Das fromme Pferd

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ergusu

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Das fromme Pferd

In der Gemeinde Brachwitz flüsterten die Einwohner hinter vorgehaltener Hand, dass Pfarrer Böckelmann zum Teufel gefahren sei, weil er Gott provoziert habe.
Ich konnte das nicht glauben, aber als der kommunistische Bürgermeister sein Parteibuch abgab und Mitglied der Kirche wurde, war ich neugierig geworden - privat, wie auch als kleiner Provinzredakteur, der auf einen beruflichen Durchbruch hoffte.
Nur mit Mühe konnte ich den Küster überreden, mich zu empfangen, und so fuhr ich an einem Samstag Nachmittag mit meinem Fahrrad zum Ort des Geschehens. Links von mir sah ich den sich dahinwälzenden grauen Fluss, rechts die rötlichen Felsen von Brachwitz, zwischen denen der Teufel sein Unwesen treiben sollte. Als der Küster mich sah, wurde er sehr verlegen, denn er hatte wohl Angst bekommen, über jenes Ereignis zu reden. Nach einigem Zögern und ‚Drei Vater unser’ erlaubte er mir, die nachfolgende Geschichte aufzuschreiben und mit Gottes Willen bekanntzugeben.

Der Amtsvorgänger von Pfarrer Böckelmann war ein Geistlicher namens Peterson, der die Frömmigkeit deutlich übertrieb. Er liebte Tiere über alles, und da er zu faul war, seine seelsorgerischen Pflichten zu Fuß zu erledigen, kaufte er sich ein Pferd namens Lotte und eine alte Kutsche.
Lotte hinkte ein wenig und war dürr und klapprig, aber sie war auch sehr intelligent. Pfarrer Peterson lehrte das Pferd, vor dem Fressen die Augen zu schließen und nicht eher sich der Krippe zuzuwenden, bis er das Gebet gesprochen hatte.
Beim abschließenden Amen wieherte Lotte.
Aber sie lernte noch mehr. So konnte sie bald die Lieder für den Gottesdienst aussuchen, indem sie mit der Zunge das Gesangsbuch umblätterte, welches auf der Futterkrippe lag. Die entsprechende Seite notierte der Geistliche, schloss das Buch wieder und wartete geduldig auf die nächste Auswahl. Nur einmal war er mit Lotte unzufrieden, da sie einige Seiten aufgefressen hatte. Aber Hochwürden verzieh Lotte.
Besonders erfolgreich gelang die Dressur mit der Kutsche. Nach dem Kommando: „Gott sei Dank“ trabte Lotte los, und bei „Amen“ stand sie ruckartig, wedelte mit dem Schwanz und schaute mindestens fünf Sekunden nach links. Allerdings schlich sich auch ein Trainingsfehler ein, denn wenn der Pfarrer nieste, pinkelte das Pferd. Und immer, wenn Hochwürden mit einer Erkältung unterwegs war, freuten sich die Kinder und bedauerlicherweise auch ein Sozialdemokrat. Die beiden Liberalen im Ort erklärten bei jedem Wasserstrahl: „Das kommt davon, wenn ein Pferd nicht liberal denkt.“
Pfarrer Petersohn führte Lotte auch dem Bischof vor, der nach einiger Bedenkzeit entschied, dass sie offiziell in den Kirchendienst gestellt wurde. Lotte bekam einen Arbeitsvertrag, wurde tariflich entlohnt und sollte nach zehn Jahren Pflichterfüllung eine Rente erhalten. Als Pfarrer Peterson in Pension gehen musste, war das Pferd leider erst neun Jahre im Dienst. Der frommen Lotte blieb nichts anderes übrig, als sich seinem neuen Herrn, dem Pfarrer Böckelmann, zu fügen, denn es wollte keine Rente mit Futterabschlag hinnehmen.
Der neue Pfarrer kam von Anfang an mit Lotte nicht zurecht, denn er bestand darauf, die Kirchenlieder selbst auszusuchen. Nun fühlte sich Lotte unterfordert und biss sogar an einem Sonntag einem Gläubigen das Gesangsbuch aus der Hand. Schließlich vergaß Lotte zu fressen, weil sie vor der Futterkrippe die Augen schloss und auf das Gebet wartete.
An einem Sonntag wurde der Pfarrer von einem Sozialempfänger zum Gänsebraten eingeladen. Wie gewohnt spannte er an, rief zu Lotte: „Gott sei Dank“ und die Kutschfahrt begann. An den Kreuzungen rief Pfarrer Böckelmann: „Amen“, und das Tier stoppte gelehrig und schaute fünf Sekunden nach links. Brachwitz hat einige Kreuzungen, der Pfarrer war hungrig und die Zeit knapp geworden. Da ärgerte er sich über die nach seiner Meinung unnötigen fünf Sekunden Standzeit, die sich schnell aufaddierten.
Diese Ungeduld beschleunigte das Ende des Geistlichen. An der großen Kreuzung reichte es ihm. Er beschimpfte Lotte und rief wütend: „Zum Teufel mit dir.“
Das fromme Tier war solche eine Behandlung nicht gewöhnt, zitterte vor Erregung und folgte seinem siebten Sinn. Es raste samt Kutsche und dem wütenden Pfarrer auf einem Seitenweg bis in die Brachwitzer Alpen, wo - wie wir wissen - der Teufel in den Schluchten lauern sollte.
Viel zu spät erkannte der Geistliche, dass ihm das Stopkommando nicht mehr einfiel. Mit Entsetzen sah er links und rechts die rötlichen Felsen und glaubte schon, das Höllenfeuer zu sehen. Plötzlich sah er von weitem die gefürchtete Schlucht. Er furzte, er schwitzte, er sprach ein Stoßgebet zu Gott. Der hatte offenbar ein Einsehen, denn Pfarrer Böckelmann fiel das rettende Wort ein. „Amen“, schrie er laut und tatsächlich stand das Pferd zitternd und ruckartig einen Meter vor dem Abgrund. Da lehnte sich der Pfarrer erschöpft zurück und sagte: „Gott sei Dank.“
 

Andrea

Mitglied
5 von 10 Punkten

Die Geschichte hat einen Haken: Ich kenne den Witz, auf dem sie beruht. Zwar hast du ihn um einiges erweitert und eine ganz passable Geschichte daraus gestrickt, aber zumindest beim Ich-Erzähler und der Struktur mit der Einleitung möchte Zweifel anmelden, ob das nicht etwas zu umständlich ist und ein direkte Erzählung nicht besser gewesen wäre.

Aber es ist recht unterhaltsam geschrieben, wenn auch für meinen Geschmack etwas zu gewollt witzig. Dennoch netter Durchschnitt.
 



 
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