Das Fenster

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Das Fenster
Kai saß am Fenster und sah dem schwarzen Wagen zu, der gerade die Einfahrt zum Haus hoch fuhr. Er wusste, was passieren würde, wusste, dass es unausweichlich war … und trotzdem. Er wollte nicht.
Zwei Männer in Uniform stiegen aus dem schwarzen Wagen. Die Orden an ihren Revers funkelten in der Abenddämmerung. Kai fluchte. Nicht laut oder leise, sondern innerlich. Er verfluchte diese Männer. Er verfluchte den Krieg, und er verfluchte seinen eigenen Vater. Wieso führten die Menschen Krieg?, hatte er sich jedes Mal gefragt, wenn seine Mutter das Radio angeschaltet und der Nachrichtensprecher neue Listen mit Namen vorgelesen hatte mit Menschen, die im Krieg gefallen waren. Die Männer nahmen – während sie die Veranda hoch gingen – langsam ihre Schirmmützen ab. Kai fragte sich, wie oft sie dies schon heute wohl gemacht hatten. Erst vor einer Woche, waren sie schon mal hier gewesen. Es klingelte. Sie waren damals genauso langsam vorgefahren, hatten genau an dem selben Platz gehalten und hatten ihre Schirmmützen auf der Veranda abgenommen, bevor sie geklingelt hatten. Es klingelte noch mal. Damals war Kai runter gerannt, als er die Männer in ihren schicken Uniformen erblickt hatte. Doch heute würde er in seinen Zimmer bleiben. Er wollte nicht runter. Er konnte nicht runter, sein ganzer Körper, ja seine ganze Seele sträubten sich runter zu gehen. Es klingelte ein drittes Mal und endlich begann das Haus auf die Friedensstörer zu reagieren. Kai hörte wie, Maroni, ihre Haushälterin, durch die Küche und den Flur eilte, um den beiden Männern die Tür zu öffnen. Vor einer Woche hatte Kais Mutter die Tür geöffnet. Sie war in Tränen ausgebrochen, ohne das die Männer auch nur ein Wort sagen mussten. Ohne ein Wort war sie am Türrahmen runter gerutscht, bis sie am Boden kraftlos zusammen gebrochen war. Die Männer hatten wie schon tausendmal in ihren Leben oder in diesen Krieg, ihre üblichen Floskeln aufgesagt: »Er ist für´s Vaterland gestorben.«, »Sein Tod war nicht umsonst« und alle anderen Sprüche die sie in ihrer Ausbildung auswendig gelernt hatten. Kai hasste diese Floskeln. Diese Sprüche. Diese Lügen!
Durch den Flur hörte Kai die Stimmen der Männer wie sie Maroni nach der Herrin des Hauses fragten, nach seiner Mutter fragten! Wut packte ihn. Doch die Wut verflog schnell und nur eine unendlich große Leere blieb zurück. Die Mutter von Kai lief an seinem Zimmer vorbei die Treppe runter. Sie hatte wohl auch das Klingeln gehört. Wusste sie wer unten stand?
Ein kurzes Gespräch entstand zwischen Kai´s Mutter und den Männern. Dann hörte Kai die unausweichlichen Worte. Die Worte, auf die er sich schon seit Monaten vorbereitete. Die Worte, die sein ganzes Leben verändern würden. Die das Leben, was er führte, aus den Angeln heben würde und zu Staub zermahlen würde. Die Worte, die er voller Wut, voller Verzweiflung und voller ernüchternder Realität erwartet hatte, seit dem der Krieg ausgebrochen war.
Sie fragten nach seinem Vater.
Wie aufs Kommando hörte Kai die bedächtigen langsamen Schritte seines Vaters hinter sich. Er drehte nicht den Kopf vom Fenster, als sein Vater seinen Namen leise flüsterte. Er antwortete nicht, als sein Vater sich verabschieden wollte. Ja, er zeigte noch nicht mal eine Reaktion ,als sein Vater ihm die Hand beruhigend auf die Schulter legte. Er wollte nicht. Er konnte nicht seinem Vater in die Augen sehen. Sein Vater ging zur Tür und schloss sie hinter sich. Das Geräusch, das die Tür machte als sie ins Schloss viel, hämmerte Kai in den Ohren, davor und danach war nur Stille. Kein Ton drang an seine Ohren und wenn dann nur dumpf, wie als wenn er unter einer Dusche stehen würde. Wie als wenn er durch einen dicken, alles verschlingenden Nebel horchen musste. Es dauerte nicht lang bis Kai seinen Vater und die beiden anderen Männer sah, wie sie die Veranda hinunter wieder zum Wagen liefen. Der eine trug die Koffer von seinem Vater, der andere hielt ihm die Beifahrertür auf, als er einstieg. Ja, jetzt kümmerten sie sich noch um ihn, wie um einen Helden. Doch was würde passieren wenn er starb? Sie würden ihn vergessen. Vielleicht noch einmal pro Jahr hier herkommen, solange seine Mutter noch lebte und dann wäre sein Vater nur noch eine Randnotiz, nur noch ein Name auf einen Grabstein oder Papier. Der Wagen fuhr los, der untergehenden Sonne entgegen. Kai spürte nichts, nur die Leere in sich. Er wusste, dass er seinen Vater wie seinen Bruder vor ihm nie wieder sehen würde. Keiner kam wieder. Sein Kopf legte er vorsichtig ans Fenster an. Es war kalt, das Glas.
Kalt wie der Krieg.
Kalt wie die Leere in ihm.
Keiner würde wiederkommen.
Keiner.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Alexander K. Rosworld, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Mehr wörtliche Rede würde den Text noch lebendiger werden lassen!


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Alexander,
willkommen bei der Leselupe.
Eine bewegende Geschichte. Ich denke der Junge wird es bereuen, sich nicht von seinem Vater verabschiedet zu haben, aber ich kann es nachvollziehen.
Der Schluss hat mir richtig gut gefallen.
Es war kalt, das Glas.
Kalt wie der Krieg.
Kalt wie die Leere in ihm.
Keiner würde wiederkommen.
Keiner.
Irreführend fand ich, dass durch die folgenden Sätze der Eindruck vermittelt wurde, die Soldaten wären wegen eines erneuten Todesfalles gekommen.
Kai fragte sich, wie oft sie dies schon heute wohl gemacht hatten. Erst vor einer Woche, waren sie schon mal hier gewesen. Es klingelte. Sie waren damals genauso langsam vorgefahren, hatten genau an dem selben Platz gehalten und hatten ihre Schirmmützen auf der Veranda abgenommen, bevor sie geklingelt hatten.
Die Männer hatten wie schon tausendmal in ihren Leben oder in diesen Krieg, ihre üblichen Floskeln aufgesagt: »Er ist für´s Vaterland gestorben.«, »Sein Tod war nicht umsonst« und alle anderen Sprüche die sie in ihrer Ausbildung auswendig gelernt hatten.
Hier würde ich jeweils einen Satz weglassen.
Kai fluchte. [red]Nicht laut oder leise, sondern innerlich. [/red]Er verfluchte diese Männer. Er verfluchte den Krieg, und er verfluchte seinen eigenen Vater.
Die Worte, auf die er sich schon seit Monaten vorbereitete. Die Worte, die sein ganzes Leben verändern würden. [red]Die das Leben, was er führte, aus den Angeln heben würde und zu Staub zermahlen würde.[/red] Die Worte, die er voller Wut[red], voller [/red][blue]und[/blue]Verzweiflung [red]und voller ernüchternder Realität [/red]erwartet hatte, seit [red]dem[/red] der Krieg ausgebrochen war.
 
Antworten

Erstmal Danke an DocSchneider und Ilona B, für den herzlichen Empfang hier in der LL.

An DocSchneider:
Natürlich machen wörtliche Reden einen Text lebendiger. Hier habe ich jedoch bewusst darauf verzichtet, weil ich mich auf den inneren Konflikt des Jungen konzentrieren wollte. In meinen Augen passt da eine wörtliche Rede nur bedingt rein.

An Ilona B:
Danke für das liebe Lob!

Ich kann nachvollziehen, dass die beiden Stellen ein wenig irreführend sind. Man merkt hier, dass ich an dieser Kurzgeschichte auch schon ein wenig herumgedoktort habe.
Ich habe mich aber dazu entschlossen, diese Stellen trotzdem so zu lassen, da Soldaten nur in zwei Fällen ihre Mützen abnahmen, wenn sie zu jemanden nach Hause kamen:
1.) um einen höher gestuften abzuholen (Meeting, Besprechung, seltener Fronteinsätze etc)
2.) um der Witwe eines Generals etc eine traurige Meldung zu überbringen.
Natürlich braucht der Leser dafür ein wenig Hintergrundwissen bezüglich des Militärwesens von früher. Man darf sich da nicht auf Filme verlassen, in denen es manchmal so wirkt, als würde für jeden Soldaten ein Auto und eine Eskorte abgestellt.

Deinen ersten Verbesserungsvorschlag möchte ich nicht so übernehmen. Ich empfinde den Hinweis auf den inneren Konflikt als sehr wichtig.
Ich kann mir aber vorstellen den Satz wie folgt zu ändern:
Kai fluchte [blue]innerlich[/blue]. Er verfluchte diese Männer. Er verfluchte den Krieg, und er verfluchte seinen eigenen Vater.
Deinen zweiten Verbesserungsvorschlag finde ich gut und werde ihn wahrscheinlich auch übernehmen.

Ich danke euch beiden, dass ihr euch meine Kurzgeschichte durchgelesen, bewertet und kommentiert habt.
 
Seltsam, je länger diese fürchterliche Vergangenheit zurückliegt, umso häufiger werden die Texte über sie. Mich beschleicht der Verdacht, das geschähe gerade deshalb, um der Gegenwart auszuweichen oder in einer ganz anderen Vergangenheit die Illusion eines heute angemessenen Verfahrens zu entdecken. Als es vor fünfzig Jahren darauf ankam, waren solche Texte Mangelware, heute sind sie inflationär. Cui bono? Mit welcher Motivation veröffentlicht man so etwas 2017? In den Kriegen von heute werden keine Wehrpflichtigen getötet, sondern Berufssoldaten und Söldner, jedenfalls auf Seiten der westlichen Demokratien, die nicht immer nur friedliebend sind.

Was mich extrem gestört hat: die Koffer von seinem Vater. Empfehle, weniger wohlfeiles Pathos zu verwenden und mehr auf Grammatik zu achten.

Arno Abendschön
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Alexander,

willkommen in der Leselupe. Ich habe deinen Text gelesen und stimme mit etlichen Beobachtungen Ilonas überein.
Die Grundidee der Geschichte ist solide und der Konflikt des Jungen verständlich. Ich fand aber, ebenso wie Illona, dass der Text in seinem Ablauf an einigen Stellen ein wenig inkonsistent wirkt. So schilderst du recht ausladend die Wiederholung der Begegnung der letzten Woche (es wird kondoliert) mit dem Ergebnis, dass der Vater abgeholt wird (ich nehme an zum Fronteinsatz), so wie sie ist empfinde ich diese Zusammensetzung als verwirrend, da der Leser ein wenig verwirrt wird ohne dies mit einer tatsächlich Pointe aufzulösen. Diese Stelle, ließe sich sich dahingehend auflösen, dass der Junge überrascht ist, die Männer noch einmal zu sehen, wo doch gar kein Familienangehöriger an der Front ist.

Dieser Abschnitt erschließt sich mir nach dem vorangegangen auch nicht so recht.

Ein kurzes Gespräch entstand zwischen Kai´s Mutter und den Männern. Dann hörte Kai die unausweichlichen Worte. Die Worte, auf die er sich schon seit Monaten vorbereitete. Die Worte, die sein ganzes Leben verändern würden. Die das Leben, was er führte, aus den Angeln heben würde und zu Staub zermahlen würde. Die Worte, die er voller Wut, voller Verzweiflung und voller ernüchternder Realität erwartet hatte, seit dem der Krieg ausgebrochen war.
Die Angst um den Vater ist verständlich, aber mir scheint das Leben Kais durch den Fronteinsatz des Bruders und dessen Tod eine Woche zuvor schon reichlich aus den Angeln gehoben.

Eine weitere Kleinigkeit ist das Radiohören der Mutter, ich bin mir nicht sicher, kann mir aber kaum vorstellen, dass im Radio Verlustlisten vorgelesen wurden, damals gab es nur wenige zentrale Radiosender, die als Propagandaorgan lediglich die Meldung großartiger Siege verbreiteten und die Verlustzahlen verschwiegen oder kleinredeten.


Außerdem würde ich versuchen die häufigen Wiederholungen wie beispielsweise "runter" und "Vater" zu vermeiden.

Ich hoffe du nimmst mir die kritischen Worte nicht übel.

Beste Grüße

Blumenberg
 



 
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