Das Himmelskrokodil

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Na ja. Recht bedacht war es nicht immer von Nachteil, aus einer völlig verrückten Familie zu stammen. Wie wäre ich sonst zu dieser Tour gekommen?
Der Wind fegte rote Ahornblätter über die Fahrbahn. Oktober. Gewöhnlich war ich jemand, der beim ersten Anzeichen von Sommer wegen der Hitze quengelte und sich bis zum Herbst in den Schatten verkroch, aber diesmal hatte ich Angst vor der Kälte.
Der braune Briefumschlag lag auf dem Beifahrersitz. Den Schlüssel, der sich darin befunden hatte, trug ich mittlerweile in der Jackentasche, das Schreiben hatte ich wieder zusammengefaltet und ins Kuvert geschoben.
Nachricht von einem Toten. Mit der notariellen Verfügung, dass ich dieses Schreiben wirklich erst nach seinem Ableben erhielt. Onkel Josef, der alte Geheimniskrämer. Außerdem war er gar nicht mein Onkel. Wir nannten ihn halt so. Eher der Typ Hausfreund. Vor allem der meiner Mutter, wenn ich das eine oder andere dunkle Raunen meines Vaters richtig deutete.
Die Fahrt führte an Rapsfeldern, Getreidesilos und Kiesgruben vorbei. Die norddeutsche Tiefebene – so schön plattgewalzt wie von Omas Nudelholz. Und irgendwo hier mittendrin sollte Onkel Josefs Haus stehen. Vor dem Brief hatte ich gar nicht gewusst, dass er sich wieder in Deutschland aufhielt. Er hätte sein Glück in Südamerika versucht, als Hotelier oder so ähnlich, hieß es bei meinen Eltern immer.
"Die Enthüllungen über deine Familie, vor allem über dich selber, machen es nötig, dass du dich für einige Zeit in mein Haus zurückziehst, um dich mit den Tatsachen vertraut zu machen", hatte es in dem Brief geheißen. Enthüllungen? Über mich? Klang vielversprechend. Ob er am Ende sogar vorhatte, mir sein Haus zu vererben? Würde ich dort allein sein? So oder so – falls es keine komplette Bruchbude wäre, bestand auf jeden Fall die Chance, ein Wochenende lang auszuspannen. Zum Beispiel mit Lesen.
Auf dem Sitz unter dem Briefumschlag lag mein Buch über Dinosaurier. Es war als Therapie gedacht. In meinem Leben hatte ich einfach zu viele verrückte Sachen gelesen. Aber bevor ich Gefallen fände am kleinen Börsen-Abc oder Rentenratgebern, würde ich wohl noch einen ziemlich langen Weg zurücklegen müssen. Dinos stellten da eine erste Kompromisslösung dar.
Bis vor kurzem spielten sie im Biotop meiner Interessen und Neigungen so gut wie keine Rolle. Aber jetzt war mir klar, dass eine uralte Wesensverwandtschaft bestehen musste. Säugetiere! Man verschone mich mit Säugetieren. Mit ihrem Pelz, den Knopfaugen und den Barthaaren sahen die doch alle aus wie vom Stofftierdesigner entworfen. Geradezu läppisch im Vergleich zu diesen guten, archaischen Dino-Gesichtern. Gefressen haben sie die ersten Säugetiere noch! Müssen ganz schön viel Haare dran gewesen sein, aber mit etwas Dipp doch wohl ganz lecker, heeheehee. Aber vielleicht sollte ich mich doch etwas mehr auf die Fahrbahn konzentrieren.
Im Moment befand ich mich auf freier Strecke zwischen zwei Ortschaften. Der etwas ungelenk gezeichneten Wegskizze zufolge müsste auf der rechten Seite jetzt bald eine Art Feldweg auftauchen, der zum Haus führte. Und so war es auch.
Der Sandweg, von niedrigen Buchen und Fichten eingerahmt, führte mich zu einem nicht allzu großen Haus aus rotem Backstein, hinter dem sich ein großes freies Grundstück zu erstrecken schien. Der Vorgarten bestand aus einem Plattenweg und einem mit Feldsteinen umfassten Beet, das ein wenig verwahrlost wirkte.
Vergebens fahndete ich nach einem Namensschild oder einem Klingelknopf. Nachdem ich mehrmals gegen die massive Haustür geklopft hatte, probierte ich den Schlüssel. Er passte.
Der Hausflur sah aus wie jeder andere. Allerdings war die Luft auffallend warm. Ein-, zweimal rief ich noch das obligatorische "Hallo" in die Stille hinein, ohne aber wirklich mit einer Antwort zu rechnen.
Ich betrat den Raum, der wohl das Wohnzimmer darstellen sollte. Unspektakulär. Teppich, Wandschrank, Vitrine, Ledersofa, alles war da. Allerdings wirkte es unpersönlich, wie in einer Ferienwohnung. Bemerkenswert war jedoch die breite Fensterfront, die auf das rückwärtige Grundstück wies. Dann hörte ich Geräusche im Flur. Näher kommende Schritte. Die Wohnzimmertür wurde geöffnet.
Vor ein paar Jahren hatte mein Chef die Abteilung mal auf eine Fortbildung zu einem Unternehmensberater geschickt. Der war mächtig dick, hatte wirres Haar, ein derbes Gesicht und unglaubliche Wurstfinger. Trotzdem fand ich, dass er eine ziemlich überzeugende Show hinlegte. In der Pause fragte ich meine Kollegin Antje, was sie von ihm hielt. "Schrecklich!", stieß sie kopfschüttelnd hervor. "Zwei Stunden lang wusste ich nicht, wo ich hinsehen sollte. An dem Kerl ist ja rein gar nichts schön!"
Die Frau, die das Zimmer betrat, löste den gegenteiligen Effekt aus. Sie war nicht sehr groß, hatte eine angenehm schlanke Figur, das Jackett mit den stark wattierten Schultern wirkte geschmackvoll, genau wie die schwarze Brillenfassung. Das hellblonde Haar war zu einem Zopf gebunden, die Haut ihrer Wangen milchig weiß wie bei einem kleinen Kind, der Mund schmal, aber nicht verkniffen. Nichts an ihr war unansehnlich oder ungünstig. Abgesehen vom Gesamteindruck. Ich glaube, ich hasste sie von der ersten Sekunde an.
"Was wollen Sie denn hier?" Nette Stimme. Irgendwo im optimalen Frequenzbereich. Und unverschämt bis zur Schmerzgrenze.
"Ich bin zu Besuch hier."
"Wen wollen Sie hier denn noch besuchen?"
"Onkel Josef!", hätte ich beinahe geantwortet, bekam dann aber doch noch irgendwie die Kurve und sagte stattdessen: "Ich wurde eingeladen. Und? Mit wem habe ich ... es zu tun?" 'Das Vergnügen' wollte mir einfach nicht über die Lippen.
"Mertens. Ich verwalte diese Immobilie für die Erben."
Erben? Aha. Also nichts mit Haus.
"Wieso eingeladen?", bohrte sich ihre Stimme in mein melancholisches Sinnieren.
"Der Vorbesitzer hat mir einen Brief geschickt. Und den Schlüssel. Hier!" Bei diesen Worten hielt ich ihr den Schlüsselanhänger vor die Nase wie einem Hund den Wurstzipfel. Sie würdigte ihn mit einem knappen Blick.
"Haben Sie vor, länger zu bleiben?"
"Das Wochenende, mal sehen!"
Während sie mir ihr Profil zuwandte, zog sie ein Handy aus der Jackettasche und hielt es sich ans Ohr. Ziemlich niedliche Nase. Nachdem sie ein paar Mal mit der Fußspitze auf den Boden getappt hatte, richtete sie sich wieder an mich. "Kriege keine Verbindung. Na ja. Nachher habe ich so und so noch einen Termin mit den Erben. Bis die entschieden haben, können Sie erst einmal hier bleiben. Aber kommen Sie nicht auf den Gedanken, hier irgendetwas anzufassen. Ich bin gefürchtet für die Vollständigkeit meiner Inventarlisten."
"Noch nie bin ich mit größerem Überschwang eingeladen worden!"
"Sie reden gern viel, wie?"
Stimmt, trotzdem machte mich diese Bemerkung sprachlos. Ich trottete hinter ihr her in den Flur. Während ich ihr die Haustür öffnete, fiel ihr Blick auf die unteren Stufen der Treppe, die zum ersten Stock führte.
"Was ist das denn?" Sie griff nach dem zerfledderten Taschenbuch, das auf der Stufe gelegen hatte, und musterte das Umschlagbild. "David Icke. Sagt Ihnen das was?"
"Offengestanden ja." Offengestanden gab es wahrscheinlich keine einzige Verschwörungstheorie, über die ich noch nicht gelesen hatte. Ein paar von ihnen hielt ich für ganz plausibel. Die meisten waren meiner Meinung nach allerdings schlicht und ergreifend erwiesen.
"Und?"
"David Icke unternimmt den Versuch zu beweisen, dass sich die Erde seit mehreren hunderttausend Jahren in der Hand von Außerirdischen befindet, die sich als Menschen tarnen."
Dieser Blick. Leider war ich kein Rechtsexperte. Was wäre, wenn ich diesen Blick mit meinem Fotohandy aufgenommen hätte und damit zur Polizei gegangen wäre? "So! So hat die mich angesehen! Also, für mich ist das Körperverletzung. Verhaften Sie diese Frau!"
"Icke. I-c-k-e?"
Auf mein Nicken hin vervollständigte sie den Eintrag in ihrem Filofax, den sie – schon im Kreuz der Haustür stehend – aus der Tasche gezaubert hatte. "Ist für die Inventarliste!"
"Verstehe schon!"
Ich sah ihr nach, während sie sich in ihr kleines Auto setzte, das vor dem Gartenzaun stand, und schloss die Tür. Zeit gewonnen. Nur wofür? Wie sollte es jetzt weitergehen? Wo waren die rätselhaften Enthüllungen, die Josef andeutet hatte? Am besten, ich würde ... in diesem Moment vernahm ich ein Geräusch aus dem oberen Stockwerk. Irgendwie metallisch.
Zögernd stieg ich über knarrende Stufen die Treppe hinauf. Durch die verschlossene Tür links neben dem Treppenabsatz war dieses silberne Klirren abermals zu hören. Langsam drückte ich den Türknauf nach unten.
Wahrscheinlich war der Raum gar nicht besonders klein. Aber mit dem massiven Schreibtisch, auf dem ein PC stand, dem Sofa, dem Tisch und den von Büchern überquellenden Regalen, die bis an die Decke reichten, kam er mir ziemlich beengt und überladen vor. Vor allem die verstaubte Weltkarte, die vor einem der Büchergestelle hing, erschien mir überdimensioniert.
Mein Blick wanderte zu einer Art Kommode neben dem Schreibtisch. Auf ihr stand eine steinerne Skulptur, die offensichtlich den Schädel eines Raubtiers oder einer Schlange mit geöffnetem Maul wiedergeben sollte. Irgendwie wirkte der Stil indianisch.
Als ich um den Schreibtisch herum ging, erkannte ich eine Grafik, die über den Bildschirm lief, um alle paar Sekunden wieder zu verschwinden. Das Foto eines aztekischen Sonnenrades. Immer, wenn sie aufblinkte, gab der Rechner dieses Geräusch wie von einem klimpernden Schlüsselbund von sich. Als ich mich auf den Stuhl mit dem schwarzen Lederbezug setzte, veränderte sich das Bild. Ein einzelner Satz erschien vor blutrotem Hintergrund:
"Welches Projekt hat eine bestimmte Farbe?" Darunter blinkte der Cursor im rechteckigen Eingabefeld.
Ich mochte diese Spielchen nicht. Außerdem fiel mir nur eine einzige mögliche Antwort ein. Und die dürfte kaum das sein, was Josef im Sinn hatte. "Blue Book", tippte ich mit missmutigem Gesicht. Der Rechner brummte, und ein neues Bild begann sich aufzubauen. Onkel Josef. Er schien hinter einem Schreibtisch aus massivem Holz zu sitzen, im Hintergrund eine Weltkarte, die mir bekannt vorkam. Es war die selbe, die hier im Zimmer hing. Also war die Aufnahme in diesem Raum gemacht worden.
Fast hatte ich vergessen, wie er aussah. Klein, drahtig, dichter Schnauzbart. Dazu das glatte schwarze Haar, das immer ein wenig pomadig glänzte. Nicht von Ungefähr erinnerte er an Ekel Alfred.
"Vielen Dank, dass du dir die Mühe gemacht hast, mein Junge!", sagte er, wobei er sich ein wenig nach vorn beugte. "Was ich dir zu sagen habe, ist von einiger Tragweite. Daher habe ich mich entschlossen, dich nicht sofort mit allen Einzelheiten zu erschlagen."
Er legte die Handflächen aufeinander und stützte für einen Moment die Nasenspitze auf die Fingerspitzen.
"Deine Mutter – ich verrate dir wohl keine Neuigkeiten, wenn ich betone, dass wir uns recht nahe standen – deine Mutter war nicht immer der Mensch, den du kennst."
So wie er über sie sprach, ging er davon aus, dass sogar ich mitbekommen hatte, dass ihr Verhalten ein wenig außerhalb der Norm lag. Meine Mutter. Diese paranoide graue Maus, die sich vor allem und jedem fürchtete und sich nur auf ihrem heimischen Sofa wirklich sicher fühlte. Wenn überhaupt. Die von dort aus jedes Mal nach dem Telefonhörer griff, wenn es klingelte und dem Anrufer, gleich, wer es war, geduldig und mit sorgfältiger Artikulation klar machte, dass er sich nicht zu verstellen bräuchte und sie selbstverständlich ganz genau wisse, was da für ein Spiel gespielt wurde. Und dann mein Vater. Der graue Mäuserich, der sich ebenfalls vor allem und jedem fürchtete, besonders aber vor der Blamage und deshalb in seiner leisetreterischen Art ständig bemüht war, die Fehltritte meiner Mutter glatt zu bügeln. Nein, ich konnte mir tatsächlich nicht vorstellen, dass einer von beiden irgendwann einmal ein anderer Mensch gewesen wäre.
"Als junges Ding konnte man sie sogar ein ganz ausgesprochen lebenslustiges Persönchen nennen!", fuhr Josef fort. "Bis ... bis zu dieser Nacht. Vergiss alles, was dir die Ärzte oder die Verwandtschaft erzählt haben! Von wegen überreizte Nerven oder so. Für die Veränderung gab es einen Grund. Einen schrecklich triftigen. Nun bin ich wohl der erste, der mit der Wahrheit rausrückt."
Er nahm einen tiefen Atemzug und fasste mit beiden Händen die Armlehnen fester.
"Das Ganze ereignete sich noch vor deiner Geburt. Sie waren auf einer Party, deine Eltern. Irgendwo auf dem platten Land. Spät abends dann sind sie in ihrem klapperigen R4 nach Hause gefahren. Und dann ... dann haben sie es gesehen."
"Was gesehen?", zischte ich unwillkürlich.
"Das Licht! Es schwebte über ihnen und war so hell, dass dein Vater den Wagen stoppte. Als die beiden ausstiegen, schien es noch näher zu kommen. Langsam, ganz langsam ..."
In sich gekehrt schwieg er eine Weile.
"Dies war der Moment in ihrem Leben, der alles veränderte. Nicht nur, dass sie es gesehen haben. Sie hatten auch Kontakt. Mit den Wesen aus dem Licht. Und die haben ... nun ja, Dinge gemacht mit deinen Eltern." Wieder eine Pause. "Besonders mit deiner Mutter! Natürlich glaubte ihnen niemand. Und deshalb gaben es die beiden auch sehr schnell auf, darüber zu sprechen. Nein, nicht ganz! Immerhin gab es einen, der ihnen Vertrauen schenkte. Und das war ich. Ich nahm – bei aller Bescheidenheit – tiefen Anteil an ihrem Schicksal. Das, was ihnen widerfuhr, machte mich über die Monate und Jahre hinweg zu einem regelrechten Experten des Ufo-Phänomens. Bis nach Südamerika führten mich meine Recherchen. Doch davon später!
Wenn du diese Aufzeichnungen siehst, meine Junge, dann bin ich tot. Und das heißt gleichzeitig, dass die Dinge sehr, sehr ernst stehen. Sehr, sehr ernst. Für heute entlasse ich dich. Versuche nicht, die Aufzeichnung selber zu starten. Sonst wirst du nur wieder etwas kaputt machen. Komm morgen Vormittag wieder!"
Während ich so da saß und minutenlang auf den Bildschirm starrte, der statt des Onkels mittlerweile wieder das Sonnenrad zeigte, spürte ich, wie meine Haut zu jucken begann. Auf den Schultern, auf dem Rücken, in den Hüften, auf den Schenkeln, am Ende überall. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als stecke er in einer zu engen Umhüllung und drohe zu platzen.
Mit allem hatte ich es versucht, PH-neutrale Seifen und Duschgels, diverse Hautcremes, Mineralstofftabletten. Trotzdem wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer. Wahrscheinlich war es die Kälte, die meiner Haut so zusetzte. Manchmal war das Jucken unerträglich. So wie jetzt. So unerträglich, dass ich mich noch nicht einmal auf diese Enthüllungen konzentrieren konnte. Himmel, Herrgott, meine Eltern waren Entführungsopfer, und ich brachte es nicht fertig, die Konsequenzen zu durchdenken. Weil ich mich kratzen musste! Ich brauchte Bewegung.
Während ich die Treppe hinunterpolterte, beschleunigten meine Gedanken ihre Umdrehungszahl. Nicht nur, dass Mama und Papa möglicherweise eine Begegnung der vierten Art hinter sich hatten – nein, mein undurchsichtiger, immer etwas pomadiger Onkel Josef entpuppte sich als veritabler Ufologe. Fast so etwas wie ein Berufskollege von mir, wenn man so wollte.
Im Wohnzimmer würde ich nichts finden. Zu steril, zu langweilig. Im Hausflur fiel mein Blick auf eine Tür, die ganz danach aussah, als ob sie in den Keller führte. Als ich sie öffnete, wehte mir ein vielversprechender modriger Geruch entgegen.
Nachdem ich den Lichtschalter gefunden hatte, tastete ich mich auf dem hölzernen Treppengestell nach unten, wobei die nackte Glühbirne über meinen Haarschopf strich und das Licht unruhig zu tanzen begann.
Der Gang war ziemlich schmal. Fleckige Kalkwände, die sich weit bis ins Dunkel zogen. Beklommen ging ich ein paar Schritte darauf zu. Vor mir schien der Gang rechtwinklig abzuknicken. Ob es hier Ratten gab? Ratten. Das Erinnerungsbild, das in meinem Hirn aufblitzte, war auffallend klar und plastisch. Und irgendwie ein wenig faszinierend. Was um alles in der Welt hatte ich in letzter Zeit nur mit Nagetieren?
Allerdings blieb jetzt keine Zeit für solche Fragen. Lieber sollte ich mich darauf konzentrieren, was ich hier überhaupt zu finden glaubte. Also noch einmal die Fakten rekapitulieren: Mein Onkel war auf der Spur von Ufos gewesen. Er wollte mir etwas Wichtiges mitteilen. Hatte er sie gefunden? Außerdem war er jetzt tot. Natürliche Ursachen? Und wenn nicht? Wer könnte ein Interesse an seinem Schweigen haben? Na, wer wohl.
Ich stoppte meine Schritte, Geräusche irgendwo vor mir. Mit angehaltenem Atem presste ich mich gegen die Kellerwand. Eigenartig schleppende Schritte waren es. Näher und näher kommend. Maximal zwei Meter entfernt, wie ich schätzte. Flucht brächte jetzt gar nichts mehr. Gleich ... gleich müsste es um die Ecke biegen. Ein letztes Mal holte ich Luft. Tief, sehr tief. Dann warf ich mich auf das Wesen, das fremdartig spitze Schreie ausstieß.
"Verdammte Scheiße, nehmen Sie endlich Ihre unegalen Finger von mir!" Die Maklerin hielt meine Handgelenke umklammert und stieß sie mit wutentbranntem Gesicht von sich.
"Entschuldigung, Entschuldigung! Ich wusste ja nicht ..."
"Das ist doch wirklich ... na ja, geschenkt!" Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, stemmte die Hände in die Hüften und schaute in den Gang. "Vielleicht gar nicht so schlecht, dass Sie sich hier herum treiben – dann können Sie mir eigentlich auch gleich helfen."
"Helfen?"
"Vorhin hatte ich ein Telefonat mit den Erben. Die wundern sich, dass die Stromabrechnungen in letzter Zeit so enorm hoch ausfallen. Haben Sie irgendeine Ahnung davon?"
"Nein, nicht die geringste", stammelte ich, noch immer peinlich berührt von der Attacke.
"Der Keller ist verdammt groß." Sie warf einen skeptischen Blick über die Schulter. "Wollen wir ihn uns vielleicht noch einmal zusammen ansehen? Vier Augen sehen ja bekanntlich mehr als ..."
"Danke. Aber meine Neugierde ist fürs erste gedeckt."
"Na, na, na, wieso jetzt so ein Gesicht? Gefällt es Ihnen hier nicht mehr? Sie wollen doch nicht etwa schon wieder abreisen?"
Wortlos hob ich die Schultern.

*​

Im Rückspiegel sah ich, wie Onkel Josefs Haus immer weiter in die Nacht zurückfiel. Die Straße war finster, drohend neigten sich die Bäume über die Fahrbahn. Kein Mensch weit und breit.
Plötzlich war dieses Licht da. Wabernd wie ein Nebel stand es über mir und schien mich zu beobachten. Fuhr ich überhaupt noch, oder stand der Wagen?
Das Licht griff nach mir, dürre Tentakel aus reiner Helligkeit umschlangen meine Oberarme und zogen mich durch das Autodach, das keinen Widerstand leistete, ins Zentrum des Leuchtens.
Ich lag auf einer Art Pritsche. Im Raum um mich herum herrschte ziemliche Dunkelheit, abgesehen von einigen matt gelblichen Lichtern, die über mir blinkten. Unter großer Anstrengung gelang es mir, den Kopf zu heben. Da saß jemand vor mir an einem Instrumentenpult und bewegte einen riesigen Joystick. Langsam begann er, sich zu mir umzudrehen. Unter der ledernen Pilotenmütze erkannte ich das eisige Grinsen eines Tyrannosaurus Rex. Jemand legte mir die Hand auf die Schulter und drückte mich auf die Liege zurück. Es war die Maklerin.
"Könnte schwierig werden", hörte ich Onkel Josef sagen, dessen Gesicht sich über mir in mein Sichtfeld schob. "So viel ich weiß, hat er Angst vor Spritzen, der kleine Schisser."
"Soll sich nicht so anstellen!", murrte die Frau. Dann spürte ich einen ziehenden Schmerz in der Armbeuge.
Als ich die Augen aufschlug, brauchte ich ein paar Sekunden, bis mir bewusst wurde, dass ich, die Wange auf der Handfläche ruhend, das Dino-Buch zwischen Unterarm und Bizeps eingeklemmt hatte. Daher der Schmerz.
Ich schlug die Wolldecke zurück, brachte mich auf dem Sofa in eine halbwegs aufrechte Körperhaltung und massierte mir das Gesicht. Dann schaute ich mich eine Weile im Wohnzimmer um, bis ich meinen Blick auf die Armbanduhr zurücklaufen ließ. Zehn nach zehn. Zuerst Duschen und Frühstück. Und danach Zeit für einen kurzen Plausch mit Onkel Josef.
Im Arbeitszimmer fand ich den PC summend und klirrend, wie ich ihn verlassen hatte. Auch die Passwortabfrage war die selbe wie am Vortag.
"Du hast", sagte mein Onkel, während sein Blick in unbestimmte Fernen schweifte, "jedenfalls wenn ich deine Neigungen richtig einschätze, wahrscheinlich schon einmal etwas von dem Phänomen der Präastronautik gehört. Von der Theorie, dass die Erde bereits vor Jahrtausenden von außerirdischen Raumfahrern besucht wurde."
Er wandte sich zu mir um, zeigte ein wissendes Lächeln und fuhr fort: "Im südamerikanischen Regenwald, irgendwo an der Grenze zwischen Peru und Brasilien, stieß ich auf das indianische Volk der Oché. Nicht, dass das eine besonders urtümliche und unberührte Kultur darstellen würde – dazu war der Einfluss von Coca-Cola und Handys zu unübersehbar. Aber trotzdem gab es unter ihnen noch eine ganze Menge Heiler, zu denen die Leute gingen, die sich keinen westlichen Arzt leisten konnten. Diese brujos stellen nun in der Tat wandelnde Lexika der einheimischen Mythologie dar. Durch sie erfuhr ich von der Geschichte des Himmelskrokodils. Von reptilischen Wesen, die vor langer, langer Zeit auf einem Floss, das durch die Luft segelte, angereist kamen, die Oché unterjochten, ihre Frauen raubten und die Männer zu Sklavendiensten zwangen. Die Ärmsten wurden dazu verdonnert, dieser fremden Rasse eine steinerne Stadt zu bauen.
Nun, ich habe mich in der Gegend ein wenig umgesehen. Und was soll ich sagen? Dabei bin ich auf gigantische Mauerreste gestoßen – wohlgemerkt in einer Gegend, in der heute nur mit Holz, Pappe und Wellblech gebaut wird! Allerdings waren die Ruinen derart verwittert, dass sie Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende alt sein mussten. Was aber nicht automatisch bedeutet, dass die – ähem! – Bewohner dieser Stadt völlig ausgestorben sind."
Ein paar farbige Zeilen liefen über den Bildschirm und für einen kurzen Moment wurde der Ton undeutlich. Dann stabilisierte sich das Bild wieder und ich hörte Josef sagen:
" ... mir die alten Zauberer von einer Heilpflanze berichtet, die in ihrem Regenwald wächst. Das Krokodilskraut, wie sie es nennen. Es soll auf die Eroberer wie Gift gewirkt haben. Interessant dabei, dass es noch heute gegen bestimmte Formen dämonischer Besessenheit verwendet wird. Da stellt sich doch glatt die Frage, was das für Dämonen sein könnten, nicht wahr? Wie dem auch sei. Ein paar dieser und ähnlicher Pflanzen mitsamt ihrem Samen habe ich gesammelt und mit nach Europa gebracht. Wer weiß, wozu sie noch einmal nützlich sein können. Aber, nun ja. Wie soll ich das ausdrücken? Jedenfalls habe ich seit diesen Entdeckungen ständig das Gefühl, beobachtet zu werden. Aber davon das nächste Mal. Die Sitzung ist beendet. Würde mich freuen, wenn du morgen noch einmal reinschaust."
Der Bildschirm wurde schwarz. Schon wieder dieses ekelhafte Jucken. Während ich das Zimmer verließ, rollte ich mit den Schultern.
Josef ging davon aus, dass er verfolgt wurde, so viel war klar. Aber glaubte er wirklich, dass die Himmelskrokodile oder ihre Nachkommen dahinter steckten? Sogar einem wie mir ging das ein wenig über die Hutschnur.
Außerdem schien er davon überzeugt zu sein, ein Mittel gegen die Invasoren gefunden zu haben. Auf rein pflanzlicher Basis, sozusagen auch für den Makrobiotiker geeignet. Während ich noch über meinen eigenen Einfall grinsen musste, stellte ich fest, dass ich wieder vor der Kellertür stand. Sie schien mich magnetisch anzuziehen.
Von Samen oder Pflanzen irgendwo aus den Tropen war die Rede gewesen. Solche Sachen konnte man in einem muffigen, feuchten norddeutschen Keller wohl kaum lange am Leben erhalten, ging es mir durch den Kopf, während ich die Treppe hinabstieg. Es sei denn ... Was hatte dieses verrückte Huhn von Maklerin gesagt? Extrem hoher Stromverbrauch? Am Ende vielleicht für Heizung oder Lampen?
Mittlerweile stand ich wieder im Gang. Diesmal entschied ich mich für die andere Richtung. Das Licht der Glühbirne im Treppenaufgang verhinderte zwar, dass der Gang in völlige Finsternis fiel, trotzdem war kaum noch etwas zu erkennen. Klar war aber, dass ich vor einer offenen Tür stand, hinter der tiefste Schwärze gähnte. Meine Finger ertasteten einen klobigen Drehschalter.
Als ich ihn mit einem scharfen, schnappenden Geräusch betätigte, sprang direkt über mir eine weitere Glühbirne an. Der Raum maß um die fünf mal fünf Meter, an den Wänden standen mehrere Holzkisten. Hochkant. Auf ihnen thronten Skulpturen in der Art wie in Josefs Arbeitszimmer. Alles in allem wirkte das außerordentlich kultisch. Vor allem in Zusammenhang mit der großen Kiste, die in der Mitte der Kammer platziert war. Aber was hieß hier Kiste? Eher schon ein Sarg.
Als ich einen Blick hineinwarf, musste ich schlucken. Das Skelett trug ein Gewand und eine Krone aus Vogelfedern, deren Pracht immer noch erkennbar war, auch wenn sie uralt schienen. Die Knochen selber allerdings ... sie konnten einfach nicht menschlich sein. Ein knöcherner Schädel mit eigenartig vielen Öffnungen an den Schläfen und weiß ich nicht noch wo. Vor allem aber die Schnauze. Lang, spitz zulaufend. Und gespickt mit langen, scharfen Zähnen. Räuspernd zog ich mich zurück.

*​

Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, auf der Suche nach einem Supermarkt in meinem Wagen durch die Gegend zu kreuzen. Nachdem ich in einem kleinen Nest fündig geworden war, kehrte ich zurück und machte mich mit der Mikrowelle vertraut.
Nach dem Essen saß ich auf dem Wohnzimmersofa und starrte das Handy an, das vor mir auf dem Tisch lag. Zu und zu gern hätte ich jetzt mit jemandem gesprochen. Aber wem könnte ich meine Entdeckungen anvertrauen? Auf Smalltalk hatte ich keine Lust.
Auch das TV-Programm war äußerst öde. Trotzdem gelang es mir, mich soweit abzulenken, dass ich gar nicht bemerkte, wie es dunkel wurde. Als ich durch die breite Fensterfront schaute, meinte ich, ein Licht aufblitzen zu sehen. Ich erhob mich vom Sofa und trat näher an die Scheibe heran. Ich ahnte das große Grundstück in der Dunkelheit eher, als dass ich es wirklich erkennen konnte. Wieder ein Lichtblitz. Vierzig, fünfzig Meter von mir entfernt. Ich blieb unschlüssig.
Stunden später, nachdem ich einen Stoß alter Illustrierter gelesen und eine Kanne Tee konsumiert hatte, trieb mich die Unruhe dann doch hinaus auf die Terrasse. Ich trat auf den Rasen und legte den Kopf in den Nacken. Eine kühle, klare Nacht. Der Himmel war sternenübersät.
Ich erinnerte mich an eine Fernsehsendung, in der ein alter Indio über die Mondlandung interviewt wurde, die zu dem Zeitpunkt schon längst stattgefunden hatte. Seiner Meinung nach könnten die Astronauten so lange rumfliegen, wie sie lustig seien, aber den Mond würden sie nie und nimmer finden. Ich hatte die Bescheidenheit dieser Sicht immer sympathisch gefunden, aber die Logik war natürlich zum Schießen. Wieso sollte man den Mond vom Weltraum aus nicht finden, wenn er auf der Erde schon so gut zu sehen war?
In diesem Augenblick wünschte ich, dass er Recht behalten hätte. Sollte es wirklich wahr sein? Hatte uns da draußen irgendjemand tatsächlich gefunden? Unter all den anderen Millionen von Lichtpunkten, diesen winzigen Funken, zwischen denen sich kosmische Abgründe öffneten? Ich stellte mir eine Prozession von riesigen stählernen Raumschiffen vor, die durch die Schwärze des Kosmos dahinzogen. Lautlos und zielstrebig wie Raubtiere auf der Jagd.
Wieder blitzte ein Licht auf. Es musste vom Rand des Grundstücks kommen. Ich gestehe, dass ich auf der Stelle umkehrte und zum Haus zurückrannte.
Während ich auf dem Sofa lag – das Licht hatte ich gelöscht – hörte ich mein Herz pochen und das Blut leise und regelmäßig in meinen Ohren rauschen. Irgendwann drängte sich irgend etwas anderes in diesen monotonen Klangteppich. Ein Raunen, ein Flüstern. Als ich die Augen aufriss, verschwand das Rauschen in meinen Ohren. Das Flüstern blieb. Es schien vom oberen Stockwerk zu kommen. Ich tastete nach meinem Handy auf dem Tisch und barg es unter meinen Händen, die ich über der Brust verschränkte. Erst als graues mattes Morgenlicht ins Zimmer fiel, schlief ich ein.
*​

Ich fühlte mich schlecht, hatte nach dem Aufstehen nichts essen können. Der Kaffee war mir viel zu stark geraten, und die Zigarette auf nüchternem Magen hatte den Rest erledigt. Als ich Josefs PC wieder in Betrieb nahm, spürte ich Schweiß auf der Stirn und ein leichtes Zittern in den Fingerspitzen.
"Dies ist der letzte Teil meiner Instruktionen", sprach er mit gewichtiger Mine. „Danach bist du auf dich allein gestellt. Am Ende dieser Aufzeichnung werde ich dir ein paar Namen und Adressen nennen. Diese Leute stellen die winzige Schar der Eingeweihten dar – die, die bereit und fähig sind, den Kampf zu führen. Du wirst sie suchen und ihnen Pflanzen, Samen und ein paar meiner Aufzeichnungen übermitteln. Vielleicht – bei Gott, wie sehr ich das hoffe! – wird es ihnen gelingen, ein Mittel gegen die Invasoren zu finden. Und natürlich eine Lösung für dein spezielles Problem!"
"Problem", murmelte ich tonlos.
"Na ja", fuhr mein Nennonkel alarmierend zögerlich fort, "wie soll ich dir das beibringen? Möglichst schonend, sozusagen? Wie du dich erinnern wirst, ereignete sich die Entführung deiner Eltern noch vor deiner Geburt. Und das ist der springende Punkt. Genau genommen waren es nämlich neun Monate vorher!"
Sein Blick wurde bohrend. "Ich weiß, dass du in diesen Dingen ein sehr gebildeter Mann bist. Und deshalb sagt dir mit Sicherheit auch der Name David Icke etwas!"
Und ob er mir etwas sagte. Mir fiel das Buch auf der Treppe ein. Aber wo bestand die Verbindung?
"Nun behauptet David Icke ja nicht nur, dass die Invasoren gut getarnt unter uns wandeln. Er besteht darauf, ihre wahre Gestalt zu kennen. Echsen! Ein Volk von Reptilien hinter menschlicher Maske."
Pause.
"Und ich habe Grund genug zu der Vermutung, dass auch deine DNA ... maskiert ist. Dass in deinen Genen eine Art Zeitzünder tickt. Bald, wahrscheinlich sehr bald, werden diese Anlagen die Überhand gewinnen und dich einer Verwandlung unterwerfen, von der du dir jetzt noch gar keinen Begriff machen kannst. Du musst es stoppen! Das ist deine verdammte Pflicht gegenüber der gesamten menschlichen Rasse! Vielleicht kann dir das Krokodilskraut noch helfen, ich weiß es nicht. Aber eine andere Chance sehe ich nicht. Vor allem musst du jetzt deine Kräfte bündeln, damit mein Wissen unseren letzten Verbündeten zur Verfügung gestellt wird. Und natürlich musst du konspirativ vorgehen. Niemand, aber auch wirklich niemand darf von deinen Plänen erfahren, sonst ..."
Noch immer verschossen seine Augen grimmige Blitze, dazu klappte sein Unterkiefer auf und ab. Völlig lautlos. Weil ich den PC-Lautsprecher runtergedreht hatte. Während ich mich im Stuhl zurücklehnte und die Faust gegen die Lippen presste, musterte ich Josefs stilles Grimassieren. Wieso musste ausgerechnet immer ich an die Verrückten geraten?
Ich sprang auf, wobei ich einen leichten Anflug von Drehschwindel bemerkte, und ging im Zimmer auf und ab. Es war so typisch für diese Leute. Erst diese offensichtliche Kennerschaft, dieses faszinierende Entscheidende-etwas-mehr-an-Wissen. Dann bricht der Fanatismus durch, immer und immer krasser. Und am Ende hat man freie Sicht auf ein vom Wahnsinn komplett verwüstetes Gehirn. Wo nahmen sie diese verrückten Ideen bloß her? Und warum mussten sie es einem unbedingt immer als Wahrheit verkaufen? Warum schrieben sie keine Romane?
Mir fiel das Skelett im Sarg ein. Das war allerdings kein klinisches Symptom. Das war verdammt real. Und dieses eigenartige Raunen heute Nacht? Die Lichter im Garten? Unsinn! Für alles musste es eine natürliche Erklärung geben. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Vielleicht war Josef ja gar nicht verrückt. Wahrscheinlich war er durch eine Laune des Zufalls auf ein so eigenartiges Sammelsurium von Mosaiksteinchen gestoßen, dass sogar ein nüchterner Verstand am Ende diese Theorie ausbrüten musste. Immerhin war da die Entführung meiner Eltern – nun ja, es gab genug Leute, die sich so etwas aus den Fingern saugten. Vor allem meine Mutter brachte genügend Paranoia für eine derartige Show mit. Aber da waren auch noch seine Indianer, ihre Mythen, das Himmelskrokodil, die Ruinen ... das Skelett. Zugegeben: Schon geradezu unglaublich viele Zufälle. Aber wo – gottverdammt – sollte das alles enden? Dass ich ein ... ein ... Reptilien mochten Wärme. So wie ich, ging es mir durch den Kopf. Ich fange plötzlich an, Bücher über Dinosaurier zu lesen. Der Schwindel wurde stärker. Ich wagte nicht mehr, mich zu bewegen. Wieso plötzlich dieses Verbundenheitsgefühl zu Dinosauriern? Und dann dieser verrückte Fimmel mit den Nagetieren. Warum? Weil Reptilien Nagetiere fressen, du Idiot! Weil du so langsam auf den Geschmack kommst, schrie mich meine innere Stimme an.
Ich musste die Augen schließen, um den Schwindel zu bekämpfen. Im selben Augenblick spürte ich meine Haut wieder. Meine Haut, meine Haut, meine Haut! Die Haut, die langsam zu eng wird, die sich anfängt zu spannen, weil der Druck von Innen zu groß wird. Weil da etwas nach draußen will!
Dunkel um mich war es schon vorher geworden. Jetzt gaben auch meine Beine nach. Dann war mir, als ob ich eine Zeit lang geschlafen hätte. Ich glaubte, auf dem Boden zu liegen. War ich ohnmächtig geworden? Jedenfalls hatte meine innere Stimme für einen Moment lang die Klappe gehalten. Wie fühlte ich mich? Ich konnte es nicht sagen. Oder doch? Wahrscheinlich war ich traurig. Jedenfalls spürte ich eine Träne an meiner Wange entlang laufen.
Als ich sie wegwischen wollte, bemerkte ich irgendetwas Eigenartiges auf meiner Stirn. Als ich es betastete, erwies es sich als feuchter Lappen. Daher die Träne. Als ich die Augen aufschlug, starrte ich die Decke in Josefs Zimmer an. Mein Kopf schien auf etwas Weichem zu ruhen.
Im Liegen stützte ich mich auf dem Ellenbogen ab. Die Maklerin saß am Schreibtisch, wandte ihren Blick vom Bildschirm ab und schaute lächelnd zu mir herüber.
"Wie ich Sie so auf dem Fußboden liegen sah, wollte ich eigentlich sofort den Arzt rufen. Aber dann fingen Sie an, zu schnarchen und zu schmatzen. Deshalb habe ich es gelassen. Passiert Ihnen das öfter?"
Ich nahm das Tuch von der Stirn und richtete den Oberkörper auf. Dabei stellte ich fest, dass mein Kopf auf einem Kissen gelegen hatte. Sie hatte sich tatsächlich um mich gekümmert, dachte ich.
Mit einer nachlässigen Geste deutete sie auf den Bildschirm. "Glauben Sie das alles tatsächlich?"
"Sie ... Sie haben sich die Aufzeichnungen angesehen? Die waren gesperrt!"
"Hmm, von Computern verstehen Sie wohl nicht sehr viel, wie? Tut mir schon etwas Leid, dass ich mich da in Ihre Angelegenheiten gemischt habe, aber schließlich gehört auch der Rechner zum Eigentum der Erben."
Ich nahm auf dem Parkettboden die Schneidersitzposition ein. Irgendwie fühle ich Erleichterung darüber, dass ich nicht mehr allein war, Dass sich jemand für mein Schicksal interessierte. Aber musste ausgerechnet sie das sein? Warum eigentlich nicht? Wenn sie sich Zeit nähme, und wenn ich mich vorsichtig und behutsam ausdrückte. Nicht zu schnell mit den Fakten rüberkäme. So dass sie Gelegenheit hätte, alle wichtigen Schlüsse selber zu ziehen, ohne sich überrumpelt zu fühlen. Ja, warum eigentlich nicht?
"Es gibt da einige Sachen, über die ich jetzt besser mit Ihnen sprechen sollte", hörte ich mich mit gedämpfter Stimme sprechen. "Wahrscheinlich werde ich Ihren guten Glauben ziemlich strapazieren müssen, aber ich versuche, so ..."
"Bemühen Sie sich nicht!", fuhr sie dazwischen. In einem auffallend schnippischen Ton. Plötzlich hielt sie ein zerfleddertes Taschenbuch in der Hand, das mir irgendwie bekannt vorkam. David Icke, natürlich!
"Ich glaube nämlich, dass ich da selber eine heiße Spur gefunden habe." Bei diesen Worten blätterte sie hektisch im Buch hin und her und zielte mit ihrem spitzen Zeigefinger auf eine Textstelle. "Hier, eine Bleistiftnotiz. Wahrscheinlich von Ihrem Onkel. 'Siehe auch E. von Dänicken', hat er hier notiert. Nun?"
"Was 'nun'"?
"Schon gut, schon gut. Sie können es ja nicht sehen. Ihr Onkel hat ‚Dänicken’ mit ck geschrieben!"
"So?"
"In der Tat! Und? Ist das etwa korrekt?"
"Nein, ist es nicht. Herr von Däniken schreibt sich ohne c. D’accord. Allerdings doch eher ein Nebenbefund, oder?"
"Papperlapapp. Das ist der Schlüssel!"
Oh, mein Gott, sie hatte überhaupt nichts begriffen, rumpelte es durch meinen gemarterten Schädel. "Was soll das denn? Ich ... ich mutiere in diesem Augenblick, da könnten Sie wirklich etwas konstruktiver sein. Wieso müssen Sie ausgerechnet jetzt mit irgendwelchem Rechschreibungskleinkram kommen? Vor allem, weil das in diesem Fall keine Bedeutung hat! Überhaupt keine. Nicht die geringste. Nada. Nicht die Allerallerallerwinzigste!" Erschöpft stützte ich meine Stirn auf beide Hände. Als ich wieder aufblickte, sah ich sie über mir stehen. Triumphierend lächelnd, die Arme in die Seiten gestützt.
"Nun ja, ich glaube, ich sollte mich auf die Suche nach den Pflanzen machen. Ruhen Sie sich einfach noch etwas aus! Sie sind ziemlich fertig!"
*​

Ausruhen? Wie sollte das funktionieren? In dem Moment, in dem sie die Tür hinter sich schloss, fühlte ich mich noch ein wenig aufgeschmissener. Nicht nur, dass ich mit einem Fluch beladen war – ächzend erhob ich mich – nein, natürlich musste es auch genau die Art von Fluch sein, die mir niemand abnehmen würde. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich tun sollte. Nachdenken, Himmelherrgott. Ganz in Ruhe nachdenken und nicht hyperventilieren. Zum Beispiel dieses ominöse Krokodilskraut suchen? Ja, natürlich die Pflanzen! Immerhin war auch mein hübscher, blonder Quälgeist auf der Suche. Ich sollte sie stoppen, bevor sie irgendetwas Falsches machen konnte.
Zuerst spürte ich den Impuls, wieder im Keller zu suchen. Aber dann sagte ich mir, dass das nicht der einzige Ort sein müsse, an dem Gewächse zu finden wären. Warum es nicht einmal im Freien versuchen?
Im Wohnzimmer öffnete ich die Terrassentür und trat auf den Rasen. Jetzt im Hellen erkannte ich erst, wie groß das Grundstück eigentlich war. Lange bevor ich das Ende der Rasenfläche erreichte, sah ich die grauen Fensterfronten durch die Äste schimmern. Ein Treibhaus. Dazu eines von beträchtlichen Ausmaßen. Als ich die Tür öffnete, war mir fast, als beträte ich eine Halle. Links und rechts von den Holzplanken des Laufstegs erstreckten sich die Beete, in denen kleine hellgrüne Pflanzen sprossen. Über mir tropfte Wasser aus den Leitungen, die unter dem Spitzdach von einer Wand zur anderen liefen. Am Ende der Halle erkannte ich eine Plastikplane, die einen Teil des Treibhauses vor meinen Blicken abschirmte.
Während ich auf den federnden Holzbrettern darauf zu ging, spürte ich die Wärme und die Feuchtigkeit auf meiner Haut. Und ich witterte diesen Geruch. Schwer, süßlich, pflanzlich. Betäubend und verlockend zugleich.
Für eine Sekunde glaubte ich, einen Schatten, eine Bewegung, hinter der Plane wahrgenommen zu haben. Ich schob den Kunststoff, der ein leises Rascheln von sich gab, beiseite und betrat den abgeteilten Bereich.
Es war phantastisch. Die Bäume ragten bis unter das Dach, wobei ihre breiten Palmenwedel einen Baldachin bildeten, der das Tageslicht fast völlig abschirmte. Zu Füßen der Baumstämme reckten mir Pflanzen große, runde Blätter entgegen, auf denen Wassertropfen perlten. Ich ging nicht mehr auf Stein oder Holz, sondern auf einem Moosteppich. Lianen wucherten mir wie erstarrte Schlangen entgegen. War es die Wärme, war es die Feuchtigkeit? Auf jeden Fall wurde mir wieder schummrig, aber es war eine sehr angenehme Benommenheit. Der Duft der Vegetation schien mein Inneres mit einem süßen, fremdartigen Stoff zu füllen.
Ich sah riesige, flammend rote Blüten aus verschachtelten schmalen Blättern, die auf ein golden schimmerndes Zentrum führten. Hypnotisch wie ein Mandala. Irgendwo hörte ich Wasser rauschen.
Als ich den Stamm eines besonders hohen Baumes umrundete, bemerkte ich eine Liane, die von seiner Krone herabhing und eine Art Schlaufe bildete. In dieser Schlaufe, ungefähr auf Höhe meiner Augen, hatte irgendjemand seine Jacke aufgehängt. Eine Jacke mit wattierten Schultern. Als ich sie wiedererkannte, musste ich grinsen. Einen Augenblick wunderte ich mich darüber, wie breit dieses Grinsen war und wie sehr ich von einem Gefühl der Euphorie überschwemmt wurde. Ich schaute um mich. Dann sah ich sie zwischen zwei Palmen stehen, ihr Körper von leuchtenden Blüten umschmeichelt. Ihr nackter Körper. Sie war überirdisch schön. Während sie den Arm ausgestreckt hielt und eine Blüte auf ihrer Handfläche betrachtete, wandte sie mir ihr Profil zu. Dann drehte sie den Kopf und lächelte.
Behutsam näherten wir uns. Als ich meine Hände auf ihre Schultern legte und ihre samtweiche Haut spürte, war mir, als ob irgendetwas in mir zu leuchten begänne.
Und das war erst der Anfang. Ich spürte ihre flinken Finger an meinen Knöpfen, ihren heißen Atem auf meiner Wange, die Schlaffheit der Muskeln, das Moos unter meinem Rücken, ihre Leidenschaft, die Dehnung der Zeit, diesen einen glutroten Augenblick in meinem Leben, der alles Gestern und Morgen verschlang und immer weiter anschwoll wie eine neue Sonne. Es gab keine Bedrohung mehr, keine Verwandlung. Es gab nur noch sie.
Irgendwann später kniete sie neben mir und strich sich mit beiden Händen über das Haar. "Puh, diese Pflanzen können einem ganz schön den Kopf verdrehen!"
Dann stand sie auf und ging ein paar Schritte zu ihrem Jackett, das sie sich über die Schultern legte. Als sie zurückkam, hielt sie irgendetwas Glänzendes in der Hand. Während sie sich wieder neben mich kniete, erkannte ich, was es war. Handschellen.
"Oh Baby, willst du wirklich?", brummte ich so verschlafen wie genießerisch. Mit geschlossenen Augen fühlte ich das kalte Metall an meinem Handgelenk. Dann hörte ich irgendwo über meinem Kopf ein scharfes Arretieren. Wahrscheinlich hatte sie dort das andere Ende an einem der massiven Bambusrohre befestigt, mit denen der Baumstamm abgestützt wurde.
Dann fühlte ich, wie ihre Finger mein Kinn packten. Ziemlich fest. Während sie mein Gesicht in ihre Blickrichtung dirigierte, öffnete ich die Augen. Ihr Blick war unangenehm streng.
"Mertens, Drogendezernat. Ich verhafte Sie wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz."
"Wie?"
"Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen meinen Dienstausweis. Aber Sie können auch gleich mein Handy bekommen. Bis Ihr Anwalt hier ist, sollten Sie sich aber anziehen und einen starken Kaffee trinken."
"Aber, aber ... was ... Sag mir jetzt sofort ... oh, Mann. Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen!"
"Mertens wie gesagt."
Ich rappelte mich auf, soweit es die Fessel zuließ, und lehnte mich im Sitzen gegen den Baum. "Hilfe! Was soll denn dieser ganze Quark?"
Ein paar Schritte von mir entfernt schob sie im Stehen ihr Bein in die Hose. Unter dem Jackett war sie immer noch nackt.
"Waffen! Die ganze Zeit haben wir gedacht, es ginge um Waffen. Für Südamerika. Organisierte Kriminalität, kriminelle Regierungen, kriminelle Revolutionäre, was weiß ich. Ihr Onkel hat dort ganz schön eigenartige Freunde."
"Hatte!"
"Oh, keine Sorge, dem geht es bestimmt blendend."
In Anbetracht der veränderten Situation hatte ich mit dem freien Arm mein Hemd geangelt und legte es mir auf den Schoß.
"Blödsinn!"
"Oh nein. Sogar ausgesprochen raffiniert. Nachdem hier nichts zu finden war und ich dann auch noch seine Video-Show gesehen habe, dachte ich, dass er vielleicht doch nur ein durchgeknallter Ufologe sein könnte. Aber dann fand ich seine Aufzeichnungen. Däniken mit ck. Das war die Lösung!"
"Wie das denn?"
"Anfängerfehler. Keinem echten Ufo-Spinner – Verzeihung! – würde das passieren. Höchstens einem, der sich dafür ausgeben will."
"Und wozu?"
"Komödie. Theater. Vielleicht um irgend so einen Naivling zu seinem Drogenkurier zu machen?"
"Für welche Drogen denn überhaupt?"
"Für die hier!" Ihr Arm vollführte eine ausladende Geste, die das gesamte Treibhaus einschloss. "Psychedelica der neuen Generation. Transgene Pflanzen. Arten, die man sonst nie mit Drogen in Verbindung brächte. Mit ein paar Extragenen für die richtig guten Wirkstoffe. Scheint ihnen perfekt gelungen zu sein. Allein schon die ätherischen Dämpfe können einen richtig aus den Schuhen hauen. Sagen Sie jetzt bloß nicht, das wäre Ihnen entgangen! Sie waren ziemlich gut in Fahrt. Du meine Güte, ich werde meinem Dienstherren auch so das eine oder andere zu beichten haben."
"Moment! Drogenkurier? Ich?"
"Da sind noch ein paar andere Aufzeichnungen. Über Sie." Sie zog das Buch von Icke aus der Jackentasche, wobei ein paar lose Zettel herausrutschten.
"Hier: 'Verschwörungstheoretiker'. Oder: 'Unkritischer, beeinflussbarer Geist'. Moment da waren noch ein paar andere Stellen", murmelte sie, während sie in den Zetteln wühlte. "'Hautprobleme, Nagetierphobie. Hat im Internet einmal erwähnt, dass er jetzt Sachen über Dinosaurier liest. Wahrscheinlich geeignet für entsprechendes Szenario'. Oder hier: ..."
"Genug!" Meine Stimme klang tonlos und ohne jede Kraft. "Dann hat er mich also reingelegt."
"Na ja. Nehmen Sies doch mal von der positiven Seite!" Wie ich diesen Anflug von Mitgefühl in ihrem Gesichtsausdruck hasste. "Immerhin werden Sie sich nicht verwandeln. Allerhöchstens vielleicht in einen Untersuchungshäftling."
"Oh, großartig!"
Sie kam ein paar Schritte auf mich zu, ging in die Hocke und legte mir die Hand auf die Schulter. Dabei lächelte sie. Ein schönes, weiches Lächeln. Sie zwinkerte mit dem linken Auge und stupste mit dem Zeigefinger meine Nase.
"Keine Angst, Süßer! Ich hol dich da ganz schnell wieder raus!"
 
Na ja. Recht bedacht war es nicht immer von Nachteil, aus einer völlig verrückten Familie zu stammen. Wie wäre ich sonst zu dieser Tour gekommen?
Der Wind fegte rote Ahornblätter über die Fahrbahn. Oktober. Gewöhnlich war ich jemand, der beim ersten Anzeichen von Sommer wegen der Hitze quengelte und sich bis zum Herbst in den Schatten verkroch, aber diesmal hatte ich Angst vor der Kälte.
Der braune Briefumschlag lag auf dem Beifahrersitz. Den Schlüssel, der sich darin befunden hatte, trug ich mittlerweile in der Jackentasche, das Schreiben hatte ich wieder zusammengefaltet und ins Kuvert geschoben.
Nachricht von einem Toten. Mit der notariellen Verfügung, dass ich dieses Schreiben wirklich erst nach seinem Ableben erhielt. Onkel Josef, der alte Geheimniskrämer. Außerdem war er gar nicht mein Onkel. Wir nannten ihn halt so. Eher der Typ Hausfreund. Vor allem der meiner Mutter, wenn ich das eine oder andere dunkle Raunen meines Vaters richtig deutete.
Die Fahrt führte an Rapsfeldern, Getreidesilos und Kiesgruben vorbei. Die norddeutsche Tiefebene – so schön plattgewalzt wie von Omas Nudelholz. Und irgendwo hier mittendrin sollte Onkel Josefs Haus stehen. Vor dem Brief hatte ich gar nicht gewusst, dass er sich wieder in Deutschland aufhielt. Er hätte sein Glück in Südamerika versucht, als Hotelier oder so ähnlich, hieß es bei meinen Eltern immer.
"Die Enthüllungen über deine Familie, vor allem über dich selber, machen es nötig, dass du dich für einige Zeit in mein Haus zurückziehst, um dich mit den Tatsachen vertraut zu machen", hatte es in dem Brief geheißen. Enthüllungen? Über mich? Klang vielversprechend. Ob er am Ende sogar vorhatte, mir sein Haus zu vererben? Würde ich dort allein sein? So oder so – falls es keine komplette Bruchbude wäre, bestand auf jeden Fall die Chance, ein Wochenende lang auszuspannen. Zum Beispiel mit Lesen.
Auf dem Sitz unter dem Briefumschlag lag mein Buch über Dinosaurier. Es war als Therapie gedacht. In meinem Leben hatte ich einfach zu viele verrückte Sachen gelesen. Aber bevor ich Gefallen fände am kleinen Börsen-Abc oder Rentenratgebern, würde ich wohl noch einen ziemlich langen Weg zurücklegen müssen. Dinos stellten da eine erste Kompromisslösung dar.
Bis vor kurzem spielten sie im Biotop meiner Interessen und Neigungen so gut wie keine Rolle. Aber jetzt war mir klar, dass eine uralte Wesensverwandtschaft bestehen musste. Säugetiere! Man verschone mich mit Säugetieren. Mit ihrem Pelz, den Knopfaugen und den Barthaaren sahen die doch alle aus wie vom Stofftierdesigner entworfen. Geradezu läppisch im Vergleich zu diesen guten, archaischen Dino-Gesichtern. Gefressen haben sie die ersten Säugetiere noch! Müssen ganz schön viel Haare dran gewesen sein, aber mit etwas Dipp doch wohl ganz lecker, heeheehee. Aber vielleicht sollte ich mich doch etwas mehr auf die Fahrbahn konzentrieren.
Im Moment befand ich mich auf freier Strecke zwischen zwei Ortschaften. Der etwas ungelenk gezeichneten Wegskizze zufolge müsste auf der rechten Seite jetzt bald eine Art Feldweg auftauchen, der zum Haus führte. Und so war es auch.
Der Sandweg, von niedrigen Buchen und Fichten eingerahmt, führte mich zu einem nicht allzu großen Haus aus rotem Backstein, hinter dem sich ein großes freies Grundstück zu erstrecken schien. Der Vorgarten bestand aus einem Plattenweg und einem mit Feldsteinen umfassten Beet, das ein wenig verwahrlost wirkte.
Vergebens fahndete ich nach einem Namensschild oder einem Klingelknopf. Nachdem ich mehrmals gegen die massive Haustür geklopft hatte, probierte ich den Schlüssel. Er passte.
Der Hausflur sah aus wie jeder andere. Allerdings war die Luft auffallend warm. Ein-, zweimal rief ich noch das obligatorische "Hallo" in die Stille hinein, ohne aber wirklich mit einer Antwort zu rechnen.
Ich betrat den Raum, der wohl das Wohnzimmer darstellen sollte. Unspektakulär. Teppich, Wandschrank, Vitrine, Ledersofa, alles war da. Allerdings wirkte es unpersönlich, wie in einer Ferienwohnung. Bemerkenswert war jedoch die breite Fensterfront, die auf das rückwärtige Grundstück wies. Dann hörte ich Geräusche im Flur. Näher kommende Schritte. Die Wohnzimmertür wurde geöffnet.
Vor ein paar Jahren hatte mein Chef die Abteilung mal auf eine Fortbildung zu einem Unternehmensberater geschickt. Der war mächtig dick, hatte wirres Haar, ein derbes Gesicht und unglaubliche Wurstfinger. Trotzdem fand ich, dass er eine ziemlich überzeugende Show hinlegte. In der Pause fragte ich meine Kollegin Antje, was sie von ihm hielt. "Schrecklich!", stieß sie kopfschüttelnd hervor. "Zwei Stunden lang wusste ich nicht, wo ich hinsehen sollte. An dem Kerl ist ja rein gar nichts schön!"
Die Frau, die das Zimmer betrat, löste den gegenteiligen Effekt aus. Sie war nicht sehr groß, hatte eine angenehm schlanke Figur, das Jackett mit den stark wattierten Schultern wirkte geschmackvoll, genau wie die schwarze Brillenfassung. Das hellblonde Haar war zu einem Zopf gebunden, die Haut ihrer Wangen milchig weiß wie bei einem kleinen Kind, der Mund schmal, aber nicht verkniffen. Nichts an ihr war unansehnlich oder ungünstig. Abgesehen vom Gesamteindruck. Ich glaube, ich hasste sie von der ersten Sekunde an.
"Was wollen Sie denn hier?" Nette Stimme. Irgendwo im optimalen Frequenzbereich. Und unverschämt bis zur Schmerzgrenze.
"Ich bin zu Besuch hier."
"Wen wollen Sie hier denn noch besuchen?"
"Onkel Josef!", hätte ich beinahe geantwortet, bekam dann aber doch noch irgendwie die Kurve und sagte stattdessen: "Ich wurde eingeladen. Und? Mit wem habe ich ... es zu tun?" 'Das Vergnügen' wollte mir einfach nicht über die Lippen.
"Mertens. Ich verwalte diese Immobilie für die Erben."
Erben? Aha. Also nichts mit Haus.
"Wieso eingeladen?", bohrte sich ihre Stimme in mein melancholisches Sinnieren.
"Der Vorbesitzer hat mir einen Brief geschickt. Und den Schlüssel. Hier!" Bei diesen Worten hielt ich ihr den Schlüsselanhänger vor die Nase wie einem Hund den Wurstzipfel. Sie würdigte ihn mit einem knappen Blick.
"Haben Sie vor, länger zu bleiben?"
"Das Wochenende, mal sehen!"
Während sie mir ihr Profil zuwandte, zog sie ein Handy aus der Jackettasche und hielt es sich ans Ohr. Ziemlich niedliche Nase. Nachdem sie ein paar Mal mit der Fußspitze auf den Boden getappt hatte, richtete sie sich wieder an mich. "Kriege keine Verbindung. Na ja. Nachher habe ich so und so noch einen Termin mit den Erben. Bis die entschieden haben, können Sie erst einmal hier bleiben. Aber kommen Sie nicht auf den Gedanken, hier irgendetwas anzufassen. Ich bin gefürchtet für die Vollständigkeit meiner Inventarlisten."
"Noch nie bin ich mit größerem Überschwang eingeladen worden!"
"Sie reden gern viel, wie?"
Stimmt, trotzdem machte mich diese Bemerkung sprachlos. Ich trottete hinter ihr her in den Flur. Während ich ihr die Haustür öffnete, fiel ihr Blick auf die unteren Stufen der Treppe, die zum ersten Stock führte.
"Was ist das denn?" Sie griff nach dem zerfledderten Taschenbuch, das auf der Stufe gelegen hatte, und musterte das Umschlagbild. "David Icke. Sagt Ihnen das was?"
"Offengestanden ja." Offengestanden gab es wahrscheinlich keine einzige Verschwörungstheorie, über die ich noch nicht gelesen hatte. Ein paar von ihnen hielt ich für ganz plausibel. Die meisten waren meiner Meinung nach allerdings schlicht und ergreifend erwiesen.
"Und?"
"David Icke unternimmt den Versuch zu beweisen, dass sich die Erde seit mehreren hunderttausend Jahren in der Hand von Außerirdischen befindet, die sich als Menschen tarnen."
Dieser Blick. Leider war ich kein Rechtsexperte. Was wäre, wenn ich diesen Blick mit meinem Fotohandy aufgenommen hätte und damit zur Polizei gegangen wäre? "So! So hat die mich angesehen! Also, für mich ist das Körperverletzung. Verhaften Sie diese Frau!"
"Icke. I-c-k-e?"
Auf mein Nicken hin vervollständigte sie den Eintrag in ihrem Filofax, den sie – schon im Kreuz der Haustür stehend – aus der Tasche gezaubert hatte. "Ist für die Inventarliste!"
"Verstehe schon!"
Ich sah ihr nach, während sie sich in ihr kleines Auto setzte, das vor dem Gartenzaun stand, und schloss die Tür. Zeit gewonnen. Nur wofür? Wie sollte es jetzt weitergehen? Wo waren die rätselhaften Enthüllungen, die Josef andeutet hatte? Am besten, ich würde ... in diesem Moment vernahm ich ein Geräusch aus dem oberen Stockwerk. Irgendwie metallisch.
Zögernd stieg ich über knarrende Stufen die Treppe hinauf. Durch die verschlossene Tür links neben dem Treppenabsatz war dieses silberne Klirren abermals zu hören. Langsam drückte ich den Türknauf nach unten.
Wahrscheinlich war der Raum gar nicht besonders klein. Aber mit dem massiven Schreibtisch, auf dem ein PC stand, dem Sofa, dem Tisch und den von Büchern überquellenden Regalen, die bis an die Decke reichten, kam er mir ziemlich beengt und überladen vor. Vor allem die verstaubte Weltkarte, die vor einem der Büchergestelle hing, erschien mir überdimensioniert.
Mein Blick wanderte zu einer Art Kommode neben dem Schreibtisch. Auf ihr stand eine steinerne Skulptur, die offensichtlich den Schädel eines Raubtiers oder einer Schlange mit geöffnetem Maul wiedergeben sollte. Irgendwie wirkte der Stil indianisch.
Als ich um den Schreibtisch herum ging, erkannte ich eine Grafik, die über den Bildschirm lief, um alle paar Sekunden wieder zu verschwinden. Das Foto eines aztekischen Sonnenrades. Immer, wenn sie aufblinkte, gab der Rechner dieses Geräusch wie von einem klimpernden Schlüsselbund von sich. Als ich mich auf den Stuhl mit dem schwarzen Lederbezug setzte, veränderte sich das Bild. Ein einzelner Satz erschien vor blutrotem Hintergrund:
"Welches Projekt hat eine bestimmte Farbe?" Darunter blinkte der Cursor im rechteckigen Eingabefeld.
Ich mochte diese Spielchen nicht. Außerdem fiel mir nur eine einzige mögliche Antwort ein. Und die dürfte kaum das sein, was Josef im Sinn hatte. "Blue Book", tippte ich mit missmutigem Gesicht. Der Rechner brummte, und ein neues Bild begann sich aufzubauen. Onkel Josef. Er schien hinter einem Schreibtisch aus massivem Holz zu sitzen, im Hintergrund eine Weltkarte, die mir bekannt vorkam. Es war die selbe, die hier im Zimmer hing. Also war die Aufnahme in diesem Raum gemacht worden.
Fast hatte ich vergessen, wie er aussah. Klein, drahtig, dichter Schnauzbart. Dazu das glatte schwarze Haar, das immer ein wenig pomadig glänzte. Nicht von Ungefähr erinnerte er an Ekel Alfred.
"Vielen Dank, dass du dir die Mühe gemacht hast, mein Junge!", sagte er, wobei er sich ein wenig nach vorn beugte. "Was ich dir zu sagen habe, ist von einiger Tragweite. Daher habe ich mich entschlossen, dich nicht sofort mit allen Einzelheiten zu erschlagen."
Er legte die Handflächen aufeinander und stützte für einen Moment die Nasenspitze auf die Fingerspitzen.
"Deine Mutter – ich verrate dir wohl keine Neuigkeiten, wenn ich betone, dass wir uns recht nahe standen – deine Mutter war nicht immer der Mensch, den du kennst."
So wie er über sie sprach, ging er davon aus, dass sogar ich mitbekommen hatte, dass ihr Verhalten ein wenig außerhalb der Norm lag. Meine Mutter. Diese paranoide graue Maus, die sich vor allem und jedem fürchtete und sich nur auf ihrem heimischen Sofa wirklich sicher fühlte. Wenn überhaupt. Die von dort aus jedes Mal nach dem Telefonhörer griff, wenn es klingelte und dem Anrufer, gleich, wer es war, geduldig und mit sorgfältiger Artikulation klar machte, dass er sich nicht zu verstellen bräuchte und sie selbstverständlich ganz genau wisse, was da für ein Spiel gespielt wurde. Und dann mein Vater. Der graue Mäuserich, der sich ebenfalls vor allem und jedem fürchtete, besonders aber vor der Blamage und deshalb in seiner leisetreterischen Art ständig bemüht war, die Fehltritte meiner Mutter glatt zu bügeln. Nein, ich konnte mir tatsächlich nicht vorstellen, dass einer von beiden irgendwann einmal ein anderer Mensch gewesen wäre.
"Als junges Ding konnte man sie sogar ein ganz ausgesprochen lebenslustiges Persönchen nennen!", fuhr Josef fort. "Bis ... bis zu dieser Nacht. Vergiss alles, was dir die Ärzte oder die Verwandtschaft erzählt haben! Von wegen überreizte Nerven oder so. Für die Veränderung gab es einen Grund. Einen schrecklich triftigen. Nun bin ich wohl der erste, der mit der Wahrheit rausrückt."
Er nahm einen tiefen Atemzug und fasste mit beiden Händen die Armlehnen fester.
"Das Ganze ereignete sich noch vor deiner Geburt. Sie waren auf einer Party, deine Eltern. Irgendwo auf dem platten Land. Spät abends dann sind sie in ihrem klapperigen R4 nach Hause gefahren. Und dann ... dann haben sie es gesehen."
"Was gesehen?", zischte ich unwillkürlich.
"Das Licht! Es schwebte über ihnen und war so hell, dass dein Vater den Wagen stoppte. Als die beiden ausstiegen, schien es noch näher zu kommen. Langsam, ganz langsam ..."
In sich gekehrt schwieg er eine Weile.
"Dies war der Moment in ihrem Leben, der alles veränderte. Nicht nur, dass sie es gesehen haben. Sie hatten auch Kontakt. Mit den Wesen aus dem Licht. Und die haben ... nun ja, Dinge gemacht mit deinen Eltern." Wieder eine Pause. "Besonders mit deiner Mutter! Natürlich glaubte ihnen niemand. Und deshalb gaben es die beiden auch sehr schnell auf, darüber zu sprechen. Nein, nicht ganz! Immerhin gab es einen, der ihnen Vertrauen schenkte. Und das war ich. Ich nahm – bei aller Bescheidenheit – tiefen Anteil an ihrem Schicksal. Das, was ihnen widerfuhr, machte mich über die Monate und Jahre hinweg zu einem regelrechten Experten des Ufo-Phänomens. Bis nach Südamerika führten mich meine Recherchen. Doch davon später!
Wenn du diese Aufzeichnungen siehst, meine Junge, dann bin ich tot. Und das heißt gleichzeitig, dass die Dinge sehr, sehr ernst stehen. Sehr, sehr ernst. Für heute entlasse ich dich. Versuche nicht, die Aufzeichnung selber zu starten. Sonst wirst du nur wieder etwas kaputt machen. Komm morgen Vormittag wieder!"
Während ich so da saß und minutenlang auf den Bildschirm starrte, der statt des Onkels mittlerweile wieder das Sonnenrad zeigte, spürte ich, wie meine Haut zu jucken begann. Auf den Schultern, auf dem Rücken, in den Hüften, auf den Schenkeln, am Ende überall. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als stecke er in einer zu engen Umhüllung und drohe zu platzen.
Mit allem hatte ich es versucht, PH-neutrale Seifen und Duschgels, diverse Hautcremes, Mineralstofftabletten. Trotzdem wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer. Wahrscheinlich war es die Kälte, die meiner Haut so zusetzte. Manchmal war das Jucken unerträglich. So wie jetzt. So unerträglich, dass ich mich noch nicht einmal auf diese Enthüllungen konzentrieren konnte. Himmel, Herrgott, meine Eltern waren Entführungsopfer, und ich brachte es nicht fertig, die Konsequenzen zu durchdenken. Weil ich mich kratzen musste! Ich brauchte Bewegung.
Während ich die Treppe hinunterpolterte, beschleunigten meine Gedanken ihre Umdrehungszahl. Nicht nur, dass Mama und Papa möglicherweise eine Begegnung der vierten Art hinter sich hatten – nein, mein undurchsichtiger, immer etwas pomadiger Onkel Josef entpuppte sich als veritabler Ufologe. Fast so etwas wie ein Berufskollege von mir, wenn man so wollte.
Im Wohnzimmer würde ich nichts finden. Zu steril, zu langweilig. Im Hausflur fiel mein Blick auf eine Tür, die ganz danach aussah, als ob sie in den Keller führte. Als ich sie öffnete, wehte mir ein vielversprechender modriger Geruch entgegen.
Nachdem ich den Lichtschalter gefunden hatte, tastete ich mich auf dem hölzernen Treppengestell nach unten, wobei die nackte Glühbirne über meinen Haarschopf strich und das Licht unruhig zu tanzen begann.
Der Gang war ziemlich schmal. Fleckige Kalkwände, die sich weit bis ins Dunkel zogen. Beklommen ging ich ein paar Schritte darauf zu. Vor mir schien der Gang rechtwinklig abzuknicken. Ob es hier Ratten gab? Ratten. Das Erinnerungsbild, das in meinem Hirn aufblitzte, war auffallend klar und plastisch. Und irgendwie ein wenig faszinierend. Was um alles in der Welt hatte ich in letzter Zeit nur mit Nagetieren?
Allerdings blieb jetzt keine Zeit für solche Fragen. Lieber sollte ich mich darauf konzentrieren, was ich hier überhaupt zu finden glaubte. Also noch einmal die Fakten rekapitulieren: Mein Onkel war auf der Spur von Ufos gewesen. Er wollte mir etwas Wichtiges mitteilen. Hatte er sie gefunden? Außerdem war er jetzt tot. Natürliche Ursachen? Und wenn nicht? Wer könnte ein Interesse an seinem Schweigen haben? Na, wer wohl.
Ich stoppte meine Schritte, Geräusche irgendwo vor mir. Mit angehaltenem Atem presste ich mich gegen die Kellerwand. Eigenartig schleppende Schritte waren es. Näher und näher kommend. Maximal zwei Meter entfernt, wie ich schätzte. Flucht brächte jetzt gar nichts mehr. Gleich ... gleich müsste es um die Ecke biegen. Ein letztes Mal holte ich Luft. Tief, sehr tief. Dann warf ich mich auf das Wesen, das fremdartig spitze Schreie ausstieß.
"Verdammte Scheiße, nehmen Sie endlich Ihre unegalen Finger von mir!" Die Maklerin hielt meine Handgelenke umklammert und stieß sie mit wutentbranntem Gesicht von sich.
"Entschuldigung, Entschuldigung! Ich wusste ja nicht ..."
"Das ist doch wirklich ... na ja, geschenkt!" Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, stemmte die Hände in die Hüften und schaute in den Gang. "Vielleicht gar nicht so schlecht, dass Sie sich hier herum treiben – dann können Sie mir eigentlich auch gleich helfen."
"Helfen?"
"Vorhin hatte ich ein Telefonat mit den Erben. Die wundern sich, dass die Stromabrechnungen in letzter Zeit so enorm hoch ausfallen. Haben Sie irgendeine Ahnung davon?"
"Nein, nicht die geringste", stammelte ich, noch immer peinlich berührt von der Attacke.
"Der Keller ist verdammt groß." Sie warf einen skeptischen Blick über die Schulter. "Wollen wir ihn uns vielleicht noch einmal zusammen ansehen? Vier Augen sehen ja bekanntlich mehr als ..."
"Danke. Aber meine Neugierde ist fürs erste gedeckt."
"Na, na, na, wieso jetzt so ein Gesicht? Gefällt es Ihnen hier nicht mehr? Sie wollen doch nicht etwa schon wieder abreisen?"
Wortlos hob ich die Schultern.

*​

Im Rückspiegel sah ich, wie Onkel Josefs Haus immer weiter in die Nacht zurückfiel. Die Straße war finster, drohend neigten sich die Bäume über die Fahrbahn. Kein Mensch weit und breit.
Plötzlich war dieses Licht da. Wabernd wie ein Nebel stand es über mir und schien mich zu beobachten. Fuhr ich überhaupt noch, oder stand der Wagen?
Das Licht griff nach mir, dürre Tentakel aus reiner Helligkeit umschlangen meine Oberarme und zogen mich durch das Autodach, das keinen Widerstand leistete, ins Zentrum des Leuchtens.
Ich lag auf einer Art Pritsche. Im Raum um mich herum herrschte ziemliche Dunkelheit, abgesehen von einigen matt gelblichen Lichtern, die über mir blinkten. Unter großer Anstrengung gelang es mir, den Kopf zu heben. Da saß jemand vor mir an einem Instrumentenpult und bewegte einen riesigen Joystick. Langsam begann er, sich zu mir umzudrehen. Unter der ledernen Pilotenmütze erkannte ich das eisige Grinsen eines Tyrannosaurus Rex. Jemand legte mir die Hand auf die Schulter und drückte mich auf die Liege zurück. Es war die Maklerin.
"Könnte schwierig werden", hörte ich Onkel Josef sagen, dessen Gesicht sich über mir in mein Sichtfeld schob. "So viel ich weiß, hat er Angst vor Spritzen, der kleine Schisser."
"Soll sich nicht so anstellen!", murrte die Frau. Dann spürte ich einen ziehenden Schmerz in der Armbeuge.
Als ich die Augen aufschlug, brauchte ich ein paar Sekunden, bis mir bewusst wurde, dass ich, die Wange auf der Handfläche ruhend, das Dino-Buch zwischen Unterarm und Bizeps eingeklemmt hatte. Daher der Schmerz.
Ich schlug die Wolldecke zurück, brachte mich auf dem Sofa in eine halbwegs aufrechte Körperhaltung und massierte mir das Gesicht. Dann schaute ich mich eine Weile im Wohnzimmer um, bis ich meinen Blick auf die Armbanduhr zurücklaufen ließ. Zehn nach zehn. Zuerst Duschen und Frühstück. Und danach Zeit für einen kurzen Plausch mit Onkel Josef.
Im Arbeitszimmer fand ich den PC summend und klirrend, wie ich ihn verlassen hatte. Auch die Passwortabfrage war die selbe wie am Vortag.
"Du hast", sagte mein Onkel, während sein Blick in unbestimmte Fernen schweifte, "jedenfalls wenn ich deine Neigungen richtig einschätze, wahrscheinlich schon einmal etwas von dem Phänomen der Präastronautik gehört. Von der Theorie, dass die Erde bereits vor Jahrtausenden von außerirdischen Raumfahrern besucht wurde."
Er wandte sich zu mir um, zeigte ein wissendes Lächeln und fuhr fort: "Im südamerikanischen Regenwald, irgendwo an der Grenze zwischen Peru und Brasilien, stieß ich auf das indianische Volk der Oché. Nicht, dass das eine besonders urtümliche und unberührte Kultur darstellen würde – dazu war der Einfluss von Coca-Cola und Handys zu unübersehbar. Aber trotzdem gab es unter ihnen noch eine ganze Menge Heiler, zu denen die Leute gingen, die sich keinen westlichen Arzt leisten konnten. Diese brujos stellen nun in der Tat wandelnde Lexika der einheimischen Mythologie dar. Durch sie erfuhr ich von der Geschichte des Himmelskrokodils. Von reptilischen Wesen, die vor langer, langer Zeit auf einem Floss, das durch die Luft segelte, angereist kamen, die Oché unterjochten, ihre Frauen raubten und die Männer zu Sklavendiensten zwangen. Die Ärmsten wurden dazu verdonnert, dieser fremden Rasse eine steinerne Stadt zu bauen.
Nun, ich habe mich in der Gegend ein wenig umgesehen. Und was soll ich sagen? Dabei bin ich auf gigantische Mauerreste gestoßen – wohlgemerkt in einer Gegend, in der heute nur mit Holz, Pappe und Wellblech gebaut wird! Allerdings waren die Ruinen derart verwittert, dass sie Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende alt sein mussten. Was aber nicht automatisch bedeutet, dass die – ähem! – Bewohner dieser Stadt völlig ausgestorben sind."
Ein paar farbige Zeilen liefen über den Bildschirm und für einen kurzen Moment wurde der Ton undeutlich. Dann stabilisierte sich das Bild wieder und ich hörte Josef sagen:
" ... mir die alten Zauberer von einer Heilpflanze berichtet, die in ihrem Regenwald wächst. Das Krokodilskraut, wie sie es nennen. Es soll auf die Eroberer wie Gift gewirkt haben. Interessant dabei, dass es noch heute gegen bestimmte Formen dämonischer Besessenheit verwendet wird. Da stellt sich doch glatt die Frage, was das für Dämonen sein könnten, nicht wahr? Wie dem auch sei. Ein paar dieser und ähnlicher Pflanzen mitsamt ihrem Samen habe ich gesammelt und mit nach Europa gebracht. Wer weiß, wozu sie noch einmal nützlich sein können. Aber, nun ja. Wie soll ich das ausdrücken? Jedenfalls habe ich seit diesen Entdeckungen ständig das Gefühl, beobachtet zu werden. Aber davon das nächste Mal. Die Sitzung ist beendet. Würde mich freuen, wenn du morgen noch einmal reinschaust."
Der Bildschirm wurde schwarz. Schon wieder dieses ekelhafte Jucken. Während ich das Zimmer verließ, rollte ich mit den Schultern.
Josef ging davon aus, dass er verfolgt wurde, so viel war klar. Aber glaubte er wirklich, dass die Himmelskrokodile oder ihre Nachkommen dahinter steckten? Sogar einem wie mir ging das ein wenig über die Hutschnur.
Außerdem schien er davon überzeugt zu sein, ein Mittel gegen die Invasoren gefunden zu haben. Auf rein pflanzlicher Basis, sozusagen auch für den Makrobiotiker geeignet. Während ich noch über meinen eigenen Einfall grinsen musste, stellte ich fest, dass ich wieder vor der Kellertür stand. Sie schien mich magnetisch anzuziehen.
Von Samen oder Pflanzen irgendwo aus den Tropen war die Rede gewesen. Solche Sachen konnte man in einem muffigen, feuchten norddeutschen Keller wohl kaum lange am Leben erhalten, ging es mir durch den Kopf, während ich die Treppe hinabstieg. Es sei denn ... Was hatte dieses verrückte Huhn von Maklerin gesagt? Extrem hoher Stromverbrauch? Am Ende vielleicht für Heizung oder Lampen?
Mittlerweile stand ich wieder im Gang. Diesmal entschied ich mich für die andere Richtung. Das Licht der Glühbirne im Treppenaufgang verhinderte zwar, dass der Gang in völlige Finsternis fiel, trotzdem war kaum noch etwas zu erkennen. Klar war aber, dass ich vor einer offenen Tür stand, hinter der tiefste Schwärze gähnte. Meine Finger ertasteten einen klobigen Drehschalter.
Als ich ihn mit einem scharfen, schnappenden Geräusch betätigte, sprang direkt über mir eine weitere Glühbirne an. Der Raum maß um die fünf mal fünf Meter, an den Wänden standen mehrere Holzkisten. Hochkant. Auf ihnen thronten Skulpturen in der Art wie in Josefs Arbeitszimmer. Alles in allem wirkte das außerordentlich kultisch. Vor allem in Zusammenhang mit der großen Kiste, die in der Mitte der Kammer platziert war. Aber was hieß hier Kiste? Eher schon ein Sarg.
Als ich einen Blick hineinwarf, musste ich schlucken. Das Skelett trug ein Gewand und eine Krone aus Vogelfedern, deren Pracht immer noch erkennbar war, auch wenn sie uralt schienen. Die Knochen selber allerdings ... sie konnten einfach nicht menschlich sein. Ein knöcherner Schädel mit eigenartig vielen Öffnungen an den Schläfen und weiß ich nicht noch wo. Vor allem aber die Schnauze. Lang, spitz zulaufend. Und gespickt mit langen, scharfen Zähnen. Räuspernd zog ich mich zurück.

*​

Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, auf der Suche nach einem Supermarkt in meinem Wagen durch die Gegend zu kreuzen. Nachdem ich in einem kleinen Nest fündig geworden war, kehrte ich zurück und machte mich mit der Mikrowelle vertraut.
Nach dem Essen saß ich auf dem Wohnzimmersofa und starrte das Handy an, das vor mir auf dem Tisch lag. Zu und zu gern hätte ich jetzt mit jemandem gesprochen. Aber wem könnte ich meine Entdeckungen anvertrauen? Auf Smalltalk hatte ich keine Lust.
Auch das TV-Programm war äußerst öde. Trotzdem gelang es mir, mich soweit abzulenken, dass ich gar nicht bemerkte, wie es dunkel wurde. Als ich durch die breite Fensterfront schaute, meinte ich, ein Licht aufblitzen zu sehen. Ich erhob mich vom Sofa und trat näher an die Scheibe heran. Ich ahnte das große Grundstück in der Dunkelheit eher, als dass ich es wirklich erkennen konnte. Wieder ein Lichtblitz. Vierzig, fünfzig Meter von mir entfernt. Ich blieb unschlüssig.
Stunden später, nachdem ich einen Stoß alter Illustrierter gelesen und eine Kanne Tee konsumiert hatte, trieb mich die Unruhe dann doch hinaus auf die Terrasse. Ich trat auf den Rasen und legte den Kopf in den Nacken. Eine kühle, klare Nacht. Der Himmel war sternenübersät.
Ich erinnerte mich an eine Fernsehsendung, in der ein alter Indio über die Mondlandung interviewt wurde, die zu dem Zeitpunkt schon längst stattgefunden hatte. Seiner Meinung nach könnten die Astronauten so lange rumfliegen, wie sie lustig seien, aber den Mond würden sie nie und nimmer finden. Ich hatte die Bescheidenheit dieser Sicht immer sympathisch gefunden, aber die Logik war natürlich zum Schießen. Wieso sollte man den Mond vom Weltraum aus nicht finden, wenn er auf der Erde schon so gut zu sehen war?
In diesem Augenblick wünschte ich, dass er Recht behalten hätte. Sollte es wirklich wahr sein? Hatte uns da draußen irgendjemand tatsächlich gefunden? Unter all den anderen Millionen von Lichtpunkten, diesen winzigen Funken, zwischen denen sich kosmische Abgründe öffneten? Ich stellte mir eine Prozession von riesigen stählernen Raumschiffen vor, die durch die Schwärze des Kosmos dahinzogen. Lautlos und zielstrebig wie Raubtiere auf der Jagd.
Wieder blitzte ein Licht auf. Es musste vom Rand des Grundstücks kommen. Ich gestehe, dass ich auf der Stelle umkehrte und zum Haus zurückrannte.
Während ich auf dem Sofa lag – das Licht hatte ich gelöscht – hörte ich mein Herz pochen und das Blut leise und regelmäßig in meinen Ohren rauschen. Irgendwann drängte sich irgend etwas anderes in diesen monotonen Klangteppich. Ein Raunen, ein Flüstern. Als ich die Augen aufriss, verschwand das Rauschen in meinen Ohren. Das Flüstern blieb. Es schien vom oberen Stockwerk zu kommen. Ich tastete nach meinem Handy auf dem Tisch und barg es unter meinen Händen, die ich über der Brust verschränkte. Erst als graues mattes Morgenlicht ins Zimmer fiel, schlief ich ein.
*​

Ich fühlte mich schlecht, hatte nach dem Aufstehen nichts essen können. Der Kaffee war mir viel zu stark geraten, und die Zigarette auf nüchternem Magen hatte den Rest erledigt. Als ich Josefs PC wieder in Betrieb nahm, spürte ich Schweiß auf der Stirn und ein leichtes Zittern in den Fingerspitzen.
"Dies ist der letzte Teil meiner Instruktionen", sprach er mit gewichtiger Mine. „Danach bist du auf dich allein gestellt. Am Ende dieser Aufzeichnung werde ich dir ein paar Namen und Adressen nennen. Diese Leute stellen die winzige Schar der Eingeweihten dar – die, die bereit und fähig sind, den Kampf zu führen. Du wirst sie suchen und ihnen Pflanzen, Samen und ein paar meiner Aufzeichnungen übermitteln. Vielleicht – bei Gott, wie sehr ich das hoffe! – wird es ihnen gelingen, ein Mittel gegen die Invasoren zu finden. Und natürlich eine Lösung für dein spezielles Problem!"
"Problem", murmelte ich tonlos.
"Na ja", fuhr mein Nennonkel alarmierend zögerlich fort, "wie soll ich dir das beibringen? Möglichst schonend, sozusagen? Wie du dich erinnern wirst, ereignete sich die Entführung deiner Eltern noch vor deiner Geburt. Und das ist der springende Punkt. Genau genommen waren es nämlich neun Monate vorher!"
Sein Blick wurde bohrend. "Ich weiß, dass du in diesen Dingen ein sehr gebildeter Mann bist. Und deshalb sagt dir mit Sicherheit auch der Name David Icke etwas!"
Und ob er mir etwas sagte. Mir fiel das Buch auf der Treppe ein. Aber wo bestand die Verbindung?
"Nun behauptet David Icke ja nicht nur, dass die Invasoren gut getarnt unter uns wandeln. Er besteht darauf, ihre wahre Gestalt zu kennen. Echsen! Ein Volk von Reptilien hinter menschlicher Maske."
Pause.
"Und ich habe Grund genug zu der Vermutung, dass auch deine DNA ... maskiert ist. Dass in deinen Genen eine Art Zeitzünder tickt. Bald, wahrscheinlich sehr bald, werden diese Anlagen die Überhand gewinnen und dich einer Verwandlung unterwerfen, von der du dir jetzt noch gar keinen Begriff machen kannst. Du musst es stoppen! Das ist deine verdammte Pflicht gegenüber der gesamten menschlichen Rasse! Vielleicht kann dir das Krokodilskraut noch helfen, ich weiß es nicht. Aber eine andere Chance sehe ich nicht. Vor allem musst du jetzt deine Kräfte bündeln, damit mein Wissen unseren letzten Verbündeten zur Verfügung gestellt wird. Und natürlich musst du konspirativ vorgehen. Niemand, aber auch wirklich niemand darf von deinen Plänen erfahren, sonst ..."
Noch immer verschossen seine Augen grimmige Blitze, dazu klappte sein Unterkiefer auf und ab. Völlig lautlos. Weil ich den PC-Lautsprecher runtergedreht hatte. Während ich mich im Stuhl zurücklehnte und die Faust gegen die Lippen presste, musterte ich Josefs stilles Grimassieren. Wieso musste ausgerechnet immer ich an die Verrückten geraten?
Ich sprang auf, wobei ich einen leichten Anflug von Drehschwindel bemerkte, und ging im Zimmer auf und ab. Es war so typisch für diese Leute. Erst diese offensichtliche Kennerschaft, dieses faszinierende Entscheidende-etwas-mehr-an-Wissen. Dann bricht der Fanatismus durch, immer und immer krasser. Und am Ende hat man freie Sicht auf ein vom Wahnsinn komplett verwüstetes Gehirn. Wo nahmen sie diese verrückten Ideen bloß her? Und warum mussten sie es einem unbedingt immer als Wahrheit verkaufen? Warum schrieben sie keine Romane?
Mir fiel das Skelett im Sarg ein. Das war allerdings kein klinisches Symptom. Das war verdammt real. Und dieses eigenartige Raunen heute Nacht? Die Lichter im Garten? Unsinn! Für alles musste es eine natürliche Erklärung geben. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Vielleicht war Josef ja gar nicht verrückt. Wahrscheinlich war er durch eine Laune des Zufalls auf ein so eigenartiges Sammelsurium von Mosaiksteinchen gestoßen, dass sogar ein nüchterner Verstand am Ende diese Theorie ausbrüten musste. Immerhin war da die Entführung meiner Eltern – nun ja, es gab genug Leute, die sich so etwas aus den Fingern saugten. Vor allem meine Mutter brachte genügend Paranoia für eine derartige Show mit. Aber da waren auch noch seine Indianer, ihre Mythen, das Himmelskrokodil, die Ruinen ... das Skelett. Zugegeben: Schon geradezu unglaublich viele Zufälle. Aber wo – gottverdammt – sollte das alles enden? Dass ich ein ... ein ... Reptilien mochten Wärme. So wie ich, ging es mir durch den Kopf. Ich fange plötzlich an, Bücher über Dinosaurier zu lesen. Der Schwindel wurde stärker. Ich wagte nicht mehr, mich zu bewegen. Wieso plötzlich dieses Verbundenheitsgefühl zu Dinosauriern? Und dann dieser verrückte Fimmel mit den Nagetieren. Warum? Weil Reptilien Nagetiere fressen, du Idiot! Weil du so langsam auf den Geschmack kommst, schrie mich meine innere Stimme an.
Ich musste die Augen schließen, um den Schwindel zu bekämpfen. Im selben Augenblick spürte ich meine Haut wieder. Meine Haut, meine Haut, meine Haut! Die Haut, die langsam zu eng wird, die sich anfängt zu spannen, weil der Druck von Innen zu groß wird. Weil da etwas nach draußen will!
Dunkel um mich war es schon vorher geworden. Jetzt gaben auch meine Beine nach. Dann war mir, als ob ich eine Zeit lang geschlafen hätte. Ich glaubte, auf dem Boden zu liegen. War ich ohnmächtig geworden? Jedenfalls hatte meine innere Stimme für einen Moment lang die Klappe gehalten. Wie fühlte ich mich? Ich konnte es nicht sagen. Oder doch? Wahrscheinlich war ich traurig. Jedenfalls spürte ich eine Träne an meiner Wange entlang laufen.
Als ich sie wegwischen wollte, bemerkte ich irgendetwas Eigenartiges auf meiner Stirn. Als ich es betastete, erwies es sich als feuchter Lappen. Daher die Träne. Als ich die Augen aufschlug, starrte ich die Decke in Josefs Zimmer an. Mein Kopf schien auf etwas Weichem zu ruhen.
Im Liegen stützte ich mich auf dem Ellenbogen ab. Die Maklerin saß am Schreibtisch, wandte ihren Blick vom Bildschirm ab und schaute lächelnd zu mir herüber.
"Wie ich Sie so auf dem Fußboden liegen sah, wollte ich eigentlich sofort den Arzt rufen. Aber dann fingen Sie an, zu schnarchen und zu schmatzen. Deshalb habe ich es gelassen. Passiert Ihnen das öfter?"
Ich nahm das Tuch von der Stirn und richtete den Oberkörper auf. Dabei stellte ich fest, dass mein Kopf auf einem Kissen gelegen hatte. Sie hatte sich tatsächlich um mich gekümmert, dachte ich.
Mit einer nachlässigen Geste deutete sie auf den Bildschirm. "Glauben Sie das alles tatsächlich?"
"Sie ... Sie haben sich die Aufzeichnungen angesehen? Die waren gesperrt!"
"Hmm, von Computern verstehen Sie wohl nicht sehr viel, wie? Tut mir schon etwas Leid, dass ich mich da in Ihre Angelegenheiten gemischt habe, aber schließlich gehört auch der Rechner zum Eigentum der Erben."
Ich nahm auf dem Parkettboden die Schneidersitzposition ein. Irgendwie fühlte ich Erleichterung darüber, dass ich nicht mehr allein war. Dass sich jemand für mein Schicksal interessierte. Aber musste ausgerechnet sie das sein? Warum eigentlich nicht? Wenn sie sich Zeit nähme, und wenn ich mich vorsichtig und behutsam ausdrückte. Nicht zu schnell mit den Fakten rüberkäme. So dass sie Gelegenheit hätte, alle wichtigen Schlüsse selber zu ziehen, ohne sich überrumpelt zu fühlen. Ja, warum eigentlich nicht?
"Es gibt da einige Sachen, über die ich jetzt besser mit Ihnen sprechen sollte", hörte ich mich mit gedämpfter Stimme sprechen. "Wahrscheinlich werde ich Ihren guten Glauben ziemlich strapazieren müssen, aber ich versuche, so ..."
"Bemühen Sie sich nicht!", fuhr sie dazwischen. In einem auffallend schnippischen Ton. Plötzlich hielt sie ein zerfleddertes Taschenbuch in der Hand, das mir irgendwie bekannt vorkam. David Icke, natürlich!
"Ich glaube nämlich, dass ich da selber eine heiße Spur gefunden habe." Bei diesen Worten blätterte sie hektisch im Buch hin und her und zielte mit ihrem spitzen Zeigefinger auf eine Textstelle. "Hier, eine Bleistiftnotiz. Wahrscheinlich von Ihrem Onkel. 'Siehe auch E. von Dänicken', hat er hier notiert. Nun?"
"Was 'nun'"?
"Schon gut, schon gut. Sie können es ja nicht sehen. Ihr Onkel hat ‚Dänicken’ mit ck geschrieben!"
"So?"
"In der Tat! Und? Ist das etwa korrekt?"
"Nein, ist es nicht. Herr von Däniken schreibt sich ohne c. D’accord. Allerdings doch eher ein Nebenbefund, oder?"
"Papperlapapp. Das ist der Schlüssel!"
Oh, mein Gott, sie hatte überhaupt nichts begriffen, rumpelte es durch meinen gemarterten Schädel. "Was soll das denn? Ich ... ich mutiere in diesem Augenblick, da könnten Sie wirklich etwas konstruktiver sein. Wieso müssen Sie ausgerechnet jetzt mit irgendwelchem Rechschreibungskleinkram kommen? Vor allem, weil das in diesem Fall keine Bedeutung hat! Überhaupt keine. Nicht die geringste. Nada. Nicht die Allerallerallerwinzigste!" Erschöpft stützte ich meine Stirn auf beide Hände. Als ich wieder aufblickte, sah ich sie über mir stehen. Triumphierend lächelnd, die Arme in die Seiten gestützt.
"Nun ja, ich glaube, ich sollte mich auf die Suche nach den Pflanzen machen. Ruhen Sie sich einfach noch etwas aus! Sie sind ziemlich fertig!"
*​

Ausruhen? Wie sollte das funktionieren? In dem Moment, in dem sie die Tür hinter sich schloss, fühlte ich mich noch ein wenig aufgeschmissener. Nicht nur, dass ich mit einem Fluch beladen war – ächzend erhob ich mich – nein, natürlich musste es auch genau die Art von Fluch sein, die mir niemand abnehmen würde. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich tun sollte. Nachdenken, Himmelherrgott. Ganz in Ruhe nachdenken und nicht hyperventilieren. Zum Beispiel dieses ominöse Krokodilskraut suchen? Ja, natürlich die Pflanzen! Immerhin war auch mein hübscher, blonder Quälgeist auf der Suche. Ich sollte sie stoppen, bevor sie irgendetwas Falsches machen konnte.
Zuerst spürte ich den Impuls, wieder im Keller zu suchen. Aber dann sagte ich mir, dass das nicht der einzige Ort sein müsse, an dem Gewächse zu finden wären. Warum es nicht einmal im Freien versuchen?
Im Wohnzimmer öffnete ich die Terrassentür und trat auf den Rasen. Jetzt im Hellen erkannte ich erst, wie groß das Grundstück eigentlich war. Lange bevor ich das Ende der Rasenfläche erreichte, sah ich die grauen Fensterfronten durch die Äste schimmern. Ein Treibhaus. Dazu eines von beträchtlichen Ausmaßen. Als ich die Tür öffnete, war mir fast, als beträte ich eine Halle. Links und rechts von den Holzplanken des Laufstegs erstreckten sich die Beete, in denen kleine hellgrüne Pflanzen sprossen. Über mir tropfte Wasser aus den Leitungen, die unter dem Spitzdach von einer Wand zur anderen liefen. Am Ende der Halle erkannte ich eine Plastikplane, die einen Teil des Treibhauses vor meinen Blicken abschirmte.
Während ich auf den federnden Holzbrettern darauf zu ging, spürte ich die Wärme und die Feuchtigkeit auf meiner Haut. Und ich witterte diesen Geruch. Schwer, süßlich, pflanzlich. Betäubend und verlockend zugleich.
Für eine Sekunde glaubte ich, einen Schatten, eine Bewegung, hinter der Plane wahrgenommen zu haben. Ich schob den Kunststoff, der ein leises Rascheln von sich gab, beiseite und betrat den abgeteilten Bereich.
Es war phantastisch. Die Bäume ragten bis unter das Dach, wobei ihre breiten Palmenwedel einen Baldachin bildeten, der das Tageslicht fast völlig abschirmte. Zu Füßen der Baumstämme reckten mir Pflanzen große, runde Blätter entgegen, auf denen Wassertropfen perlten. Ich ging nicht mehr auf Stein oder Holz, sondern auf einem Moosteppich. Lianen wucherten mir wie erstarrte Schlangen entgegen. War es die Wärme, war es die Feuchtigkeit? Auf jeden Fall wurde mir wieder schummrig, aber es war eine sehr angenehme Benommenheit. Der Duft der Vegetation schien mein Inneres mit einem süßen, fremdartigen Stoff zu füllen.
Ich sah riesige, flammend rote Blüten aus verschachtelten schmalen Blättern, die auf ein golden schimmerndes Zentrum führten. Hypnotisch wie ein Mandala. Irgendwo hörte ich Wasser rauschen.
Als ich den Stamm eines besonders hohen Baumes umrundete, bemerkte ich eine Liane, die von seiner Krone herabhing und eine Art Schlaufe bildete. In dieser Schlaufe, ungefähr auf Höhe meiner Augen, hatte irgendjemand seine Jacke aufgehängt. Eine Jacke mit wattierten Schultern. Als ich sie wiedererkannte, musste ich grinsen. Einen Augenblick wunderte ich mich darüber, wie breit dieses Grinsen war und wie sehr ich von einem Gefühl der Euphorie überschwemmt wurde. Ich schaute um mich. Dann sah ich sie zwischen zwei Palmen stehen, ihr Körper von leuchtenden Blüten umschmeichelt. Ihr nackter Körper. Sie war überirdisch schön. Während sie den Arm ausgestreckt hielt und eine Blüte auf ihrer Handfläche betrachtete, wandte sie mir ihr Profil zu. Dann drehte sie den Kopf und lächelte.
Behutsam näherten wir uns. Als ich meine Hände auf ihre Schultern legte und ihre samtweiche Haut spürte, war mir, als ob irgendetwas in mir zu leuchten begänne.
Und das war erst der Anfang. Ich spürte ihre flinken Finger an meinen Knöpfen, ihren heißen Atem auf meiner Wange, die Schlaffheit der Muskeln, das Moos unter meinem Rücken, ihre Leidenschaft, die Dehnung der Zeit, diesen einen glutroten Augenblick in meinem Leben, der alles Gestern und Morgen verschlang und immer weiter anschwoll wie eine neue Sonne. Es gab keine Bedrohung mehr, keine Verwandlung. Es gab nur noch sie.
Irgendwann später kniete sie neben mir und strich sich mit beiden Händen über das Haar. "Puh, diese Pflanzen können einem ganz schön den Kopf verdrehen!"
Dann stand sie auf und ging ein paar Schritte zu ihrem Jackett, das sie sich über die Schultern legte. Als sie zurückkam, hielt sie irgendetwas Glänzendes in der Hand. Während sie sich wieder neben mich kniete, erkannte ich, was es war. Handschellen.
"Oh Baby, willst du wirklich?", brummte ich so verschlafen wie genießerisch. Mit geschlossenen Augen fühlte ich das kalte Metall an meinem Handgelenk. Dann hörte ich irgendwo über meinem Kopf ein scharfes Arretieren. Wahrscheinlich hatte sie dort das andere Ende an einem der massiven Bambusrohre befestigt, mit denen der Baumstamm abgestützt wurde.
Dann fühlte ich, wie ihre Finger mein Kinn packten. Ziemlich fest. Während sie mein Gesicht in ihre Blickrichtung dirigierte, öffnete ich die Augen. Ihr Blick war unangenehm streng.
"Mertens, Drogendezernat. Ich verhafte Sie wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz."
"Wie?"
"Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen meinen Dienstausweis. Aber Sie können auch gleich mein Handy bekommen. Bis Ihr Anwalt hier ist, sollten Sie sich aber anziehen und einen starken Kaffee trinken."
"Aber, aber ... was ... Sag mir jetzt sofort ... oh, Mann. Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen!"
"Mertens wie gesagt."
Ich rappelte mich auf, soweit es die Fessel zuließ, und lehnte mich im Sitzen gegen den Baum. "Hilfe! Was soll denn dieser ganze Quark?"
Ein paar Schritte von mir entfernt schob sie im Stehen ihr Bein in die Hose. Unter dem Jackett war sie immer noch nackt.
"Waffen! Die ganze Zeit haben wir gedacht, es ginge um Waffen. Für Südamerika. Organisierte Kriminalität, kriminelle Regierungen, kriminelle Revolutionäre, was weiß ich. Ihr Onkel hat dort ganz schön eigenartige Freunde."
"Hatte!"
"Oh, keine Sorge, dem geht es bestimmt blendend."
In Anbetracht der veränderten Situation hatte ich mit dem freien Arm mein Hemd geangelt und legte es mir auf den Schoß.
"Blödsinn!"
"Oh nein. Sogar ausgesprochen raffiniert. Nachdem hier nichts zu finden war und ich dann auch noch seine Video-Show gesehen habe, dachte ich, dass er vielleicht doch nur ein durchgeknallter Ufologe sein könnte. Aber dann fand ich seine Aufzeichnungen. Däniken mit ck. Das war die Lösung!"
"Wie das denn?"
"Anfängerfehler. Keinem echten Ufo-Spinner – Verzeihung! – würde das passieren. Höchstens einem, der sich dafür ausgeben will."
"Und wozu?"
"Komödie. Theater. Vielleicht um irgend so einen Naivling zu seinem Drogenkurier zu machen?"
"Für welche Drogen denn überhaupt?"
"Für die hier!" Ihr Arm vollführte eine ausladende Geste, die das gesamte Treibhaus einschloss. "Psychedelica der neuen Generation. Transgene Pflanzen. Arten, die man sonst nie mit Drogen in Verbindung brächte. Mit ein paar Extragenen für die richtig guten Wirkstoffe. Scheint ihnen perfekt gelungen zu sein. Allein schon die ätherischen Dämpfe können einen richtig aus den Schuhen hauen. Sagen Sie jetzt bloß nicht, das wäre Ihnen entgangen! Sie waren ziemlich gut in Fahrt. Du meine Güte, ich werde meinem Dienstherren auch so das eine oder andere zu beichten haben."
"Moment! Drogenkurier? Ich?"
"Da sind noch ein paar andere Aufzeichnungen. Über Sie." Sie zog das Buch von Icke aus der Jackentasche, wobei ein paar lose Zettel herausrutschten.
"Hier: 'Verschwörungstheoretiker'. Oder: 'Unkritischer, beeinflussbarer Geist'. Moment da waren noch ein paar andere Stellen", murmelte sie, während sie in den Zetteln wühlte. "'Hautprobleme, Nagetierphobie. Hat im Internet einmal erwähnt, dass er jetzt Sachen über Dinosaurier liest. Wahrscheinlich geeignet für entsprechendes Szenario'. Oder hier: ..."
"Genug!" Meine Stimme klang tonlos und ohne jede Kraft. "Dann hat er mich also reingelegt."
"Na ja. Nehmen Sies doch mal von der positiven Seite!" Wie ich diesen Anflug von Mitgefühl in ihrem Gesichtsausdruck hasste. "Immerhin werden Sie sich nicht verwandeln. Allerhöchstens vielleicht in einen Untersuchungshäftling."
"Oh, großartig!"
Sie kam ein paar Schritte auf mich zu, ging in die Hocke und legte mir die Hand auf die Schulter. Dabei lächelte sie. Ein schönes, weiches Lächeln. Sie zwinkerte mit dem linken Auge und stupste mit dem Zeigefinger meine Nase.
"Keine Angst, Süßer! Ich hol dich da ganz schnell wieder raus!"
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hagelstein.
Anonym hätte ich eher auf einen Nachfahren jenes fiktiven Viktor Frankenstein getippt, den Mary Shelley gebar.
Genau wie bei seinem Geschöpf ist zwar alles vorhanden, Kopf, Gliedmaßen und alle Sinne, aber nix passt so richtig zu einander. Am schlimmsten ist das dicke Ende: da taste ich mich als Leser zärtlich um die schlanke Maklerinnentaille in der Hoffnung auf eine aliente Lösung des Rätsels und stoße auf – einen orangehäutigen Rubensarsch in Polizeiuniform! Wie Teufelchen aus der Kiste, nur nicht so hübsch.
Das ist keine SF, sondern Leserirreführung.

Kurz verneigt und Fersen gezeigt
 
Natürlich macht die Story am Ende einen ziemlichen Salto, trotzdem möchte ich den Vorwurf der Verarschung nicht auf mir sitzen lassen. Es ist nun einmal die Geschichte einer Täuschung. Und darin sehe ich zunächst vor allem die Grundlage für einen interessanten Plot. Was daran unethisch sein soll, kann ich nicht erkennen. Außerdem ist hier die Perspektive des Lesers zu der des Ich-Erzählers völlig synchron. Würde der nun selber anfangen zu flunkern (wie z. B. in dem Streifen "Dämon"), wäre das wesentlich frustrierender.

So long!

Volker
 

FrankK

Mitglied
Hallo Volker

Also mal ehrlich ...
Ich hätte es ja noch verstanden, wenn die Geschichte im Bereich „Humor und Satire“ erschienen wäre.
Ich habe kein Problem, mit der „Verarschung“, es mag ja noch ganz witzig sein. Die Pointe am schluß ist aber, im vergleich zum Umfang deines „Machwerkes“, ziemlich Platt.
Bestenfalls eine „Knallerbse“.
Da kann auch der „Quickie“ nichts ändern.

Eine merkwürdige „Drehung“ deines Protagonisten ist mir doch aufgefallen.

Na ja. Recht bedacht war es nicht immer von Nachteil, aus einer völlig verrückten Familie zu stammen. Wie wäre ich sonst zu dieser Tour gekommen?
Der Leser wird eingestimmt, als würde der Erzähler im Rückblick auf ein für Ihn nachhaltig freudiges Ereignis schauen.
Im Verlauf der Geschichte gewinnt man immer stärker den Eindruck, das Erlebte war für den Erzähler „nicht so prickelnd“.
Einzige Ausnahme: Der Quickie mit der „feschen“ Polizistin unter Drogeneinfluss.

Wie diese Beamtin in einem geistigen Höhenflug von einem falsch geschriebenen Namen auf einen Drogenring kommt, entzieht sich mir als Leser.
Wieso diese Beamtin grundsätzlich alleine herumstochert, ist schon fast belanglos.
Irgendwie passt das Ende nicht.

Hoppla, da fällt mir noch was auf:

"Mertens, Drogendezernat. Ich verhafte Sie wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz."
Sie gibt sich als Drogenfahnderin zu erkennen, die zunächst
"Waffen! Die ganze Zeit haben wir gedacht, es ginge um Waffen. Für Südamerika. Organisierte Kriminalität, kriminelle Regierungen, kriminelle Revolutionäre, was weiß ich. Ihr Onkel hat dort ganz schön eigenartige Freunde."
nach Waffen gesucht hat?

Trotzdem, die geistigen Verwirrungen, das hin und her, seine Zwiegespräche mit sich selbst waren eine recht nette Lese-Unterhaltung.

Mit freundlichen Grüßen

FrankK
 
@ FrankK
Die ersten Sätze sind als Gedanken gemeint, die dem Ich-Erzähler während der Fahrt (in "Realtime" sozusagen) durch den Kopf gehen, als er noch in erwartungsfroher Stimmung ist.

Der Hinweis mit der Drogenfahndung ist sehr hilfreich, vielen Dank!
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Mir gefällt der Text (auch) nicht. Wobei das weniger an der "Pointe" liegt, als vielmehr daran, dass ich das Gefühl nicht los wurde, du hättest dich vom Plot jagen lassen. Ständig bin ich gestolpert, weil auf ein, zwei, drei Sätze, die eine Stimmung, einen (Gedanken-)Fluss zu erzeugen versprachen, ein reiner Plot-Satz folgte. Alles hüpft irgendwie – bemüht hin und her im Versuch, ja nicht gerade aus zur (weder zur echten noch zur als Irreführung gedachten) Pointe zu führen, die dem Autor aber so magisch hell leuchtet/n, wie das Licht am Ende des Tunnels … Die Unterbrechung der Computer-Nachricht fühlt sich zum Beispiel an wie ein mühsames Breittreten und In-die Länge-Ziehen.
Abgesehen davon kann ich mich ums Verrecken nicht mit der Idee anfreunden, Josef würde so einen kruden Weg wählen. Es sei denn, er hat zu viel von der eigenen Droge genommen …
 



 
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