Das Schweigen / Wut

Markus Veith

Mitglied
(Auszüge aus "Punkt" (".") - noch in Arbeit)

Das Schweigen

Folgende Worte fand man in einem großen Teppich, aus dem jemand mühsam die Fasern herausrerupft haben muß, um aus den entstandenen Löchern Buchstaben zu bilden:

Ich hab's!!! Ich muß schweigen können. Denn Schweigen ist Gold. Schweigen ist gut. Schweigen muß gut sein. Die ganze Welt schweigt. Oder sagt sie nur nichts? Schweigen. Ruhig sein. Stumme Stille. Reglose Luft, alleiniges Atmen. Schweigen. Ruhig sein. Ruhe. Im Körper.
Ist der Körper an das Schweigen gewöhnt, so
(folgendes ist unleserlich, scheint erst geschrieben und dann wieder ausgerupft worden zu sein)
dann ist der Körper
reich.
Schweigen macht reich. Ich bin ein reicher Mann. Denn ich kann schweigen. Ich kann in den Teppich schweigen.
Doch gehören nicht, wie in der Liebe auch, zum Schweigen immer zwei? Ich, der Schweigende, muß doch jemand anderen anschweigen. Denn wenn ich das nicht tue, so schweige ich ja nicht. Dann bin ich ja einfach nur still.
Ich könnte mich ja selbst anschweigen. Wenn ich nichts zu sagen habe. Ich muß nichts zu sagen haben. Vor allem nicht mir, der ich ja schon im vorneherein weiß, was ich mir sagen wollen würde. Ich könnte und werde mich einfach stumm ignorieren, indem ich mir nichts sage. Ich werde mich selbst mit Schweigen strafen, wenn ich mir selbst nichts mehr zu sagen habe. Ha! - Ich soll schon sehen und nicht hören, was ich davon habe.
Ich kann schweigen, wenn ich will und von mir bloß stumm ignoriert werde.
Was denke ich mir eigentlich? So eine Frechheit! Bin ich nicht von mir abhängig? Und doch sitze ich hier rum,
auf dem Teppich
und schweige mich gegenseitig an.
Sitze hier. Schweige. Bin ruhig. Ruhe. Stumme Stille. Goldenes Schweigen.
Wem sollte es auffallen, daß ich schweige?
Den Wänden, die ich anstarre, als seien sie durchsichtig?
Die Decke, die mir ständig droht, mir auf den Kopf zu fallen?
Dem Fußboden, den ich wochenlang getreten habe?
Dem Teppich? Der schweigt mich an, aber nicht ich ihn, der ich ihn beschreibe, zerrupfe, mit Worten fülle, die nicht für ihn sind, die er nicht versteht. Die ihm nur wehtun. - Dabei schreit nicht nicht einmal.
Ja. Der Teppich ist ein guter Schweigender. Mein Worte sind bei ihm gut aufgehoben. Sie können sicher viel von ihm lernen. Dem Teppich kann ich meine Worte wohlschweigend anvertrauen.
(Groß und deutlich:)
Ich schreibe mein goldenes Schweigen in den Teppich. Möge mein goldenes Schweigen es dort in Ruhe warm haben.
(Wieder kleiner:)
Vielleicht kann ich mich dazulegen. In die Wärme. In den Teppich. Zu meinen Worten. Zu meinem goldenen Schweigen. Zur Decke schauen. Zur schweigenden, weit entfernten, immer schmaler werdenen Decke. Liege ich im Gold, im Schweigen, im Warm, in meinen Worten. Und flüstere brüllend:
"Ruhe!"


Wut

Das Bild über der Kommode ist kaputtgegangen. Das von meiner Liebe. Die mit dem Herz in der Mitte. Die, die niemand haben will. Ja, genau die. Kaputtgegangen. Ging einfach. Und war kaputt.
Nein. - Es war mein Zorn. Nicht ich. Es war diese Wut. Ja, genau. Sie war es.
Diese Wut, die in den Zähnen juckt, so daß man den Reiz zerbeißen will. Diese Wut, die sich trunken und benommen an die Stimmbänder lehnt und dort einschläft. Die man wachrütteln will. Ja, will. Sie tat doch nur, als ob sie schlief.
Ich wußte, daß sie wach war. Sie mußte sich austoben.
Ich habe auf den Schrank eingeschlagen. Und wieder und immer wieder. Bereits beim ersten Hieb mußte ich merken, wie hart er ist ... gewesen ist. Jetzt tut mir die Hand so weh, daß ich sie zur Faust ballen muß, um den Schmerz auf die Handflächen zu lenken. Meine Fingernägel graben zornig sich in sie.
Und meine Zähne jucken. Jemand hat mir meine Lungen gestohlen. Ich atme nur noch meine Fäuste voll. Meine Muskeln wollen reißen. Sie wollen sich lösen und an ihre Grenzen toben.
Ich will Sturm in meinen Lungen, in den Augen, in den Ohren.
Der Sturm soll mir die Haut zerfetzen.
Mich in Stücke pusten und mich wieder zusammenwehen, damit diesmal vielleicht etwas besseres dabei herauskommt.
Meine Füße wollen die Wände zertrampeln.
Wenn möglich, sich selbst in Magma stampfen.
Ich will die Elefantenherde in meinem Kopf befreien.
Den Wal in meinem Brustkorb ertränken.
Wälder pflanzen, um sie herunterzubrennen.
Eine Stadt bauen und sie wieder dem Erdboden gleichmachen.
Völker zeugen und sie niedermetzeln.
Welten erschaffen und pulverisieren.
Sie aus den Angeln heben und die Luft aus ihnen herauslassen, wie aus einem zu großen, geballten, prallen, voll Überfluß befluteten Glutwutheißluftallon.
Wäre ich schon tot, würde meine Wut mich noch einmal aus dem Erdboden hebeln.
Ich will ans Ende!!
Ich will endlich sagen können, daß ich am Ende bin.
Ich bin am Ende!!

Das schöne Bild.
 

Flori

Mitglied
Wut

Ein schöner innerer Monolog. Ich habe mich selbst schon an solchen Sachen versucht. Darum glaube ich einschätzen zu können, das dir die plastische Darstellung der Emotion gut gelungen ist.
Ich glaube erkennen zu können, das du die Wut irgend wie als einen eigenständigen Teil von dir betrachtest (aber man soll ja Autor nicht gleich dargestellte Person setzten)
Ist damit der Gegensatz zwischen Gefühl und Verstand gemeint? Es wird doch eine spezielle Wut dargestellt, die mit Liebeskummer zu tun hat.
Ich hoffe ich hab deine Beweggründe nicht ganz mißverstanden.
 



 
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