Das erste Mal
„Wenn es jetzt nicht bald vorangeht, werden wir nachhelfen müssen“, drohte der Gynäkologe im Kreißsaal, andere Saiten aufzuziehen. Seit Stunden kreißte ich nun gemütlich vor mich hin, bester Laune und fest davon überzeugt, mein Baby aus eigener Kraft an die Luft befördern zu können.
Der werdende Vater verhielt sich indifferent. Er stützte mich, wenn ich gestützt werden wollte, spazierte mit mir die Gänge der Klinik entlang, Treppauf und -ab, drehte mit mir Runde um Runde im Krankenhauspark und las ansonsten zum Zeitvertreib sein „Time Magazine“.
Und es gab eine Menge Zeit zu vertreiben. Die Art und Weise, in der Geburten in Film und Fernsehen oft dargestellt werden, entspricht nämlich keineswegs den Tatsachen. Sie ist vielmehr derart verschieden von den wahren Abläufen, dass ich schon oft den Verdacht hatte, die Drehbücher zu diesen Werken wären von einer nur entfernt verwandten Spezies, wie etwa Zierfischen verfasst worden. - Hochschwangere greift sich mit einem Schrei an den geblähten Leib, presst: "... es geht los!" zwischen den Zähnen hervor, wird vor Schmerz schreiend zusammengekrümmt in einer rasenden Alarmfahrt in die Klinik transportiert, und zack, ist das Kind geboren. - Von alphabetisierten Guppies* erdacht, gar kein Zweifel.
Etwas wortkarg war mein Bester, denn eigentlich hatte ihn die Idee, bei der Geburt dabei zu sein nicht gerade elektrisiert. Nur weil ich meinte, er wäre daran beteiligt gewesen, das Baby da rein zu kriegen, nun möge er sich bitte auch beim Rauskommen nützlich machen, hatte er sich schließlich breitschlagen lassen. Nicht sehr schön, den Mann zu zwingen. Andererseits sah ich es so, dass auch ICH keine Wahl hatte - kleinlich und egoistisch, ja, ich weiß.
Es ist nicht ganz risikolos, als ‚Erstgebärende’ bester Laune und allzu selbstbewusst in einer großen Entbindungsklinik aufzulaufen. Das wird nicht gern gesehen. Von Hochschwangeren in den Wehen wird dort eher eine Haltung á la „zu Hülf, Ihr Weisen, errettet mich!“ erwartet. Das hatte ich in meiner Euphorie, bald dem kleinen Wesen, das da seit Monaten in meinem Inneren herumtobte in die Augen blicken zu können, glatt übersehen. Dabei waren die Zeichen mehr als deutlich.
„Frau Jaja, wir machen zuerst mal einen Einlauf.“
Frau Jaja lehnte dies dankend ab, immerhin hatte sie vergangene Nacht - seit Beginn der ersten schüchternen Wehen - schon mehr als zwanzig Mal ... aber wer will das schon so genau wissen.
„Hier, nehmen Sie ein Buscopan, dann geht der Muttermund schneller auf.“
Ich hatte es absolut nicht eilig, wollte auch meinen Muttermund nicht hetzen und lehnte wieder dankend ab.
Damit war es geschafft. Die Klappen fielen: klare Sache - eine von diesen „Natürliche-Geburt“-Nervensägen ...
Sie stellten sich der Herausforderung, eine offensichtlich verbohrte Individualistin von den Segnungen der modernen Medizin zu überzeugen. Wozu war ich schließlich in die Klinik gekommen, wenn ich doch alles allein machen wollte. Sie zeigten mir all die großartigen modernen Maschinen, die der Kreißsaal zu bieten hatte (ja, auch die Maschine mit dem "Ping!" war dabei). Ich war sehr beeindruckt. Später stritten sie geradezu darum, wer die Fruchtblase aufpieken dürfte, hingen mich an den Wehentropf und andere hochinteressante Gerätschaften und taten auch sonst alles erdenkliche, mir die Flausen auszutreiben. Es gelang ihnen.
Ich will hier niemanden mit weiteren Details langweilen, nur soviel: wenn frau denkt, NUN wäre es wirklich nicht mehr zum Aushalten, ist es bald vorbei. Tatsächlich. Bald.
Natürlich ist es reine Propagande, frau würde direkt nach vollbrachter Entbindung, einzig durch den lieblichen Anblick des frischgepressten neuen Erdlings all die erlebte Qual und Pein vergessen. Nichts dergleichen. Könnte ein Mann es jemals vergessen, eine mit Reißzwecken gespickte Honigmelone geschissen zu haben? Na bitte.
Mir wäre es aber auch gar nicht recht, mich nicht daran erinnern zu können. Nur ein Beispiel: War früher das Wort "Zahnarzt" geeignet, mich in irrationale Panik zu versetzen, gehe ich heute lächelnd, ein munt'res Liedchen trällernd in die Praxis des Dentisten meines Vertrauens. Das erlebte Wissen um die Elastizität des weiblichen Körpers läßt mich mit größter Gelassenheit in die Zukunft blicken.
Was sollte mich schon noch schrecken?
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*Guppies sind nette kleine Fischlein, die sich geradezu RASEND vermehren. Sie werden bezeichnenderweise auch "Millionenfische" genannt und gebären lebende Junge, statt z.B. Eier abzulegen wie die meisten anderen Fischarten.
„Wenn es jetzt nicht bald vorangeht, werden wir nachhelfen müssen“, drohte der Gynäkologe im Kreißsaal, andere Saiten aufzuziehen. Seit Stunden kreißte ich nun gemütlich vor mich hin, bester Laune und fest davon überzeugt, mein Baby aus eigener Kraft an die Luft befördern zu können.
Der werdende Vater verhielt sich indifferent. Er stützte mich, wenn ich gestützt werden wollte, spazierte mit mir die Gänge der Klinik entlang, Treppauf und -ab, drehte mit mir Runde um Runde im Krankenhauspark und las ansonsten zum Zeitvertreib sein „Time Magazine“.
Und es gab eine Menge Zeit zu vertreiben. Die Art und Weise, in der Geburten in Film und Fernsehen oft dargestellt werden, entspricht nämlich keineswegs den Tatsachen. Sie ist vielmehr derart verschieden von den wahren Abläufen, dass ich schon oft den Verdacht hatte, die Drehbücher zu diesen Werken wären von einer nur entfernt verwandten Spezies, wie etwa Zierfischen verfasst worden. - Hochschwangere greift sich mit einem Schrei an den geblähten Leib, presst: "... es geht los!" zwischen den Zähnen hervor, wird vor Schmerz schreiend zusammengekrümmt in einer rasenden Alarmfahrt in die Klinik transportiert, und zack, ist das Kind geboren. - Von alphabetisierten Guppies* erdacht, gar kein Zweifel.
Etwas wortkarg war mein Bester, denn eigentlich hatte ihn die Idee, bei der Geburt dabei zu sein nicht gerade elektrisiert. Nur weil ich meinte, er wäre daran beteiligt gewesen, das Baby da rein zu kriegen, nun möge er sich bitte auch beim Rauskommen nützlich machen, hatte er sich schließlich breitschlagen lassen. Nicht sehr schön, den Mann zu zwingen. Andererseits sah ich es so, dass auch ICH keine Wahl hatte - kleinlich und egoistisch, ja, ich weiß.
Es ist nicht ganz risikolos, als ‚Erstgebärende’ bester Laune und allzu selbstbewusst in einer großen Entbindungsklinik aufzulaufen. Das wird nicht gern gesehen. Von Hochschwangeren in den Wehen wird dort eher eine Haltung á la „zu Hülf, Ihr Weisen, errettet mich!“ erwartet. Das hatte ich in meiner Euphorie, bald dem kleinen Wesen, das da seit Monaten in meinem Inneren herumtobte in die Augen blicken zu können, glatt übersehen. Dabei waren die Zeichen mehr als deutlich.
„Frau Jaja, wir machen zuerst mal einen Einlauf.“
Frau Jaja lehnte dies dankend ab, immerhin hatte sie vergangene Nacht - seit Beginn der ersten schüchternen Wehen - schon mehr als zwanzig Mal ... aber wer will das schon so genau wissen.
„Hier, nehmen Sie ein Buscopan, dann geht der Muttermund schneller auf.“
Ich hatte es absolut nicht eilig, wollte auch meinen Muttermund nicht hetzen und lehnte wieder dankend ab.
Damit war es geschafft. Die Klappen fielen: klare Sache - eine von diesen „Natürliche-Geburt“-Nervensägen ...
Sie stellten sich der Herausforderung, eine offensichtlich verbohrte Individualistin von den Segnungen der modernen Medizin zu überzeugen. Wozu war ich schließlich in die Klinik gekommen, wenn ich doch alles allein machen wollte. Sie zeigten mir all die großartigen modernen Maschinen, die der Kreißsaal zu bieten hatte (ja, auch die Maschine mit dem "Ping!" war dabei). Ich war sehr beeindruckt. Später stritten sie geradezu darum, wer die Fruchtblase aufpieken dürfte, hingen mich an den Wehentropf und andere hochinteressante Gerätschaften und taten auch sonst alles erdenkliche, mir die Flausen auszutreiben. Es gelang ihnen.
Ich will hier niemanden mit weiteren Details langweilen, nur soviel: wenn frau denkt, NUN wäre es wirklich nicht mehr zum Aushalten, ist es bald vorbei. Tatsächlich. Bald.
Natürlich ist es reine Propagande, frau würde direkt nach vollbrachter Entbindung, einzig durch den lieblichen Anblick des frischgepressten neuen Erdlings all die erlebte Qual und Pein vergessen. Nichts dergleichen. Könnte ein Mann es jemals vergessen, eine mit Reißzwecken gespickte Honigmelone geschissen zu haben? Na bitte.
Mir wäre es aber auch gar nicht recht, mich nicht daran erinnern zu können. Nur ein Beispiel: War früher das Wort "Zahnarzt" geeignet, mich in irrationale Panik zu versetzen, gehe ich heute lächelnd, ein munt'res Liedchen trällernd in die Praxis des Dentisten meines Vertrauens. Das erlebte Wissen um die Elastizität des weiblichen Körpers läßt mich mit größter Gelassenheit in die Zukunft blicken.
Was sollte mich schon noch schrecken?
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*Guppies sind nette kleine Fischlein, die sich geradezu RASEND vermehren. Sie werden bezeichnenderweise auch "Millionenfische" genannt und gebären lebende Junge, statt z.B. Eier abzulegen wie die meisten anderen Fischarten.