Das Wunder

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pink_elb

Mitglied
Die Zeituhr ist ein hoher gläsener Turm. Auch die vielen Zahnräder daran bestehen aus Glas. Sie reicht so weit in den Himmel hinauf, daß sie irgendwann einfach in den Wolken verschwindet.
Im Fuß der Maschine dreht sich eine lange Stange. Von Menschen getrieben, die in einer Reihe an der Stange marschieren, bewegt sie das unterste Zahnrad und so wirkt die Bewegung fort.
Immer gleichmässig, immer im Gleichschritt.
Die Zeit beschäftigt also viele Menschen - im Schichtdienst.

Im gläsernen Turm sitzt der Beobachter, auf einer Höhe von der aus er die Menschen an der Stange überblicken kann.
Heute sieht er, daß jemand immer wieder aus dem Takt läuft. Eine Weile sieht er zu, dann zoomt er die verdächtige Person heran, bis er die Nummer an dessen Arm ablesen kann.
Durch den gewaltigen Lautsprecher tönt bald darauf seine Stimme, die den Menschen Nr. 190578 zu sich ruft.

Ein junges Mädchen löst sich nun aus der langen Reihe.
Sie schaut zum Turm hinauf doch kann nichts erkennen, ausser die Spiegelreflexionen der Umgebung.

Sie läuft auf die kleine Tür im Turm zu und beginnt die langen Treppen hinaufzusteigen.
Als sie endlich wieder vor einer Tür steht, zittern ihr die Knie vor Anstrengung.

Sie will gerade anklopfen, als sich die Türe auch schon öffnet und der Beobachter sie eintreten lässt.
Er sieht sie freundlich an und deutet auf die Beule in ihrer engen Arbeitshose.
"Was trägst du hier in der Tasche?"
Sie greift hinein und hält ihm eine silberne Dose hin, die mit einem roten Stein besetzt ist.
"Es ist mein Wunder, ich habe es gestern gefunden"
Der Beobachter nimmt ihr die Dose aus der Hand und öffnet sie.
Ein kurzes Lächeln spielt um seine Lippen und sein Gesicht wird golden erleuchtet von dem Licht, das unter dem Deckel zum Vorschein kommt.
"Ein schönes Wunder hast du da" bemerkt er, dann aber wird er sehr ernst.
"Solange du hier arbeitest, werde ich es für dich aufbewahren, wenn du irgendwann einmal gehst, kannst du kommen und es holen".
Traurig willigt sie ein, denn sie weiss, dass es lange dauern wird, bis sie gehen kann. Noch muss sie an der Uhr bleiben, noch muss sie sparen und vielleicht irgendwann... aber sie weiss auch, er hat recht, der Beobachter hat immer recht.

Dieser lässt die Dose in einer Tasche seines Umhanges verschwinden, legt ihr die Hand um die Schulter und begleitet sie nach unten.
Dort schlüpft sie aus der Tür und läuft der Reihe nach, die soeben vorbeigezogen ist.

Er aber steigt noch einige Treppen tiefer, holt die Dose hervor und legt sie in die Kammer zu all den anderen vergessenen Wundern.
 

Rainer

Mitglied
hallo pink elb,

sicherlich ist es nicht das richtige wort, aber ich finde deinen text surrealistisch. erinnert mich an die stimmung, die z.b. fritz langs "metropolis" bei mir hinterlassen hat, aber mit wohltuend bedeutend weniger pathos.

ein klitzkleines problem habe ich mit dem folgenden satz:
"Um den Fuß der Maschine dreht sich eine lange Stange, die die vielen Zahnräder antreibt."

erstens versuche ich immer "die die "konstruktionen zu vermeiden, und
zweitens fehlt mir das bild dazu. ich stelle mir eine stange vor, die durch den fuss der maschine geht, aber dann passt das um wieder nicht. wie wäre z.b. mit:
"Im Fuss der Maschine..."

ausserdem würde mir besser gefallen, wenn die stange von den menschen GEtrieben und nicht BEtrieben würde.

sind aber alles nur kleinigkeiten; ansonsten gefällt mir dein text ausgezeichnet.

viele grüße

rainer
 

pink_elb

Mitglied
hallo rainer

es freut mich, dass der text eine surrealistische Stimmung rüberbringt!

Die Stange zu beschreiben, hat mir während dem Erzählen schon irgendwie Probleme gemacht und ich bin echt dankbar, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.

Eigentlich war es in meinem Kopf erst so, dass sich die Stange aussen um den Fuss dreht.... mit deinem Ansatz "Im Fuss...." ist ein anderes und viel besser passendes Bild entstanden!! - DANKE! -

Hab´s geändert und hoffe, dass es jetzt bildlicher beschrieben ist... - diese "die-die Konstruktion" hat mich selber auch gestört, fällt aber eh weg jetzt ...


Also, danke nochmal für´s feedback,
schönen abend,
simone .... oder
 
S

Stoffel

Gast
Hallo,

ach so, ich dachte, als sie wieder ging, hatte sie Hoffnung.Auch wenn man liest, das der Beobachter..diese nahm..denke ich doch, das sie mit einem hoffnungsvollen Gefühl ging.

So..muss auch was tun..
schönen Tag
lG
Sanne
 

pink_elb

Mitglied
hoffnung....

ja - naja - so eine hoffnung mit fragezeichen (vielleicht, irgendwann) - aber ich will´s nicht übertreiben mit der hoffnung.. :)
lieben dank aber für dein input!!
gute nacht,
 



 
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