Das Hämmern

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Till Braven

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Das Hämmern

Das Beunruhigende an dem Hämmern war, daß es plötzlich aufhörte. Urplötzlich war es still. Und da sage jemand, man solle sich keine Gedanken machen. Es begann vor etlichen Tagen, das Hämmern drang aus der Wohnung über mir herunter, dumpf, aber deutlich. So, als schlage man Nägel in eine Kiste. Unentwegt, immerzu Nägel in eine Kiste. Am frühen Abend ging es los, so gegen sechs Uhr, und es dauerte dann bis tief in die Nacht.
Ich will nun keinesfalls behaupten, daß ich übermäßig geräuschempfindlich wäre, sozusagen allergisch reagierte gegen den geringsten Krach im Haus, das gewiß nicht. Aber wenn jemand über Einem nächtelang Nägel in eine Kiste haut, stundenlang und immer wieder, jeden Tag von neuem, dann darf doch eine bestimmte Ärgerlichkeit angebracht sein. Schließlich würde ich es gar ungewöhnlich nennen, wenn in einem größeren Wohnhaus, in dem mehrere Parteien ihr Auskommen suchen, abend für abend Nägel in eine Kiste geschlagen würden. Daß man sich dann seine Gedanken macht, mit jemandem darüber sprechen möchte, finde ich in Anbetracht dieser Umstände durchaus normal.
Dazu muß erzählt werden, wer denn überhaupt die Wohnung über mir bezogen hatte. Dort lebte nämlich eine junge Frau, ich nenne sie jung im Verhältnis zu mir, eine alleinstehende Frau, die man selten sah, die sich kaum zu Klatschgesprächen im Treppenhaus hinreißen ließ, welche, so schien es zumindest, gewissenhaft ihrer Arbeit nachging, ich glaube sie war Lehrerin, die also morgens das Haus verließ und dezent am Nachmittag zurückkehrte. Es ist mir nicht aufgefallen, daß sie einmal Besuch bei sich empfangen hätte, abgesehen wohl von ihrer Mutter, einer älteren Dame mit feiner Erscheinung, welche gelegentlich sonntags zum Café gekommen war. Auch wüßte ich niemanden aus dem Haus, der sich an ihrem Verhalten stören würde, sie galt als vorbildliche Mitbewohnerin, ruhig und abgeschieden und korrekt, aber da war eben tagelang dieses Hämmern aus ihrer Wohnung bis in die Nacht, für welches es, so betrachtet, kaum eine vernünftige Erklärung gab.
Nun erläuterte ich bereits, daß ich mich nicht für maßlos empfindlich halte, was Geräusche im Haus betrifft, aber man mag auch dafür Verständnis zeigen, daß ich nicht in dieser Weise gestört werden möchte. Da kommt es doch sehr auf die Art des Klangs an, den man durch die Decke vernimmt, Musik etwa empfand ich noch nie als lästig, selbst dann nicht, wenn sie übermäßig laut abgespielt wird und zudem nicht meinem Geschmack entspricht, aber soll man ruhig, ich lasse es mir gefallen. Von Zeit zu Zeit lege ich ja selbst eine Schallplatte auf, und schaffe mir so einen Hintergrund für meine Gedanken. Bei Musik kann man viel besser überlegen, das sage ich mir immer, solche Töne beeindrucken die Kopfarbeit. Ich schätze Klaviermusik. So sehr, daß ich es schon des öfteren bereut habe, einmal nicht selbst Klavierspielen gelernt zu haben. Wir hatten in meinem Elternhaus kein Klavier, obgleich dies zum guten Ton gehörte, damals. Anderenfalls hätte man mich sicher im Klavierspielen eingeübt, wie es sich früher schickte, und ich würde diesem Instrument vertraut sein. In meiner Kindheit, da gehörten die privaten Musikstunden eigentlich in die Häuslichkeit unserer Kreise. Es waren meist Lehrerinnen, Persönlichkeiten wie meine Nachbarin, aus deren Wohnung das Hämmern drang, streng und sanft zugleich und eigentlich unscheinbar. Aber ob eine derartige Erziehung auch dazu angetan gewesen wäre, daß ich noch heute Klavier spielen würde, steht auf einem anderen Blatt. Sofern ich meine damaligen Schulfreunde beobachtete, waren diese Unterweisungen nicht sehr prägend, und sie führten keineswegs zu einem dauerhaften Verhältnis zur Musik. Mir wäre es da wohl kaum anders ergangen. So aber lege ich mir Schallplatten auf.
Es kommt auch immer darauf an, welchen Sinn man in dem Lärm sehen kann, der einem in die Wohnung dringt. Musik erklingt doch eher als ein Zeichen der Entspannung, sie sollte auf eine gelöste Stimmung hindeuten, schlimmstenfalls dient sie dazu, einen allzu laut geführten Familienstreit in seiner Deutlichkeit auf die eigenen vier Wände zu begrenzen. Was aber soll es bedeuten, wenn man Geräusche hört, als hämmere jemand Nägel in Kistenholz, und wenn dies in der Wohnung einer Frau geschieht, über die man nun beim besten Willen nicht lästerlich herziehen sollte, weil sie sich nichts zu Schulden kommen läßt, sieht man mal davon ab, daß ihr Leben auffallend nichtssagend verläuft.
In einem Haus wie diesem dringen einem ja die unterschiedlichsten Geräusche ans Ohr, das soll hier gar nicht verschwiegen werden. Ein tropfender Wasserhahn zum Beispiel, man stelle sich so etwas einmal vor. Das Ploppen des Tropfens ins Becken pflanzt sich über die Abflußrohre fort, über alle Knie hinweg, durch alle Verzweigungen und Kupplungen hindurch rückt der Laut unbeirrt über beträchtliche Entfernungen vor, kaum an Lautstärke einbüßend, höchstens heller und halliger werdend, bis man ihn vernimmt, wenn man sich still über eine Wanne beugt. Aber solche Töne gehören zum Alltag, weil es sie gibt, und weil man sie sich erklären kann. Ebenso müßte aber eine Erklärung denkbar sein dafür, daß jemand in der Wohnung einer ruhigen Frau Nägel in eine Kiste hämmert. Ich gehe tatsächlich davon aus, daß die Frau es nicht selbst tat, welchen Grund hätte sie schon, Nägel mit dem Hammer in eine Holzkiste zu schlagen. Oder doch? Ist es nicht dreist, abends bis in die Nacht eine Kiste zusammen zu bauen, dazu noch in der Wohnung eines Mehrparteienhauses mit seinen eigenen Regeln. Eine Kiste? Viele Kisten, tagelang, wenn solch eine Tätigkeit doch angebrachterweise in der Werkstatt eines Schreiners stattfinden sollte. Ja, wäre dort eine undurchsichtige Männergestalt der Mieter gewesen, wenn dieser Vergleich erlaubt sei, immerhin hätte man ihm eine Arbeit, die ein Hämmern erschallen läßt, als schlage man Nägel in eine Kiste, zutrauen können. Dann wäre man eines Abends hinaufgestiegen und hätte sich über den Krach beschwert, man hätte ihn sich verbeten, zu so später Stunde, tagelang. Kommt das Geräusch jedoch aus der Wohnung einer Frau, dann ist man natürlich eine Spur hilflos, dann macht man sich seine Gedanken.
Auch ich beschäftige mich ja, ich bin verständlicherweise keineswegs tatenlos. In meinem Alter hat man gewöhnlich auch die Zeit dazu, da kann man es sich erlauben, etwas mit Muße zu tun, es von langer Hand vorzubereiten, um es schließlich zu vollenden. So sei erzählt, daß ich zeichne, mit Pinsel und Farben auf Papier. Damit gelingt mir inzwischen etwas, was sich früher, als noch das Berufsleben meinen Alltag bestimmte, nicht so ohne weiteres erledigen ließ. Jedem Menschen dürfte das fortgeschrittene Alter in dieser Hinsicht wohl neue Türen öffnen. Ich also zeichne, ich fertige kleine Tuschebilder an, meistens Landschaftsmotive, denn die haben mich mein Leben lang besonders fasziniert. Ich male nach Fotografien, die ich irgendwann einmal, teilweise vor sehr langer Zeit, auf den verschiedensten Reisen durch die Jahre, aufgenommen hatte. Die Fotos brauche ich nur auszukramen, sie stecken verborgen in Kartons oder in die Jahre gekommenen Alben, dann bekomme ich sie suchend zu Gesicht, und sie fordern mich auf, ihnen ein neues Leben zu geben, sie aufzuwecken und zu entstauben, mich an sie zu erinnern und an ihre Herkunft, ihnen schließlich ein zweites Dasein zu geben in zarten Farben von Hand gezogen.
Dazu freilich benötige ich Ruhe. Diese Motive mit ihren eingefrorenen Sonnenstrahlen, mit dem Duft nach Heu und Blumen genauso wie dem des weiten Meeres, sie verlangen meine ganze uneingeschränkte Konzentration, man muß sich dem Bild widmen mit seiner ganzen Kraft, wenn man so will hineinklettern, es begehen und seine Sinne öffnen, alle die man hat. Nun mag man auch verstehen, daß ein fremdartiges Geräusch aus der Nachbarwohnung, ein Hämmern, als würden dort Nägel in eine Kiste geklopft, für mich mehr als bloß ein ruhestörender Aspekt ist, für mein Tun ist es einschneidend vernichtend. Es zerstört meine Beschäftigung, weil die Erinnerung rhythmisch blockiert wird, mit jedem fernen Schlag auf’s Neue. Wie soll der Mensch einer Landschaft auf den Grund gehen können, einer, die sich verinnerlicht vor seinem geistigen Auge aufklart, wenn dazu gehämmert wird.
Andere Leute hätten sicherlich abweichende Probleme mit solch einer Behelligung. Da sagen sie, bei derartigem Lärm könnten sie nicht schlafen, man kennt das ja. Ob Hämmern, dröhnende Musik oder ein lautstark gefochtener Ehekrach, einerlei, sogar das Schließen einer Autotür ist zu viel. Sie könnten keine Nachtruhe finden, heißt es dann aus dem Munde dieser Leute. Damit brauchte ich mich nie zu plagen, nur wer zuviel schläft, kann nicht einschlafen, das ist meine Ansicht und ich kann jedem ruhelosen Schläfer nur empfehlen, entsprechend weniger Ruhe zu suchen, bis wieder ein Gleichgewicht gefunden ist. Mit dieser Ausführung wollte ich also Demjenigen von vornherein entgegen wirken, der der Meinung wäre, eine Tablettenröhre auf meinem Nachttisch könnte mir helfen, das Hämmern in der Wohnung über mir zu vergessen.
Vielmehr bin ich der felsenfesten Überzeugung, daß damit Zeichen verbunden waren, ein Klopfsignal, welches mir zu deuten bleibt. Ja, heute bin ich sicher, daß diese Erscheinung mir gegolten hatte, mir ganz allein. Genauso, wie sich die Punkte und Striche des Morsecodes, welche ja auch, wenn man so will, durch die Drähte der Überlandleitungen gehämmert werden, sich als eine Nachricht lesen lassen, verstanden werden können, wenn man Kenntnis ihrer Bedeutung hat, genauso, denke ich, verhielt es sich mit den Nagelschlägen in der Wohnung der alleinstehenden Frau.
Aber welche Mitteilung gedachte man mir zukommen zu lassen, auf diese recht ungewöhnliche Art und Weise, und wer. Und aus welchem Grund wäre kein anderer Weg der Verständigung möglich und praktikabel gewesen. Warum sollte das Schlagen von Nägeln zur Übermittlung besser geeignet gewesen sein, als etwa ein Brief, ganz normal durch den Postboten hergebracht, klare Sätze schwarz auf weiß. An diesem Punkt bin ich ratlos, alle Erklärungen, sofern sie mir vernünftig erscheinen mögen, enden hier offen. Ich weiß nicht weiter. Das ist auch der Grund, warum ich davon überhaupt erzähle, sonst rede ich ja nicht viel, aber manchmal scheint so etwas unumgänglich. Daher ist es gut, daß ich nun einen Zuhörer gefunden habe.
Immerhin wurde das Hämmern, so als würden Nägel in eine Kiste getrieben, auch von anderen Bewohnern des Hauses bemerkt. Ich habe sie im Treppenhaus sprechen gehört, etwa wenn ich von Einkäufen kam, dann standen sie da, zwischen zwei Etagen, einen schönen Kreis bildend, und sie palaverten. Nicht, daß ich mich in die Gespräche eingeschaltet hätte, aber im Vorbeigehen erfuhr ich, daß auch das Hämmern zu einem Thema für das Haus geworden war. Diese Tatsache gab mir immerhin die Genugtuung, daß ich nicht etwa einer Sinnestäuschung aufgesessen gewesen war, daß ich nun Laute vernahm, die gar nicht existierten, alten Menschen sagt man sowas ja leicht nach. Aber ich konnte nun sicher sein, daß meine Ohren noch hörten. Sonst war dieser Haustratsch nicht sonderlich ergiebig, ich merkte, keiner würde meine Erkenntnis teilen, daß es sich womöglich um eine verschlüsselte Botschaft handelte, ja die Leute waren nicht einmal in der Lage, die Herkunft des Klopfens sicher zu bestimmen. Niemand gab die Wohnung der jungen Lehrerin als Entstehungsort des Hämmerns an, da wurde die These aufgestellt, die unverschämte Störung dränge aus dem Nachbarhaus herüber, weil dort eine Tischlerfamilie lebe, ich hatte sogar aufgeschnappt, daß ich als Urheber verdächtigt wurde, ja was mache denn der Olle so den lieben langen Tag, hieß es, da sei es doch durchaus denkbar, daß er viel besser in einem Heim aufgehoben sei. Das unterlasse ich selbstverständlich zu kommentieren.
Das wirklich Beunruhigende an dem Hämmern blieb aber, daß es so urplötzlich wieder aufhörte, wie es erschienen war. Eines Abends wartete man vergebens, aber die Schläge, so als würden Nägel in eine Kiste gehauen, blieben aus. Fast hatte man sich schon daran gewöhnt, erwartete das Geräusch mit bedächtiger Routine, aber nichts mehr, nie wieder. Gerade dieses Ausbleiben, so von einem Tag zum anderen, bestärkte mich in der Annahme, daß darin eine versteckte Nachricht zu suchen gewesen sein dürfte, und nun war sie in allen Einzelheiten übertragen worden. Wenn ich ehrlich sein soll, so begann ich erst jetzt, mir Gedanken über den Sinn dessen zu machen, was ich nächtelang gehört hatte, erst jetzt, als das Hämmern abbrach, ein Hämmern, als schlage man Nägel ein. Sein Ausbleiben lähmte meine Beschäftigung gleichermaßen, wie zuvor sein Vorhandensein. Auch nun war ich kaum in der Lage, mich in meine Bilder zu versetzen, meine Sinne blieben weiterhin außerstande, sich in meine Landschaftsmotive hinein zu spielen. Dafür diese Gedanken jetzt, die sich daraus offen stellenden Fragen, welche ich nun, unter Berücksichtigung aller erwägten Gesichtspunkte, mitgeteilt haben dürfte, auch ohne zu einer Antwort gelangt zu sein. Aber ich habe darüber gesprochen.
 

Rainer

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hallo till braven,

herrlich geschrieben, joice hätte seine freude daran, wann gibt es mehr davon?

gruß

rainer
 

bosbach46

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Das ist Stil

hallo Til Braven,
wunderschön verschroben, voller watzlawickscher Weisheiten, sprachlich bewunderungswürdig genoß ich deine Geschichte und ziehe meinen Hut (im Moment meinen Fez) Gruß J.B.
 

Till Braven

Mitglied
Mein Dank sei euch gewiss

Hallo Rainer, hallo Bosbach!

Vielen Dank für eure Kommentare. Sie hauen mich ja fast um... Eure Worte werden mich beflügeln, soviel ist sicher.

Rainer, ich hab natürlich vor, noch mehr zu zeigen, aber gut Ding will Weile haben, oder wie heißt es so schön... Vorerst kann ich dir nur eine weitere Geschichte anbieten, die ich ins Forum "Erzählungen" gestellt habe: "Frau Wüstefeld bekommt Besuch". Hast du sie dir zufälligerweise schonmal angesehen? In gewisser Hinsicht ähnelt sie dieser, verwendet aber neue Blickwinkel.

Meine neuen Schreiben kommen natürlich immer hier in die Leselupe!

Viele Grüße von der Küste

Till
 



 
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