Das Ersatzteillager

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Sn0wflake

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Das Ersatzteillager



Die beiden Jungen liefen lachend den grünen Hang hinab. „Warte nur, dich krieg ich schon!“ rief der größere. „Fang mich doch wenn du kannst!“ Kichernd schlug der kleine einen Haken. Chris, der ältere von ihnen, beeilte sich nicht. Er ließ Kenny die Freude.
Auch wenn beide wussten, dass Chris der schnellere war, spielten sie das Spielchen mit. Kenny hastete den Rasen herunter so schnell er konnte. Plötzlich stolperte er auf dem feuchten Gras und schlug mit dem Knie auf einem kleinen spitzen Stein auf. Sofort drang ein wenig Blut aus der frischen Wunde und lief am Bein hinab. Augenblicklich begann er zu schluchzen und als er das Blut bemerkte zu jaulen. Chris rannte schnell zu ihm und kniete sich neben Kenny ins Gras. „Ach Kenny, was machst du nur wieder für Sachen? Ist doch halb so schlimm. Das bisschen Blut. Bist du ein Mann oder eine Maus? Ein Junge in deinem Alter...“ Aber gleichzeitig legte er tröstend den Arm um den Bruder. „Aber... schau, da ist doch Blut“ Langsam erholte er sich von dem Schrecken. Das leise Zittern in seiner Stimme flachte ab. „Ach nu hör aber auf! Wenn du groß bist, ist das längst verheilt und wir beide lachen dann darüber.“
Plötzlich schwoll das Schluchzen wieder zu einem Weinkrampf an. Verwirrt sah Chris auf das Knie. Das Blut begann schon zu gerinnen. „Aber... was ist denn nun wieder?“
Irritiert schaute er seinem Bruder ins Gesicht und sah, dass viele kleinen Tränen an seinen Wangen herunter liefen, wie kleine Sturzbäche nach einem Dammbruch.
„Du... du ich will nicht, dass du sterben musst, Chris.“ platzte es aus ihm heraus „Weißt du, ich habe neulich Mama belauscht, wie sie Tante Magda erzählt hat, dass du krank bist. Dass du ein neues Herz brauchst. Dass du sterben musst, wenn wir keinen Spender finden.“
Erschrocken über diese Worte wusste Chris nicht was er darauf antworten sollte.
Ja es stimmte, er hatte ein krankes Herz und bräuchte dringend ein neues um überleben zu können. Es stand sehr schlecht um ihn, wenn sich nicht bald ein Organspender finden würde. Er hatte versucht, es vor Kenny geheim zu halten, denn er wollte seine, vielleicht kurze Zeit mit ihm genießen und unbeschwert in die letzten Tage oder Monate hinein leben. Chris machte sich nichts vor, er sah wie bekümmert seine Mutter war und von Tag zu Tag blasser im Gesicht wurde. Er blieb jetzt aber trotzdem ehrlich zu Kenny, denn er liebte seinen Bruder und wollte ihn nicht anlügen.
„Ja das stimmt. Ich könnte tatsächlich sterben, aber mach dir mal keine Sorgen, wir finden bestimmt ein geeignetes Organ.“ presste er so leichtlebig wie möglich heraus.
So sicher war er sich da allerdings nicht, denn die Ärzte hatten ihm nicht allzu gute Chancen eingeräumt, schnellstmöglich ein geeignetes Herz zu finden und die Zeit war gegen ihn.
„Ich würde dir mein Herz geben, ganz echt.“ brüstete sich der Kleine „Wenn’s nötig wäre, würd ich dir sogar meine Augen schenken, nur ich will nicht dass du stirbst“
Chris bekam einen Kloß im Hals. „Ach Kenny, du bist wirklich mutig. Wenn man dich das sagen hört, dann bist du doch schon viel größer als mancher Erwachsener. Aber du kannst mir dein Herz nicht geben. Du Dummerchen, man kann doch ohne Herz gar nicht leben, schon vergessen?“ „Nein, ich mein das ganz ehrlich, ich würde dir mein Herz wirklich schenken!“ Liebevoll schaute Chris seinen Bruder an. Kenny bemerkte den Blick nicht und schaute abwesend zum Himmel.
„Wenn du da oben wärst, und ich hier unten, dann hätte ich gar keine Lust mehr zum spielen. Dann wäre alles ganz leer hier unten.“
„Ja, aber angenommen ich würde dein Herz haben, dann wäre das doch genau umgekehrt. Was soll ich denn hier allein wenn du weg wärst? Dann würdest du dich doch da oben langweilen.“ sagte Chris zum Himmel zeigend. Er half Kenny auf die Beine. Das aufgeschlagene Knie war vergessen
„Ich glaub wir sollten nach Hause. Los Kleiner, sonst gibt’s nur wieder Stress mit Papa! Den Staudamm können wir auch morgen noch fertig machen“ Kenny nickte. Diesmal gab es kein Wettrennen.
Chris merkte, dass sein Bruder mit seinen Gedanken ganz woanders war. Mit betretenem Gesicht trottete Kenny hinter ihm her. Chris wusste schon jetzt, dass die nächsten Tage nicht mehr so heiter werden würden. Er musste akzeptieren, dass er jetzt nicht mehr so tun konnte, als wäre nichts gewesen.


Heinrich Guntermacher saß im Park auf einer Bank. Immer wieder schaute er sich um und dann auf die Uhr. Plötzlich tauchte ein kleiner Mann mit einem grauen Anzug auf, eine Zeitung in der linken und eine graue Plastiktüte in der rechten Hand. Heinrich erblickte ihn und demonstrativ schlug auch er seine Zeitung auf. Der Mann nickte ihm zu und setzte sich neben ihn. „Kommen wir besser gleich zur Sache, denn je länger wir hier sitzen umso gefährlicher wird es. Sie wissen es vielleicht nicht, aber von diesem Augenblick an ist ihre Existenz gefährdet. Wir könnten beobachtet werden.“ sagte der Fremde. Heinrich räusperte sich „In Ordnung, ich weiß dass ich hier alles aufs Spiel setze, verstehen sie. Aber mir bleibt keine Wahl mehr. Mein Sohn wird bald sterben wenn nichts geschieht.“ „Ja ich weiß… ich weiß. Meistens sind es die Kinder um die es in meinem Beruf geht. Fast immer sind es verzweifelte Eltern, die keinen Ausweg mehr wissen. Ich wollte sie auch nur darauf aufmerksam machen, was mit ihnen geschieht wenn man uns erwischt“. Der graue Mann hob abfällig die Brauen.
„Sie brauchen nichts zu sagen, ich weiß wie gefährlich unser Treffen ist. Ich bin mir auch bewusst, dass man mich ins Gefängnis stecken wird und ich meinen Job los sein werde, wenn auch nur der Verdacht aufkäme“ Heinrichs Hände begannen zu zittern, so dass die Zeitung raschelte. „Na ja, wie dem auch sei.“ Der kleine Mann räusperte sich „Also kommen wir erst mal zum Geld. Ich weiß dass sie ein hohes Tier in ihrer Firma sind. Und daher denk ich mir, dass sie sich einen Organagenten von meiner Qualität leisten können.“ „Bitte! Volle Diskretion! Es ist egal was es kostet. Ich bezahle jeden Preis. Also, wieviel?“ „Na ja, wie wäre es mit 50.000? die Hälfte gleich, die andere nach Abschluss.“ Heinrich schluckte „In Ordnung, ich werde ihnen das Geld überweisen.“
„Für wie dumm halten sie mich? Nein, es wird bar bezahlt.“ Der graue Mann verzog keine Miene. „Also am Freitag treffen wir uns hier wieder und sie bringen das Geld mit. Ich hoffe, dass wir dann schon weiter sind.“
Heinrich nickte und gab dem Mann die Unterlagen mit allen Daten über seinen Sohn. Dann fragte er gepresst: „Sagen sie, entschuldigen sie wenn ich das frage, aber was ist wenn sie niemanden finden? Sie sagten ihre Garantie liegt bei über 95%!“ Der fremde Mann schwieg. Dann sagte er: „Machen sie sich keine Gedanken. Um die Formalitäten und das ganze Drumherum werde ich mich schon kümmern. Sie bezahlen und bekommen ein neues Herz für ihren Sohn. Das wollen sie doch, oder?“ mit eiskaltem höhnischen Grinsen schaute er auf Heinreich herab.
Heinrich fühlte sich plötzlich ganz klein auf den Holzbohlen der morschen Bank. „Na sehen sie, dann stellen sie auch keine Fragen!“
Mit diesen Worten stand er auf und verabschiedete sich. Heinrich Guntermacher blieb noch eine Weile auf der Parkbank sitzen und betrachtete nachdenklich die Spuren an den Rändern der Zeitung, die seine schwitzenden Hände hinterlassen hatten.


Heinrich sagte: „Wir werden jetzt bald einen gesunden Sohn haben“. Verdutzt schaute seine Frau ihn an „Wie meinst du das? Haben die vom Krankenhaus angerufen?“ Heinrich schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe, aber bitte reg dich nicht auf, einen Organagenten engagiert. Er wird uns jetzt helfen“ seine Frau stand auf, der Stuhl kippte polternd nach hinten. „Darüber hatten wir doch schon gesprochen! Das ist illegal! Mit Organen handeln, bist du nun völlig durchgedreht? Einen Organagenten? Erinnere dich bloß an den Skandal damals mit den Retortenbabys! Einen Organagenten, ich fass es einfach nicht. Du weißt doch, dass die mit geklauten Organen handeln, und sich angeblich Leichen machen, wenn sie gerade keine parat haben! Mit so einem schmierigen Typen lässt du dich ein?“ „Bitte beruhige dich. Es ist alles halb so schlimm. Außerdem ist mir mein Sohn wichtiger, als irgendein anderer Mensch, den ich nicht kenne! Und du willst doch auch dass Chris gesund wird! Langsam hab ich nämlich den Eindruck, dir sei das völlig egal“ Sie schrie: „Was bildest du dir eigentlich ein? Meinst du ich freu mich darüber, dass mein eigen Fleisch und Blut todkrank ist?“ Ihre Stimme begann zu stocken „Ich will doch nur, dass Chris gesund wird“ Sie brach zusammen. Heinrich sah die Angst in ihrem Gesicht und fühlte sich auf einmal wie ein gefühlloser Klotz „Ach Schatz, nun weine doch nicht, es wird alles gut werden. Der Agent ist doch kein Ungeheuer. Er wird schon dafür sorgen, dass das Herz gesund ist und dass nichts schief geht. Und schau, selbst wenn das Herz nicht gleich von Chris Körper angenommen werden würde, so gibt es doch jetzt Methoden um die Körperteile miteinander verträglich zu machen. Es wird schon alles gut werden.“


Chris erwachte. Ein wenig benommen schaute er sich im Krankenzimmer um. Die Sonne fiel durch das Fenster hinein. Es roch steril nach Medikamenten und die weißen Wände ragten bedrohlich über ihm auf. Auf der gegenüberliegenden Wand hing ein Bild mit einem bunten Fisch. Chris kam langsam zu sich. Er fühlte sich wohl, wie lange nicht mehr in seinem Leben. Er fasste sich an die linke Seite und spürte seinen Herzschlag. Leise flüsterte er: „Danke, wem auch immer dieses Herz gehört haben mag.“
Es fühlte sich gut an in seiner Brust, als wäre es schon jetzt ein Teil von ihm und schon immer dort gewesen. Es fühlte sich vertraut an und sanft strich er mit den Fingern über die noch nicht verheilte Narbe. Die Schwester kam herein und lächelte als sie bemerkte, dass der Junge erwacht war. Sie brachte ihm ein Glas Wasser. Dann war sie wieder verschwunden.
Chris dachte an Kenny. Jetzt wird alles gut werden dachte er. Niemand muss mehr oben oder unten sein und sie könnten noch viele Staudämme zusammen bauen und um die Wette laufen. Die ewige Schonerei war für immer vorbei. Von nun an schlug ein gesundes Herz in seiner Brust. Glücklich ließ er sich in die Kissen fallen und wartete auf seine Familie. Er konnte es kaum abwarten, seinen Bruder zu sehen, der sich sicher gleich zu ihm hinsetzen würde und nicht mehr aus dem Krankenzimmer zu bewegen sein würde. Die Schwestern würden dann sicher ein zweites Bett neben seinem aufstellen müssen. Bei dem Gedanken kicherte er in den hellen Raum hinein.
Der Arzt steckte den Kopf durch die Tür und trat herein. „Na Chris, wie sieht’s aus? Wie fühlst du dich?“ „Danke, ich fühl mich wirklich sehr wohl“ Der Arzt untersuchte ihn und sie unterhielten sich noch ein wenig über die erfolgreiche Herztransplantation und darüber, wie Chris sich jetzt in der nächsten Zeit verhalten sollte. Dann war auch der Arzt wieder verschwunden.
Chris fing an sich zu langweilen. Nach einer Weile ging die Tür wieder auf und seine Eltern betraten das Zimmer. Seine Mutter küsste ihn auf die Stirn. Sie hatte ein verweintes Gesicht. Chris schaute die Eltern freudestrahlend an. „Da seid ihr ja endlich, ich hab mich halb zu Tode gelangweilt. Schaut, ich hab ein neues Herz“ er zog den weißen Schlafkittel hoch und zeigte stolz auf die Narbe, unter der sein neues Leben aufgeregt pochte.
„Ja was ist denn los? Ihr schaut wie sieben Tage Regenwetter! Und wo ist überhaupt Kenny?“ Er bekam keine Antwort „Wo ist Kenny?“ Chris wurde unruhig „Ich hab gefragt wo Kenny ist?“ Stockend begann sein Vater zu sprechen: „Kenny ist fort. Er... wir wissen nicht wo Kenny ist. Er ist verschwunden... “
 

Junkfoot

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Puh, harter Tobak!

Die Storyline ist auch halbwegs originell. Das Blöde ist nur, das man halt ab einem gewissen Punkt schon weis, wie der Hase läuft.
Immerhin hält diese Tatsache einem im Fall deiner Geschichte nicht davon ab, sich am Ende trotzdem irgendwo unwohl zu fühlen.
Ansonsten muß ich schon sagen, dass die Geschichte gut geschrieben ist. Das einzige, was mir aufgefallen ist, waren diese Augenblicke, wo du geschrieben hast: "sagt er gepresst" sowas hört sich nicht gut an, finde ich, genauso wie "presste er hervor/heraus".
Vielleicht ist das auch bloß meine Meinung, was sagt denn ihr anderen dazu?

Ansonsten nochmal Kompliment!

Mfg

Junkfoot
 
Das Blöde ist nur, das man halt ab einem gewissen Punkt schon weis, wie der Hase läuf

Hi Snowflake,
stimmt leider. Du läßt die Katze einfach zu früh aus dem Sack. Ich meine, daß Geschwister oder Verwandte ersten Grades die besten Organspender sind, weiß man einfach - man assoziiert es automatisch. Man könnte sagen, das träfe auch auf den Organhändler zu, is aber nicht so, weil man genau merkt, wie kurz und knapp du die Geschichte geschrieben hast. Deshalb mußtest du auch nach dem ersten Abschnitt die Karten auf den Tisch legen. Ich meine, so gesehen, wenn das überhaupt deine Intention war - ist die Geschichte sogar in sich stimmig, weil sie garnicht verwirren will.
Aber ansonsten, könntest du alle wichtigen Informationen ganz nach hinten packen
- daß Kevin der Bruder von Chris ist(könnten ja Freunde sein)
- daß der Fremde ein Organhändler ist(Auflösung am besten am Ende des elterlichen Gesprächs kurz bevor Chris im Krankenhaus erwacht)
Dann müsstest du natürlich die vorhergehenden Gespräche insoweit verschleiern, daß der logische Schluss erst am Ende rauskommt.

Wie gesagt, kommt drauf an, was deine Intention war.
Die Idee ist garnicht schlecht,
leider sind solche Menschen, wie dein Organhändler wohl weniger düstere Gestalten, sondern eher grinsende, glattrasierte Männer in Nadelstreifenanzug oder Chefärzte, die man am besten in einem zweihundert qm großen Penthouse antrifft.

Bis dann
Marcus
 
Hallo Snowflake,

ja, auch ich habe den Plot zu früh erkannt und gebe Marcus Recht, du solltest den Aufbau der Geschichte verändern, damit würde der Spannungsmoment erhöht werden.

Insgesamt wirkt alles recht knapp bemessen, da würde ich auch noch dran arbeiten.

Tja! Die Dialoge. 90 % würde ich neu schreiben, sie wirken unlebendig und klischeehaft. Stark verbesserungswürdig!

Die Atmosphäre ist ein wenig... sagen wir nett und freundlich, eigentlich ist das Thema ja ernst, daher ein wenig mehr Grauen, Spannung und Apokalypse. Im Gegensatz dazu könntest du den Teil, indem die Geschwister zusammen sind, von der Stimmung so lassen, das wäre ein schöner Gegensatz.

So, ich glaube, das war es.

Bis bald,
Michael
 

Sn0wflake

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hi ihr :)

erstmal vielen lieben dank für eure anregungen, anmerkungen und kritikpunkte!
ihr habt vieles angesprochen, wo ich mir selbst nicht sicher war. und andere augen sehen ja bekanntlich mehr als meine...hehe
jedenfalls ist mir nun bewusst geworden was denn da jetzt so unstimmig wahr. vielen dank dafür :) denn ich selbst hatte auch ein gefühl der sterilität in diesem text (war auch mein erster "richtiger")

liebe grüße von Snowflake
 



 
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