Das Informationsministerium

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mikhan

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Das Informationsministerium

Das Informationsministerium ist ein großer schwarzer Kasten am Rande unserer Stadt. Es gibt keine Fenster, sondern nur eine große mechanische Eingangstür, die sich wie der Schlund zur Hölle vor dem unbedarften Besucher auftut. Kleine Männchen in makellosen grauen Anzügen gehen hier im Minutentakt ein und aus. Sie tragen schwarze Sonnenbrillen und sehen dich niemals an. Die kleinen Männchen kommen und gehen mit eindrucksvollen, silbern lackierten Limousinen, die sie direkt vor dem schwarzen Kasten parken. Über der Eingangstür prangen, in riesigen Lettern, die Initialen des Informationszentrums: IM.
Obwohl es kein Verbot gibt, das Gebäude zu betreten, würde es doch niemand wagen, freiwillig dort hinein zu gehen. Man sagt, dass wer dort hinein geht, und nicht für das IM arbeitet, nie wieder zurückkehren würde. Deshalb gehe ich auch immer nur bis zu einer der Bänke, die rund um das IM aufgestellt sind, und betrachte von dort aus den Kasten. Zwischen den Bänken und dem IM befindet sich ein äußerst gut gepflegter Rasen, auf dem kunstvoll zurecht gestutzte Bäumchen wachsen, die auf wundersam geometrische Art und Weise angeordnet wurden. Ich komme oft hierher, denn das ist einer der wenigen Orte in unserer Stadt, wo es noch ein wenig Grün gibt. Das Grün der Wiesen harmoniert hier mit dem Beton der Fußwege, wie man es sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können. Tatsächlich könnte ich ganze Nachmittage hier verbringen, und oft habe ich das auch schon getan. Kurz gesagt, das IM ist ein ganz wundervoller Ort, auch wenn ich eigentlich nicht weiß, was es damit auf sich hat.
Es ist ganz unmöglich, die kleinen Männchen um eine Auskunft über die Vorgänge im Innern des schwarzen Kastens zu bitten, denn sie halten niemals an, sondern befinden sich in ständiger Bewegung. Meistens sind sie alleine unterwegs, nur manchmal sieht man mehrere Männchen gemeinsam das IM verlassen oder betreten und auch dann wechseln sie nur selten ein Wort miteinander. Wenn sie es dann doch tun, dann tun sie es sehr leise, es handelt sich dabei um ein unscheinbares, fast beiläufig dahin gemurmeltes Brummen, das kaum als Sprache bezeichnet werden kann.
Ein Freund von mir hat mir einmal erzählt, dass er vor einigen Jahren einen Hubschrauberflug über die Stadt gewonnen hatte und dadurch die einzigartige Gelegenheit hatte, das IM von oben zu betrachten. Das IM ist nämlich das höchste Gebäude in unserer Stadt, so dass kein Mensch auf den Kasten hinab sehen kann. Es sei denn, er fliegt eben darüber hinweg, so wie mein Freund es getan hatte.
Bei einem großen schwarzen Kasten, der von allen Ecken gleich aussieht, ist natürlich vom Dach keine großartige Überraschung zu erwarten, und tatsächlich handelt es sich dabei, wie mein Freund mir erzählt hatte, bloß um eine große schwarze Fläche. Doch wer genau hinsieht, kann in der Mitte der Fläche eine kleine Luke ausmachen, aus der hin und wieder ein kleines Männchen heraus kommt. Niemand weiß, was die kleinen Männchen dort oben auf dem Dach zu suchen haben, und ein einziger Hubschrauberflug ist leider viel zu kurz, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Das IM beschäftigt mich wirklich bei Tag und bei Nacht, selbst in meinen Träumen sehe ich oft den großen schwarzen Kasten vor mir stehen, und wenn ich morgens aufstehe, dann ist er das Erste, was ich beim Blick aus dem Fenster zu Gesicht bekomme. Er überragt einfach alles. Das Informationsministerium ist das wichtigste Gebäude in unserer Stadt. Ich weiß nicht, was wir ohne das IM mit unserem Leben anfangen würden. Vermutlich würde sich eine gähnende Leere auftun und uns alle verschlingen. Wie alle Bürger unserer Stadt bin daher sehr froh, dass wir ein Informationsministerium haben. Nicht jede Stadt kann das von sich behaupten.
Neidisch schiele ich von meiner Bank zu den kleinen Männchen hinüber. Wie gerne wäre ich einer von ihnen, wie gerne würde ich die Geheimnisse des schwarzen Kastens ergründen können.
Leider weiß niemand, wie man ein kleines Männchen wird. Manche sagen, dass man schon als kleines Männchen geboren werden müsse, andere behaupten, dass die kleinen Männchen zu einem nach Hause kommen, wenn die Zeit dafür gekommen ist und einen zu einem von ihnen machen. Ich hoffe, sie kommen bald zu mir nach Hause…
Einige Monate später kamen die kleinen Männchen tatsächlich zu mir nach Hause. Sie waren zu dritt und traten sofort in meine Wohnung ein, als ich ihnen die Türe öffnete. Ohne weitere Aufforderung setzten sie sich auf das Wohnzimmersofa und rauchten wortlos dicke Zigarren. Das irritierte mich ein wenig, denn noch nie hatte ich die kleinen Männchen Zigarren rauchen sehen. Unsicher ließ ich mich den Sessel gegenüber des Sofas fallen. Ich war mir sicher, dass sie mich durch ihre dunklen Sonnenbrillen gründlich musterten. Dann brummelte einer von ihnen etwas Unverständliches, woraufhin die anderen beiden Männchen bestätigend nickten.
Dann nickte mir das Männchen, welches vorhin gebrummelt hatte, bedeutungsvoll zu und zeigte mit der Hand aus dem Fenster, zum Informationsministerium hinüber.
Jetzt geschah etwas Unglaubliches: das kleine Männchen begann mit mir zu sprechen, und zwar mit lauter und deutlicher Stimme. Es sagte in etwa das Folgende:
„Wir haben Sie bereits seit geraumer Zeit vom Dach des IM aus beobachtet und sind zu dem Schluß gelangt, dass es sich bei Ihnen um einen würdevollen Anwärter auf einen Posten im Informationsministerium handelt. Wer für das IM arbeiten möchte, muss das IM auf das Innigste lieben. Da darf es keinen Raum für Zweifel geben, denn diesen Job haben Sie ihr Leben lang. Darum sind wir heute zu Ihnen nach Hause gekommen, um uns persönlich von Ihrer Entschlossenheit zu überzeugen.
Auch wenn wir nicht den geringsten Zweifel daran hegen, dass sie für diesen Job geeignet sind, müssen wir doch dafür Sorge tragen, dass Sie auch voll und ganz hinter Ihrem Entschluß stehen.
Ich möchte Ihnen in kurzen Zügen die Arbeit des Informationsministeriums vorstellen, damit Sie eine Idee von Ihrer zukünftigen Tätigkeit entwickeln können. Das IM hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Informationsfluß der heutigen Zeit zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Wir haben keinerlei Interesse daran, dass sich Informationen, gleich welcher Art, ungehindert in der ganzen Welt verbreiten. Im Gegenteil, je weniger Informationen nach außen dringen, desto geringer ist die Gefahr, dass jemand Mißbrauch damit betreibt. Sie sehen schon, wir haben ein äußerst verantwortungsvolle Position inne. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Welt ohne das IM in Chaos versinken würde.
Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen, alles weitere werden Sie erfahren, wenn Sie sich für uns entschieden und gemeinsam mit uns das Informationszentrum betreten haben. Ich versichere Ihnen, dass sich Ihr Leben durch das Betreten des IM grundlegend verändert wird. Zögern Sie nicht länger, sondern entschließen Sie sich jetzt, für eine Welt voller Wunder und Überraschungen.“
Die drei kleinen Männchen sahen mich erwartungsvoll an. Selbst durch ihre dunklen Sonnenbrillen konnte ich ihre durchdringenden Blicke spüren. Ich wußte nicht worüber ich mich mehr wundern sollte, darüber, dass die kleinen Männchen sprechen konnten so wie jeder andere auch, oder aber darüber, dass sie mich vom Dach des schwarzen Kasten aus beobachtet hatten. Aber davon wollten sie gar nichts wissen, sie erwarteten vielmehr eine Entscheidung von mir.
„Nein.“, sagte ich und wußte gar nicht warum. Dieses einzige kleine Wort löste ein furchtbare Reaktion bei den kleinen Männchen aus. Sie sprangen ganz plötzlich auf und bekamen eine Art epileptischen Anfall, wobei sich ihre Gesichter auf groteske Art und Weise verzerrten. Ab und zu brummten sie in ihrer eigentümlichen Sprache ein paar gequälte Worte dahin und dann stürzten sie sich wie wild gewordene Raubtiere auf mich.
Sie rissen mich Fetzen. Ich verlor das Bewußtsein und träumte einen wilden Traum, in welchem ich von einer Horde kleiner Männchen durch eine Ebene voller schwarzer Kästen gejagt wurde. Ich lief und lief, bis ich an den Rand einer tiefen Schlucht gelangte. Ohne mich noch einmal umzudrehen, stürzte ich mich kopfüber in die Schlucht hinein. Stille. Kleine Männchen stehen am Rande einer Schlucht und rufen meinen Namen. In der Ferne steht bedeutungsvoll ein majestätischer schwarzer Kasten, von dem ein eigenartiges Brummen ausgeht.
 

blaustrumpf

Mitglied
Beachtliche Leistung

Hallo, mikhan

Beim Lesen deines Textes schien mir dieses Informationsministerium immer größer zu werden und auch mich zu bedrängen. Ich kann dieses Gefühl nirgendwo im Text "festmachen" - herzlichen Glückwunsch.

Aber deine erzählende Person scheint ohnehin mit besonderen Kräften ausgestattet. Erst wird sie "in Fetzen" gerissen, stirbt daran aber nicht, sondern wird lediglich bewusstlos, und kann dann auch noch träumen...

Also, ich könnte das nicht. Liegt es daran, dass sin der Stadt, in der ich wohne, kein Informationsministerium steht - noch...?


Freundlichen Gruß vom blaustrumpf
 



 
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