Das Treffen

neonovalis

Mitglied
Das Treffen

Karl-Heinz ist pünktlich um acht Uhr da. Er ist erschöpft von dem langen, harten Arbeitstag. Die Kollegen auf der Baustelle haben ihn tüchtig schleppen lassen. Dabei wollte er doch einmal Literatur studieren...

Jetzt ist er seit zehn Jahren Maurer. Er bereut es nicht. Aber lesen tut er immer noch für sein Leben gern.
Auf die Lesung heut’ abend hat er sich seit einem halben Jahr gefreut.
Amos Oz.
Er sitzt also im Saal. Der füllt sich nur langsam. Karl-Heinz wundert sich, als um halb neun, dem Beginn der Lesung, der Saal erst zu dreiviertel gefüllt ist.
Da betritt ein junger Mann die Bühne.
„Guten Abend. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Amos Oz aus Krankheitsgründen verhindert ist. Als Ersatz tritt Elke Heidenreich auf.“
Eine Welle der Enttäuschung geht durch`s Publikum.
„Dabei war Opa gestern doch noch so gesund,“ hört Karl-Heinz eine enttäuschte Stimme neben sich.
Karl-Heinz wendet sich überrascht nach rechts:
„Wie bitte? Amos Oz ist Ihr Großvater?“
„Ja,“ antwortet die junge Frau besorgt.
„Das finde ich ja interessant,“ meint Karl-Heinz verblüfft.
„Ich auch,“ sagt die junge Frau. Ihr Lachen steckt Karl-Heinz an. Er verspürt eine lange unterdrückte Fröhlichkeit.
„Ich bin schon lange ein Fan von Ihrem Großvater,“ meint er begeistert.
„Wirklich?“ erwidert seine Gesprächspartnerin,„das freut mich aber.“
Sie schaut ihn freundlich an.
‘Sie hat schöne, blaue Augen,’ denkt er,’dazu noch die langen, braunen Haare. Eine gute Figur. Jacket, Pullover, Jeans und Turnschuhe. Bestimmt ist sie Studentin.’
„Was gefällt Ihnen denn am besten?“ erkundigt sie sich unbefangen.
„“Eine Frau erkennen“,“ antwortet Karl-Heinz ohne Umschweife.
„Das gefällt Ihnen am besten?“ jauchzt seine Sitznachbarin auf,„das ist mein absolutes Lieblingsbuch.“
Sie strahlt ihn an.
Ein lange nicht mehr gekanntes Gefühl kommt in Karl-Heinz auf.
„Kommen Sie,“ ermuntert sie ihn,„wir lassen Elke Heidenreich ausfallen. Ich würde mich liebend gern mit Ihnen über die Literatur meines Großvaters unterhalten. Kennen Sie ein Cafe in der Nähe?“
Ihre süße, frische, junge Stimme macht Karl-Heinz ganz baff. Er braucht einen Moment, um den neuen, überwältigenden Eindruck zu verarbeiten.
„Ja. Das „Jakobiner“ ist nur fünf Minuten von hier,“ antwortet er verblüfft.-

Sie sitzen an einem Tisch am Fenster. Das „Jakobiner“ ist prall gefüllt. Sobald ein Tisch frei wird, nehmen neue Gäste Platz.
„Machen Sie beruflich etwas mit Literatur?“ fragt Karl-Heinz’ Begleitung,„ach, ich heiße übrigens Manuela.“
„Karl-Heinz,“ erwidert Karl-Heinz,„nein. Ich bin Maurer.“
„Wirklich?“ Manuela wundert sich.
„Ja.“ In Karl-Heinz steigt etwas Ärger über Manuelas überraschte Reaktion auf.
„Das hätte ich nicht gedacht,“ sagt Manuela verblüfft.
Aus Karl-Heinz’ Ärger wird Unwilligkeit.
„Ja, glauben Sie denn, Maurer wären alles rohe, kulturlose Gesellen?“ fragt er, seine aufkommende Empörung kaum verhehlen könnend.
„Nein, nein,“ entgegnet Manuela beschwichtigend,„tut mir leid, wenn es so ‘rübergekommen sein sollte. Ich finde Sie sehr nett. Sie machen einen aufgeweckten, kulturell interessierten Eindruck.“
Sie lächelt ihn volle Breitseite an.
Karl-Heinz’ Gereiztheit mildert sich ab.
„Sie gefallen mir,“ fügt sie noch an.
Seine Unmut ist jetzt völlig verschwunden.
„Sie mir auch,“ sagt er mit dem ganzen Charme, der ihm zur Verfügung steht.
Manuela freut sich.
‘Er ist groß. Blond. Blaue Augen. Dazu das markante Kinn. Scheint kräftig zu sein. Ein wirklich gutaussehender Mann,’ denkt sie.
„Wollen wir uns über unser Lieblingsbuch unterhalten?“ fragt sie ihn einladend.
„Aber gerne,“ Karl-Heinz ist sofort begeistert,„mir gefällt, dass es sowohl ein Spionage- als auch ein Antispionageroman ist.“
„Das gefällt Ihnen?“ ruft Manuela enthusiastisch aus,„das ist auch mein Lieblingsaspekt.“
Sie strahlt über`s ganze Gesicht. Ihre Ausstrahlung nimmt Karl-Heinz gefangen. Er spürt ein Kribbeln. In dieses Prickeln mischt sich Verlegenheit.
‘Sie sieht so gut aus. Und ausgerechnet du sitzt hier mit ihr,’ überlegt er.
Im Moment weiß er nicht, was er sagen soll.
Als er wieder aufschaut, lächelt sie ihn immer noch an.
„Wollen wir uns nicht duzen?“ schlägt sie in behutsamer Freundlichkeit vor,„ich heiße Manuela.“
„Karl-Heinz,“ erwidert er, zur alten Festigung zurückfindend. Er reicht ihr die Hand, die sie sofort in aller Herzlichkeit einschlägt...

Der Kerzenschein taucht das Cafe in einen warmen, goldbraunen Ton, als sie sich das erste Mal küssen. In der Music-Box läuft „What is Love“ von Howard Jones. Die Stimmung im Raum liegt irgendwo zwischen leicht und schwärmerisch.
„Ich habe ein Leben lang auf dich gewartet,“ haucht sie ihm ins Ohr.
Karl-Heinz wird es heiß und kalt. Er kann es kaum glauben.
„Ich auch auf dich,“ entgegnet er sanftmütig.
Sie schaut ihn liebevoll aus ihren großen, blauen Augen an.
„Wo hast du dich all` die Jahre versteckt?“ fragt sie ungläubig.
Seine Antwort „Auf der Baustelle“ verursacht ein beiderseitiges, hintergründiges Lachen.
„Nachts ist doch da keiner mehr,“ meint sie leise und lockend, „wollen wir da jetzt nicht hin? Dort sind wir ungestört.“
In Karl-Heinz kommt eine Mischung aus Amüsement, Zweifel und Lust auf.
„Gerne,“ antwortet er trocken.
Er steht auf.
„Moment, mein Schatz,“ hält Manuela ihn zurück,„ich muss erst meinen Opa anrufen. Hören, wie`s ihm geht.“
Sie kramt ihr Handy hervor. Ihre Finger tippen eine Zahlenkombination.
„Opa, wie geht´s dir?“ fragt sie besorgt, kurz, nachdem am anderen Ende abgehoben wurde, in das Gerät.
Karl-Heinz hört nicht, was die Stimme ihres Gesprächspartners sagt.
„Okay. Ich mach` mich sofort auf den Weg,“ erwidert Manuela.
Sie legt auf.
„Ich muss nach Israel,“ sagt sie bedauernd zu Karl-Heinz.
Sie nimmt ihr Jackett. Zahlt. Wendet sich zum Gehen.
Er bleibt in einer Mischung aus Verständnis und Bitterkeit zurück.-

ENDE​
 

neonovalis

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Das Treffen

Karl-Heinz ist pünktlich um acht Uhr da. Er ist erschöpft von dem langen, harten Arbeitstag. Die Kollegen auf der Baustelle haben ihn tüchtig schleppen lassen. Dabei wollte er doch einmal Literatur studieren...

Jetzt ist er seit zehn Jahren Maurer. Er bereut es nicht. Aber lesen tut er immer noch für sein Leben gern.
Auf die Lesung heut’ abend hat er sich seit einem halben Jahr gefreut.
Amos Oz.
Er sitzt also im Saal. Der füllt sich nur langsam. Karl-Heinz wundert sich, als um halb neun, dem Beginn der Lesung, der Saal erst zu dreiviertel gefüllt ist.
Da betritt ein junger Mann die Bühne.
„Guten Abend. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Amos Oz aus Krankheitsgründen verhindert ist. Als Ersatz tritt Elke Heidenreich auf.“
Eine Welle der Enttäuschung geht durch`s Publikum.
„Dabei war Opa gestern doch noch so gesund,“ hört Karl-Heinz eine enttäuschte Stimme neben sich.
Karl-Heinz wendet sich überrascht nach rechts:
„Wie bitte? Amos Oz ist Ihr Großvater?“
„Ja,“ antwortet die junge Frau besorgt.
„Das finde ich ja interessant,“ meint Karl-Heinz verblüfft.
„Ich auch,“ sagt die junge Frau. Ihr Lachen steckt Karl-Heinz an. Er verspürt eine lange unterdrückte Fröhlichkeit.
„Ich bin schon lange ein Fan von Ihrem Großvater,“ meint er begeistert.
„Wirklich?“ erwidert seine Gesprächspartnerin,„das freut mich aber.“
Sie schaut ihn freundlich an.
‘Sie hat schöne, blaue Augen,’ denkt er,’dazu noch die langen, braunen Haare. Eine gute Figur. Jacket, Pullover, Jeans und Turnschuhe. Bestimmt ist sie Studentin.’
„Was gefällt Ihnen denn am besten?“ erkundigt sie sich unbefangen.
„“Eine Frau erkennen“,“ antwortet Karl-Heinz ohne Umschweife.
„Das gefällt Ihnen am besten?“ jauchzt seine Sitznachbarin auf,„das ist mein absolutes Lieblingsbuch.“
Sie strahlt ihn an.
Ein lange nicht mehr gekanntes Gefühl kommt in Karl-Heinz auf.
„Kommen Sie,“ ermuntert sie ihn,„wir lassen Elke Heidenreich ausfallen. Ich würde mich liebend gern mit Ihnen über die Literatur meines Großvaters unterhalten. Kennen Sie ein Cafe in der Nähe?“
Ihre süße, frische, junge Stimme macht Karl-Heinz ganz baff. Er braucht einen Moment, um den neuen, überwältigenden Eindruck zu verarbeiten.
„Ja. Das „Jakobiner“ ist nur fünf Minuten von hier,“ antwortet er verblüfft.-

Sie sitzen an einem Tisch am Fenster. Das „Jakobiner“ ist prall gefüllt. Sobald ein Tisch frei wird, nehmen neue Gäste Platz.
„Machen Sie beruflich etwas mit Literatur?“ fragt Karl-Heinz’ Begleitung,„ach, ich heiße übrigens Manuela.“
„Karl-Heinz,“ erwidert Karl-Heinz,„nein. Ich bin Maurer.“
„Wirklich?“ Manuela wundert sich.
„Ja.“ In Karl-Heinz steigt etwas Ärger über Manuelas überraschte Reaktion auf.
„Das hätte ich nicht gedacht,“ sagt Manuela verblüfft.
Aus Karl-Heinz’ Ärger wird Unwilligkeit.
„Ja, glauben Sie denn, Maurer wären alles rohe, kulturlose Gesellen?“ fragt er, seine aufkommende Empörung kaum verhehlen könnend.
„Nein, nein,“ entgegnet Manuela beschwichtigend,„tut mir leid, wenn es so ‘rübergekommen sein sollte. Ich finde Sie sehr nett. Sie machen einen aufgeweckten, kulturell interessierten Eindruck.“
Sie lächelt ihn volle Breitseite an.
Karl-Heinz’ Gereiztheit mildert sich ab.
„Sie gefallen mir,“ fügt sie noch an.
Seine Unmut ist jetzt völlig verschwunden.
„Sie mir auch,“ sagt er mit dem ganzen Charme, der ihm zur Verfügung steht.
Manuela freut sich.
‘Er ist groß. Blond. Blaue Augen. Dazu das markante Kinn. Scheint kräftig zu sein. Ein wirklich gutaussehender Mann,’ denkt sie.
„Wollen wir uns über unser Lieblingsbuch unterhalten?“ fragt sie ihn einladend.
„Aber gerne,“ Karl-Heinz ist sofort begeistert,„mir gefällt, dass es sowohl ein Spionage- als auch ein Antispionageroman ist.“
„Das gefällt Ihnen?“ ruft Manuela enthusiastisch aus,„das ist auch mein Lieblingsaspekt.“
Sie strahlt über`s ganze Gesicht. Ihre Ausstrahlung nimmt Karl-Heinz gefangen. Er spürt ein Kribbeln. In dieses Prickeln mischt sich Verlegenheit.
‘Sie sieht so gut aus. Und ausgerechnet du sitzt hier mit ihr,’ überlegt er.
Im Moment weiß er nicht, was er sagen soll.
Als er wieder aufschaut, lächelt sie ihn immer noch an.
„Wollen wir uns nicht duzen?“ schlägt sie in behutsamer Freundlichkeit vor,„ich heiße Manuela.“
„Karl-Heinz,“ erwidert er, zur alten Festigung zurückfindend. Er reicht ihr die Hand, die sie sofort in aller Herzlichkeit einschlägt...

Der Kerzenschein taucht das Cafe in einen warmen, goldbraunen Ton, als sie sich das erste Mal küssen. In der Music-Box läuft „What is Love“ von Howard Jones. Die Stimmung im Raum liegt irgendwo zwischen leicht und schwärmerisch.
„Ich habe ein Leben lang auf dich gewartet,“ haucht sie ihm ins Ohr.
Karl-Heinz wird es heiß und kalt. Er kann es kaum glauben.
„Ich auch auf dich,“ entgegnet er sanftmütig.
Sie schaut ihn aus ihren großen, blauen Augen an.
„Wo hast du dich all` die Jahre versteckt?“ fragt sie ungläubig.
Seine Antwort „Auf der Baustelle“ verursacht ein beiderseitiges, hintergründiges Lachen.
„Nachts ist doch da keiner mehr,“ meint sie leise und lockend, „wollen wir da jetzt nicht hin? Dort sind wir ungestört.“
In Karl-Heinz kommt eine Mischung aus Amüsement, Zweifel und Lust auf.
„Gerne,“ antwortet er trocken.
Er steht auf.
„Moment, mein Schatz,“ hält Manuela ihn zurück,„ich muss erst meinen Opa anrufen. Hören, wie`s ihm geht.“
Sie kramt ihr Handy hervor. Ihre Finger tippen eine Zahlenkombination.
„Opa, wie geht´s dir?“ fragt sie besorgt, kurz, nachdem am anderen Ende abgehoben wurde, in das Gerät.
Karl-Heinz hört nicht, was die Stimme ihres Gesprächspartners sagt.
„Okay. Ich mach` mich sofort auf den Weg,“ erwidert Manuela.
Sie legt auf.
„Ich muss nach Israel,“ sagt sie bedauernd zu Karl-Heinz.
Sie nimmt ihr Jackett. Zahlt. Wendet sich zum Gehen.
Er bleibt in einer Mischung aus Verständnis und Bitterkeit zurück.-

ENDE​
 



 
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