Das Haus in dem ich aufwuchs

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Hale-Bopp

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Ich erinnere mich an ein Haus mit weißen Steinmauern, ein altes Haus, aber mit moderner weißer Farbe überpinselt, unter der nur fleckenweise das Braun des eigentlichen Steins hervorbrach. Vor dem Haus standen zwei Bäume, keine prachtvollen majestätischen Bäume, aber doch zwei schöne, schlanke Stämme mit lichtgrüner Krone, die abends vor meinem Fenster rauschten und deren Laub im Herbst vor unsere Türe gespült wurde.
Hinter dem Haus lag ein Hof; eine düstere Lagune, in der Unkraut aus grauem Pflaster sproß und sich Wolken in Pfützen spiegelten; nicht weit davon eine Reihe anderer Häuser, Wachtürmen gleich die kleine Fläche umstellend, jedes von ihnen im gleichen Alter wie das unsrige.
Ich lebte im Haus mit einer Mutter, mehreren Kindern, von denen jedoch nicht alle meine Geschwister waren, und vielen, vielen Schatten. Die Schatten schwebten um uns herum, während wir aßen und sie flogen durch mein Zimmer, wenn ich schlief, doch nie ängstigte ich mich vor ihnen. Ich sah sie als Freunde, und manche Nacht saß ich aufrecht in meinem Bett und starrte in die glühenden Augen eines Schattens in der Ecke meines Zimmers und eine Weichheit erfüllte mich, als würde ich in die Nacht zerfließen. Manchmal begann ich in meinem Bett zu schweben; ich erhob mich dann einfach im Schneidersitz in die Lüfte und saß so einige Zentimeter über der Bettdecke in der Luft.
Tagsüber jedoch tollten die Kinder durch das Haus und ich tollte mit ihnen, ich war doch selbst noch ein Kind, ein kleiner schmächtiger Junge mit entzündeten Augen, dem die Wände des Hauses und die Bäume vor dem Haus und die Wolken im Hinterhof nicht weniger lieb waren als die anderen Kinder. Und vielleicht war es deswegen, dass mir die Gesichter der anderen immer wieder verschwammen und ich mir nie sicher war, wie viele Kinder es waren und wer welchen Namen hatte und wer davon meine Geschwister waren. Und manches Mal grüßte ich Abends eines der anderen Kinder, um dann zu sehen, dass ich nur einen der Schatten gegrüßt hatte, eine kleine gebückte Gestalt mit langen kralligen Händen, die in der Ecke meines Zimmers kauerte und dem lange düstere Haare das Gesicht verbargen.
Wenn es Winter war, tobten wir im Hinterhof, bewarfen uns mit Schnee und blickten hinauf in den grauen Himmel, bis uns Mutter hineinrief, um uns Suppe aufzutischen. Und im Sommer saß ich gerne in der brütend heißen Küche und schaute aus dem Fenster hinaus zu dem orangengoldenen Band, das sich abends auf die Dächer und Bäume legte.
Mutter brachte dann oft Früchte, goldschwürige, überreife Früchte, aus denen der Saft rann, und mir schien es, als platze die Sonne selbst in meinem Munde und süßer Sonnensaft träufle mir übers Kinn. Golden glühte das Licht durchs Fenster in die Küche und Staubpartikel umrahmten die Gesichter der Kinder und meiner Mutter.
Vor allem aber liebte ich die beiden Bäume im Sommer. Ihr Stamm schien dann besonders schlank und kräftig und an besonders heißen Tagen kam es vor, dass der Saft aus dem Holz herauskochte.
Manchmal blieben beim Spiel unsere Füße in den Pfützen von Harz kleben und mit großem Gelächter musste dann das entsprechende Kind seinen Fuß aus dem Schuh lösen und diesen anschließend aus der klebrigen Masse herauszerren. Und in der hereinbrechenden Dämmerung thronten die ersten Schatten in den Baumkronen und sahen mit belustigten Raubvogelaugen auf das Treiben unter ihnen.
Aber nicht immer gab es bei uns Gelächter und Spaß, sondern oft auch Streit. Da war ein großer, stämmiger Junge mit rostbraunem Haar, der sich als Anführer fühlte und sich zu diesem Zweck aus dem Zweig eines der Bäume ein Zepter gefertigt hatte, mit kleinen Perlen dran. Es war ein forscher Ausdruck in seinen Augen und wenn wir Kinder darüber stritten, was gespielt werden sollte, verstand er es, uns mit scharfsichtigen Bemerkungen auf seine Seite zu ziehen. Wer ihm laut entgegentrat, wurde mit Spott bedacht. Wenn das Gelächter dann anbrandete, grinste der Junge immer und winkelte den Arm seitlich über seine Brust, sodass die muschelweißen Perlen seines Zepters triumphierend in der Sonne glänzten.
Ich bewunderte den Träger des Zepters und wurde bald zu seinem treuen Gefolgsmann, zu seiner rechten Hand sozusagen. Bereitwillig organisierte ich die Spiele unter seiner Führung, saß bei allen Essenszeiten neben ihm und warf mit giftigen Kommentaren nach Kindern, die seine Autorität anzweifelten. An seiner Seite fühlte ich mich mächtig.
Doch dann lagen wir eines abends im Zimmer, Seite an Seite, und beobachteten wie das Licht an der Wand wanderte. Er lag auf dem Rücken, den Ast in der rechten Hand balancierend, während er mit der Linken die einzelnen Perlen kurz zwickte, wie um ihre Festigkeit zu prüfen. Ich betrachtete ihn und setzte dann zu einer Frage an, die mir schon lange im Kopf herumspukte: „Glaubst du eigentlich, dass wir Brüder sind, du und Ich? Ich meine…“
Er drehte seinen Kopf zu mir herum und für einen Moment meinte ich etwas wie Belustigung in seinem Blick aufblitzen zu sehen. „Du meinst, du weißt nicht, wer deine Geschwister sind?“ Ich schüttelte den Kopf. Er lachte nun, aber es lag wenig Güte in seinem Lachen.
„Ich bin nicht dein Bruder“, sagte er nur. „Tristan ist einer deiner Brüder, bei den Anderen weiß ich es nicht“. Ich schwieg und überlegte, welcher der anderen Kinder Tristan sein könnte.
Währenddessen war der letzte Streifen Sonnenlicht an der Wand erloschen und schlagartig wirkte das Zimmer wie mit nachtblau übermalt. Aus den Ecken qualmten Schatten hervor und verdichteten sich zu den altbekannten Figuren. Ich starrte sie an, voller Bewunderung, und lugte dann zu dem Jungen herüber. Er starrte missmutig auf die Gebilde und drehte weiter den Zweig in seiner Hand.
„Ich liebe die Schatten“, sprach ich und suchte nach Worten, die über eine solch simple Aussage hinausgingen und irgendwie erklären würden, warum es mir manchmal so vorkam, als seien wir die eigentlichen Schatten im Haus.
„Ich hasse sie“, erwiderte er. „Bringen sie irgendetwas? Sind sie zu irgendwas nützlich? Sie tauchen einfach auf in der Nacht und verwirren einen, machen die Träume unruhig und das Denken seltsam“. Entsetzt richtete ich mich auf, den Mund zu einem Oval verzerrt. Unwillkürlich fiel mein Blick auf sein Zepter und Wut brannte in mir hoch. Diesen Stab hatte er von einem der beiden Bäume geschnitten, den großen, kräftigen Bäumen, die nachts vor meinem Fenster rauschten und in deren Kronen die Schatten saßen. Ich entriss ihm das Zepter und schlug es dem immer noch auf dem Boden Liegenden wie eine Peitsche ins Gesicht. Scharf schnitt es ihm in die Haut und einige der Perlen sprangen vom Holz ab, worauf er sie vor Schreck verschluckte und sich hustend auf dem Rücken wand. Ungerührt schlug ich ein weiteres Mal zu. Plötzlich drehte er sich halb herum und rammte mir seine Faust ins Gesicht. Ich kippte nach hinten weg und spürte wie mir Blutströme in den Kragen liefen. Während er wieder mit dem Husten begann, sprang ich auf und flüchtete aus dem Zimmer.
Nun hatte ich mich also bei den Kindern im Haus unbeliebt gemacht und man ließ es mich spüren. Wenn wir zum Essen rannten, stießen mich die Freunde des Anführers beiseite; spielten wir im Hof, kam es vor, dass ich mit Steinchen beworfen wurde. Ich tat, als ginge mich das alles nichts an und als wäre mit dem Sündenfall des Anführers die gesamte Kinderschar zu Statisten geworden. Nur einmal wehrte ich mich, als ein anderes das Dach des Hauses erkletterte, trotz des eindeutigen Verbotes der Mutter, und dort umherschritt, bis sich einige Ziegel unter seinen Füßen lösten und auf dem Hofpflaster zerschellten. Kaum hatte sich das Kind wieder vom Dach herunter gerettet, lief auch schon einer von den anderen los, breit grinsend verkündend, er werde der Mutter sagen, ich sei der Dachturner gewesen. Die Mutter in unserem Streit als Waffe zu verwenden, schien mir eine überzogene Grausamkeit und so lief ich ihm hinterher, packte ihn am Kragen und hieb ihm meine Faust in den Nacken. Als wir so ineinander verkeilt auf dem Boden lagen, kam Mutter schließlich angelaufen, herbeigerufen von den anderen Kindern und trennte uns. Als Verräter konnte ich natürlich nicht auf den Beistand der anderen hoffen und so wurde meiner Mutter die Geschichte präsentiert, ich sei sowohl auf das Dach gestiegen als auch der Anstifter einer Prügelei gewesen. Mehr bestürzt als wütend griff sie meine Schultern und sah mir in das blasse und verweinte Gesicht. Ich jedoch, von der Situation heillos überfordert, und hasserfüllt auf alle um mich herum, sah bereits in dieser Geste ein völliges Zerbrechen meiner Welt und so riss ich mich los und lief an den Kindern vorbei ins Haus und in mein Zimmer. Dort saß ich weinend in einer Ecke, bis das Licht im Zimmer verblasste und eine große Frauengestalt sich aus dem Dunkel formte. Von ihrem Kopf wallte langes onyxfarbenes Haar und floß wie ein Wasserfall um ihren Körper herum. Ihr Gesicht war von ovaler Form, der blutverschmierte Mund zu einem gütigen Lächeln gebogen und ihre braunen Augen blickten mit einer Wärme, die bis mein Innerstes drang. Mein Gesicht in ihre tröstliche Dunkelheit versenkend schluchzte ich immer wieder „Du bist meine Mutter, die Frau da draußen ist nicht meine Mutter, du bist meine Mutter“, und ihre Hand strich über meinen Knabenkopf.
 

Wipfel

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Hi Hale-Bopp,

ach die ersten Sätze. So wichtig und scheinbar so schwierig.
Ich erinnere mich an ein Haus mit [blue]weißen[/blue] [blue]Stein[/blue]mauern, ein altes [strike]Haus[/strike], aber mit moderner [blue]weißer[/blue] Farbe überpinselt, unter der nur fleckenweise das Braun des eigentlichen [blue]Stein[/blue]s hervorbrach.
Die Doppelungen sind unnötig und blähen den Satz nur auf. Auch im nächsten Satz geht das so weiter:
Vor dem Haus standen zwei Bäume, keine prachtvollen majestätischen [strike]Bäume[/strike], aber doch zwei schöne, schlanke Stämme mit lichtgrüner Krone, die abends vor meinem Fenster rauschten und deren Laub im Herbst vor unsere Türe gespült wurde.
Warum musst du das alles in diesen Satz stopfen? Mach zwei oder drei daraus. Und die lichtgrüne Krone war zum einen nicht immer lichtgrün und zum anderen rauschte sie auch nachts, am Morgen und überhaupt. Dem Text fehlt eine straffende Hand, meine ich.

Grüße von wipfel
 



 
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