Das Ultimatum

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Maribu

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Das Ultimatum

Unser Lektorat wird mit Einsendungen überhäuft.
Die meisten Manuskripte müssen abgelehnt werden, ohne dass wir die Zeit haben, sie überhaupt nur anzulesen.
Gestern Vormittag rief mich Frau Metzler vom Empfang an:
"Hier ist ein älterer Herr mit einem Manuskript, der unbedingt einen Lektor sprechen möchte."
"Sagen Sie ihm bitte, dass wir keine Zeit haben!" erwiderte ich.
"Er kann es zur Weiterleitung bei Ihnen lassen!"
"Das habe ich ihm schon erklärt. - Nehmen Sie bitte dahinten am Tisch in einem Sessel Platz!" hörte ich Frau Metzler zu ihm sagen und dann wieder zu mir - wahrscheinlich mit vorgehaltener Hand in die Muschel - "Das ist ein ganz Hartnäckiger! Der lässt sich nicht abwimmeln! Er sagte, er würde warten, selbst wenn es bis heute Abend dauerte."
"Dann lassen Sie ihn ruhig erst mal schmoren! Mal sehen, wer ihn später von uns übernimmt!"
Am späten Nachmittag meldete Frau Metzler sich wieder bei mir.
"Kann da jetzt nicht mal einer von Ihnen herunterkommen? Der Autor hat sich schon häuslich eingerichtet und holt gerade seine Stullen aus der Brotdose. Zwei oder drei Cola hat er auch schon aus dem Automaten gezogen!"
Ich hatte ihn ganz vergessen und begrüßte ihn lächelnd mit: "Guten Appetit!"
Zwischen unserem Verlagsprogramm und Fachzeitschriften, die auf dem Glastisch lagen, hatte er zahlreiche Manuskripte ausgebreitet. Auf einer Mappe stand eine nierenförmige verschrammte Aluminiumdose, in die er, vorher noch einmal abbeißend, den Rest der Brotschnitte zurücklegte.
Ich stellte mich vor und sagte: "Entschuldigen Sie bitte, dass es so lange gedauert hat! Aber der Arbeitsdruck durch unsere Neuerscheinungen lässt uns..." Er murmelte schmatzend seinen
unverständlichen Namen dazwischen und dann klarer: "Das macht nichts! Ich war ja darauf eingestellt! - Aber wo Sie sich jetzt
doch noch bemüht haben, mein Manuskript anzunehmen, haben Sie auch noch etwas Zeit für eine Unterhaltung!"
Notgedrungen setzte ich mich ihm gegenüber. Den rechten Sessel neben sich hatte er mit einem hellen Trenchcoat, einem karierten Hut und einer großen Aktentasche in Beschlag genommen. Unter seinem korrekt gescheitelten angegrauten Haar und der hohen Stirn nahm die dunkle Hornbrille einen großen Teil seines ovalen Gesichtes ein. Er trug ein graues Sakko und darunter eine dunkelblaue Krawatte auf einem hellblauen Hemd.
Ich schätzte ihn auf Anfang sechzig. Er wirkte wie ein Buchhalter, der bereits Jahrzehnte seine Brotdose und vielleicht auch noch Manuskripte in dieser braunen, abgestoßenen Aktentasche mit ins Büro schleppte.
"Um welches von den Manuskripten geht es?", fragte ich.
Er schob mir wortlos einen etwas eingerissenen grünen Plastikhefter über den Tisch. Ich schlug ihn auf und bemerkte sofort, dass das Manuskript bereits etliche Male hin- und hergegangen sein musste. Einige Seiten waren umgeknickt, andere ausgefranst. Getippt war es noch mit einer mechanischen Schreibmaschine. Das 'O' war zu einem Loch durchgeschlagen.
"Wieso kommen Sie gerade auf uns?"
"Weil ich heute auf den Tag genau vor fünfundzwanzig Jahren von Ihrem Verlag abgelehnt wurde! - Sozusagen eine Jubiläum!"
Er lachte.
"Dieses Manuskript ist bereits vor fünfundzwanzig Jahren von uns abgelehnt worden?", fragte ich ungläubig.
"Ja. Es war aber eine der wenigen ausführlich begründeten Ablehnungen, die nicht nur Schwächen, sondern auch Stärken aufzeigten! Ihr damaliger Lektor schrieb unter anderem, dass die Zeit für diesen Roman noch nicht reif sei, und er wünschte mir Geduld und eine glückliche Hand!"
"Und diesen Zeitpunkt halten Sie jetzt für gekommen?" Ich lächelte spöttisch.
"Ja! Die Leser lechzen wieder nach realitätsnaher Darstellung einfachen Lebens!"
"Woher wissen Sie das?"
"Weil inzwischen alles da war: Science-fiction, Horror und Gewalt, Rosamunde Pilcher und Beschreibung von Sex in allen Variationen bis zum Überdruss. Zuletzt meinte man schon, den Orgasmus-Schrei zwischen den Zeilen zu hören!"
Ich musste schallend lachen. Diese Feststellung hätte ich diesem Biedermann nicht zugetraut! "Die Situation im Buchhandel hat sich aber nicht geändert!", widersprach ich. "Die Absatzchancen für Belletristik werden immer noch eingeengt auf wirklich spektakuläre Themen, sehr bekannte Autoren und auf Bücher, die man mit entsprechendem Werbeaufwand aufbauen kann. - Jenseits dieses Bereiches beginnt die Verlustzone!"
Ich hoffte ihn damit zu überzeugen und los zu werden, schließlich hielt er mich von der Arbeit ab!
Jetzt lächelte er mich spöttisch an, und ich wurde direkt:
"Wie oft sind Sie denn schon abgelehnt worden?"
"Seit fünfzehn Jahren nicht mehr, da ich das Manuskript nicht angeboten habe. Und davor - vielleicht zwanzig Mal. Aber davon waren fünfundsiebzig Prozent vorgefertigte Ablehnungen, die nur durch meinen Namen und die Adresse ergänzt wurden. Die anderen fünf oder sechs individuellen Beurteilungen waren sehr unterschiedlich, und wenn ich die angeführten positiven Punkte
aneinanderreihen würde, hätte mein Roman eigentlich ein Bestseller werden müssen!"
"Sie fühlen sich also als verkanntes Genie!", sagte ich spitz.
"Bestseller werden nicht von Autoren, sondern von Verlagen wie uns gemacht! - Vor sieben Jahren brachten wir in Deutschland mit großem Werbeaufwand "Scarlett" heraus. Für eine Lizenzgebühr von einer Million haben wir jetzt die Rechte an
"Für immer Casablanca" erworben. - Und wer ist der Autor? Egal! Ein ehemaliger Zeitungsschreiber, noch dazu versoffen! Hierfür genügt Mittelmäßigkeit! Sie müssen es nur wagen, genug zu investieren. In allen Zeitungen und Zeitschriften, an allen Anschlagsäulen Deutschlands werden Humphrey Bogarts markante Züge und Ingrid Bergmans tränenumflorte Augen für den Roman werben. Sie erinnern sich doch: 'Schau mir in die Augen, Kleines!' An dieses Buch glauben wir, das wird ein Bestseller!"
Er ließ sich aber nicht provozieren und antwortete: "Sie sagten doch, nur sehr bekannte Namen und Spektakuläres lassen sich mit Gewinn verkaufen. Deshalb sind ja auch Bücher von ehemaligen Bankräubern, Sittenstrolchen und Mördern, die ihre Texte auf Toilettenpapier geschrieben haben, verlegbar und..."
"Das sind aber wirklich Ausnahmen!" unterbrach ich ihn.
"Aber es gibt einem zu denken!", sinnierte er. Und nach einer kurzen Pause: "Ich wollte meinen Roman schon mal an Franz Beckenbauer, diese "Lichtgestalt", verkaufen. Nach meinem Manuskript unter seinem Namen hätte sich jeder Verleger alle zehn Finger geleckt! Die Presse hätte gejubelt: 'Der Kaiser kann auch schreiben!' Und der Vorabdruck wäre in der 'Bild-Zeitung' erschienen!"
Dieser skurrile Mensch brachte mich wieder zum Lachen. "Was sind Sie eigentlich von Beruf? - Kabarettist?"
"Leiter des Personal- und Rechnungswesens in einer Exportfirma."
Ich hatte also mit meiner ersten Einschätzung recht gehabt und staunte: "Ein ungewöhnliches Hobby für einen 'Zahlenmenschen'!"
"Dieses Hobby hatte ich schon, als ich noch gar nicht wusste, womit ich einmal meinen Lebensunterhalt verdienen müsste! Meine erste Kurzgeschichte habe ich mit zwölf Jahren geschrieben!"
Allmählich beeindruckte er mich. "Und Sie haben noch nie etwas veröffentlicht? - Alles nur für die Schublade?!"
"Einige Kurzgeschichten und Artikel in Fachzeitschriften. - Ich wäre gerne Journalist geworden, aber aus verschiedenen Gründen klappte das nicht."
"Seien Sie froh!", tröstete ich ihn. "So haben Sie sich wenigstens Ihre Unbekümmertheit bewahrt! Wenn die Zeitungen auch alle behaupten, unabhängig zu sein, irgendwie hätte man Sie schon verbogen!"
Ich blickte demonstrativ auf meine Uhr. Bevor er mir noch seine
Lebensgeschichte erzählte, wollte ich unser Gespräch beenden.
Er registrierte es und sagte: "Zum Abschluss wollte ich Ihnen nur noch sagen, dass sich auch schon viele Verleger geirrt haben: Doris Lessing wurde mit ihrem "Tagebuch einer guten Nachbarin" unter dem Pseudonym Jane Somers von mehreren Verlagen, darunter ihr Hausverlag! - das muss man sich mal vorstellen! - abgelehnt. Sie hat damit bewiesen, dass im Buchgeschäft nur Erfolgreiche Erfolg haben und wer unbekannt ist, es auch bleibt! - William Kennedy erhielt den 'Pulitzer-Preis' für seinen Roman "Ironweed", den dreizehn Verlage abgelehnt hatten, bis der vierzehnte die Qualität erkannte. - John Kennedy Toole schrieb "Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten" während seines Militärdienstes. Entmutigt von den ständigen Ablehnungen nahm er sich das Leben. Elf Jahre nach seinem Tode erschien es in einem kleinen, bis dahin unbekannten Verlag. Postum wurde Toole für seinen Roman mit dem
'Pulitzer-Preis' ausgezeichnet. - Arno..."
"Es genügt!" stoppte ich ihn. Das war unverschämt, was dieser Typ alles in seinem Hirn gespeichert hatte, um es heute gezielt gegen einen Lektor unseres Verlages einzusetzen! Und der musste ausgerechnet ich sein!
Ich stand auf und nahm das Manuskript an mich. "Ich werde es lesen, bevor Sie sich noch aus lauter Verzweiflung in unserem Haus aus dem Fenster stürzen!"
Schweigend stopfte er die anderen Manuskripte und die Brotdose zurück in die Aktentasche, schlüpfte in den Mantel und nahm den Hut in die Hand. Ich begleitete ihn bis zum Ausgang und sagte abschließend: "Wie gesagt, ich werde Ihren Roman lesen. Aber ich habe Ihnen die Realität im Verlagsgeschäft vor Augen geführt. - Machen Sie sich deshalb keine allzu große Hoffnung!"
Lächelnd, nicht resigniert, drückte er mir die Hand und antwortete: "Bei einer erneuten Ablehnung werde ich heute in einem Jahr wieder hier sein!"
Für mich klang das wie eine Drohung.
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Maribu,

ich habe deine Geschichte jetzt zwei Mal gelesen, weiß aber immer noch nicht so recht was ich davon halten soll. Der Erzählstil ist gefällig und auch deine Sprache liest sich angenehm. Ich habe den Tect als souverän erzählt empfunden. Allerdings hat die Handlung nur einen sehr flachen Spannungsbogen. Das liegt meines Erachtens daran, dass das Zugpferd deiner Handlung die Skurilität des Gegenübers deiner Protagonistin ist, du es aber ein wenig verpasst, diese auch richtig auszuarbeiten. Den Einstieg mit dem Jahrestag finde ich gelungen und es ist für mich als Leser nachvollziehbar, dass er das Interesse der Protagonistin weckt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass sich das Gegenüber noch weiter vom Mainstream abhebt, denn im Moment handelt es sich lediglich um einen etwas verschrobenen Menschen, der sich gründlich in der Literaturszene auskennt und daher den Argumenten der Lektorin Paroli zu bieten vermag. Hier hättest du die Skurilität bzw. Originalität des "Zahlenmenschen" meines Erachtens noch weiter treiben sollen. Das er der Lektorin die Oberflächlichkeit ihres Geschäftes vor Augen führt, erschien mir als tragende Handlung ein bisschen wenig, zumal diese deiner Protagonistin durchaus bewusst zu sein scheint. Ich würde versuchen das ungewöhnliche dieses Menschen noch weiter zu steigern bzw. detailierter herauszuarbeiten, da dies die spannende Idee an deiner Geschichte ist.

Daneben sind mir noch ein paar Kleinigkeiten aufgefallen, die den Lesefluss ein wenig behindern.
Erstens sind ein paar Absätze ziemlich willkürlich:

-
Aber wo Sie sich jetzt
doch noch bemüht haben, mein Manuskript anzunehmen, haben Sie auch noch etwas Zeit für eine Unterhaltung!
-
Bevor er mir noch seine
Lebensgeschichte erzählte, wollte ich unser Gespräch beenden.
-
Die anderen fünf oder sechs individuellen Beurteilungen waren sehr unterschiedlich, und wenn ich die angeführten positiven Punkte
aneinanderreihen würde, hätte mein Roman eigentlich ein Bestseller werden müssen!
außerdem gab es eine Passage wo ich Schwierigkeiten hatte den Sprecher zuzuordnen. Das mag ebenfalls an den Absätzen liegen, vielleicht ist das aber meine subjektive Schwierigkeit und es geht anderen Lesern hier anders.
"Sie fühlen sich also als verkanntes Genie!", sagte ich spitz.
"Bestseller werden nicht von Autoren, sondern von Verlagen wie uns gemacht! - Vor sieben Jahren brachten wir in Deutschland mit großem Werbeaufwand "Scarlett" heraus. Für eine Lizenzgebühr von einer Million haben wir jetzt die Rechte an
"Für immer Casablanca" erworben. - Und wer ist der Autor? Egal! Ein ehemaliger Zeitungsschreiber, noch dazu versoffen! Hierfür genügt Mittelmäßigkeit! Sie müssen es nur wagen, genug zu investieren. In allen Zeitungen und Zeitschriften, an allen Anschlagsäulen Deutschlands werden Humphrey Bogarts markante Züge und Ingrid Bergmans tränenumflorte Augen für den Roman werben. Sie erinnern sich doch: 'Schau mir in die Augen, Kleines!' An dieses Buch glauben wir, das wird ein Bestseller!"
Er ließ sich aber nicht provozieren und antwortete: "Sie sagten doch, nur sehr bekannte Namen und Spektakuläres lassen sich mit Gewinn verkaufen. Deshalb sind ja auch Bücher von ehemaligen Bankräubern, Sittenstrolchen und Mördern, die ihre Texte auf Toilettenpapier geschrieben haben, verlegbar und..."
Ich hoffe du nimmst mir die kritischen Worte nicht übel, die Grundidee des Textes finde ich nämlich sehr reizvoll.

Beste Grüße

Blumenberg
 

Maribu

Mitglied
Hallo Blumenberg,

danke für dein Interesse und deine Meinung!

Diese Absätze sind ungewollt. Auf der Vorschau waren sie nicht zu erkennen und im Nachhinein nicht zu korrigieren. Das ist leider
ein bedauerliches technisches Problem.
Der Verlagsmensch ist übrigens ein Mann!

Über deine anderen Vorschläge werde ich nachdenken.

Lieben Gruß
Maribu

NS (siehst du, hier springt ..ein bedauerliches...- aus welchem Grund auch immer - in eine neue Zeile)
 



 
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