Das Leben als Tischler

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van Geoffrey

Mitglied
Ich will lieber nicht urteilen, ob wir alle hier noch normal oder vielleicht doch ein wenig verschroben sind.
"Man könnte ein Buch über jeden meiner Kollegen schreiben." ist ein Satz, den ich ehrlich meine, während er den anderen ein mildes Lächeln entlockt.
Welches Wunder an Begabung steckt in so einem Handwerker. Vielleicht irre ich mich, aber Tischler scheinen einem unheilbaren Hang zur Beredtheit nur allzu gerne nachzugeben. Dann, wenn es die Arbeit erfordert, und die Tätigkeit schweißtreibend ist, werden wir einsilbig. Wir sind arme Getriebene von wechselnder Laune und Stimmung, mit Talenten und kleinen Ehrgeizigkeiten begabt.
Nehmen wir Hirda, den Mazedonier, den alle Hirdi nennen. Er kann furchtbar aufbrausend sein, wenn er den ganzen Tag ohne Zigaretten auskommen muss. Aber er meint, er käme glänzend mit allen Kollegen aus. Nie gebe es Probleme. Ich habe ihn schon mit blassgrünem Gesicht und antriebslos erlebt, als er als gläubiger Muslim ab Sonnenaufgang völlig ohne Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr, und auch ohne seine Zigaretten arbeiten musste. Das sei alles nicht so schlimm, meinte er, und erklärte mir, dass sein Organismus ohne Nahrung weit unbelasteter funktioniere. Ich ließ ihm den Glauben, und fand doch, dass dies eine unerhörte Belastung sein müsse.
Wie zäh Hirdi an Fenstern und Türen arbeiten konnte. War die Arbeit beendet, trat er ein paar Schritte zurück, und sagte, sein Werk bewundernd: "Scheen!"
Wenn Kraft und Inspiration nachließen, gingen wir ins Kaffeehaus, rauchten schweigsam, bestellten noch einen Kaffee und einer sah dem anderen an, dass er müde war. Wir verloren ein paar Worte über die Arbeit, die eigentlich unnütz waren, weil ohnehin alles klar war. "Gemma?" sagte dann einer von uns regelmäßig, und dass sollte heißen: "Jetzt sind wir schon lange genug herum gesessen. Ich möchte mich wieder etwas bewegen, und die Arbeit tut sich auch nicht von alleine."
Ich werde nie vergessen, welchen Anblick Hirdi bot, als er sich gegen den ewigen Schleifstaub das Gesicht mit einem Tuch vermummte und sein Haar mit einer Plastikfolie schützte.
Und was soll ich erst über Karl sagen. Karl ist aus Kärnten und scheint seinen kärntner Dialekt zu pflegen, war einige Jahre in Utah bei den Mormonen, und wenn es um seine Pensionierung geht, pflegt er darauf hinzuweisen, dass er eben etliche Jahre dahingelebt hätte, und nun länger arbeiten müsse, damit ihm nicht zu viel von seiner Pension abgezogen würde.
Karl ist die Beredtheit in Person. Er hört mir gerne zu, wenn ich so ungefähr alles, was mir im Kopf herum geht, zur Sprache bringe. Das geht am besten, wenn wir mit dem Lastwagen zur Baustelle fahren. Unsere Gespräche drehen sich oft um Politik, und da kann Karl derart in Harnisch geraten, dass seine Stimme dünn und heiser wird, wenn er leidenschaftlich Missstände anprangert, als hätte er seinen Stimmbändern zu viel zugemutet. Es wollen dann scheinbar mehr Worte aus ihm heraus, als seine Stimmbänder zu meistern vermögen.
Das Leben als Tischler sei schwieriger geworden, sagt er. Früher hätte man bei einer Firma kündigen können und problemlos - mit mehr Gehalt - bei einer anderen anfangen können. Man hätte früher mehr verdient. Warum sich alles für Tischler verschlechtert habe erklärt er mir so: Früher hätte es der Tischlermeister nur mit dem Kunden zu tun gehabt. Heute seien eben ein gut bezahlter Architekt, und diesem untergeordnet ein Ingenieur zwischen Tischler und Kunden zwischengeschaltet. Und diese würden nicht viel von den Anforderungen ordentlicher Tischlerarbeit verstehen, und nur dem Billigstbieter den Arbeitsauftrag erteilen.
Das klang einleuchtend und verständlich und bis heute bin auch ich derselben Meinung.
Wer der beste Arbeiter der Firma sei, ist so eine der vielen Spaßfragen, die einem die Kollegen stellen. Und gerne ärgere ich die anderen, indem ich sage, dass Karl ganz gewiss der beste Mann sei. Das ist meine ehrliche Überzeugung und ich genieße das empörte Geheul meiner Kollegen.
Sie sind Choleriker und ganz frei von Exzentrik ist keiner von ihnen. Was heißt hier normal?
Zum Tanzlehrer hat es nicht gereicht, und so bin ich einer von ihnen geworden.
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Roman, ich mag den ruhigen freundlichen Fluss des Textes, die Personenzeichnung, eine schöne Miniatur. Eine Kleinigkeit, über die ich gestolpert bin
Karl ist die Beredtheit in Person. Er hört mir gerne zu,
Anregung: hier ein verbindendes "und" o.Ä. einfügen, damit der zweite Satz den ersten ergänzt und nicht wie ein Widerspruch wirkt. Gern gelesen, von den Männern, die mit Holz arbeiten :) LG - herziblatti
 

van Geoffrey

Mitglied
Danke!

Danke, der Fehler ist mir gar nicht aufgefallen.
Eine kleine Milieustudie, und es freut mich echt, wenn das Lebendige hinter dem Text deutlich wird.
Da ich schon einige Firmen gesehen habe, könnte ich gut ein halbes Dutzend unterschiedlicher Miniaturen schreiben, ohne in Stereotypen zu verfallen. So steht diese hier stellvertretend für alle übrigen.
Dass man ein Buch über jeden Kollegen schreiben könnte, ist eine Drohung, die ich wohl nie wahr machen werde.
 



 
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