Das Gänseblümchen im Walde

Das Gänseblümchen im Walde


Im Forst unangefochten regiert
der Baum, wetteifert ungeniert
ums Licht der Sonne; hierzu doch
muss sein er zwanzig Meter hoch.

Tief im Walde, dunkelgrün,
auch die Flora weiß zu blüh’n.
Doch ist schon einmal mitunter
auch ein Zwergending darunter.

Winzig klein und gelb und weiß
steht’s als Existenzbeweis,
buhlt ums Licht der Sonne - bloß
ist’s nicht mal einen Meter groß.

Bäume ragen links und rechts
elendig lang hinauf. Da krächzt
ein Rabe: „Hey, ihr großen Bengel!
Laßt doch Licht auch diesem Stengel!”

Das Gänseblümchen war nicht dumm
und wurzelte mit etwas Mumm
am Lichtungsrand und wird gar noch
fantastische zwanzig Meter hoch...​
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Was soll ich sagen?
Es mangelt dem Text leider an Logik.

Warum wird ein Gänseblümchen am Lichtungsrand auf einmal zwanzig Meter hoch. Das ist nicht mal witzig, geschweige denn vorstellbar. Weil Du die Mittel, die Vorstellungen ermöglichen nicht anwendest. Meinetwegen die abgedroschene Floskel vom Atomkraftwerk als Wurzelort. Oder eine andere Strahlungsquelle - verlorenes Handy, Mobilfunkantenne oder dgl..
Viele Möglichkeiten böten sich an, der Phantasie sind ja keine Grenzen gesetzt.

Nebenbei bemerkt gehören auch Bäume zur Flora. In diesem Sinne unterscheidet sich das Gänseblümchen nicht vom Baum.

Viele Grüße
Sta.tor
 

Walther

Mitglied
Lieber Crimson,

jenseits des Inhaltlichen, bei dem ich Dr. h.c. dicht. StaTor zustimmen muß, hapert es auch gewaltig am Metrum.

Da Du schon ausführlichst mir die metrischen Leviten gelesen hast - und völlig zurecht :D-, darf ich Dir hier das bekannt-berühmt-berüchtigte Silbenbild des verlupten Silbenzählers W. vorschlagen. Dieses setzt ein kleines "x" für eine unbetonte und ein großes "X" für eine betonte Silbe. Du kannst Dir das aber auch als "u" und "U" (vor)machen, wie beliebt. ;)

In diesem Sinne frohes Blümchen- äh Silbchenzählen. Gerne auch 20 Meter über dem Waldboden, mit schöner Aussicht auf Rehlein, Häschen und Füchslein. :D

LG W.
 
Flora – röm. Göttin der Blumen und Pflanzen
Flos – Blume
Arbor – Baum
Herba – Pflanze
vorare – fressen


Hallo Sta.tor!

Was soll ich antworten?
Der Text war einer meiner ersten Gehversuche für den Großen Gedichtewettbewerb 2000 der Nationalbibliothek deutschsprachiger Gedichte. Die Vorgabe war: maximal 20 Zeilen. Ich war nie besonders geübt darin, Miniplots zu entwickeln. Also schrieb ich einfach über ein Gänseblümchen, das sich im Kampf ums Sonnenlicht behaupten will. Und aus seinem sehnlichen Wunsch heraus (sehnlich! Deshalb 20), mal baumhoch zu werden, erklärt sich die Vorstellung von den zwanzig Metern. Es geht hier nicht um die Gestalt, nur um die Höhe. Es ist eine Wunschvorstellung. Offenbar habe ich das nicht so rübergebracht. Und für so eine Vorstellung braucht es keine Strahlungsquelle, kein Handy, keine Mobilfunkantenne und kein Atomkraftwerk, und ich nicht die Phantasie, etwas ähnliches zu finden, denn es ist ja nur die Fantasie eines Gänseblümchens.

Mit blumigen Grüßen
Markus
 
Lieber Walther,

was verstehst du unter „gewaltig”, ist das denn nicht relativ? Wie dehnbar ist das Wort?

Wenn ich ein Gedicht (fremd oder nicht) durchlese, irre ich mich selten beim ersten Angehen eines Verses (ist das bei dir anders?) und hebe intuitiv an den erforderlichen Stellen die (Geistes)stimme, selbst wenn man beim normalen Lesen/ Sprechen diese Silbe nicht betonen würde. Beim Vortrag wäre das vermutlich nicht mal aufgefallen. Genaugenommen sind es bei mir drei Betonungsarten: Unbetont, betont und halbbetont – im folgenden mit „h” gekennzeichnet. Denk es dir einfach als mittleren von drei Tönen.

Alright! Dann werde ich mein Werk mal auseinandernehmen:


Im Forst unangefochten regiert
x X (Zäsur) X x x h x x X – 4 Hebungen
der Baum, wetteifert ungeniert
x X (Zäsur) X x x X h h – 5 Hebungen
ums Licht der Sonne; hierzu doch
x X x X x X h h – 5 Hebungen
muss sein er zwanzig Meter hoch.
x X x X x X x x – 3 Hebungen

Tief im Walde, dunkelgrün,
X x X x X h h – 5 Hebungen
auch die Flora weiß zu blüh’n.
x x X x X h h – 4 Hebungen oder:
X x X x X h h – 5 Hebungen oder:
X X X x X h h – 6 Hebungen
Doch ist schon einmal mitunter
X x X x x x X h – 4 Hebungen
auch ein Zwergending darunter.
X x X x x x x x – 2 Hebungen

Winzig klein und gelb und weiß
X x X x X x X – 4 Hebungen
steht’s als Existenzbeweis,
X x X x X x x – 3 Hebungen
buhlt ums Licht der Sonne – bloß
X x X x X x (Zäsur) X – 4 Hebungen
ist’s nicht mal einen Meter groß.
x X x X x X x x – 3 Hebungen

Bäume ragen links und rechts
X x h x X x X – 4 Hebungen
elendig lang hinauf. Da krächzt
X X x X x X x X – 5 Hebungen
ein Rabe: „Hey, ihr großen Bengel!
x X x X x X x X x – 4 Hebungen
Laßt doch Licht auch diesem Stengel!”
X x X x X h h x – 5 Hebungen

Das Gänseblümchen war nicht dumm
x X h h x X x X – 5 Hebungen
und wurzelte mit etwas Mumm
x X h h x X x X – 5 Hebungen
am Lichtungsrand und wird gar noch
x X x x x X h h – 4 Hebungen
fantastische zwanzig Meter hoch...
x X x x X x X x x – 3 Hebungen

Damit haben wir:

4-5-5-3
5-5-4-2
4-3-4-3
4-5-4-5
5-5-4-3

Zugegeben: schon seltsam...
Aber verschiedene Menschen werden Verse unterschiedlich betonen, besonders beim Vortrag - im großen und ganzen zwar gleich, aber doch nicht völlig!

Und noch etwas: Hätte ich das einem Kind vorgelesen, hätte es sich bestimmt darüber gefreut, und die Mutter, die danebensitzt, mit ihm. Und keiner hätte an Atomkraftwerke gedacht...

Dankeschönchen!

Liebe Grüße
Markus
 
Die Lupe-Kommentare zu meinen Werken veranlassten mich, Vers 6 unmittelbar vor der Veröffentlichung hier abzuändern.

In der ersten Version hieß es:

Tief im Walde, dunkelgrün,
weiß die Flora wohl zu blüh’n.

Dass sich dabei der Sinn ändert, ist mir entgangen:

Tief im Walde, dunkelgrün,
auch die Flora weiß zu blüh’n.

Jetzt klingt es so, als ob außer den Bäumen „auch die Flora” (exklusive der Bäume) zu blühen wüsste. Das war nie beabsichtigt und provozierte natürlich den Verweis in die Botanik. Nächstes Mal werde ich die Kurve kriegen!

Sorry für alles!
 

Walther

Mitglied
Lb. Crimson,

ich mag die Art, in der Du dichtest. Sie hat was Frisches, Unbekümmertes, Kindliches, Hinterhältiges. So was, sag ich immer, kann nur ein protestantischer Schwabe (oder einer, der es lange genug bei ihnen ausgehalten hat).

Nur: Du bist kein Kind, und das Holpern kannst Du wegfeilen, ohne daß Deine Gedichte etwas verlören. Sie würden sie aber glaubwürdiger und sprachlich attraktiver machen (und man würde wegen dieser Holperer nicht mehr vom Inhalt abgelenkt; Sta.Tor hat das zurecht schon einmal angemerkt).

Nimm's leicht und als guten Tip. Mehr ist es ja nicht. Was Du davon übernimmst, ist und bleibt Deine Chose. ;)

Frohes Dichten und Werken.

Gruß W.
 
Hallo Walter,

ich glaube, so präzise ist mein Stil zu dichten noch nicht beschrieben worden und denke, du hast das genau getroffen, mit allen vier Prädikaten (bin wirklich nur "'n 'Rei'g'schmeckt'r).

Bei der Feilarbeit gebe ich dir uneingeschränkt recht. Heute gehe ich ein Gedicht anders an als damals. Es ist leider ein "altes" Gedicht, das schon beim Wettbewerb für die Aufnahme in die Anthologie nicht angenommen wurde. Einzig labels Vorschlag, ein Kinderbuch zu machen, hat mich nach weiteren, ähnlichen Sachen suchen lassen.

Vielen Dank für deine Feinfühligkeit! Unter Kritikern ist das nicht unbedingt selbstverständlich.

Liebe Grüße

Markus


P.S. Die Leviten habe ich dir nur gelesen, um zu erfahren, wie das ist. So ausführlich tue ich das sonst nie, sondern sehe d'rüber weg und versuche, die Beweggründe für die Schöpfung herauszuarbeiten.
 



 
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