Das Flugzeug im Moor Vol. 3

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Hagen

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Inzwischen waren drei Wochen vergangen, der Job hatte mich fast aufgefressen und die Sache mit Myra hatte ich total verdrängt. Inzwischen hatte sich das ‘Wochenende mit Irene‘ abgespielt, und ich hatte mir vorgenommen, mich nie wieder um eine Frau zu bemühen.
Doch als dann das Telefon klingelte, wusste ich, dass Myra am anderen Ende saß und ihre Stimme perlte lebensfroh aus dem Hörer:
„Wollen wir uns heute Abend sehen? Ich hab ein Zimmer in einem kleinen, romantischen Gasthof gebucht.“
„Hört sich gut an. Natürlich will ich! – Mensch Myra, ich freue mich!“
„Fein. – In zwei Stunden bei mir?“
„Klar, gerne, ich bin ja flexibel! – Sag‘ mal: Wo ist denn der kleine, romantische Gasthof?“
„Lass dich doch mal Überraschen! Also, in zwei Stunden. Ich freu‘ mich auch.“
Duschen, ein Hemd zum Wechseln sowie eine Zahnbürste einstecken und losfahren war eins, sicher hatte sie den Friseur über oder sonst irgendwie satt.
Als ich bei Myra vor der Tür hielt, war Bukowski leider auch schon da und polierte mit dem Ärmel an seinem Auto rum, jedenfalls nahm ich an dass es sein Auto war, die viertürige Familienkutsche mit Automatic, für die mit der dümmsten aller möglichen Werbungen Reklame gemacht wurde.
„Da ist ein Zettel an der Tür, wir sollen warten“, sagte er.
„Dass Frauen es immer so kompliziert machen müssen“, knurrte ich, „hat sie ihnen gegenüber auch was von einem Gasthof erwähnt?“
„Ja, hat sie. – Was sie wohl vorhat?“
„Ich kann mir vorstellen, dass es auf ein Duell herausläuft. – Sie wird Pistolen besorgt haben, sich um Adjutanten gekümmert, einen Arzt… und sie erscheint dann in einer Kutsche und hat einen Fächer vor dem Gesicht. – Sie wird sich in dem kleinen Gasthof unter falschen Namen eingetragen haben; - und uns auch. Wir werden uns früh morgens am Waldesrand irgendwo in der Wildnis, wo man die Schüsse nicht hört, duellieren. - Mann ist das couragiert!“
„Was ist denn daran couragiert? Ich mach‘ da jedenfalls nicht mit!“
„Dann werden sie wohl auf Myra verzichten müssen, wenn sie Angst haben! - Ach ja, sie stehen ja mehr auf alberne Spielchen wie Streichhölzer ziehen…“
Ein offener, roter Spider hielt in diesem Moment vor dem Haus.
Myra saß drin, schön wie die Sünde, winkte uns zu und gab wieder Gas.
„Sicher will sie, dass wir ihr folgen“, vermutete Bukowski.
„Blitzmerker“, knurrte ich und war etwas eher an meinem Auto als er an seinem. Irgendetwas rief er noch von ‘zusammen fahren‘, aber da war ich schon gestartet. Das fehlte noch, zusammen mit diesem Weichspüler in einem Auto und mir dann noch Vorträge über Schampons anhören, während wir hinter einer gemeinsamen, potentiellen Geliebten herfuhren!
Niemals!
Überhaupt grenzte das an Schwachsinn, was ich tat, hinter Myra her fahren, durch den Ort und auf die Autobahn, aber ich hatte diese Nummer mal angefangen und zog sie nun auch durch!
Ich holte auf, fuhr irgendwann neben Myra und ihrem roten Spider. Sie lächelte und ich vermeinte ihren Duft zu empfinden, ein Duft voller Sinnlichkeit. Ich warf ihr einen Kussmund zu, sie erwiderte ihn und stieg aufs Gas. Schnell war sie wieder weit vor mir und der Spider tänzelte an den anderen Autos vorbei.
Ach Myra, warum hast du solche Spielchen nötig?
In Öl gemalt, im Stil Agnolo Bronzinos, wärst du mit deinen wehenden Haaren in dem roten Spider ein Bild der klassischen Kunst gewesen!
Irgendwann war ich wieder dicht bei ihr, überholte sie, aber sie war plötzlich weg, verschwunden. Und dann tauchte sie ein Stück vor mir wieder auf, irgendwie musste sie den Standstreifen mit der Überholspur verwechselt haben. Sie setzte den Blinker und verließ die Autobahn an der nächsten Abfahrt.
Ich tat es ihn nach, eine Landstraße, von Birken gesäumt; - die Gegen kam mir irgendwie bekannt vor.
Der Wagen Bukowskis tauchte im Rückspiegel auf, ich zerquetschte einen Fluch im Mundwinkel. Myra bog ab, in eine Seitenstraße, ihr Spider tauchte zwischen Bäume und einzelne Häuser. Ich folgte und leider auch der Viertürer Bukowskis. Einzelne Wiesen, teils unter Wasser stehend, Gräben, kleine Brücken, schmale, ausgefahrene Straßen, einzelne Gehöfte mit riesigen Scheunen; - was wollte Myra hier?
Plötzlich war sie verschwunden.
War da nicht eben ein Haus mit einem verwitterten Schild mit weißem Bett drauf auf blauem Grund gewesen?
Ich bremste, setzte halb in die Einfahrt eines Hofes, wendete und fuhr zurück. Tatsächlich; - Myras roter Spider stand auf dem Parkplatz, offen, von einigen Büschen verborgen.
Ich stellte mein Auto daneben, stieg aus, schloss ab und sah das Höschen auf dem Beifahrersitz, ein blauer Seidenslip, ein Hauch von Nichts mit Spitzen und einer kleinen, dunkelroten Rose.
Bukowski nahte, ich nahm das kleine Stück Seide, roch kurz dran, es duftete nach Sinnlichkeit, und steckte es ein. Die Geschichte bekam etwas kitschig-theatralisches.
Die kurze Empfindung von Verlangen, Sinnlichkeit und Leidenschaft wurde zerstört, als Bukowski auch ein kurvte.
Ich drehte mich um und ging in den Gasthof.
Ein Schankraum wie Millionen anderer auch: Tabaksqualm, ein ungeiler Wirt und zwei Männer mit Biergläsern vor sich an der Theke.
Bukowski kam auch rein, ich stieg auf einen Hocker an der Theke, Bukowski setzte sich neben mich.
„Ist hier eine junge Frau abgestiegen?“ fragte Bukowski den Wirt.
„Zwei Bier“, bestellte ich.
„Wieder zwei Kurze dazu?“ fragte der Wirt.
„Natürlich.“
„Ich trinke aber keinen Schnaps“, sagte Bukowski, „haben sie nicht eine Pink Fanta?“
„Sie können nicht in so eine Kneipe gehen und dann einen rosa Drink bestellen; - und dann auch noch alkoholfrei! - Man wird sie für schwul halten, Bukowski!“
„Was?“
„Ach, vergessen sie’s! – Sie können doch nicht einfach in so eine Wirtschaft gehen und fragen ob hier eine Frau abgestiegen ist, wo sind wir denn? Wir sind lange hinter der Frau hergefahren, sitzen hier und warten auf sie. – Jetzt kann sie auch mal zu uns kommen; - und sie wird kommen!“
„Ich verkehre ja sonst nicht in solchen Lokalen…“
„Sone Kneipen liegen jetzt aber voll im Trend! Wer ‘in‘ ist, meidet Nobeldiskos. Wussten sie das etwa nicht? – Prost Bukowski.“
„Wenn das so ist…“
Als wir unsere Korngläser aneinander stießen, klirrte ein drittes Glas gegen meins, gehalten von schwieligem Daumen und Zeigefinger mit zerklüfteten, schwarzgeränderten Nägeln.
Mit meinem Glas hob ich meinen Blick und trank.
Der Mann auf der anderes Seite neben mir, der mit dem zernarbten Händen und zerklüfteten Fingernägeln, kam mir zwar bekannt vor, ich konnte ihn aber nicht unterbringen.
„Na, jöms wör im Lande?“ fragte er und kippte seinen Korn.
„Wie das Leben so spielt“, antwortete ich möglichst neutral.
„Sie wullt wör noh dem Flugzeug kieken?“
„Welchem Flugzeug?“
„Na dat Flugzeug, das domols während der letzten Kriesdoge in’t Moor afsopen is. Een Typhoon, wenn ick mi nich irre.“
„Das hatte ich diesmal eigentlich nicht vor…“
„Na, ick hef nur dacht… Weten sie, de Maschin kümmt wedder no boben. De Kanzel unn dat Seitenleitwerk sin jüms to sehen… Kümmt selms vor, dat dat Moor wat hergeven deit.“
„Vielleicht will sie ja wieder raus und fliegen“, grübelte ich, „schließlich ist sie ja dafür gebaut worden.“
Der Mann mit den zerklüfteten Fingernägeln neben mir runzelte zweifelnd seine Augenbrauen zusammen, „dat soll’s geven?“
„Warum nicht? – Bis zum endgültigen Beweis des Gegenteils halte ich diese Behauptung aufrecht! – Wissen sie, ich hab schon mal einen Hubschrauber erlebt, der seinen Daseinssinn darin sah, das in Ordnung zu bringen, was die Menschen in ethischen Sinn verbockt haben. Gibt’s alles! – Trinken wir noch einen Korn? Sie auch, Bukowski?“
„Sie sind ja verrückt!“
„Ich weiß!“
Bukowski sah mich mit einer Mischung aus debilem Erstaunen und überheblicher Interpretation an.
„Dasch man alles bannig mysteriös! – Prost.“
„Na dann.“
Wir kippten den Korn, auch Bukowski.
„Wissen sie, wir alle bauen ja daran, dass diese, die besten aller möglichen Welten, so ist, wie sie ist, wobei jegliche Kreatur, jegliche Materie das ihre möglichst sinnvoll zu dieser Welt beiträgt; - alles experimentell. Manchmal kommt allerdings etwas anderes dabei heraus, als wir es uns vorgestellt oder erhofft haben. Normalerweise bezeichnet man das Experiment dann als missglückt…“ dachte ich laut.
Ich sah Myra wieder vor mir, wie sie in ihrem roten Spider saß, mit wehenden Haaren, mir zuwinkte, einen Kussmund zuwarf…
„Das ist doch völliger Blödsinn!“ sagte Bukowski, „welchen Daseinssinn soll denn ein Flugzeug in sich sehen?“
„Panzer vernichten! Eine Typhoon ist dafür gebaut worden! – Dieses Baumuster ist zwar ursprünglich als Jäger konzipiert worden, aber als Panzerknacker war sie wesentlich effektiver“, antwortete ich.
„So ein Quatsch“, sagte Bukowski.
„Ist kein Quatsch! Die Typhoons hatten Raketen mit, acht Stück, RP-3 rockets mit 60 lb High Explosive heads in steel Mk.I rails. Damit haben sie die Panzer geknackt.“
„Woher wissen sie das denn?“
Tja, woher wusste ich das? Wusste ich auch nicht.
„Wieso, das weiß doch jeder!“ sagte ich lässig, „das weiß sogar unser Freund dort.“
Ich deutete mit dem Kopf auf den Moorbauern, und der nickte eifrig.
„Und so eine Maschine liegt draußen im Moor?“ zweifelte Bukowski.
„Und sie kommt wieder hoch, weil sie noch nie einen Panzer geknackt hat und dieses unbedingt tun will“, sagte ich. „in der klassischen Literatur, die ihnen ja fremd ist, Bukowski, gibt es die sogenannten ‘Wiedergänger‘; - Menschen, die immer wiederkommen, bis sie das getan haben, was sie tun mussten um endlich ihre ewige Ruhe zu finden. – Der fliegende Holländer war so einer.“
„Der war ja auch ein Mensch“, Bukowski machte ein wichtiges Gesicht, „dass es sowas bei Flugzeugen gibt, habe ich ja noch nie gehört.“
„Tja, sie können noch viel von mir lernen. Sogar sie, Bukowski! – Ich würde sagen, wir trinken noch einen und gehen mal gucken. - Wie sieht es aus, Bukowski, zu feige?“
„Ich werde doch vor einem alten Flugzeug keine Angst haben!“
„Ebend, ich auch nicht. – Herr Wirt, nochmal das Gleiche. – Sie leihen uns doch sicherlich auch Gummistiefel?“
„Türlich.“
Der Wirt stellte uns die Gläser hin, kramte hinter der Theke herum und hob zwei Paar Gummistiefel hoch, „die müssten passen.“
In diesem Moment kam Myra herein; - nein, sie erschien.
Es gibt so schöne Agentenfilme, die im zweiten Weltkrieg spielen und in denen immer eine noch schönere Agentin vorkommt, die irgendwann, meist gegen Schluss, dem Guten weiterhilft. Diese Agentin trägt immer einen Hut tief in die Stirn gezogen, Sonnenbrille, tief dekolletiertes, geschlitztes Kleid und Netzstrümpfe. Genauso sah Myra aus, sie hatte sogar eine Zigarette mit langer Spitze in der Hand.
Wir hielten alle den Atem an.
Myra schwebte, wie es sich für eine gute Agentin gehört, durch die Kneipe als wäre sie die Bar eines exklusiven Hotels und setzte sich in einer Ecke mit dem Rücken zur Wand an einen Tisch.
Es dauerte einige schwülstige Augenblicke bis sich die Männer an der Theke wieder umdrehten und sich der Wirt wieder seiner Tätigkeit zuwandte, das Glas zitterte leicht an den Hahn, als er das nächste Bier zapfte.
Ach Myra, hast du es wirklich nötig, dich mit sowas wie diesem Bukowski einzulassen?
Niemals werde ich mit sowas teilen, niemals!
Ach Myra, solltest du das wirklich vor haben, gibt es nur eine Möglichkeit…!
Wie ich es mir gedacht hatte, lief es auf ein Duell heraus; - aber vorher war noch mal schnell nach dem Flugzeug im Moor zu gucken.
Mit einem Ruck trank ich mein Bier aus, stand langsam auf, ging zu Myra an den Tisch und setzte mich ihr gegenüber.
Bukowski kam etwas schneller hoch, er war auch etwas schneller bei Myra – äußerst uncool, wie er sich benahm – und setzte sich sogar neben sie. Natürlich überschüttete er sie auch gleich mit dummen Fragen, wo sie denn solange gesteckt hätte, und was das hier sollte; - als säße Myra vor ihm im Friseursessel und er hätte den Smalltalk in Erwartung eines Trinkgeldes zu bestreiten.
Myra antwortete höflich aber nichtssagend, während ich mir eine Zigarette drehte und ihr in die Augen sah.
„Tja“, sagte ich langsam, nachdem Bukowski die dummen Fragen ausgegangen waren, „wir wollen uns noch mal eben schnell das Flugzeug im Moor angucken. Das kommt langsam wieder hoch. – Kommst du mit? Wir sollten uns allerdings beeilen, es wird bald dunkel.“
„Die Typhoon?“ fragte Myra, „wie in deiner Geschichte? – Natürlich komme ich mit.“

Wenig später stapften wir durchs Moor, sogar Bukowski.
Seltsam war es anzusehen, wie Myra in ihrem eleganten Kleid, mit Hut, Netzstrümpfen und geliehenen Gummistiefeln durch das Moor quatschte, aber das machte sie mit einer Eleganz, die alles andere als lächerlich war. Ich allein wusste, dass sie keinen Slip unter ihrem Kleid trug, es machte mich blind für die malerische Landschaft um uns her, das glucksende, gurgelnde Moor; - eine Flora und Fauna wie die Musik Carl Orffs.
Bukowski maulte natürlich mächtig rum, von wegen Quatsch und nass und kalt und lieber was essen, aber in einem ordentlichen Restaurant, aber keiner beachtete ihn, nicht mal Lühr, der Moorbauer mit den zerklüfteten Fingernägeln.
„Dor“, Lühr deutete, nachdem wir eine Weile schweigend durchs Moor gestapft waren, auf eine Baumgrupe, „hinner de Krüppelweiden, dor lecht se!“
Ich ging etwas schneller, hastete über das nasse, quatschende Gras; - aber hinter den kleinen, krummen Weiden war kein Flugzeug zu sehen, nur ein bunt schillernder Ölfleck lag auf der bräunlich-grünen Wasseroberfläche.
„Dor het se legen“, beteuerte Lühr, „forn Doch noch! Kunst mi ruhig globen.“
Ich nickte. Die Krüppelweiden, die Schachtelhalme, selbst die Grassoden, auf denen wir standen, kamen mir bekannt vor; - aber so, als hätte ich sie schon mal gesehen…
Myra stieß mich an: „Ich glaube, wir können wieder. Schade, dass das Flugzeug nicht mehr da ist. Ich hätte es dir gegönnt. – Wie bist du eigentlich auf diese Geschichte gekommen?“
Ich zuckte die Achseln, wollte etwas sagen, aber in diesem Moment schwoll das Geräusch eines Flugmotors an, eines hochtourigen Napir-Sabre-Motors, und dieser Motor drehte in Kampfleistung.
„Achtung Typhoon!“ schrie Lühr und ging hinter einer krummen Weide in Deckung. Intuitiv sprang ich auch hinter einen anderen Baum und riss Myra mit mir.
Das Flugzeug schoss dicht an uns, nur wenige Meter über dem Boden, vorbei.
Es war eine Typhoon, unverkennbar an dem charakteristischen Ölkühler vorn unter dem Motor zu erkennen; - und sie hatte Raketen unter den Tragflächen, acht Raketen. Deutlich waren sie zu sehen.
Uns ich sah noch etwas!
In dem Cockpit saß niemand.
In der Maschine saß kein Pilot, kein Kopf eines Piloten vor der Panzerplatte in dem Canopy!
Die Typhoon erhob sich etwas, beschrieb eine weitere Kurve, schmiegte sich wieder an den Boden, kam zurück, heulte diesmal direkt über uns hinweg und flog über die Baumgruppe, über die sie gekommen war, ab. Das Motorengeräusch verklang.
Lühr stand als erster wieder auf, „tschuldigung“, murmelte er, „aber dato steckt noch drin – unten Krieg…“
Ich half Myra auf, sie trug wirklich keinen Slip unter ihrem Kleid.
„Entschuldigung“, sagte ich, „aber ich habe damit gerechnet, dass er mit seinen Bordwaffen auf uns los geht.“
Myra sagte nichts, sie wischte nur stumm einige Dreckklumpen von ihrem Kleid.
„Du kriegst ein Neues von mir, wenn wir diese Sache hinter uns haben“, sagte ich.
„Welche Sache?“
„Ich zeige den Kerl in der Maschine an!“ tobte Bukowski plötzlich los, „der ist wohl verrückt geworden!“
„Wen wollen sie denn anzeigen, Bukowski?“ fragte ich und begann mir eine Zigarette zu drehen, „sie haben doch keine Kennung erkannt, geschweige denn den Typ. Sie doch nicht!“
„Na ja, war sicher so ein Sportflugzeug. Hier in der Gegend gibt es bestimmt einen Sportflugplatz, da ruf ich gleich mal an.“
„Was sie eben gesehen haben, Bukowski, war ein Geisterflugzeug!“
Ich zündete mir die Zigarette an, „da saß keiner drin! – Ich habe in der Kneipe ja davon erzählt. Diese Typhoon wird solange in der Dämmerung hier herumfliegen, bis sie einen Panzer geknackt hat. – Sie und wir werden erst dann Ruhe haben, wenn sie das getan hat! – Sie weiß nicht, dass der Krieg schon lange zuende ist!“
„Das ist doch lächerlich. Sie lesen zu viel Schundromane!“
„Im Gegenteil, ich schreibe sie! – Manchmal schlägt sowas in die Realität um! – Aber wenn sie ihrer Sache so sicher sind, Bukowski, können wir ja wetten. – Das letzte Mal haben wir auf ihren Wunsch hin Streichhölzer gezogen; - diesmal geht’s nach mir! Das ist nur fair!“
„Sie immer mit ihren Wetten! Worum soll’s denn diesmal gehen?“
„Um das, was wir lieben“, ich nahm Myra ganz fest in den Arm.
„Moment mal“, Myra wand sich los, „ich werde wohl gar nicht mehr gefragt.“
„Das ist jetzt eine Sache unter Männern!“
„Und wie haben sie sich die Wette vorgestellt?“ mischte sich Bukowski wieder ein.
„Haben sie“, ich sah Lühr an, „ein altes Fahrzeug, dass wir wie einen Panzer herrichten können?“
„Hebb ick“, Lühr nickte, „‘n ollen Drescher, der föhrt sogar noch… allerdings is de erste Gang, de Hordenschüttler un de Überkehrschnecke in Mors. Aber dat mockt ja nix, den Spoß mock ick mi!“
„Gut“, fuhr ich fort, „drei Tage! Wir werden das Ding trotz des defekten, wie sagten sie noch gleich?“
„Hordenschüttler!“
„… Hordenschüttlers als Panzer umbauen, mit einem schönen großen Balkenkreuz drauf! Wir werden während der Morgen- und Abenddämmerung mit dem nachgemachten Panzer ein wenig rumfahren. Wenn die Typhoon in dieser Zeit nicht drauflosgeht, haben sie gewonnen – Bukowski! Sie sind damit einverstanden, Herr Lühr?“
„Hebb ick doch secht! Den Spoß mock ich me!“
Bukowski grinste, wie Friseure grinsen, die von dicken Frauen trotz verpfuschter Frisur dicke Trinkgelder entgegennehmen.
„Na, denn! – Sie können das Ding meinetwegen fahren, vorausgesetzt, sie vermögen außer ihrer Automatiklimousine noch was anderes in Bewegung zu setzen, Bukowski!“
„Worauf sie sich verlassen können!“
„Na gut, dann gehen wir.“

Wir gingen in Lührs Scheune, in der ein alter Mähdrescher vor sich hindämmerte.
„Dat isser“, Lührs Hand klatschte an die Seitenverkleidung, „dann wullt wi mohl.“
Er kletterte hinein, nach etlichen Versuchen erwachte der Motor tatsächlich zum Leben. Wir öffneten das Scheunentor ganz und der Drescher rollte ins Freie.
Lühr brachte erst mal einen Kasten Bier, dann grüne Farbe in mehreren Nuancen, einige Kästen Werkzeug, ein Schweißgerät und etliche, selbst für mich unidentifizierbare Teile.
„Eigentlich“, sagte Myra als wir uns jeder, selbst Myra, erst mal ein Bier aus der Kiste nahmen, mit dem Daumen die Bügelverschlüsse hochschnappen ließen und die Flaschenhälse aneinander klirrten, „hatte ich mir diese Nacht ganz anders vorgestellt.“
„Ich denke, das holen wir in deinem Sinne nach“, lächelte ich, „Prost, meine Liebe.“
„Aber nicht, das du nachher lallst…“
„Nein; - wir haben schließlich einen Panzer zu bauen!“
Myra zog markant die Mundwinkel herunter und nickte:
„Das ist männlich, nicht wahr?“
„Klar.“
„Na, gut. – Dann gib mir mal Pinsel und Farbe, ich kann ja mithelfen, streichen.“
„Prima.“
Wir bauten zunächst die Haspel, den Messerbalken, die Einzugsschnecke und den Schrägförderer ab und brachten Bukowski bei, dass normale Schrauben gegen den Urzeigersinn zu lösen sind.
Abbauen geht immer etwas leichter als Anbauen, so ging diese Arbeit schnell von der Hand, wir tranken noch ein Bier und Bukowski maulte rum von wegen Hunger und so. Myra ging mit ihm los, Spiegeleier machen, da er dieses auch nicht konnte.
Es wurde eine richtig schöne Nacht; - für Lühr und mich jedenfalls.
Wir bauten erst mal alles ab, was überstand und nicht unbedingt gebraucht wurde. Dann schweißten wir eine alte Kardanwelle an den Korntank.
Im Job saß ich meistens am Schreibtisch und es tat mir gut, kurz zu nicken, damit die Maske über das Gesicht fällt und dann einen Lichtbogen ziehen, den Draht nachführen… es war einfach schön! Schweißen hat etwas männlich-archaisches.
Bukowski kam wieder und guckte erst mal in den Lichtbogen, verblitzte sich die Augen und jammerte rum. Wir schickten ihn weg, weit weg und er ging auch. Myra blieb bei uns und begann zu streichen, während wir aus wärmedämmenden Schlauchleitungen Panzerketten imitierten. Wir bauten noch einige Teile ab, schweißten welche an, tranken Bier, viel Bier, und verliehen dem Monstrum eine absolute Zweckform.
„Sauber!“ meinte Lühr, „hebb ick nicht docht!“
Der Morgen graute bereits, als wir das Ding noch in einem fiesen Grün fertig strichen und noch Balkenkreuze - riesige Balkenkreuze – und Kennungen aufbrachten. Lühr kannte sich damit aus.
Bukowski kam wieder und brachte einen Blumenstrauß für Myra mit. Wiesenblumen, frisch gepflückt, es hatte etwas Rührendes und nur noch gefehlt, dass er Myra ein Liebesgeständnis gemacht hätte. Glücklicherweise tat er es nicht, während wir unser Werk betrachteten.
„Oh Mann“, meinte Lühr, als er anfing die Pinsel zu reinigen, „wi wullt hopen, dat de Typhoon nicht so genau wet, wie’n richtigen Panzer utkeken deit.“
„Das hoffe ich auch“, sagte ich und griff mir das letzte Bier aus dem Kasten. Myra stand neben mir, ihr Kleid war nun endgültig hin, sie hatte die Wiesenblumen in der Hand und sie sah mich ein wenig traurig an.
Ich gab Lühr das letzte Bier und der freute sich.
„Je wullt dat Ding nu föhrn?“ er sah Bukowski an, und der nickte eifrig.
„Denn man tau. ‘n beten Gas geben bin anloten und in‘ twetwn Gang losführn, un wenn je den Gang nich rutkris, tweimol uppe Kupplung petten. – Un opp’m Hoff blieben!“
Lühr setzte die Bierflasche an, als Bukowski den ‘Panzer‘ anließ und gleich wieder abwürgte.
„Wenn dat man gutgeit!“
Bukowski fuhr wieder los, langsam eine runde auf dem Hof, noch eine, wühlte in den Gängen und … fuhr auf die Straße, direkt auf die aufgehende Sonne zu.
„Und ick sech noch, he schall op’m Hoff blieben…“
Lühr hielt mitten im Satz inne, denn das heulende Geräusch des Napir-Sabre-Motors, das wir vom Vortag noch im Ohr hatten, klang wieder auf.
„De Typhoon!“ murmelte Lühr tonlos, „se kümmt doch wedder… hedd ick nich docht!“
„Warum ist er bloß auf die Straße gefahren?“ flüsterte Myra.
„Weil er blöd ist!“
Die Typhoon schwang sich in diesem Moment über ein Wäldchen, schmiegte sich an den Boden und schwenkte auf unseren Panzer ein.
„Spring‘ rut!“ rief Lühr, als könnte ihn der Mann im Panzer hören, aber der fuhr weiter, und aus der Typhoon lösten sich zwei Raketen, ritten auf einer langen, weißen Rauchfahne auf den Panzer zu und schlugen ein.
Genau in der Mitte des Fahrzeuges.
Der Panzer fuhr weiter, in leichtem Bogen von der Straße, einige Teile fielen ab. Die Typhoon heulte darüber hinweg und setzte zu einer Kurve an, während sich das Monstrum auf die Seite legte und in die Grasnarbe neben der Straße bohrte.
Qualm und Flammen züngelten nun unter dem Motor in die Höhe.
Die Typhoon feuerte noch zwei Raketen in das qualmende, brennende Wrack. Wie in Zeitlupe dehnte sich ein Feuerball in dem Panzer aus, und ließ ihn förmlich zerplatzen. Räder, Bleche, die Kornschnecke, fielen mit höhnischem Schmatzen in die feuchten Wiesen und eine Gelenkwelle fiel mit klirrendem Geräusch auf die Straße.
Eine dicke, schwarze Qualmwolke erhob sich träge aus den Flammen und stieg auf, während sich die Typhoon langsam in den Himmel schraubte, höher und höher, bis sie nicht mehr zu sehen war, mit den ersten Wolken das Morgens verschmolz und ihr Motorengeräusch verklang…
Lühr rannte los, zu dem brennenden Wrack. Myra wollte ihm folgen. Ich hielt sie zurück.
„Das überlebt niemand“, sagte ich rau.
„Du hast dafür gesorgt, dass das ‘Geisterflugzeug‘ ihn umbringt! Ich hatte mich doch schon für dich entschieden, aber du musstest ja gleich überreagieren! – Ich will ihm wenigstens noch die Blumen bringen.“
Langsam ging sie auf das qualmende Wrack zu.

Ach Myra!
 



 
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