Das Frühstück

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Andi

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Das Frühstück

Irgendwo musste ein Fenster offen stehen. Schon seit einer ganzen Weile war er in seiner halbschlafigen Wohligkeit gestört worden. Ein kühler Lufthauch streifte Nacken und Schultern. Jetzt, sich hin- und herwälzend, taumelnd noch zwischen Tag und Traum, nahm er es wahr: das kleine, rechteckige Stück Himmel in der weißgetünchten Schräge. Noch farbloses Licht eines neuen Tages - Vogelgezwitscher, Geräusche erster Busse und Trambahnen, eines Flugzeugs in der Ferne, der Geruch nach frischgebackenem Brot.
Wo war er? Warum so früh wach geworden? Als Kind war er an seinem Geburtstag so aufgewacht oder an Weihnachten, aus Vorfreude auf den Tag. Eine Ahnung stieg in ihm hoch. Als er sich auf den Bauch drehte, fiel sein Blick auf ein Büschel zerwühlter brauner Haare neben einer zierlichen, zur lockeren Faust geformte Hand. Dass er nicht gleich darauf gekommen war!
Jeans und Hemd lagen auf dem Boden, dort, wo er sie gestern Nacht hatte fallen lassen. Das Hemd hatte er einfach über den Kopf gezogen, zugeknöpft. Auf die gleiche Art schlüpfte er jetzt wieder hinein – eilig, doch darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen. Einen Augenblick zögerte er, dann fischte er den schweren Schlüsselbund aus ihrer Motorradjacke. Er wollte ja wieder rein, ohne zu klingeln. Nach so viel Nähe war dies keine Grenzverletzung, oder?
Es gelang ihm, die riesige Eichentür ihrer Altbauwohnung leise zu schließen. Er stürmte davon, sprang dabei mit den Füßen in die Mitte der Platten des Trottoirs, die Ritzen meidend, pfeifend. Den Bäcker musste er finden, weit konnte er nicht sein, einen Blumenladen, ein Lebensmittelgeschäft. Er musste sich beeilen, musste fertig werden, solange sie noch schlief. Den Kaffee wollte er ihr ans Bett bringen und einen festlichen Frühstückstisch decken – mit Blumen, Kerzen, frischen Brötchen.
Während er darauf wartete, bedient zu werden, strömten die Ereignisse der vergangenen Nacht auf ihn ein. Sie hatten einfach in einer Kneipe am gleichen Tisch gesessen. Irgendwie waren sie ins Gespräch gekommen. Dann hatten sie ziemlich viel getrunken. Er hatte sogar gegen seinen festen Vorsatz wieder angefangen zu rauchen, weil sie es tat. Sie war viel jünger als er, hätte seine Tochter sein können. Er hatte ihr etwas von sich erzählt, sie hatte lebhaft in seine Erzählungen eingegriffen, Eigenes beigesteuert. Dann war ihr Gespräch immer dichter geworden, so kam es ihm vor, wagemutiger, chaotischer – sinnliche Zweideutigkeiten, eingestreut in geistige Höhenflüge, hatten sie erregt. Wo es nichts mehr zu verstehen gab, hatten sie einander augenblicklich verstanden.
„Is des ois?“ Die Verkäuferin reichte ihm Brötchen, Butter und Sahne, riss ihn aus seinen Erinnerungen. Er zahlte, verstaute alles in einer Plastiktüte. Merkwürdig, er konnte höchstens zwei, drei Stunden geschlafen haben, hatte jede Menge Alkohol und Zigaretten konsumiert - doch so munter, so stark, so jung, so vergnügt hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Im Zickzack hüpfte er durch die ihm fremden Straßen zurück zu ihr.
Von Liebe auf den ersten Blick – falls es so etwas überhaupt gab und falls es Liebe war, was er jetzt für sie empfand – konnte wohl keine Rede sein. Aber nachdem sich ihre Hände ein paar Mal wie zufällig berührt hatten, hatte er gleich eine Art Sog verspürt.
Draußen, direkt vor der Kneipe, an der Ecke einer belebten Kreuzung waren sie dann abgestürzt: einer in die Arme, in den Körper des anderen. Wie lange sie da gestanden hatten, eng umschlungen aneinander gepresst, wusste er nicht. Er hatte die Augen geschlossen, die Ohren, alles um ihn herum war im Nichts versunken, nur sie, sie, sie... Ihre Hände auf seinem Rücken, dann in seinen Haaren wühlend, wild, zärtlich. Die Spitzen ihrer Brüste – sie war viel kleiner als er – irgendwo in der Gegend seines Magens, dann hochrutschend, an den Rippen spürbar, als er sich zu ihr hinunterbeugte und ihre Lippen sich fanden. Das anfänglich behutsame, neckende Spiel ihrer Zungen, die allmählich immer kühner wurden, schließlich besitzergreifend.
Vielleicht, dachte er, während er, in jeder Hand eine Plastiktüte, jeweils zwei der ausgetretenen Stufen zugleich nahm, vielleicht krieche ich doch noch ein wenig zu ihr unter die Bettdecke. Frühstück machen kann ich ja, wenn sie im Bad ist. Ihr noch einmal ganz nahe sein, sie riechen. Er hatte sie gut riechen können. Seine kundigen Fingerkuppen sehnten sich nach ihrem weichen, warmen Körper.
Erst der dritte Schlüssel passte. Er stellte die Tüten ab. Durch den dunklen Flur schlich er zum Zimmer. „Wo warst du denn?“, empfing sie ihn. Sie war fertig angezogen. Das Bett war gemacht. „Wieso hast du einfach meine Schlüssel mitgenommen, wir sind doch nicht verheiratet. Gib sie mir wieder, ich muss los. Ich muss meinen Freund am Flughafen abholen, wir sind zum Frühstück verabredet.“
Wie betäubt stand er da, sie ungläubig anstarrend. Eine Antwort war ihm im Halse stecken geblieben. Langsam, wie in Trance, zog er die Schlüssel aus der Tasche, ließ sie in ihre Hand fallen. Die Magenkuhle schmerzte und der Brustraum beim Atmen...
Ein letzter Blick auf die kleine Mansarde, sie hatte die Dachluke inzwischen geschlossen, dann stolperte er wortlos hinaus. Die Plastiktüten ließ er stehen.
 

hopeless-1

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hm..

Hi

Deine Idee finde ich gut. Die Umsetzung so " naja".
Das Thema ist nichts Neues, doch deine Beschreibungen sind ziemlich detailliert.
Mich hat beim Lesen etwas gestört, dass ziemlich viele Sätze mit "Er/Sie" begannen. Ich weiss, es lies sich in der Art, wie du geschrieben hast nicht vermeiden. Aber ich fand es doch ziemlich auffällig. Des Weiteren komme ich teilweise mit deinen Zeitsprüngen nicht klar. Im einem Moment bis du in der Gegenwart und im nächsten Moment in der Vergangenheit. Diese Übergänge sind ziemlich holprig.
Deinen Anfang fand ich gut. Doch etwas gestört hat die Formulierung „Noch farbloses Licht eines neuen Tages - Vogelgezwitscher, Geräusche erster Busse und Trambahnen, eines Flugzeugs in der Ferne, der Geruch nach frischgebackenem Brot“. Farbloses Licht? Und dann zwitschern die Vögel? Mit dem farblosen Licht verbinde ich frühe Morgenstunden, die Welt schläft noch. Die Vögel vor meinem Fenster zwitschern meist erst, wenn sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg bahnen.
Du hast eine Vorliebe für Ellipsen, kann das sein? Teilweise sind diese Häufungen holprig. Manchmal kann eine etwas ausgebaute Satzkonstruktion die erfreulichen (Glücksgefühle in diesem Fall) besser rüber bringen.
Irgendwie hatte ich auch noch das Gefühl, dass du besonderen Wert auf den Altersunterschied gelegt hast, jedenfalls sprang mir dieser ins Auge. Doch sind „Ältere“ ( ich würde deinen Protagonisten auf 30 schätzen) wirklich die Menschen, die sich so schnell hoffnungslos verknallen? Sind sie nicht doch eher mit Reife und Erfahrung gesegnet ?

Vielleicht kannst du einige meiner Kritikpunkte nachvollziehen.

Liebe Grüße, Hopeless-1
 

Roni

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hallo andi,

also, mir gefaellt es.
sicher gibt es die eine oder andere kleinigkeit, auf die man eingehen koennte.
z.b. stroemen ereignisse der nacht ein? oder waere ein anderes verb passender?
oder:
„Wo es nichts mehr zu verstehen gab, hatten sie einander augenblicklich verstanden.“ so ein satz steht in allen ‚liebes’texten, in meinen auch, bevor ich ihn dann eiskalt loesche. da nutzt es auch nix, dass verliebte/ verknallte/ angezogene/ angesogene (such dir was aus) nun einmal so empfinden.
oder vielleicht ist es bei der reihung „so munter, so stark, so jung, so vergnügt“ zu viel des guten und drei beispiele wuerden reichen.
es gefaellt mir aber, weil es dir fast durchgaengig gelungen ist, zu zeigen statt zu erklaeren. du laesst deinen protagonisten agieren und allein dadurch vermittelt sich mir seine stimmung. und zwar so, dass es mir am ende leid tut fuer den armen kerl, ich haett’s ihm ja gegoennt.
streichen wuerd ich in dem zusammenhang allerdings seine ueberlegung, dass es ja nicht ‚liebe auf den ersten blick’ ist. das ist zu reflektiert, er weiss es ohnehin nicht wirklich genau, lass doch den leser entscheiden.

lg
roni
 

Andi

Mitglied
hallo hopeless und roni,
danke für eure ausführlichen stellungnahmen. immer wieder erstaunt mich, wie wenig ich selbst die qualität eigener texte beurteilen kann. diesen habe ich vor über zwanzig jahren geschrieben. vielleicht ist es ein bisschen so, wie wenn ich einen song aus dieser zeit höre. eigentlich würde er meinen heutigen ansprüchen nicht genügen, trotzdem mag ich ihn, denn mit der melodie tauchen die menschen, gefühle und stimmungen von damals wieder auf. liebe grüße, andi
 



 
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