Das Lied vom Mond

Joh

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GuteNachtGeschichte


Das Lied vom Mond



Lars, der kleine Wolf, und seine Freundin, die kleine Haselmaus Emilie, hatten den ganzen Morgen im Garten des Försters herumgetobt. Nun plumpsten sie lachend und müde ins hohe Gras unter dem Apfelbaum. Hier lagen sie in den letzten Tagen oft. Sie ließen sich die Sonne auf den Bauch scheinen und warteten, bis ein reifer saftiger Apfel herunterfiel. Auch heute hatten sie Glück, und schon bald knabberte Emilie behaglich an einem roten, saftigen Apfel herum.
„Emilie, meinst du, daß ich jemals singen lerne?“, fragte Lars plötzlich ganz ernst.
Er meinte natürlich heulen, aber Wölfe sagen, daß sie singen. Und eigentlich müssen sie es ja auch am besten wissen, oder nicht?
„Hhmmm“, meinte Emilie, „eigentlich lernt man es ja von seinen Eltern“, und sah traurig zu Lars hinauf.
„Ja, ich weiß“,antwortete Lars, “aber kann ich es nicht trotzdem lernen? - Ich will doch auch mal ein richtiger Wolf werden“, fügte er hinzu.
„Na ja, wenn der Förster singen könnte...“ Emilie blinzelte Lars zu. Da mußte auch er kichern. Denn singen konnte der große Mann tatsächlich nicht, auch wenn er es beinah jeden Morgen unter der Dusche versuchte. Heraus kam nur ein schreckliches Gejaule, über das sich Emlie und Lars jedes Mal kringelig lachten.
Man muß nämlich wissen, daß Lars keine Wolfseltern mehr hatte. Als winzigkleiner Welpe war er ganz allein und schrecklich zitternd im Wald gefunden worden. Man hatte ihn zum Förster gebracht, der sich seitdem um den Wolfjungen kümmerte. Der Förster hatte ihm damals Milch aus einer Flasche gegeben und ihm ein kuschelig warmes Körbchen neben sein eigenes Bett gestellt. Er hatte mit ihm gespielt, gekuschelt und alles getan, damit Lars auch ein fröhliches Wölfchen wurde. Doch irgendwann hatte Lars im Fernsehen einen Film über Wölfe gesehen, und gehört wie schön sie sangen. Das wollte er nun auch lernen. Denn er war überzeugt, daß er es können müsse, um ein richtiger Wolf werden zu können. Emilie und er sprachen oft darüber. Die kleine Haselmaus trällerte zwar mit hohem Stimmchen ihre Lieder, aber den echten Wolfsgesang konnte sie ihm auch nicht beibringen.
Die Wochen vergingen. Es war inzwischen recht kalt geworden. Die Bäume hatten ihre Blätter schon abgeworfen, um sich mit ihnen die Wurzeln zu wärmen. Emilie und Lars lagen auf dem Teppich vor dem großen Bücherregal des Försters. Der Ofen bollerte warm, Lars träumte vor sich hin und Emilie las in einem Buch mit Sagen und Märchen. Plötzlich zuckte ihr Näschen ganz aufgeregt. Sie las weiter - und dann grinste sie zufrieden.
Später schimpfte der Förster laut in der Küche über die Mäuse, die seinen ganzen Käse gefressen hatten. Lars schaute Emilie vorwurfsvoll an. Doch die schüttelte nur ihr Köpfchen und sagte, sie wäre es nicht gewesen. Es dämmerte schon als Emilie nach Haus ging, in ihr Nest tief unter dem Apfelbaum.
Lars besuchte Emilie wie jeden Abend, bevor er in seinen Korb zum schlafen ging. Als er endlich kam machte sie die Tür nur einen kleinen Spalt breit auf, und tat ganz geheimnisvoll. „Du mußt die Augen zumachen, ich habe eine Überraschung für Dich.“
Gehorsam machte Lars die Augen ganz fest zu und Emilie zog ihn herein.
„So“,sagte sie. „Nun mußt du dich hinsetzen und darfst die Augen erst aufmachen, wenn ich es sage.“
Ganz aufgeregt wartete Lars und hörte wie Emilie hin und herhuschte, ein bißchen herumraschelte, eine Kerze anzündete und schließlich schnaufend neben ihm auf den Boden plumste.
„Es ist soweit!“, gespannt sah sie ihn an.
Lars sah sich um. Es war recht dunkel und er sah – nichts. Alles war wie immer. „Und wo ist nun meine Überraschung?“, fragte er enttäuscht.
„Guck doch mal da oben“, Emilie zeigte mit dem Fingerchen zur Decke.
„Ist der schön!“, bewundernd sah Lars zu dem großen gelben Mond hinauf. „Wie hast Du denn den Mond in Dein Nest bekommen“, fragte er verwundert.
Emilie grinste: “Ach, das ist mein Geheimnis. Aber nun laß uns doch mal das Lied vom Man im Mond singen“
„Du weißt doch, daß ich es nicht kann“ , antwortete Lars ganz traurig.
„Bitte, ich singe auch mit“, forderte Emilie ihn auf.
Lars dachte: Emilie hatte sich solche Mühe gegeben, und nur für mich den Mond heruntergeholt. Nun will ich es zumindest versuchen.
Leise begann Lars zu singen und sah dabei zum Mond hinauf. So groß und rund und wundervoll gelb hing er direkt über ihm, davon wurde Lars ganz glücklich und er sang immer lauter und lauter. Vor Freude liefen ihm Tränen übers Gesicht und sein Singen klang schon beinah so schön, wie von einem großen Wolf. Emilie schluchzte ein bißchen mit und hörte lächelnd zu, bis Lars das schöne Lied vom Mann im Mond fertig gesungen hatte.
„Ich kann endlich singen wie ein großer Wolf!“, jubelte Lars.Er drückte Emilie an sich und sie tanzten lachend, bis sie nach Luft schnappen mußten. Glücklich setzten sie sich unter den Käsemond und nun mußte Emilie erzählen, wie sie auf diese tolle Idee gekommen war. Und so erfuhr Lars, daß Emilie am Nachmittag in dem Buch mit den alten Geschichten gelesen hatte, daß die Wölfe in Vollmondnächten den Mond besingen. So steht es in den alten Sagen und wie ihr seht, stimmt das noch heute.
Und als Lars hörte, daß Emilie für seinen Mond den Käse des Försters gestohlen hatte, mußte er laut lachen. Emilie kaute zufrieden an den Resten des Käses.


JP 2010
 

domino

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Das ist eine schöne Geschichte von echter Freundschaft. Und davon, wie unsinnig "Ich kann das nicht!" ist.
Liebe Grüße
domino
 



 
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