Das Te

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Das Te

~ Reflektionen ~

Ich bin ein T und somit nicht nur der zwanzigste Buchstabe im Alphabet, sondern auch ein Bild, das etwas über die Eigenschaft des Verbindens erzählt. Es hat eine Säule, ein Dach und drei offene Seiten.
Obwohl ein liegendes H vielleicht die perfekte Verbindung wäre, bevorzuge ich doch diese Offenheit nach unten, die Vor- und Nachteile eines T-Daseins mit eingerechnet.
Zwei voneinander getrennte Dinge können sich rechts und links an meinem Standbein vereinen, ohne sich zu berühren. Ich nehme sie unter mein Dach und verbinde und (unter)scheide gleichermaßen, was nicht zusammen kommen kann, darf oder soll auf eine ungefährliche Weise für alle Beteiligten oder einfach das, was nicht zusammen gesehen wird.
Das T hat in seinem Querbalken etwas mütterlich Behütendes und lässt – im Gegensatz zum liegenden H – die unteren Dinge ungebunden. So findet die Mütterlichkeit ihre Grenzen, indem sie den zu verbindenden Teilen die eigene Entwicklung weder abnimmt, noch sie vor sich selbst bewahrt, sondern sie statt dessen unter einem Übergeordneten vereint.
Um zwei Dinge zu verbinden, muss man sie vorerst als zwei erkennen, was also ein Unterscheidungsvermögen voraus setzt. Der Unterschied ist also gleich die Trennung in die Zweiheit und die daraus entstehende Vielfalt.
Betrachte ich mir die Legende der Schöpfungsgeschichte und dort speziell den Teil der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies, so stoße ich auf eine Tragödie des Unterschieds. Das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ist das Ereignis, das beide aus der Einheit und der Ein-Sicht fallen lässt und von Stund an dürfen sie nicht mehr im Paradies leben. Daraus schließe ich, das Gegenteil von Einheit, Gott und Nichtunterscheiden ist also Unterschied, Vielheit oder Vielfalt, die der Teufel oder das Böse ist. Aber unterscheiden wir nicht jeden Tag, jede Stunde, Minute oder Sekunde?
Doch kommen wir zurück zum T.
Für sich allein ist das T durchaus lebensfähig, auch wenn es nicht die standfesteste Lösung ist. Doch für seine Aufgabe braucht es auch nur einen Fuß, denn es lehnt sich auf die Dinge, die es verbindet, nimmt somit gleichermaßen, wie es gibt und verbindet damit wiederum zwei scheinbar entgegen gesetzte Dinge in sich selbst. Der Vorgang ist ein und derselbe.
Betrachte ich mich als T differenziert von meiner Aufgabe und meinem Nutzen, den ich nach außen habe und wende mich meinem Inneren zu, so erkenne ich ein immer währendes Ringen um das Gleichgewicht, ein Tanz auf des Messers Schneide, ein Drahtseilakt zwischen dem rechten und dem linken Abgrund – wiederum zwei scheinbar unterschied-liche Dinge. Es entspricht dem Bild der Ausgleichung im Crowley-Tarot, auf dem eine Frau mit verbundenen Augen auf einem Schwert balanciert und somit auch dem Zahlenwert der Karte 8, welche in liegender Form das Zeichen für die Unendlichkeit ist. Die verbundenen Augen weisen dabei auf die Lösungsmöglichkeit hin – nämlich die Konzentration der Achtsamkeit nach innen und das Bündeln der Kräfte zu einer exakten Vertikalen.
In meiner körperlichen Konstitution manifestiert sich dieses Balancehalten, sowie auch der Mangel daran, zum Beispiel in der Reisekrankheit, die bekanntlich aufgrund einer Störung des Gleichgewichtsinnes besteht, um nur eins zu nennen.
Das beständige Ringen um das Gleichgewicht und die damit verbundene Achtsamkeit für sich selbst, ist also die vordringlichste Aufgabe für so ein T wie mich. Nimmt man jedoch einen übergeordneten Standpunkt ein und entfernt sich von den naheliegenden Deutungen, wird die Sache rund wie ein O.
Das T verbindet in jedem Fall immer zwei Dinge und macht daraus ein drittes, welches beide vereint und beinhaltet. Seine Wirkung auf die Außenwelt entspricht somit auch der eigenen Aufgabe. So muss es die Vereinigung der Dualität herbei führen, von gut und böse, hell und dunkel, innen und außen, oben und unten, Arbeit und Freizeit, leben und sterben, einatmen und ausatmen, kalt und heiß, geben und nehmen.
So werden gut und böse so sehr relativiert, dass keine Grenzen mehr erkennbar sind und das Dritte daraus ist das SEIN. Ein Zustand ohne Bedingungen, es geschieht nichts weiter, als das etwas IST: Hell und dunkel werden mehr als Symbole für gut und böse und mehr als Tag und Nacht. Das Dritte, das daraus entsteht ist der Rhythmus, denn alles unterliegt ihm. Er besteht aus dem Pendeln zwischen zwei scheinbar unterschied-lichen Dingen und so, wie der Ausschlag in die eine, so auch der Ausschlag in die andere Richtung, wiederholt und wiederholt und wiederholt. Tage, Jahreszeiten, Jahre. Leben?
Die Frage nach den sich wiederholenden Leben bleibt so lange offen, so lange ich die Dualtiät und den Rhythmus aus dem Spiel lasse. Doch fahre ich fort bei der Vereinigung von innen und außen oder auch oben und unten, erinnere ich mich an den Lehrsatz des Hermes Trismegistos: „Wie oben so unten, wie unten so oben.“ Das heißt also, oben und unten, sind in Entsprechung zueinander, sind das Gleiche innerhalb der Relationen, in denen die Dinge existieren. Wenn ich mich also in den Ebenen der Zeit hinauf denke, vom Tag zum Jahr, das durch den Rhythmus vom Frühling hin zum Winter nochmals unterteilt wird, und wieder mit dem Frühling beginnt, und wenn ich weiter denke vom Jahr zum Leben als Ganzes, welches scheinbar bei der Geburt beginnt und unseres Wissens oder Glaubens im Augenblick des Todes endet, auf welches Ergebnis komme ich da?
Das T muss selbst seine äußere und seine innere Welt und alle scheinbar unterschied-lichen Dinge also miteinander verknüpfen und in eine neue Form gießen, in der beide ein und das Selbe sind – das Dritte. Das Dritte aber ist die Ein-Sicht und die Einheit aller Dinge, das Dreieck, die Heimkehr, das Ende aller Worte und die Geschichte der Transformation eines T in ein O.
 



 
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