Das Leben kann grausam sein

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Gurke

Mitglied
´Nen Morgen, Kollegen, ich bin wieder da.
Trotz gestrigen Saufens im Kopf noch glasklar,
was nicht jeder hier von sich so sagen kann.
Als Beispiel führ ich die Kollegin jetzt an.

Trägt Stiefel aus Leder und Röcke so knapp,
geschminkt wie ´ne Leiche, da lacht man sich schlapp.
Ich sag es euch, Leute, die braucht nur nen Mann,
Der ihr das klein Köpfchen mal grad rücken kann.

Ich hab sie gefragt, was denn sie davon hält,
mein Partner zu werden mit allem was zählt.
Sie ließ mich so stehen und hat nur gelacht.
Ich hab sie dafür im Betrieb schlecht gemacht.

Die and´re Kollegin, auch die sagte Nein.
Ich wär nicht ihr Typ, ja was fällt der denn ein?
Ein echter Kerl bin ich, mal hart, mal verträumt.
Will nur wahre Liebe und´s Küch aufgeräumt.

Mach ich meine Witze, habt ihr nie gelacht.
Sie sind halt aus derberem Stoffe gemacht.
Betreten schaut Ihr weg und tauscht Blicke aus.
Ich bin halt kein Softie, mein Maul spricht frei raus.

Der Chef geht am meisten mir gegen den Strich.
Ich leiste so Vieles, doch nie lobt er mich
In dem Maße, wie es mir wirklich gebührt.
Stattdessen hat er gegen mich Wort geführt.

Ich wurde schon Spießer von euch hier genannt.
Da täuscht ihr euch Leute, ihr habt mich verkannt.
Ich steh auf Pink Floyd, darum kann´s ja nicht sein,
Pink Floyd CDs hören fällt Spießern nicht ein.
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Gurke,

ich bin über deine Kommentare auf Dich aufmerksam geworden (hätt' ich auch nicht gedacht, dass es sowas gibt), weil Du einen 'Geschmack' zu haben scheinst, der meinem ähnelt, und freu mich, mal auf einen Text von Dir zu stoßen, während ich mich durch die 'Das Neueste'-Liste arbeite.

Dein Text gefällt mir gleichzeitig sehr gut und weniger gut.
Das weniger Gute zuerst: Ich finde es immer problematisch, eine Haltung, die man kritisiert, in der Ich-Form sprechen zu lassen, weil die Sprache und der Bewusstheitsgrad höher sind, als das vorgeführte 'schlechte' Verhalten. Zwischen Autor und Protagonist ist da so eine scheinbare Nähe, die die Distanz nur betont. Das ich erhebt sich über das ich, führt sich selbst vor. Ich sehe da ein Glaubwürdigkeitspoblem, weil wer so ist, nicht so darüber sprechen kann.
Ich gebe zu, dass die dritte Person in dieser Form auch nicht ginge, weil sie erst recht diese Überlegensheitsperspektive hätte.
Ich glaube, dass man solche Schwächen nur erzählerisch hinbekommt, ohne diesen Vorwurf des 'mit dem Finger auf jemanden zeigen' zu riskieren, indem beim Leser durch die Beschreibung seiner Handlungen die Erkenntnis wächst, dass dieser Mensch so ein 'Fiesling' ist - vielleicht sogar Parallelen an sich entdeckt und etwas für sich mitnimmt.
Ich denke mal, wir alle haben ein bisschen 'Spießer' in uns, aber so kann ich meinen Anteil auf Deinen 'Typen' projizieren, und muss mich nicht mit meinem Anteil auseinandersetzen.
Vielleicht stehe ich auch mit dieser Meinung alleine da, und andere sehen das nicht als problematisch an, aber mir würde es nicht reichen, wenn sich alle, die nicht so sind, sich selbst bestätigen können. Ich gebe zu, dass ist sehr 'anspruchsvoll'.

Was ich sehr gut finde, ist, dass Du die 'Vernagelung' eines Menschen an entscheidenden Stellen gut herausgearbeitet hast. Insbesondere in der letzten Strophe, wo Du aufzeigst, dass es solche individuellen Selbst-Generalabsolutionen gibt, weil man dieses oder jenes Merkmal an sich pflegt (wie die Pink Floyd Musik) und damit alle übrigen Faktoren leugnen 'kann'.
Sehr gut hat mir auch gefallen, wie Du herausgearbeitet hast, wie man gestrickt sein muss, um solche kleinen Gemeinheiten zu begehen. Ich habe immer ein Problem, die Motive für soetwas wirklich zu verstehen, aber man muss tatsächlich so genau hinschauen, um es verstehen zu können. Selbst 'gemeine Menschen' sind nicht ausschließlich gemein, sondern handeln ab und zu gemein.

Habe ich gerne gelesen - und es fiel mir allerhand zu ein.

Liebe Grüße
Petra
 

Gurke

Mitglied
Hallo Viktor, Hallo Petra,

zu allererst lieben Dank für Eure freundlichen Kommentare. Ich habe mich sehr gefreut.

@ Petra,
es ist, wie Du schreibst, problematisch, jemanden kritisch zu beschreiben, aber nicht unmöglich. Hier fiel es mir leicht, weil das LyrIch nicht aus einem sondern verschiedenen Vorbildern zusammengesetzt ist. Ein Typ, der eine Kollegin angebaggert hat, von ihr eine Abfuhr bekam und sie anschließend schlecht machte, war früher tatsächlich mal ein Arbeitskollege von mir.

Ich glaube, dass man solche Schwächen nur erzählerisch hinbekommt, ohne diesen Vorwurf des 'mit dem Finger auf jemanden zeigen' zu riskieren, indem beim Leser durch die Beschreibung seiner Handlungen die Erkenntnis wächst, dass dieser Mensch so ein 'Fiesling' ist - vielleicht sogar Parallelen an sich entdeckt und etwas für sich mitnimmt.
Da ist was dran. Aber ob es wirklich nur erzählend geht? Das bezweifele ich.


Ich denke, die Ich-Form ist trotz Deiner berechtigten Bedenken, die mit Abstand geeignetste. Die dritte Person ist wenig geeignet, weil sie, wie Du ja auch sagst, zu sehr Fingerzeigementalität mit sich bringt. Und die zweite Person geht für mich gar nicht. Da es sich um ein LyrIch handelt, das real so nicht existiert, passt es so meines Erachtens.

Schöne Grüße

Jürgen
 



 
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