Das Fenster zum Hof

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Das Fenster zum Hof,
oder „Einmal Waisenhaus und zurück“.
Eine Moritat ohne Happy-End.


Ich seh aus dem Fenster und find es famos,
im Hof unten ist mal endlich was los.
Die letzte Zeit war es wirklich echt öde,
ich glaubte schon, jetzt wirste bald blöde.
Doch plötzlich, wie aus heiterem Himmel,
gibt es dort unten ein großes Gewimmel.
Gerade noch war nichts, doch jetzt, zapperlot,
schlägt Hilde von drüben den Ottokar tot.

Nun solltet ihr wissen, dass Ottokar
nicht eigentlich einer der guten war.
Wohingegen immer schon unsere Hilde,
nun ja, sie führte stets Großes im Schilde.
Doch eigentlich war ihre Herkunft vakant,
sie hatte nicht Vater, nicht Mutter gekannt.
So blieb ihr, wie traurig, als schreckliches Los,
als Alternative das Waisenhaus bloß.

Unserm Ottokar hingegen,
waren Eltern doch gegeben.
Geholfen hat ihm das nicht viel,
bis auf Erziehung mit dem Besenstiel.
Nicht lang er sich bei den Eltern sonnte,
auf und davon war er, als er laufen konnte.
Von hier nach dort trieb ihn das Leben,
Ruhm und Reichtum waren sein Bestreben.

Die Hilde war im Waisenhaus,
`ne graue und `ne stille Maus.
Viel Zeit verbrachte sie nach innen,
dem konnte sie viel abgewinnen.
Sie verglich sich manchmal mit dem Goethe
und für Musik hatte sie eine Flöte.
Auf dieser produzierte sie vielerlei Töne,
am Anfang laute, später dann schöne.

Ottokar stand auf der Straße,
zufrieden mit sich in dem Maße,
dass jetzt das Leben ohne Hiebe
ihn führen würd zu Geld und Liebe.
Doch plötzlich fand er sich auf Wegen,
die kamen ihm nicht so gelegen.
Das Schicksal nahm ihn bei der Hand:
das Ziel war Hildes Waisenland.


Gleich zu Beginn war Hilde ihm gewogen,
man fühlte sich zueinander hingezogen.
Es waren schöne, lichte Tage,
kein Schatten gab es, keine Klage.
Schon bald gab man sich sehr vernünftig
und plant, was machen wir zukünftig.
So ging dahin viel waisenhafte Zeit
und endlich war es dann so weit.

Man feiert Hochzeit, geht auf Reise,
empfindet Glück auf unbekannte Weise.
Schon damals, in dem Haus in Flandern
trennt man sich oft von all den andern.
Beglückt sind Ottokar und Hilde,
genießen Honigmond-Gefilde.
In Hildes Schoß versenkt sich Ottokar,
wenn das mal nicht `ne Zeugung war.

Im Anfang ist der Ottokar sehr fleißig
und bleibt auch so bis Ende Dreißig.
Die Hilde schenkt ihm eine Schar von Kindern,
so lieb, so schön, fast wie auf Bildern.
Vom Geld gibt man sehr wenig aus,
als es sich häuft, baut man ein Haus.
Am Abend trinkt der Ottokar ein Bier
und Hilde improvisiert auf dem Klavier.

Es ist so schön, so könnt`es bleiben,
gut leben wir, wenn auch bescheiden.
So sagt die Hilde, denkt ans Waisenhaus,
wie trist sah dort die Zukunft aus.
Nochmal nach Belgien dieses Jahr,
weißt du noch, wie schön das war?
Jedoch das Schicksal wendet sich zu andern,
und unter geht der Stern von Flandern.

Ottokar, vom Kopf her nur gering bemittelt,
ist körperlich sehr gut entwickelt.
Der Kinder Schönheit, immerhin,
sie geht bestimmt zurück auf ihn..
Hingegen Hilde, ja, so heißt es,
ist eigentlich ein Mensch des Geistes.
Und diese Diskrepanz von Geist und Bildnis,
sie führt die beiden ins Verhängnis.

Kein Lärmen mehr im Haus, kein Toben,
die Kinder sind jetzt aus dem Groben.
Am Abend, teils im Bett, teils in der Disco,
man ist allein und fühlt sich gut so.
Doch plötzlich merken sie, an solchen Tagen:
Man hat sich gar nichts mehr zu sagen.
Urplötzlich ist die Welt verkehrt,
da sitzen sie, in sich gekehrt.

Im Grunde kennt man die Geschichte:
Die Männer sind die Bösewichte.
Die Frau, die wird alleingelassen.
Sie kann es anfangs gar nicht fassen.
Zum Schluß wird dann auch noch die Liebe
ersetzt durch Nörgelei und Hiebe.
Die Frau, sie wird zum Hassobjekt,
der Mann hat frisches Fleisch entdeckt.

So war es auch bei unsern`beiden,
sie sind gewiß nicht zu beneiden.
Am Anfang sah man Perspektiven,
allein, was ist davon geblieben?
Ein Haufen Kinder, Streß und Schulden,
jetzt will sich niemand mehr gedulden.
Das anfangs akzeptable Leben
wird einfach auf den Müll gegeben.

Was ist letztendlich wie passiert?
Alas, es hat hierhergeführt.
In diesen kleinen Hinterhof.
Nichts deutete auf`s Ende, bloß:
Als Hilde kam, trug sie ein Beil
und damit macht` sie gar nichts heil.
Zielstrebig ging sie auf ihn zu
und schlug ein paar Mal kräftig zu.

Da steht sie jetzt mit ihren Blagen,
im Staub, ihr Mann, von ihr erschlagen.
Die Zukunft hinter Gitterstäben,
ist kein erstrebenswertes Leben.
Ein Schritt nach vorn, Hilde, oh weh,
da kommt ein großer LKW.
Die Kinder schreien noch: oh Graus,
für Hilde ist das Leben aus.

Allein, was wird jetzt mit den Kindern,
sie werden elternlos verwildern.
Wie geht für sie die Sache aus?
Es bleibt doch nur das Waisenhaus.
Ach, dort begann, vor vielen Jahren,
ja, hört nur zu und lasst`s euch sagen,
das Leben, anfangs wunderbar
von Hilde und dem Ottokar.
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Elmar,

Deine Moritat gefällt mir. Ein bißchen könnte man zwar herummäkeln an den Reimen, den Reimgeschlechtern, der Metrik. Aber - und das finde ich erstaunlich - trotz der bei exakter Analyse nachweisbaren Fehlerchen liest sich der Text flüssig. Die Pointe ist gelungen. Schade, daß wenige LL-er diesen Text bis jetzt gelesen haben, er verdient mehr Aufmerksamkeit.

Schönen Abend noch

Pen.
 
Hallo Pen.

Schönen Dank für Dein Lob. Falls Du konkrete Vorschläge zu den erwähnten nachweisbaren Fehlerchen hättest, beseitige ich diese gerne.
Ich wünsche einen schönen Herbstsonntag.
Elmar
 

Ralf.

Mitglied
Ich will gar nicht lange analysieren, sondern nur ganz spontan mein Leseempfinden wiedergeben:
Ich hab das sehr sehr gern und rabenschwarz gelesen und mich dabei hervorragend amüsiert. Sicher gäbe es bei den Reimen oder dem Metrum ein paar Sachen zu ändern.. aber what the hell! :D Bevor es zu verkopft gereimt und gemetrumt ist, belaß es lieber so wie es ist.

Ralf.

P.S. Ich grinse immer noch.
 



 
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