Das Flöz 10 - Journaille

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Gerüchte bahnten sich ihren Weg durch die in einer Welle von Gleichmacherei verwüstete Gazettenlandschaft. Es bot sich ein Bild der Ratlosigkeit. Mal las man vom Einstein des Ruhrpotts - aufgrund welcher Theorien, war den Lesern relativ egal - und mal von seinem Freund, dem Studenten, der in die Yuppie-Ecke gedrängt wurde: Neo-Häretiker und studentischer Posthippie auf dem Vormarsch in die Blindschächte. Es gab zwar Fotos aus dem Bergwerk , aber die baustellenartigen Zustände einzelner Abschnitte erlaubte keine genaue Identifikation von Strukturen.

Aber etwas Wesentliches war geschehen: die Gier auf mehr Infos war geweckt, und das Gazettenraubtier hob witternd die Nüstern. Es gab wöchentliche Features, die besonders zum Weekend gespickt mit Spekulationen von Leuten waren, die absolut nichts mit dem Projekt zu tun hatten. Meinungs-Macher und Ehrabschneider machten ihre Punkte.

In Wissenschaft heute erschien ein Beitrag über den Professor mit dem Titel:
Kann man Licht spalten?
Oder: wie schaffe ich es, durch Werberummel
den Nobelpreis zu bekommen?


Der Verfasser des Artikels, kein sanftmütig mit Freidenkern Umspringender, war ein gewisser Physio-Logik-Experimenteller, erzkolumnistisch versierter, miefigprotokoll-arisch Gekleideter und oft provo-kommillitant auftretender Chemo-Praktiker namens Dayermeier. Er konnte geschickt Sätze eines Gegners nutzen, diese spießig umdrehen, und dann gegen ihn richten. Er nannte einfach das Argument des Gegners eine Prämisse. Ja, was sollte das schon groß sein, so eine Prämisse? Ein Vorwort höchstens. Das klang schön vorläufig, noch nicht festgelegt. Die Komfortzone der Unwiederlegbarkeitsnachweisbarkeit. Und dann konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen:

1. Fliege: Sich mit den fremden Gedanken-Federn des Gegners schmücken, und die
2. Fliege, die er plattmachte, war der Gegner selbst. Befürworten kann man derartige hypochondrische Thesen nicht, obwohl es uns gleichwohl bewusst ist, blah blah......., gab er sich vorgekaut. In hartnäckigen Fällen auf der Selbstbehauptung herumreitend - Chauvinismus-, wurde er gerne grobschlächtig, und bei besonders uneinsichtigen Gegnern gab er kribbeligen Bauchimpulsen Raum, die wie ein Gewitter spannungsentladend wirken mochten.

Bei einer Talk-Show verhedderte sich ein interregionaler Politiker bei der Beantwortung der Frage, ob das Unternehmen nicht die Gefahr eines neuen Monopols im Ruhrgebiet heraufbeschwöre. Als er mit großen Zahlen jonglierend, von Altlasten sprach, fiel dem Moderator das Mikro runter. Der Saal lachte. Geschickter Trick, den der Kollege da vorführte, man lachte ja gleichzeitig auch über das Letztgesagte des Politikers!

Der Ausdruck E.R..P.- Experiment bahnte sich mühelos den Weg zum Bewusstsein des schlagwortgeilen Endverbrauchers. Allerdings zum Nachteil des Chemo-Praktikers. Wenn der bei seinem Frisör saß, sagte dieser immer wieder: „Ja, Herr Podolski, .....find ich auch, Herr Podolski....das ist ganz richtig, Herr Podolski“. Beim Bezahlen fragte er den Haartechniker, warum er immer Podolski zu ihm gesagt habe, wo er doch wisse, dass sein Name Dayermeier sei. „Nun, weil sich Ihnen dann immer so schön die Haare sträuben!“

Dadurch aber wurde der Frisör zur bestechungswürdigen personagratamacongelata. Er geriet in ein Kreuzfeuer von sich in Häme überbietenden, journailleabhängigen, meineidsvermeidenden durchdoktrinierten Leitartiklern.

*

„Da versucht man schon mal, etwas anders zu machen, etwas Neues!“ Sebastian kam aufgeregt gestikulierend in den Presseraum und faltete eine großformatige Tageszeitung auf. Er schlug mit der Rückhand auf den Artikel: „Schauen wir mal nach, was hier wieder über uns steht“:
Spinnerter Wissenschaftler und Suburbaner-Yuppie gehen untertage!, las er bitter vor.
Noch eine Woche bis zur Eröffnung. Hat sich der OB von Essenduisburgoberhausenbottropundschalke überlegt, wie er dem Ansturm einer derartigen Unterhaltungsmaschinerie gewachsen wäre? Stoßzeiten geraten außer Kontrolle. Die Läden schließen eher, die Angestellten wollen rechtzeitig vor dem TV sitzen um das Spektakel live mitzuerleben.

Eine bretterharte Bürgerwehr....äh, pardon, Bürgerfront macht sich stark gegen das sehr in die Nähe der Ectasy-Szene gerückte Grubenprojekt. Der dubiose Professor ist eine wahre Lichtgestalt, wenn es um Verschleierung von Techniken und Formeln geht. Bis dato rätseln die Kollegen aus dem Bereich der Astrophysik über die Art der Problemstellung, an der der Professor gerade arbeitet. Nachdem er nun seit zwei Jahren in der Abgeschlossenheit seines Arbeitszimmers brütet - zumindest ist er kein schneller Brüter -, werden auch langsam die Kollegen von der Radioelektroskopie aufmerksam....“


Fortsetzung folgt
 

herb

Mitglied
He Doc,

Für mich, ich sagte es schon, die beste Folge bisher. Deine geistreichen Wortschöpfungen hältst du einigermaßen an der Leine, dass beim Leser kein Gefühl der Leere, sondern eine humorvolle Bereicherung im Kopf entsteht, also diszipliniert geschrieben, hat man dir die richtige Musik geschenkt?
Nebenbei, wie mit einem lässigen Schlenker, eine gekonnte Parodie der Medien.
Wenn das so weitergeht, wird das gesamte Werk echt gut.
Ein sicheres Zeichen, die Zahl der Leser wird immer weniger, smile

bedauernd

herzlich
 
Hallo Herb!
Neh, die richtige Musik nicht, aber etwas anderes: Ich habe eine Trainingsarena gefunden, wo ich mich mit Gleichgesinnten austoben kann.
Und nicht zuletzt lerne ich auch an Deiner Schreibe, mehr Erzählfluss in meine unbändigen Wortspiele/spaltereien zu bekommen. Es ist spannend. Von daher zittere ich schon meinen nächsten Folgen entgegen, die, noch in alter Form, verschlafen darauf warten, umgeschrieben zu werden.

Danke auch für den Trost eines Erfahrenen Viel-Folgen-Posters.
Werden auch die Leser wen`ger
Und die Augen immer trän`ger
Kämpfen wir uns durch die Sätze
Ringend um die vord´ren Plätze

mediale Grüße
 



 
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