schon sofort, als Überbrückung, ihr versteht schon und Miete müsste ich dann auch für die Werkstatt haben. Als mein Vater mit die Hütte vererbte, meinte er, damit wäre für mich und Gisela und die Kleinen gesorgt und ich will euch wirklich keinen Stress reindrücken, aber...“
Ungefähr an diesem Punkt von Georgs Ausführungen schmiss Egon die Elektro-Tacker in eine leere Kiste und schlug den Deckel hörbar zu.
Trotzig sah er in die Runde und fragte, „OK, so weit zum Thema Tacker. Hat irgendjemand irgendeinen Vorschlag, wie wir in Zukunft die Möbel zusammenkriegen? Wenn ja, lasst es mich wissen, ich besauf mich im Büro.“
Nach einer halben Flasche Cognac schlich Martina ins Büro. „Und?“, grunzte Egon.
„Wir haben das jetzt echt gut ausdiskutiert. Richy meinte, wir sollen mit Zapfen arbeiten, aber da ist Brigitta voll ausgerastet und hat ihn angeschrieen, er soll endlich aufhören, uns ständig seine Vögel-Fantasien reinzudrücken, von wegen die Dinger ins Loch stecken und er sei überhaupt nur ins Kollektiv gekommen, um hier progressive Frauen anzubaggern, aber damit sei jetzt Schluss und sie würde dafür sorgen, dass er in der Szene keinen Stich mehr macht.
Der Richy meinte dann, mit einer konterrevolutionären Lesbe würde er nicht einmal dann bumsen, wenn sie die letzte Frau auf der verseuchten Erde wäre und er sei sowieso Verfechter der freien Liebe und diese spießige Emanzendiktatur hier hängt ihm zum Hals und sonst wo raus und Brigitta soll sich ihre Sprüche sonst wo reinschieben und er haut lieber ab und arbeitet mit Leuten, die nicht so verklemmt sind. Tja, dann ist Richy gegangen und hat unseren Lieferwagen mitgenommen.“
Martina zuckte mit den Achseln.
„Womit wollt ihr die Möbel zusammenschustern?“, fragte Egon tonlos.
„Archie schlug vor, wir machen es mit einem total guten Kleber. Gut einstreichen und schön lange in den Zwingen lassen. Aber da hat sich Moni quergelegt. Chemie kommt überhaupt nicht in Frage und Knochenleim muss sie als Vegetarierin entschieden ablehnen. Archie fragte dann, ob sie es wohl mit Spucke versuchen will, woraufhin Moni ihm ein Brett über den Schädel haute. Es hat aber kaum geblutet und Archie kippte ihr den Holzleimkübel über den Kopf. Brigitta ist dann leider völlig ausgerastet. Sie warf ein Sägeblatt, so wie einen Ninja-Stern, du weißt schon. Allerdings traf sie nicht Archie, sondern Georg, der Frieden, Frieden rufend dazwischen gegangen war.
Der Notarzt meinte, der Arm bleibt dran, das könne man heutzutage mit Mikro-Chirurgie unheimlich gut hinkriegen. Allerdings sei die Schulterfraktur, die Brigitta von Archies Schlag mit der Schrankzwinge abbekam, eine ziemlich langwierige Sache. Dagegen wäre das mit Moni und ihren verklebten Atemwegen nach einigen Wochen wieder total OK, wenn sie nur genügend Sauerstoff bekäme. Tja, bei Archie wird es wohl auch eine Weile dauern, weil ich hab total meine Wut auf ihn gekriegt und ihm das Ding, das ich gerade in der Hand hatte, in den Hals gesteckt. Es war ein Schraubendreher. Dann habe ich aber gleich die Neunzehn-Zwo-Zwo-Zwo angerufen und die waren blitzschnell mit zwei Autos da, eins für Brigitta und Moni und eins für Archie und Georg, echt paritätisch stark. Tut mir wirklich leid, dass das so gelaufen ist, Egon. Ich gehe jetzt lieber auch, offen gestanden fand ich die Arbeit hier immer ziemlich deprimierend. Ich möchte viel lieber etwas mit Blumen machen oder so.“

Michael-Egon blickte mich mit traurigen Dackelaugen über den Rand seiner Kaffeetasse an. Das also war das unerwartete Ende eines viel versprechenden gesellschaftlich-wirtschaftlichen Modells, das Lobeshymnen im ganzen Presse-Blätterwald geerntet hatte.
Nun müssen auch die letzten 68er zum schwedischen Elch, um ihre Holzmöbel-Sehnsüchte zu befriedigen.
 
L

Law

Gast
Hallo Seshmosis,

also ich muss Dir eins lassen, nämlich dass dieses eine Story ist die mich als Leser und damit meinem Lesereindruck, ratlos lässt. Ich fand die Geschichte hatte am Anfang durchaus eine interessante Handlung. Dann kam der Teil der kollektiven Schreinerei, in der Frauen(wahrscheinlich wegen der Gleichberechtígung, weil ihnen ja der Hammer fehlt), zwei Stimmen in demokratischen Abstimmungsprozessen hatten, soweit so gut, aber dann eskaliert für mich das ganze in eine skurille
Schmonzette und das ganze wird gekrönt durch diese Namensgebung Michael - Egon, wo sich der Leser wahrscheinlich sagen soll, mit so einem Namen ist der wirtschaftliche Niedergang der 68 er ja kein Wunder.

Also mal als leisen Verdacht kann ich mir als 58 er Jahrgang nicht vorstellen, dass die 68 er so dumm sind, dass die wegen ein paar Frauen den Hammer stecken lassen und statt hämmern, klammern. ich finde es sind zu viele Gags hintereinander drin, ich hatte so diesen überladenen Eindruck von Sitcoms wo immer diese Lacher vom Band bei jedem Furz eingespeilt werden.

Man liest sich
Law
 

Seshmosis

Mitglied
Hallo Law!

Ich bin Jahrgang 1950 und vieles, was in diesem Text verarbeitet wurde, stammt aus eigenem Erleben. Das doppelte Stimmrecht für Frauen gab es in mehreren "Kollektiven" der 70er Jahre, ebenso skurrile "Kampfnamen". "Mein" Egon, hieß zwar eigentlich nicht Michael, sondern Jürgen, aber es gab ihn wie auch den Richard, der sich Fridolin nannte.
Auch habe ich unter den Sprüchen der "Kamikaze-Emanzen" gelitten, die einem das Wort im Mund umdrehten und ständig lauerten, ob sie einem nicht sexistische Motive unterstellen konnten.
Dass in meiner Geschichte das Ganze so erkaliert, dass es wirklich zum grotesken "Kampf der Geschlechter" kommt, ist Absicht. Ich wollte überzeichnen. So wie Monty Python überzeichnete und die Skurrilität bewusst als Stilmittel einsetzte.
Ist sicher Geschmackssache, aber generell finde ich, dass gerade Satire durchaus die übliche Logik und den normalen Erfahrungshorizont verlassen und überschreiten darf, um Situationen durch Überzeichnung zu karikieren und "an die Wand zu fahren".
Schließlich wollte ich keine soziologische Dokumentation schreiben, sondern eine kleine Rache an bestimmten Leuten, die mich jahrelang genervt haben.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
und

ich könnt mich kringeln, wie die friedliebenden plötzlich aufeinander losgehen! ja, man kann die friedensliebe auch übertreiben . . .
lg
 



 
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