Das Paket

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claudianne

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„Heute machen wir es uns gemütlich“, sagt Mama schlüpft in einen weichen Wollpullover und dicke Socken. Dann legt sie die Füße hoch, schlürft Wohlfühltee und blättert in einer Zeitschrift.
„Ach, ist das schööön“, seufzt sie.
„Ja und langweilig“, nölt Rike.
„Spiel doch was!“, schlägt Mama vor, „mit der Murmelbahn zum Beispiel, oder mal mir ein Bild.“
„Und was soll da drauf sein?“, Rike klingt nicht begeistert.
„Na mal halt ein Krokodil oder ein Nashorn“, schlägt Mama vor.
„Kann ich nicht“, jammert Rike.
„Dann mal was Anderes“, seufzt Mama.
„Und was?“
„Mensch Rike, kann ich nicht mal fünf Minuten in Ruhe lesen?“
Mama ist genervt.

Rike stampft beleidigt in ihr Zimmer. Lustlos lässt sie ein paar Holzkugeln über die Murmelbahn rollen. Da hört sie Reifen auf der nassen Straße quietschen. Neugierig läuft Rike zum Fenster: Draußen steht ein großer gelber Transporter. Ein Mann mit Kappe steigt aus und öffnet die beiden Türen zum Laderaum. Er zieht ein großes braunes Paket heraus und geht zum Haus. Als er Rike am Fenster entdeckt, winkt er ihr zu. Erschrocken duckt Rike sich weg.
„Mama, da kommt jemand!“, ruft Rike aufgeregt ins Wohnzimmer.
„Ach nöö“, grunzt Mama.
Schon klingelt es.
„Guten Tag, würden sie ein Paket für ihren Nachbarn gegenüber annehmen?“, fragt der Mann.
„Na geben sie schon her“, sagt Mama und quittiert den Empfang.

„Mama, was ist da drin?“, quengelt Rike, „darf ich reinschauen?“
„Hände weg von dem Paket“, sagt Mama mit erhobenem Zeigefinger, „das gehört nicht uns, sondern Herrn Halter.“
Sie stellt das Paket im Gang auf den Boden und verschwindet wieder im Wohnzimmer.

Neugierig setzt sich Rike neben das Paket. Es ist ganz schön groß.
So groß wie Rocko, der Schäferhundmischling von gegenüber.
„Oh nein, vielleicht ist Rocko ja da drin“, denkt Rike plötzlich erschrocken.
Schnell läuft sie zum Fenster: Rocko ist nicht drüben.
„Pfff, das gibt’s ja nicht“, schimpft Rike, „Herr Halter hatte bei dem Regen bestimmt keine Lust auf Gassi gehen. Darum hat er Rocko mit der Post verschickt.“
„Rocko?“, leise klopft Rike auf das Paket, „bist du da drin?“
Nichts. Rike schüttelt empört den Kopf: „Doppelt hundsgemein ist das!“
„Wahrscheinlich ist Rocko vor Hunger schon halb tot“, Rike – jetzt hochoffizielle Hunderetterin - saust in die Küche und klaut sich ein Wienerwürstchen aus dem Kühlschrank.
Mit der Hand pult sie solange an dem Paket herum, bis ein wurstgroßes Loch darin ist. Sie kann keine Rücksicht auf Mamas erhobenen Zeigefinger nehmen: Hier geht es schließlich um Leben und Tod! Schon liegt die Wurst im Karton.
„Rocko? “, Rike presst ihr Ohr ganz fest auf den Karton. Wieder nicht das klitzekleinste Winseln.

„Hoffentlich ist es nicht schon zu spät!“ Rike sucht schnell nach ihrer Taschenlampe. Durch das Wurstloch leuchtet sie in das Paket.
„Das gibt’s doch nicht, der hat den Rocko zweimal verpackt!“, Rike sieht ein Paket im Paket.
„Kein Wunder, dass Rocko mich nicht hören kann!“
Rike kramt ihr Joghurtbechertelefon aus der Krimskramskiste heraus.
Einen Becher steckt sie in das Wurstloch, den anderen hält sie sich an den Mund: „Rocko, hier spricht Rike, ich hoffe, es geht dir gut. Du musst in den Becher bellen, damit ich dich hören kann.“
Keine Antwort, Rike wird panisch. Vielleicht hilft ihm Bewegung.
Schwer schnaufend schiebt Rike das große Paket den Gang rauf und runter.
„Rike, was machst du da?“, ruft Mama aus dem Wohnzimmer.
„Gassi gehen!“, keucht Rike.
Da klingelt es.

Mama schlurft zur Tür. Draußen steht ein tropfender Herr Halter mit Regenmantel und Gummistiefeln.
Zornig läuft Rike zur Tür. „Hundequäler“, will sie gerade schreien, da schleicht der pudelnasse Rocko die Treppen herauf.
„Aber“, stottert Rike, „was macht denn Rocko hier?“
„Wir waren spazieren“, sagt Herr Halter, „der Hund will ja bei jedem Wetter raus!“
„Und was ist in dem Paket?“, platzt Rike heraus.
„Sei nicht so neugierig“, schimpft Mama.
„Ach nichts Aufregendes“, antwortet Herr Halter und hebt das große Paket hoch, „nur ein Heizlüfter fürs Bad.“
„Och, schade um die Wurst“, denkt Rike, geht in ihr Zimmer und malt Mama ein Bild von einer Heizlüfterpaketwurstangel.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Wieder eine süße Geschichte von dir

Auf das Wurstloch und das Gassigehen muss erst mal eine(r) kommen.
Ich wünsche dir viel Erfolg damit. Gerade hat der Postbote auch bei mir geklingelt. War ein handliches Paket für den Nachbarn. Ich habe kein Loch reingebohrt - seine Katze habe ich gestern nämlich noch gesehen. Und meine Wurst esse ich jetzt selber.

Gruß vom Ironbiber
 



 
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