Das goldene Licht des ewigen Lebens

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galaxykarl

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Das goldene Licht des ewigen Lebens

1. Stunde

„Dr. Hauss.“ Die Krankenschwester schüttelte den Arzt heftig an der Schulter. „Dr. Hauss, wachen Sie auf!“ Sie drehte sich um und machte das Licht im Aufenthaltsraum des Arztes an. Als sie sich ihm wieder zuwandte, hatte er sich schon aufgerichtet. Zahllose Male war er schon auf ähnlich unsanfte Art geweckt worden. Und immer war es nötig gewesen, ihn aus seinem verdienten Schlummer zu reißen. Verschlafen tastete er nach seiner Brille und blinzelte ihr dabei mit verschwollenen Augen ins Gesicht.

„Katrin, was gibt es, dass Sie schon wieder versuchen, mich umzubringen?“, murmelte er nicht ganz ernst. „Brennt die Station oder haben wir heute Nacht mehr als einen umgebracht?“, fragte er mit schon deutlicherer Stimme, aber immer noch mit halb geschlossenen Lidern. Wo habe ich nur meine verdammte Brille hingelegt?

„Weder noch, Doktor, aber Sie sollten sofort eine Visite machen.“ Ihre Stimme schwankte ein wenig, hatte Sie doch gerade dem Oberarzt der Intensivstation mehr oder weniger einen Befehl erteilt. Oder hörte er einen Anflug von Panik in ihrer Stimme? Nein, eher Erstaunen.

„Eine Visite? Um vier Uhr morgens?“ Er hatte seine Brille immer noch nicht auf, konnte aber die feinen Linien der Ziffern auf seiner Armbanduhr einwandfrei erkennen. Nun war es an ihm, erstaunt zu sein.

„Ich... es tut mir leid, aber der diensthabende Arzt hat nach Ihnen verlangt, Doktor. Er weiß sich keinen Rat und hat mich gebeten...“, lenkte sie ihn von seiner Suche ab.

„Ist schon gut Katrin, ich komme ja. Aber seien Sie so gut und besorgen mir einen anständigen Kaffee, ja? Nicht die Plörre aus der Kantine, sondern von dem guten Schwesternkaffee.“ Er lächelte sie dabei an und sie strahlte zurück, zufrieden die Verantwortung los zu sein.

„Aber gern.“ Sie wollte aus dem Zimmer eilen.

„Stopp, Schwester. Wo ist Dr. Münnering jetzt?“

„Oh, Entschuldigung, in Raum 7 bei dem Feuerwehrmann. Er... er ist aufgewacht und hat nach Essen verlangt.“

„Er hat was?“ Bevor sie ihm antworten konnte, stürmte Dr. Hauss an ihr vorbei und hatte nach dreißig Schritten Raum 7 erreicht. Dr. Münnering stand, umgeben von zwei Assistenzärzten und einer weiteren Schwester, vor dem Bett des Feuerwehrmannes und lachte gerade herzhaft, als er Dr. Hauss bemerkte.

„Guten Morgen, Hannes.“, begrüßte ihn Münnering. „Du siehst schrecklich aus.“

„Danke, du auch.“, spottete Dr. Hauss und schob sich durch die Gruppe zum Patienten vor. Der saß scheinbar quietschvergnügt aufrecht im Bett und blinzelte der zweiten Schwester zu. Mit einem Blick überflog Hauss die Anzeigen der Überwachungsgeräte und Monitore. Ausnahmslos zeigten sie grüne Werte an.

„Vielen Dank, Doktor, Sie haben mich wieder zusammengeflickt.“, begann der Feuerwehrmann, bevor Hauss auch nur ein weiteres Wort sagen konnte. „Muss mich schwer erwischt haben, wenn ich hier auf der Intensiv liege, was? Wie lange war ich denn weg?“, fragte er, eher neugierig als besorgt.

„Viereinhalb Wochen.“, entgegnete Dr. Hauss automatisch und staunte immer mehr. Ein zweites Mal kontrollierte er die Anzeigen, dieses Mal aber konzentriert und vollständig.

„Wochen?!“ Nun zeigte der bullige Mann doch, dass auch er Nerven hatte. „Was... was hat mich denn erwischt?“

„Sie haben die volle Wucht einer Gasexplosion abbekommen.“, sprang Dr. Münnering für den immer aufgeregter werdenden Hauss ein. „Ihre Haut war zu 40% verbrannt und wir haben Sie in ein künstliches Koma gelegt, um die anderen Verletzungen behandeln zu können. Dreifacher Bruch des Beckens, Splitterbrüche in beiden Beinen und einen Lungenriss.“, zählte Münnering auf.

„Oh Mann, ich hab´ nen vollen Filmriss. Kann mich nur noch daran erinnern, wie ich mit zwei Jungs die Treppe hoch stürmte. Wie geht es den beiden?“

„Die haben nur leichte Schrammen, die Wucht hat sie gegen ihre Kollegen geschleudert. Sie wirkten wie ein Schutzschild für die beiden.“, warf jetzt Dr. Hauss ein und unterbrach seine Untersuchung, die er während des Gespräches der beiden vorgenommen hatte. Wieder suchte er nach seiner Brille, fand sie nicht und setzte sich auf den Bettrand. „Sie sind völlig gesund...“, sagte er langsam und betont. „Ihre Haut ist zwar etwas rosig, aber jede Verbrennung ist verschwunden. Kein sichtbares Narbengewebe, keine Schwellungen an den Bruchstellen ihrer Beine und am Becken, sogar die Nähte von ihrer Lungen-OP sind weg...“

„Nun, Doktor, ich danke Ihnen nochmals. Sie haben´s hingekriegt. Was haben Sie gemacht?“ So langsam dämmerte es dem Feuerwehrmann, dass sein Zustand nicht seinen Verletzungen entsprach.

„Nichts. Ich meine Nichts außer der Lungen-OP und Ihrer Brüche. Da Sie im künstlichen Koma lagen, haben wir auf die Gipse verzichtet, sie konnten sich ohnehin nicht bewegen...“, seine letzten Worte verloren sich fast in Gemurmel.

„Und meine Haut? Sie sagten, sie wäre zu – wie viel Prozent – verbrannt gewesen?“

„40.“

„Was haben Sie gemacht? Eine Hauttransplantation oder so was?“

„Nein, nichts.“, sagte Dr. Hauss und fand endlich seine Brille in der rechten Seitentasche seines Kittels. Mechanisch setzte er sie auf und sah schlechter als ohne sie. Er setzte sie wieder ab und blickte in die Gesichter der Umstehenden. Gestochen scharf. Wieder schob er die Brille auf seine Nase, wieder war das Bild verschwommen. Verwirrt nahm er sie ab und schob sie zurück in die Kitteltasche. „Ich brauche sie nicht mehr.“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu seinem Team.

3. Stunde

„...berichten wir live für CBA-KA aus Downtown-Philadelphia. Unsere Reporterin vor Ort ist Maggy Santiago. Maggy, was gibt es Neues vom Bandenkrieg? Wir hörten von bisher 18 Toten auf beiden Seiten innerhalb der letzten beiden Tage...“

„Ja, Chris, das ist richtig. Die Black-Diamand-Rippers und die Dragon-Skins liefern sich seit 2 Jahren eine erbitterte Schlacht um die Vorherrschaft in dem von beiden beanspruchten Viertel der Stadt. Bisher war es der Polizei nicht gelungen, dem Einhalt zu gebieten. Stadtrat Monroe wirft dem Bürgermeister und Polizeichef Harris vor, dies mit voller Absicht zu unterlassen. Scheinbar ist man im Bürgermeisterbüro der Meinung, dass sich die beiden Gangs gegenseitig so dezimieren sollen, dass es am Ende den Behörden leichter fällt, den Rest einzukassieren.“

„Das ist zynisch, Maggy. Was sagt außer Stadtrat Monroe der Rest der Opposition zu diesem Verhalten?“

Die Kamera schwenkte ein wenig zur Seite, um neben der Reporterin einen Blick auf den Stadtpark zu ermöglichen, in dem im Hintergrund zwei Sanitätsfahrzeuge und etliche Polizeiwagen zu sehen waren. Zwischen blinkenden Lichtern waren im vollen Tageslicht drei unverhüllte Männer zu sehen, die blutüberströmt am Boden lagen. Trotz der Entfernung konnte man bei zweien die glatt rasierten Köpfe der chinesischen Dragon-Gang erkennen, die dritte Leiche war ein Schwarzer mit seiner typischen schwarzen Lederjacke mit aufgenähten Diamanten.

„Aus den Reihen der Republikaner haben sich fast alle geschlossen hinter Stadtrat Monroe gestellt und ein sofortiges scharfes Vorgehen der Polizei verlangt.“ Maggy Santiago drehte sich zur Seite und deutete auf eine Gruppe von Beamten, die einen schmalbrüstigen Chinesen in Richtung auf einen vergitterten Transporter abführten. „Die Festnahme von Yu-Cho Shienn stellt nach Meinung des Bürgermeisters einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung...“

Noch während die Reporterin sprach, raste mit kreischenden Reifen eine Corvette um die Ecke. Aus dem Fahrzeuginneren ragten die Läufe von mehreren automatischen Waffen, die in diesem Augenblick zu feuern begannen. Das Knattern der Schüsse mischte sich mit den Schreien der Polizisten und der Sanitäter, die sich hinter ihre Fahrzeuge warfen. Die Beamten rissen ihre Waffen aus den Halftern und erwiderten das Feuer. Die Corvette war tiefschwarz lackiert, auf der Motorhaube ein riesiger Diamant gesprayt. Das Logo der Black-Diamond-Rippers. Die Menge der neugierigen Gaffer spritzte auseinander wie ein Wassertropfen der auf Beton klatscht.

Maggy Santiago duckte sich hinter eine niedrige Grundstücksmauer, während ihr Kameramann nur soweit herunterging, dass die Linse gerade noch über den Rand der Mauer das Geschehen aufnehmen konnte. Weder das wütende Gegenfeuer der Polizei, noch die Anwesenheit hunderter Beobachter hielt die Corvette davon ab, unmittelbar vor dem Chinesen in Handschellen anzuhalten und gezielt auf die Dreiergruppe aus Verhafteten und zwei Beamten zu schießen.

Alle drei wurden getroffen und sanken zu Boden. Für einige Sekunden setzte der Beschuss der schwarzen Gang aus, aber nur, um neue Magazine in die Waffen zu stecken. Diese Momente nutzten die umstehenden Polizisten, um einen Ring um die Szene zu schließen und nun konzentriert auf den Wagen zu feuern. Die Kamera des Fernsehteams zoomte auf den Wagen und die Öffentlichkeit konnte jede einzelne Kugel in das Wagenblech einschlagen sehen.

Für ein, zwei Sekunden schob sich ein gold-gleißender Vorhang durch die Szene, dann herrschte plötzliche Stille, einzig unterbrochen vom Stöhnen der am Boden liegenden Getroffenen. Kein weiterer Schuss fiel, weder seitens der Polizei, noch von den Schwarzen, die nun langsam aus der zerschossenen Corvette stiegen.

Maggies Kameramann war kaltblütig genug, um sich aufzurichten. Aus den Augenwinkeln sah er das goldene Leuchten direkt auf sich zukommen und schwenkte die Linse in diese Richtung. Mit der Geschwindigkeit der Terminatorlinie glitt der Vorhang aus Gold über ihn hinweg. Mit geübter Drehung verfolgte die Kamera den Weg des Vorhanges, der sich nach wenigen Augenblicken in den Häuserschluchten verlor und nur noch oberhalb der Skyline zu sehen war. Allerdings schien es nach oben keinerlei Ende zu geben. Das goldene Licht vermischte sich weit oben mit dem Strahlen der Sonne, bis es nicht mehr zu sehen war.

Maggy erhob sich hinter der Mauer, blickte zuerst in Richtung des verschwindenden Leuchtens, dann zurück zum Ort der Schiesserei. Dort erhoben sich gerade die vorher zu Boden gesunkenen Polizisten und der Dragon-Skin, zwar blutverschmiert, aber scheinbar nicht tödlich verletzt. Niemand hatte noch Waffen in der Hand, die entweder achtlos auf der Straße oder im Gras lagen. Die Getroffenen blickten überrascht erst um sich, dann auf ihre vermeintlichen Wunden. Keiner wies auch nur die geringste Verletzung auf.

Der Chinese, vier Schwarze der Black-Diamond-Rippers und fast fünfzig Polizeibeamte standen dicht an dicht, unbewaffnet, wortlos. Die langsam näher kommende Menge der Passanten war ebenso sprachlos, wie Maggy Santiago, die mit herabhängendem Mikrofon neben ihrem Kameramann dem am Horizont verblassenden goldenen Licht nachsah.

Stunde 8

„Liebe Brüder und Schwestern. Der Tag ist gekommen, auf den wir, unsere Gemeinde, ja die ganze Welt, so lange gewartet haben.“ Der Prediger setzte sein Standardlächeln auf. „Halleluja!“

„Halleluja!“, antwortete die Menge, die neugierig auf den Bänken saß und mit allen möglichen Dingen sich ein wenig frische Luft zuzufächeln versuchte. Es war heiß in der Kirche und die bis auf den letzten Platz belegten Bänke waren mit schwitzenden Gläubigen gefüllt.

„Der Tag ist noch nicht einmal zur Hälfte beendet und schon sind die Werke des Herrn überall auf dieser Seite des Planeten zu beobachten.“ Er ging auf den Rand der Bühne zu, wollte seinem Publikum so nahe wie möglich sein. „Habt ihr das Zeichen gesehen?“, rief er ihnen zu und als niemand sofort in seinem Sinne antwortete, schrie er lauter. „Habt ihr nicht das goldene Zeichen des Herrn gesehen?“

Einige riefen ihm ein zaghaftes Ja zu, andere wussten nicht, von welchem Zeichen der Prediger sprach.

„Ihr habt es nicht gesehen?!“ Ein wenig mitleidiges Staunen, ein wenig Verständnis ob der Ahnungslosigkeit seiner Schäfchen erfüllte den großen Mann in dem blütenweißen Anzug. Er begann am Rand der Bühne mit kräftigen Schritten auf und ab zu gehen.

„Ihm armseligen Sünder habt mehr als zweitausend Jahre auf den Herrn gewartet und wenn er kommt, erkennt ihr ihn nicht?“, donnerte sein Vorwurf auf sie nieder. Er blieb stehen und riss die Arme in die Höhe. „Oh, Herr, vergib Ihnen, Sie sind mehr mit Computern und Geld beschäftigt, als damit, auf deine Zeichen zu achten.“

Er senkte die Arme wieder und ging zurück in die Mitte der Bühne und drückte einen Knopf. Ein hochmoderner Beamer warf in bester Qualität Filmszenen auf eine riesige Projektionswand hinter ihm. Die Bühnenautomatik dimmte ein wenig die Beleuchtung herunter, damit auch die hinteren Reihen alles perfekt sehen konnten. Geschickt verfolgte den Prediger ein Beleuchter mit einem Spot, der seinen weißen Anzug wie in einer Diskothek zum Strahlen brachte. Der Prediger wirkte wie ein Prophet, eine Lichtgestalt im wahrsten Sinne des Wortes. Moderne Technik war ihm nicht unangenehm, er unterschied sich hier von vielen seiner Zunft.

„Seht auf das Werk unseres Herrn!“ Sein rechter Arm zeigte kerzengerade auf die Schiesserei des Vormittages in Philadelphia, welche er mittels Beamer an die schneeweiße Wand projiziert hatte. Als der Moment mit dem goldenen Schleier kam, fror er das Bild mit einem Klick seiner Fernbedienung ein. „Könnt ihr es nun sehen?“, rief er wieder und wandte sich seiner Gemeinde zu.

„Ja.“, kam es vielfältig aus dem Raum. Doch den Stimmen war immer noch die Unverständnis anzuhören.

„Ihr armseligen Sünder.“, wiederholte er seinen Vorwurf. „Ihr erkennt es wirklich nicht.“ Er gab seiner Stimme einen Anflug von Verzweiflung. „Dem Herrn sei gedankt, dass er mich an eure Seite gestellt hat. Nun, ich will euch das Werk des Herrn offenbaren.“, fügte er versöhnlich zu. „Dieses Bild ist eines von Tausenden Ereignissen, die seit heute Morgen überall auf der Erde geschehen sind. Überfälle, Vergewaltigungen, Bürgerkriege, Straßenkämpfe, Mord und Totschlag sind mit einem Wink des Herrn von der Erde getilgt worden.“

Die Menge zu seinen Füßen saß gebannt in ihren Bänken und lauschte endlich mit voller Aufmerksamkeit. Manche Hand mit Strickzeug und anderen Ablenkungen war auf den Schoß niedergesunken und vergessen.

„Dieses goldene Licht beendete all die Gräuel, mit denen unser Land gepeinigt war. Tödlich verwundete Polizisten und Verbrecher erhoben sich unversehrt, als das Licht sie passierte. Von dieser Sekunde an schwiegen alle Waffen und das Licht zog über das Land und hinterließ... FRIEDEN!“ Seine Stimme hatte sich Wort für Wort gesteigert und das letzte davon in Verzückung geschrieen.

„Halleluja!“, donnerte er erneut und dieses Mal kam die Antwort erheblich lauter. „Halleluja!“

„Jawohl, ich habe es gesehen, als ich auf dem Weg hierher an dieser scheußlichen Szene vorbeifuhr.“ Er verschwieg, dass er dabei in seiner kugelsicheren, 15 Meter langen Limousine saß, und die Schiesserei im fahrzeugeigenen Fernseher verfolgte.
„Das goldene Licht hat die Wunden der Menschen geheilt und nicht nur diese! Aus allen Teilen des Landes melden die Nachrichtenagenturen, dass jedweder Mensch, der durch das goldene Licht ging, von allen seinen Krankheiten erlöst wurde. Krankenhäuser, Altenheime, Pflegestationen entlassen von Stunde zu Stunde ihre völlig genesenen Patienten. Im Koma liegende Menschen standen auf, lösten die Verbindungen zu den medizinischen Geräten und gingen nach Hause!“

Nun saß niemand mehr auf seinem Sitz und fast alle erhoben die Hände zum Himmel. Auch die Alten und bisher Gebrechlichen waren aufgesprungen. Sie fühlten sich gut, nein topfit.

„Alle verfügbaren Satelliten beobachten den Lauf des goldenen Lichtes und melden die Einstellung jeglicher Kampfhandlungen in Israel, Palästina, Irak und der bisher vom Licht berührten Erde. In weniger als einem weiteren halben Tag wird der komplette Planet vom goldenen Licht gesegnet werden!“ Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Gleichzeitig drückte er seine Fernbedienung und eine Satellitenaufnahme - anscheinend live – zeigte den Weg des Lichtes wie die Linie des Terminators über die Erde streifen.
„Seht ihr nun das Zeichen des Herrn?“, rief er erneut. „Seht ihr es?“

Hundertfaches Ja antwortete ihm.

Stunde 12

„Es war genau ein voller Umlauf.“, sagte Professor Marcel Lucién vom französischen Astronomischen Institut und erhob sich von seinem Computer. „Und mit Beendigung erlosch es ohne die geringste Spur zu hinterlassen.“

„Nun, ohne Spur würde ich nicht sagen, mein Freund.“, entgegnete Sabine, seine Assistentin. „Sie werden doch weltweiten Frieden nicht als keine Spur bezeichnen wollen.“

„Nein, natürlich nicht. Aber Sie wissen genau, wie ich es gemeint habe. Das Licht selbst muss ja von irgendwoher gekommen sein oder von etwas...“

„...oder jemand...“, warf sie ein.

„...erzeugt worden sein.“, fuhr er fort. „Oder jemand.“, bestätigte er. „Und um herauszufinden, wer dieser jemand sein könnte, müssen wir nach der Quelle des Lichtes suchen.“

Sie streckte die Arme aus und erhob sich ebenfalls von ihrem Platz. Sie schob das Teleskop zur Seite und ging auf ihren Computerarbeitsplatz zu. „Mein Programm hat den Verlauf des Lichtvorhanges komplettiert und den Startzeitpunkt errechnet. Um genau 8 Uhr und 37 Minuten MEZ muss der Effekt begonnen haben. Und nach exakt einer vollen Planetenumkreisung ist er beendet worden. Allen weltweiten Nachrichten zufolge ist seitdem kein einziger Schuss aus welcher Waffe auch immer abgefeuert worden.“

„Jedes angefragte Krankenhaus bestätigt, dass es leer ist oder in wenigen Minuten sein wird. Alle Patienten sind vollkommen gesundet und zeigen auch keinerlei Spuren ihrer Krankheiten mehr auf. Selbst komatöse Kranke sind von selbst erwacht und unheilbare Krankheiten sind verschwunden. Wahnsinn. Weltweit sind alle Ärzte, Krankenschwester, Pfleger, ja die gesamte Pharmaindustrie arbeitslos.

\"Wahnsinn.“, wiederholte er, ungläubig den Kopf schüttelnd.
„Auch die Militärkonzerne, jede Armee, jeder Waffenhändler ist arbeitslos. Scheinbar will niemand freiwillig noch eine Waffe in die Hand nehmen. Kommt jetzt das Paradies? Oder stürzen wir in den Wahnsinn? Ist dies ein zeitlich begrenzter Effekt oder bleibt es für alle Zeiten so?\"
Professor Lucién schüttelte den Kopf über seine eigenen Worte. „Nein, kein Wahnsinn, es ist… ein Wunder.“

„Oder der Tag des Jüngsten Gerichtes, wenn Sie ein gläubiger Mensch sind, Professor.“ Sie wandte sich ihm zu. „Sie sind doch ein gläubiger Mensch, oder?“

„Nun, ich äh... bin Wissenschaftler.“ Er wandte sich wieder der Arbeit zu. „Zeigen Sie mir doch einmal Ihre Messdaten des ersten Auftretens des Lichtvorhanges.“ Lucién fand die Werte, die er suchte und gab sie in seinen Computer ein. Es dauerte ein paar Minuten, danach wiederholte er drei, vier Mal seine Berechnung, was Sabine neugierig machte. Professor Lucién wiederholte extrem selten eigene Berechnungen, zu sehr war er sich seiner pedantischen Arbeitsweise sicher, als das er befürchten müsste, Leichtsinnsfehler zu begehen. Sie trat an seine Seite und blickte ihm über die Schulter. Nach wenigen Augenblicken hatte sie begriffen, was er machte.

„Sie suchen den Ausgangspunkt der Lichtstrahlen.“, sagte sie.

„Ja, wenn wir alle optischen Beobachtungen mit den zeitlichen Daten korrelieren, ergibt sich ein Winkel, der die Linie des goldenen Lichtes beschreibt. Nachdem der Effekt planetenweit Wirkung zeigte, muss die auslösende Quelle im freien Raum zu suchen sein.“, resümierte er.

„Nicht der Mond.“, warf sie ein.

„Nein, dort nicht. Seine Umlaufzeit um die Erde passt nicht zum Zeitablauf des Strahles. Es muss irgendein Punkt mitten im Raum sein.“, dachte er nach. Er hob den Kopf und blickte Sabine direkt an. Sie saß mittlerweile ruhig in ihrem Drehstuhl neben ihm und nickte.

„Und nicht zu weit entfernt, um auf welchem Himmelskörper auch immer, stationär zu sein.“

„Also mitten im Weltall.“, bestätigte er.

„Ein Raumschiff.“

„Ja.“

Tag 1 der Ewigkeit

Auf der ganzen Welt waren Millionen Menschen damit beschäftigt, dass Ereignis zu besprechen. Es gab nur in entlegenen Gebieten der Wüsten und des Dschungels Bereiche, in denen das Licht kein Thema war. Auch auf einsamen Inseln ohne Verbindung zur Zivilisation wurde der Effekt zwar wahrgenommen, aber aufgrund ohnehin nicht vorhandener Aggressivität nicht richtig bewertet. Man hielt es für ein natürliches Phänomen.

Der erheblich überwiegende Teil des Planeten erging sich jedoch in tausenderlei Spekulationen, bis zu dem Augenblick, an dem sich das Raumschiff in unmittelbarer Nähe der Erde wie aus einem unsichtbaren Kokon schälte. Alle geeigneten Satelliten, Radar- und Beobachtungsstationen konnten es nun ungehindert anmessen.

Das Raumschiff war riesig, mehr als 45 Kilometer an seiner größten Ausdehnung lang und mindestens 8 bis 9 Kilometer dick. Seine Form war unregelmäßig, in keiner Weise symmetrisch oder einer anderen geometrischen Figur ähnelnd. Ruhig schwebte es auf einer stabilen Umlaufbahn und zeigte nicht die geringste Neigung, landen zu wollen.

Es verging in etwa eine Stunde, bis plötzlich alle Fernsehgeräte und Computermonitore der Erde das aktuell ausgestrahlte Programm verloren und ein Bild des Raumschiffes auf den Schirmen zu sehen war. Ebenso verstummten in allen Radio-, Funk- und Mobilgeräten die Sendungen und ein angenehmer Summton ersetzte die unterbrochenen Mitteilungen.

Nach weiteren 2 oder 3 Minuten verschwand das Bild des Raumschiffes und das Gesicht einer Frau erschien auf den Bildschirmen. In den Radiogeräten erlosch das Summen.
Sie war keine Schönheit, aber doch strahlte sie eine Aura aus, die sofort jeden gefangen nahm, der ihr ins offene Gesicht blickte. Ihr Haar war seltsam geschnitten, die Farbe ein mittlerer Braunton, ebenso wie die Färbung ihrer Haut. Sie war keinem irdischen Volk zuzuordnen, aber scheinbar doch menschlich. Den sichtbaren Teil ihres Oberkörpers bedeckte eine einfarbige Kleidung, die weder einen überaus privaten, aber auch keinen besonders militärischen Charakter zeigte. Einzig um den Hals trug sie ein Amulett, das ein fremdes Symbol zeigte. Sie lächelte verhalten, aber viele Betrachter hatten den Eindruck, eine Spur von Traurigkeit in ihren Zügen zu erkennen.

Nach einer Weile begann sie mit ruhiger Stimme zu sprechen. Die Worte, welche aus den Lautsprechern kamen, waren in jeder Landessprache verständlich.

„Mein Name ist Secarme, aber das ist eigentlich nicht wichtig. Es dient nur der Höflichkeit, mich Ihnen allen vorzustellen. Ich bin ein Mensch, wie sie alle, nur nicht auf der Erde geboren, wie sie sich vielleicht denken können.“ Sie machte eine kleine Pause, wie um auf einen Einwand zu warten, der aber nicht kommen würde.

„Im Verlauf der letzten Planetendrehung wurde ihr Planet, bzw. Sie einer Behandlung unterzogen, die unabänderlich Wirkung zeigen wird.“ Wieder machte sie eine kleine Pause. „Sie haben sicherlich schon erkannt, dass nach Passieren der Strahlung jedweder Mensch von allen seinen Krankheiten vollständig und unwiderruflich geheilt wurde. Und wenn ich alle sagte, dann meinte ich alle. Wir... betrachten Aggression gegenüber Artgenossen als Krankheit, selbstverständlich biologisch verursachte Fehler und deren Auswirkungen. Und das Alter...“

Sie war sich bewusst, was sie gerade gesagt hatte, aber Millionen von Menschen benötigten etwas länger, um die Bedeutung ihrer Worte zu begreifen.

„Der wichtigste Bestandteil unserer Behandlung ist die Aufhebung des Alterungsprozesses. Sie werden feststellen, dass – egal welches biologische Alter sie erreicht haben – sie ab heute keinem weiteren körperlichen Verfall unterliegen. Im Gegenteil: Sie alle werden sich zunehmend gesünder, kräftiger und belastbarer fühlen und definitiv auch sein. Einzig noch nicht ausgewachsene Menschen, also Kinder, entwickeln sich weiter, bis sie das Stadium der Adoleszenz erreicht haben. So gesehen, sind sie rein biologisch gesehen...“, sie machte eine kleine Pause. „...unsterblich.“ Ihr bisheriges Lächeln wich jetzt deutlich einer Traurigkeit, die tief sitzen musste.

„Das heißt nicht, dass Sie unverwundbar sind. Jeder von Ihnen – und uns – ist mittels Gewalt verletzbar und kann getötet werden. Es ist aber absolut notwendig, dass ab sofort kein einziges Individuum Ihres Planeten auf diese Weise ums Leben kommt.“ Viele der Zuhörer hatten das Gefühl, das sie die Wörter auf diese Weise seltsam betont hatte.
Sie seufzte unhörbar, aber sichtlich bewegt und holte ein wenig Luft.

„Nun fragen Sie sich, wer wir sind und warum wir Sie in den Genuss der relativen Unsterblichkeit gelangen ließen und diese Fragen sind natürlich berechtigt.“ Sie wandte ihren Blick kurz zur Seite, wie um von einem nicht sichtbaren Gefährten oder einer Gefährtin Ermunterung zu erhalten, aber es war niemand zu hören oder zu sehen.

„Wir sind Bestandteil einer Lebensform, welche sehr dünn gesät ist im bekannten Universum. In den vergangenen Jahrhunderten ist es nur zweimal gelungen, Humanoiden auf anderen Planeten zu entdecken. Sie... Ihr Planet... ist hiermit das dritte, erfreuliche... und viel zu seltene Ereignis dieser Art. Wir selbst betrachten uns nicht unbedingt als Ursprung unserer gemeinsamen Gattung, aber möglich wäre es, da wir von allen Brudervölkern das Älteste zu sein scheinen. Es ist nach Meinung unserer Wissenschaftler nicht unmöglich, dass Sie Nachkommen früherer Kolonisten unseres Volkes sind, es aber vergessen haben. Wir sind biologisch absolut identisch und kompatibel. Die Heilung beweist es.“

Sie senkte für zwei Sekunden den Kopf und erhob ihn nur wie unter schwerer Anstrengung.

„Es tut mir Leid Ihnen eröffnen zu müssen, das wir im Krieg mit einem gnadenlosen Gegner stehen, der in den vergangenen vier Jahrhunderten fast alle unsere bewohnten Planeten überfallen und vernichtet hat. Es existiert nur noch ein einziger Planet mit wenigen Millionen Bewohnern, auf dem sich die Überlebenden unserer Gattung gerettet haben. Bis heute ist es dem Gegner nicht gelungen, diesen Planeten zu finden. Über die Natur des Gegners wissen wir nur soviel, als dass er nicht menschlich ist. Auch über seine Gründe, uns zu hassen und zu jagen, wissen wir nichts. Unsere einzige Hoffnung auf Überleben ist der Kontakt zu weiteren Menschen... zu Ihnen.“
Sie straffte sich innerlich.

„Hiermit bitten wir jeden Menschen auf Ihrem Planeten, uns im Überlebenskampf beizustehen. Sie sind fast 8 Milliarden Individuen, wir sind nur noch wenige Millionen. Wir wissen, dass Sie keine einheitliche Regierung besitzen, die für Sie alle sprechen kann, aber vielleicht können Sie sich innerhalb einer Zeitspanne von 5 Planetenumdrehungen entscheiden.“
In die wieder sichtbare Traurigkeit mischte sich nun ein verzweifelter Zug.

„Es steht Ihnen in doppelter Hinsicht leider nicht mehr Zeit zur Verfügung. Und uns leider auch nicht. In 2 Tagen sind vier weitere Transporter dieser Bauart im Orbit, um Sie – wenn möglich… alle… ohne Ausnahme – aufzunehmen. Die Evakuierung Ihres Planeten wird weitere 2 Tage dauern, dann müssen wir weg sein. Diese Transporter sind nicht bewaffnet.“
Jetzt hatte ihr Gesicht einen unerbittlichen Ausdruck angenommen.

„Am 5. Tag wird ein Kampfschiff des Gegners eintreffen.“

Sie brauchte nichts mehr zu sagen.

- Ende -

Copyright © 2007 by Werner Karl
 

jon

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Herzlich willkommen auf/in/unter der Leselupe!

Bevor die Textarbeit richtig losgeht: Korrigier doch mal bitte die Zeichen-Fehler (auch nach der RS-Reform heißt es nicht „Ach so.", sagte Otto. sondern „Ach so", sagte Otto.) und (gegen Ende) die Absätze (es sind noch ein paar, wo du vergessen hast, die Leerzeile einzufügen).
 

galaxykarl

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Das goldene Licht des ewigen Lebens

1. Stunde

„Dr. Hauss.“ Die Krankenschwester schüttelte den Arzt heftig an der Schulter. „Dr. Hauss, wachen Sie auf!“ Sie drehte sich um und machte das Licht im Aufenthaltsraum des Arztes an. Als sie sich ihm wieder zuwandte, hatte er sich schon aufgerichtet. Zahllose Male war er schon auf ähnlich unsanfte Art geweckt worden. Und immer war es nötig gewesen, ihn aus seinem verdienten Schlummer zu reißen. Verschlafen tastete er nach seiner Brille und blinzelte ihr dabei mit verschwollenen Augen ins Gesicht.

„Katrin, was gibt es, dass Sie schon wieder versuchen, mich umzubringen?“, murmelte er nicht ganz ernst. „Brennt die Station oder haben wir heute Nacht mehr als einen umgebracht?“, fragte er mit schon deutlicherer Stimme, aber immer noch mit halb geschlossenen Lidern. Wo habe ich nur meine verdammte Brille hingelegt?

„Weder noch, Doktor, aber Sie sollten sofort eine Visite machen.“ Ihre Stimme schwankte ein wenig, hatte Sie doch gerade dem Oberarzt der Intensivstation mehr oder weniger einen Befehl erteilt. Oder hörte er einen Anflug von Panik in ihrer Stimme? Nein, eher Erstaunen.

„Eine Visite? Um vier Uhr morgens?“ Er hatte seine Brille immer noch nicht auf, konnte aber die feinen Linien der Ziffern auf seiner Armbanduhr einwandfrei erkennen. Nun war es an ihm, erstaunt zu sein.

„Ich... es tut mir leid, aber der diensthabende Arzt hat nach Ihnen verlangt, Doktor. Er weiß sich keinen Rat und hat mich gebeten...“, lenkte sie ihn von seiner Suche ab.

„Ist schon gut Katrin, ich komme ja. Aber seien Sie so gut und besorgen mir einen anständigen Kaffee, ja? Nicht die Plörre aus der Kantine, sondern von dem guten Schwesternkaffee.“ Er lächelte sie dabei an und sie strahlte zurück, zufrieden die Verantwortung los zu sein.

„Aber gern.“ Sie wollte aus dem Zimmer eilen.

„Stopp, Schwester. Wo ist Dr. Münnering jetzt?“

„Oh, Entschuldigung, in Raum 7 bei dem Feuerwehrmann. Er... er ist aufgewacht und hat nach Essen verlangt.“

„Er hat was?“ Bevor sie ihm antworten konnte, stürmte Dr. Hauss an ihr vorbei und hatte nach dreißig Schritten Raum 7 erreicht. Dr. Münnering stand, umgeben von zwei Assistenzärzten und einer weiteren Schwester, vor dem Bett des Feuerwehrmannes und lachte gerade herzhaft, als er Dr. Hauss bemerkte.

„Guten Morgen, Hannes“, begrüßte ihn Münnering. „Du siehst schrecklich aus.“

„Danke, du auch“, spottete Dr. Hauss und schob sich durch die Gruppe zum Patienten vor. Der saß scheinbar quietschvergnügt aufrecht im Bett und blinzelte der zweiten Schwester zu. Mit einem Blick überflog Hauss die Anzeigen der Überwachungsgeräte und Monitore. Ausnahmslos zeigten sie grüne Werte an.

„Vielen Dank, Doktor, Sie haben mich wieder zusammengeflickt“, begann der Feuerwehrmann, bevor Hauss auch nur ein weiteres Wort sagen konnte. „Muss mich schwer erwischt haben, wenn ich hier auf der Intensiv liege, was? Wie lange war ich denn weg?“, fragte er, eher neugierig als besorgt.

„Viereinhalb Wochen“, entgegnete Dr. Hauss automatisch und staunte immer mehr. Ein zweites Mal kontrollierte er die Anzeigen, dieses Mal aber konzentriert und vollständig.

„Wochen?!“ Nun zeigte der bullige Mann doch, dass auch er Nerven hatte. „Was... was hat mich denn erwischt?“

„Sie haben die volle Wucht einer Gasexplosion abbekommen“, sprang Dr. Münnering für den immer aufgeregter werdenden Hauss ein. „Ihre Haut war zu 40% verbrannt und wir haben Sie in ein künstliches Koma gelegt, um die anderen Verletzungen behandeln zu können. Dreifacher Bruch des Beckens, Splitterbrüche in beiden Beinen und einen Lungenriss“, zählte Münnering auf.

„Oh Mann, ich hab´ nen vollen Filmriss. Kann mich nur noch daran erinnern, wie ich mit zwei Jungs die Treppe hoch stürmte. Wie geht es den beiden?“

„Die haben nur leichte Schrammen, die Wucht hat sie gegen ihre Kollegen geschleudert. Sie wirkten wie ein Schutzschild für die beiden“, warf jetzt Dr. Hauss ein und unterbrach seine Untersuchung, die er während des Gespräches der beiden vorgenommen hatte. Wieder suchte er nach seiner Brille, fand sie nicht und setzte sich auf den Bettrand. „Sie sind völlig gesund...“, sagte er langsam und betont. „Ihre Haut ist zwar etwas rosig, aber jede Verbrennung ist verschwunden. Kein sichtbares Narbengewebe, keine Schwellungen an den Bruchstellen ihrer Beine und am Becken, sogar die Nähte von ihrer Lungen-OP sind weg...“

„Nun, Doktor, ich danke Ihnen nochmals. Sie haben´s hingekriegt. Was haben Sie gemacht?“ So langsam dämmerte es dem Feuerwehrmann, dass sein Zustand nicht seinen Verletzungen entsprach.

„Nichts. Ich meine Nichts außer der Lungen-OP und Ihrer Brüche. Da Sie im künstlichen Koma lagen, haben wir auf die Gipse verzichtet, sie konnten sich ohnehin nicht bewegen...“, seine letzten Worte verloren sich fast in Gemurmel.

„Und meine Haut? Sie sagten, sie wäre zu – wie viel Prozent – verbrannt gewesen?“

„40.“

„Was haben Sie gemacht? Eine Hauttransplantation oder so was?“

„Nein, nichts“, sagte Dr. Hauss und fand endlich seine Brille in der rechten Seitentasche seines Kittels. Mechanisch setzte er sie auf und sah schlechter als ohne sie. Er setzte sie wieder ab und blickte in die Gesichter der Umstehenden. Gestochen scharf. Wieder schob er die Brille auf seine Nase, wieder war das Bild verschwommen. Verwirrt nahm er sie ab und schob sie zurück in die Kitteltasche. „Ich brauche sie nicht mehr“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu seinem Team.

3. Stunde

„...berichten wir live für CBA-KA aus Downtown-Philadelphia. Unsere Reporterin vor Ort ist Maggy Santiago. Maggy, was gibt es Neues vom Bandenkrieg? Wir hörten von bisher 18 Toten auf beiden Seiten innerhalb der letzten beiden Tage...“

„Ja, Chris, das ist richtig. Die Black-Diamand-Rippers und die Dragon-Skins liefern sich seit 2 Jahren eine erbitterte Schlacht um die Vorherrschaft in dem von beiden beanspruchten Viertel der Stadt. Bisher war es der Polizei nicht gelungen, dem Einhalt zu gebieten. Stadtrat Monroe wirft dem Bürgermeister und Polizeichef Harris vor, dies mit voller Absicht zu unterlassen. Scheinbar ist man im Bürgermeisterbüro der Meinung, dass sich die beiden Gangs gegenseitig so dezimieren sollen, dass es am Ende den Behörden leichter fällt, den Rest einzukassieren.“

„Das ist zynisch, Maggy. Was sagt außer Stadtrat Monroe der Rest der Opposition zu diesem Verhalten?“

Die Kamera schwenkte ein wenig zur Seite, um neben der Reporterin einen Blick auf den Stadtpark zu ermöglichen, in dem im Hintergrund zwei Sanitätsfahrzeuge und etliche Polizeiwagen zu sehen waren. Zwischen blinkenden Lichtern waren im vollen Tageslicht drei unverhüllte Männer zu sehen, die blutüberströmt am Boden lagen. Trotz der Entfernung konnte man bei zweien die glatt rasierten Köpfe der chinesischen Dragon-Gang erkennen, die dritte Leiche war ein Schwarzer mit seiner typischen schwarzen Lederjacke mit aufgenähten Diamanten.

„Aus den Reihen der Republikaner haben sich fast alle geschlossen hinter Stadtrat Monroe gestellt und ein sofortiges scharfes Vorgehen der Polizei verlangt.“ Maggy Santiago drehte sich zur Seite und deutete auf eine Gruppe von Beamten, die einen schmalbrüstigen Chinesen in Richtung auf einen vergitterten Transporter abführten. „Die Festnahme von Yu-Cho Shienn stellt nach Meinung des Bürgermeisters einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung...“

Noch während die Reporterin sprach, raste mit kreischenden Reifen eine Corvette um die Ecke. Aus dem Fahrzeuginneren ragten die Läufe von mehreren automatischen Waffen, die in diesem Augenblick zu feuern begannen. Das Knattern der Schüsse mischte sich mit den Schreien der Polizisten und der Sanitäter, die sich hinter ihre Fahrzeuge warfen. Die Beamten rissen ihre Waffen aus den Halftern und erwiderten das Feuer. Die Corvette war tiefschwarz lackiert, auf der Motorhaube ein riesiger Diamant gesprayt. Das Logo der Black-Diamond-Rippers. Die Menge der neugierigen Gaffer spritzte auseinander wie ein Wassertropfen der auf Beton klatscht.

Maggy Santiago duckte sich hinter eine niedrige Grundstücksmauer, während ihr Kameramann nur soweit herunterging, dass die Linse gerade noch über den Rand der Mauer das Geschehen aufnehmen konnte. Weder das wütende Gegenfeuer der Polizei, noch die Anwesenheit hunderter Beobachter hielt die Corvette davon ab, unmittelbar vor dem Chinesen in Handschellen anzuhalten und gezielt auf die Dreiergruppe aus Verhafteten und zwei Beamten zu schießen.

Alle drei wurden getroffen und sanken zu Boden. Für einige Sekunden setzte der Beschuss der schwarzen Gang aus, aber nur, um neue Magazine in die Waffen zu stecken. Diese Momente nutzten die umstehenden Polizisten, um einen Ring um die Szene zu schließen und nun konzentriert auf den Wagen zu feuern. Die Kamera des Fernsehteams zoomte auf den Wagen und die Öffentlichkeit konnte jede einzelne Kugel in das Wagenblech einschlagen sehen.

Für ein, zwei Sekunden schob sich ein gold-gleißender Vorhang durch die Szene, dann herrschte plötzliche Stille, einzig unterbrochen vom Stöhnen der am Boden liegenden Getroffenen. Kein weiterer Schuss fiel, weder seitens der Polizei, noch von den Schwarzen, die nun langsam aus der zerschossenen Corvette stiegen.

Maggies Kameramann war kaltblütig genug, um sich aufzurichten. Aus den Augenwinkeln sah er das goldene Leuchten direkt auf sich zukommen und schwenkte die Linse in diese Richtung. Mit der Geschwindigkeit der Terminatorlinie glitt der Vorhang aus Gold über ihn hinweg. Mit geübter Drehung verfolgte die Kamera den Weg des Vorhanges, der sich nach wenigen Augenblicken in den Häuserschluchten verlor und nur noch oberhalb der Skyline zu sehen war. Allerdings schien es nach oben keinerlei Ende zu geben. Das goldene Licht vermischte sich weit oben mit dem Strahlen der Sonne, bis es nicht mehr zu sehen war.

Maggy erhob sich hinter der Mauer, blickte zuerst in Richtung des verschwindenden Leuchtens, dann zurück zum Ort der Schiesserei. Dort erhoben sich gerade die vorher zu Boden gesunkenen Polizisten und der Dragon-Skin, zwar blutverschmiert, aber scheinbar nicht tödlich verletzt. Niemand hatte noch Waffen in der Hand, die entweder achtlos auf der Straße oder im Gras lagen. Die Getroffenen blickten überrascht erst um sich, dann auf ihre vermeintlichen Wunden. Keiner wies auch nur die geringste Verletzung auf.

Der Chinese, vier Schwarze der Black-Diamond-Rippers und fast fünfzig Polizeibeamte standen dicht an dicht, unbewaffnet, wortlos. Die langsam näher kommende Menge der Passanten war ebenso sprachlos, wie Maggy Santiago, die mit herabhängendem Mikrofon neben ihrem Kameramann dem am Horizont verblassenden goldenen Licht nachsah.

Stunde 8

„Liebe Brüder und Schwestern. Der Tag ist gekommen, auf den wir, unsere Gemeinde, ja die ganze Welt, so lange gewartet haben.“ Der Prediger setzte sein Standardlächeln auf. „Halleluja!“

„Halleluja!“, antwortete die Menge, die neugierig auf den Bänken saß und mit allen möglichen Dingen sich ein wenig frische Luft zuzufächeln versuchte. Es war heiß in der Kirche und die bis auf den letzten Platz belegten Bänke waren mit schwitzenden Gläubigen gefüllt.

„Der Tag ist noch nicht einmal zur Hälfte beendet und schon sind die Werke des Herrn überall auf dieser Seite des Planeten zu beobachten.“ Er ging auf den Rand der Bühne zu, wollte seinem Publikum so nahe wie möglich sein. „Habt ihr das Zeichen gesehen?“, rief er ihnen zu und als niemand sofort in seinem Sinne antwortete, schrie er lauter. „Habt ihr nicht das goldene Zeichen des Herrn gesehen?“

Einige riefen ihm ein zaghaftes Ja zu, andere wussten nicht, von welchem Zeichen der Prediger sprach.

„Ihr habt es nicht gesehen?!“ Ein wenig mitleidiges Staunen, ein wenig Verständnis ob der Ahnungslosigkeit seiner Schäfchen erfüllte den großen Mann in dem blütenweißen Anzug. Er begann am Rand der Bühne mit kräftigen Schritten auf und ab zu gehen.

„Ihr armseligen Sünder habt mehr als zweitausend Jahre auf den Herrn gewartet und wenn er kommt, erkennt ihr ihn nicht?“, donnerte sein Vorwurf auf sie nieder. Er blieb stehen und riss die Arme in die Höhe. „Oh, Herr, vergib Ihnen, Sie sind mehr mit Computern und Geld beschäftigt, als damit, auf deine Zeichen zu achten.“

Er senkte die Arme wieder und ging zurück in die Mitte der Bühne und drückte einen Knopf. Ein hochmoderner Beamer warf in bester Qualität Filmszenen auf eine riesige Projektionswand hinter ihm. Die Bühnenautomatik dimmte ein wenig die Beleuchtung herunter, damit auch die hinteren Reihen alles perfekt sehen konnten. Geschickt verfolgte den Prediger ein Beleuchter mit einem Spot, der seinen weißen Anzug wie in einer Diskothek zum Strahlen brachte. Der Prediger wirkte wie ein Prophet, eine Lichtgestalt im wahrsten Sinne des Wortes. Moderne Technik war ihm nicht unangenehm, er unterschied sich hier von vielen seiner Zunft.

„Seht auf das Werk unseres Herrn!“ Sein rechter Arm zeigte kerzengerade auf die Schiesserei des Vormittages in Philadelphia, welche er mittels Beamer an die schneeweiße Wand projiziert hatte. Als der Moment mit dem goldenen Schleier kam, fror er das Bild mit einem Klick seiner Fernbedienung ein. „Könnt ihr es nun sehen?“, rief er wieder und wandte sich seiner Gemeinde zu.

„Ja“, kam es vielfältig aus dem Raum. Doch den Stimmen war immer noch die Unverständnis anzuhören.

„Ihr armseligen Sünder“, wiederholte er seinen Vorwurf. „Ihr erkennt es wirklich nicht.“ Er gab seiner Stimme einen Anflug von Verzweiflung. „Dem Herrn sei gedankt, dass er mich an eure Seite gestellt hat. Nun, ich will euch das Werk des Herrn offenbaren“, fügte er versöhnlich zu. „Dieses Bild ist eines von Tausenden Ereignissen, die seit heute Morgen überall auf der Erde geschehen sind. Überfälle, Vergewaltigungen, Bürgerkriege, Straßenkämpfe, Mord und Totschlag sind mit einem Wink des Herrn von der Erde getilgt worden.“

Die Menge zu seinen Füßen saß gebannt in ihren Bänken und lauschte endlich mit voller Aufmerksamkeit. Manche Hand mit Strickzeug und anderen Ablenkungen war auf den Schoß niedergesunken und vergessen.

„Dieses goldene Licht beendete all die Gräuel, mit denen unser Land gepeinigt war. Tödlich verwundete Polizisten und Verbrecher erhoben sich unversehrt, als das Licht sie passierte. Von dieser Sekunde an schwiegen alle Waffen und das Licht zog über das Land und hinterließ... FRIEDEN!“ Seine Stimme hatte sich Wort für Wort gesteigert und das letzte davon in Verzückung geschrieen.

„Halleluja!“, donnerte er erneut und dieses Mal kam die Antwort erheblich lauter.

„Halleluja!“

„Jawohl, ich habe es gesehen, als ich auf dem Weg hierher an dieser scheußlichen Szene vorbeifuhr.“ Er verschwieg, dass er dabei in seiner kugelsicheren, 15 Meter langen Limousine saß, und die Schiesserei im fahrzeugeigenen Fernseher verfolgte.
„Das goldene Licht hat die Wunden der Menschen geheilt und nicht nur diese! Aus allen Teilen des Landes melden die Nachrichtenagenturen, dass jedweder Mensch, der durch das goldene Licht ging, von allen seinen Krankheiten erlöst wurde. Krankenhäuser, Altenheime, Pflegestationen entlassen von Stunde zu Stunde ihre völlig genesenen Patienten. Im Koma liegende Menschen standen auf, lösten die Verbindungen zu den medizinischen Geräten und gingen nach Hause!“

Nun saß niemand mehr auf seinem Sitz und fast alle erhoben die Hände zum Himmel. Auch die Alten und bisher Gebrechlichen waren aufgesprungen. Sie fühlten sich gut, nein topfit.

„Alle verfügbaren Satelliten beobachten den Lauf des goldenen Lichtes und melden die Einstellung jeglicher Kampfhandlungen in Israel, Palästina, Irak und der bisher vom Licht berührten Erde. In weniger als einem weiteren halben Tag wird der komplette Planet vom goldenen Licht gesegnet werden!“ Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Gleichzeitig drückte er seine Fernbedienung und eine Satellitenaufnahme - anscheinend live – zeigte den Weg des Lichtes wie die Linie des Terminators über die Erde streifen.
„Seht ihr nun das Zeichen des Herrn?“, rief er erneut. „Seht ihr es?“

Hundertfaches Ja antwortete ihm.

Stunde 12

„Es war genau ein voller Umlauf“, sagte Professor Marcel Lucién vom französischen Astronomischen Institut und erhob sich von seinem Computer. „Und mit Beendigung erlosch es ohne die geringste Spur zu hinterlassen.“

„Nun, ohne Spur würde ich nicht sagen, mein Freund“, entgegnete Sabine, seine Assistentin. „Sie werden doch weltweiten Frieden nicht als keine Spur bezeichnen wollen.“

„Nein, natürlich nicht. Aber Sie wissen genau, wie ich es gemeint habe. Das Licht selbst muss ja von irgendwoher gekommen sein oder von etwas...“

„...oder jemand...“, warf sie ein.

„...erzeugt worden sein“, fuhr er fort. „Oder jemand“, bestätigte er. „Und um herauszufinden, wer dieser jemand sein könnte, müssen wir nach der Quelle des Lichtes suchen.“

Sie streckte die Arme aus und erhob sich ebenfalls von ihrem Platz. Sie schob das Teleskop zur Seite und ging auf ihren Computerarbeitsplatz zu. „Mein Programm hat den Verlauf des Lichtvorhanges komplettiert und den Startzeitpunkt errechnet. Um genau 8 Uhr und 37 Minuten MEZ muss der Effekt begonnen haben. Und nach exakt einer vollen Planetenumkreisung ist er beendet worden. Allen weltweiten Nachrichten zufolge ist seitdem kein einziger Schuss aus welcher Waffe auch immer abgefeuert worden.“

„Jedes angefragte Krankenhaus bestätigt, dass es leer ist oder in wenigen Minuten sein wird. Alle Patienten sind vollkommen gesundet und zeigen auch keinerlei Spuren ihrer Krankheiten mehr auf. Selbst komatöse Kranke sind von selbst erwacht und unheilbare Krankheiten sind verschwunden. Wahnsinn. Weltweit sind alle Ärzte, Krankenschwester, Pfleger, ja die gesamte Pharmaindustrie arbeitslos. "Wahnsinn“, wiederholte er, ungläubig den Kopf schüttelnd.

„Auch die Militärkonzerne, jede Armee, jeder Waffenhändler ist arbeitslos. Scheinbar will niemand freiwillig noch eine Waffe in die Hand nehmen. Kommt jetzt das Paradies? Oder stürzen wir in den Wahnsinn? Ist dies ein zeitlich begrenzter Effekt oder bleibt es für alle Zeiten so?"
Professor Lucién schüttelte den Kopf über seine eigenen Worte. „Nein, kein Wahnsinn, es ist… ein Wunder.“

„Oder der Tag des Jüngsten Gerichtes, wenn Sie ein gläubiger Mensch sind, Professor.“ Sie wandte sich ihm zu. „Sie sind doch ein gläubiger Mensch, oder?“

„Nun, ich äh... bin Wissenschaftler.“ Er wandte sich wieder der Arbeit zu. „Zeigen Sie mir doch einmal Ihre Messdaten des ersten Auftretens des Lichtvorhanges.“ Lucién fand die Werte, die er suchte und gab sie in seinen Computer ein. Es dauerte ein paar Minuten, danach wiederholte er drei, vier Mal seine Berechnung, was Sabine neugierig machte. Professor Lucién wiederholte extrem selten eigene Berechnungen, zu sehr war er sich seiner pedantischen Arbeitsweise sicher, als das er befürchten müsste, Leichtsinnsfehler zu begehen.

Sie trat an seine Seite und blickte ihm über die Schulter. Nach wenigen Augenblicken hatte sie begriffen, was er machte. „Sie suchen den Ausgangspunkt der Lichtstrahlen“, sagte sie.

„Ja, wenn wir alle optischen Beobachtungen mit den zeitlichen Daten korrelieren, ergibt sich ein Winkel, der die Linie des goldenen Lichtes beschreibt. Nachdem der Effekt planetenweit Wirkung zeigte, muss die auslösende Quelle im freien Raum zu suchen sein“, resümierte er.

„Nicht der Mond“, warf sie ein.

„Nein, dort nicht. Seine Umlaufzeit um die Erde passt nicht zum Zeitablauf des Strahles. Es muss irgendein Punkt mitten im Raum sein“, dachte er nach. Er hob den Kopf und blickte Sabine direkt an. Sie saß mittlerweile ruhig in ihrem Drehstuhl neben ihm und nickte.

„Und nicht zu weit entfernt, um auf welchem Himmelskörper auch immer, stationär zu sein.“

„Also mitten im Weltall“, bestätigte er.

„Ein Raumschiff.“

„Ja.“

Tag 1 der Ewigkeit

Auf der ganzen Welt waren Millionen Menschen damit beschäftigt, dass Ereignis zu besprechen. Es gab nur in entlegenen Gebieten der Wüsten und des Dschungels Bereiche, in denen das Licht kein Thema war. Auch auf einsamen Inseln ohne Verbindung zur Zivilisation wurde der Effekt zwar wahrgenommen, aber aufgrund ohnehin nicht vorhandener Aggressivität nicht richtig bewertet. Man hielt es für ein natürliches Phänomen.

Der erheblich überwiegende Teil des Planeten erging sich jedoch in tausenderlei Spekulationen, bis zu dem Augenblick, an dem sich das Raumschiff in unmittelbarer Nähe der Erde wie aus einem unsichtbaren Kokon schälte. Alle geeigneten Satelliten, Radar- und Beobachtungsstationen konnten es nun ungehindert anmessen.

Das Raumschiff war riesig, mehr als 45 Kilometer an seiner größten Ausdehnung lang und mindestens 8 bis 9 Kilometer dick. Seine Form war unregelmäßig, in keiner Weise symmetrisch oder einer anderen geometrischen Figur ähnelnd. Ruhig schwebte es auf einer stabilen Umlaufbahn und zeigte nicht die geringste Neigung, landen zu wollen.

Es verging in etwa eine Stunde, bis plötzlich alle Fernsehgeräte und Computermonitore der Erde das aktuell ausgestrahlte Programm verloren und ein Bild des Raumschiffes auf den Schirmen zu sehen war. Ebenso verstummten in allen Radio-, Funk- und Mobilgeräten die Sendungen und ein angenehmer Summton ersetzte die unterbrochenen Mitteilungen.

Nach weiteren 2 oder 3 Minuten verschwand das Bild des Raumschiffes und das Gesicht einer Frau erschien auf den Bildschirmen. In den Radiogeräten erlosch das Summen.
Sie war keine Schönheit, aber doch strahlte sie eine Aura aus, die sofort jeden gefangen nahm, der ihr ins offene Gesicht blickte. Ihr Haar war seltsam geschnitten, die Farbe ein mittlerer Braunton, ebenso wie die Färbung ihrer Haut. Sie war keinem irdischen Volk zuzuordnen, aber scheinbar doch menschlich. Den sichtbaren Teil ihres Oberkörpers bedeckte eine einfarbige Kleidung, die weder einen überaus privaten, aber auch keinen besonders militärischen Charakter zeigte. Einzig um den Hals trug sie ein Amulett, das ein fremdes Symbol zeigte. Sie lächelte verhalten, aber viele Betrachter hatten den Eindruck, eine Spur von Traurigkeit in ihren Zügen zu erkennen.

Nach einer Weile begann sie mit ruhiger Stimme zu sprechen. Die Worte, welche aus den Lautsprechern kamen, waren in jeder Landessprache verständlich.

„Mein Name ist Secarme, aber das ist eigentlich nicht wichtig. Es dient nur der Höflichkeit, mich Ihnen allen vorzustellen. Ich bin ein Mensch, wie sie alle, nur nicht auf der Erde geboren, wie sie sich vielleicht denken können.“ Sie machte eine kleine Pause, wie um auf einen Einwand zu warten, der aber nicht kommen würde.

„Im Verlauf der letzten Planetendrehung wurde ihr Planet, bzw. Sie einer Behandlung unterzogen, die unabänderlich Wirkung zeigen wird.“ Wieder machte sie eine kleine Pause. „Sie haben sicherlich schon erkannt, dass nach Passieren der Strahlung jedweder Mensch von allen seinen Krankheiten vollständig und unwiderruflich geheilt wurde. Und wenn ich alle sagte, dann meinte ich alle. Wir... betrachten Aggression gegenüber Artgenossen als Krankheit, selbstverständlich biologisch verursachte Fehler und deren Auswirkungen. Und das Alter...“

Sie war sich bewusst, was sie gerade gesagt hatte, aber Millionen von Menschen benötigten etwas länger, um die Bedeutung ihrer Worte zu begreifen.

„Der wichtigste Bestandteil unserer Behandlung ist die Aufhebung des Alterungsprozesses. Sie werden feststellen, dass – egal welches biologische Alter sie erreicht haben – sie ab heute keinem weiteren körperlichen Verfall unterliegen. Im Gegenteil: Sie alle werden sich zunehmend gesünder, kräftiger und belastbarer fühlen und definitiv auch sein. Einzig noch nicht ausgewachsene Menschen, also Kinder, entwickeln sich weiter, bis sie das Stadium der Adoleszenz erreicht haben. So gesehen, sind sie rein biologisch gesehen...“, sie machte eine kleine Pause. „...unsterblich.“ Ihr bisheriges Lächeln wich jetzt deutlich einer Traurigkeit, die tief sitzen musste.

„Das heißt nicht, dass Sie unverwundbar sind. Jeder von Ihnen – und uns – ist mittels Gewalt verletzbar und kann getötet werden. Es ist aber absolut notwendig, dass ab sofort kein einziges Individuum Ihres Planeten auf diese Weise ums Leben kommt.“ Viele der Zuhörer hatten das Gefühl, das sie die Wörter auf diese Weise seltsam betont hatte. Sie seufzte unhörbar, aber sichtlich bewegt und holte ein wenig Luft.

„Nun fragen Sie sich, wer wir sind und warum wir Sie in den Genuss der relativen Unsterblichkeit gelangen ließen und diese Fragen sind natürlich berechtigt.“ Sie wandte ihren Blick kurz zur Seite, wie um von einem nicht sichtbaren Gefährten oder einer Gefährtin Ermunterung zu erhalten, aber es war niemand zu hören oder zu sehen.

„Wir sind Bestandteil einer Lebensform, welche sehr dünn gesät ist im bekannten Universum. In den vergangenen Jahrhunderten ist es nur zweimal gelungen, Humanoiden auf anderen Planeten zu entdecken. Sie... Ihr Planet... ist hiermit das dritte, erfreuliche... und viel zu seltene Ereignis dieser Art. Wir selbst betrachten uns nicht unbedingt als Ursprung unserer gemeinsamen Gattung, aber möglich wäre es, da wir von allen Brudervölkern das Älteste zu sein scheinen. Es ist nach Meinung unserer Wissenschaftler nicht unmöglich, dass Sie Nachkommen früherer Kolonisten unseres Volkes sind, es aber vergessen haben. Wir sind biologisch absolut identisch und kompatibel. Die Heilung beweist es.“

Sie senkte für zwei Sekunden den Kopf und erhob ihn nur wie unter schwerer Anstrengung.

„Es tut mir Leid Ihnen eröffnen zu müssen, das wir im Krieg mit einem gnadenlosen Gegner stehen, der in den vergangenen vier Jahrhunderten fast alle unsere bewohnten Planeten überfallen und vernichtet hat. Es existiert nur noch ein einziger Planet mit wenigen Millionen Bewohnern, auf dem sich die Überlebenden unserer Gattung gerettet haben. Bis heute ist es dem Gegner nicht gelungen, diesen Planeten zu finden. Über die Natur des Gegners wissen wir nur soviel, als dass er nicht menschlich ist. Auch über seine Gründe, uns zu hassen und zu jagen, wissen wir nichts. Unsere einzige Hoffnung auf Überleben ist der Kontakt zu weiteren Menschen... zu Ihnen.“
Sie straffte sich innerlich.

„Hiermit bitten wir jeden Menschen auf Ihrem Planeten, uns im Überlebenskampf beizustehen. Sie sind fast 8 Milliarden Individuen, wir sind nur noch wenige Millionen. Wir wissen, dass Sie keine einheitliche Regierung besitzen, die für Sie alle sprechen kann, aber vielleicht können Sie sich innerhalb einer Zeitspanne von 5 Planetenumdrehungen entscheiden.“

In die wieder sichtbare Traurigkeit mischte sich nun ein verzweifelter Zug.

„Es steht Ihnen in doppelter Hinsicht leider nicht mehr Zeit zur Verfügung. Und uns leider auch nicht. In 2 Tagen sind vier weitere Transporter dieser Bauart im Orbit, um Sie – wenn möglich… alle… ohne Ausnahme – aufzunehmen. Die Evakuierung Ihres Planeten wird weitere 2 Tage dauern, dann müssen wir weg sein. Diese Transporter sind nicht bewaffnet.“

Jetzt hatte ihr Gesicht einen unerbittlichen Ausdruck angenommen.

„Am 5. Tag wird ein Kampfschiff des Gegners eintreffen.“

Sie brauchte nichts mehr zu sagen.

- Ende -

Copyright © 2007 by Werner Karl
 

jon

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Erster Eindruck: Gut. Für meinen Geschmack zu viel Aufwand für die Pointe, die Pointe selbst ist mir etwas zu flachbrüstig (für jemanden, der schon so viel und so viel (über) SF geschrieben hat) und es ist mir vielfach etwas zu "schwiemelig" (ein konkreter Blick auf diese oder jene Aussage ergibt, dass sie "gut klingt" aber auf tönernen Füßen steht). Eine Formalie, die das (im ganzen sehr süffige) Lesen aber etwas erleichtern würde, wäre der Fett- oder anderswie abgehobene Druck der Zwischentitel.


Mit "schwiemelig"/ "auf tönernden Füßen" meine ich zum Beispiel sowas:

"Trotz der Entfernung konnte man bei zweien die glatt rasierten Köpfe der chinesischen Dragon-Gang erkennen," hieße: Diese Gang hat eine markante Art, die Köpfe kahl zu scheren, und zwar nicht (nur) beim Vorgang des Scherens selsbst, sondern was das Ergebnis betrifft. Bei einem kahlen Schädel kaum möglich, oder?


"Die Kamera des Fernsehteams zoomte auf den Wagen und die Öffentlichkeit konnte jede einzelne Kugel in das Wagenblech einschlagen sehen." … auch die auf der von der EINEN Kamera abgewandten Seite?

"Auch auf einsamen Inseln ohne Verbindung zur Zivilisation wurde der Effekt zwar wahrgenommen, aber aufgrund ohnehin nicht vorhandener Aggressivität nicht richtig bewertet." … und es ist dort auch normal, dass schwerste Krankheiten spontan heilen. Das licht selbst wurde ebenfalls nicht wahrgenommen, weil es dort sowieso immer hell ist.


"Nach weiteren 2 oder 3 Minuten" Woher die Spanne? Dass die Zeit brauchen, alle Netze zu übernehmen und das "etwa" eine Stunde dauert, ergibt Sinn, aber warum sie jetzt zeitversetzt die Botschaft senden, ergibt nicht sehr viel Sinn, oder?


"Sie war keinem irdischen Volk zuzuordnen " … das trifft auch auf die meisten Europäer und sehr sehr viele US-Amerikaner zu. Auch in Fernost dürfte es schwierig sein, lediglich anhand des Gesichtes einen Thai von einem Vietnamesen zu unterscheiden. Nur mal als Beispiel. Sie wird andererseits kaum so aussehen, dass man sie zu keiner der großen Gruppen zuordnen würde – dann müsste sie so anders aussehen, dass man sie als "irgendwie doch nicht menschlich" wahrnimmt. Die Aussage, die dann kommt (… aber scheinbar doch menschlich.) ist relevant, das andere kaum.



Ich weiß, das klingt krümelkackereisch, aber wenn größere Fehler nicht zu finden sind, knöpf ich mir eben die Feinheiten vor. Soll ich den Text mal so detailiert durchgehen? (Wenn du willst, send ich es dir auch per Mail zu. Muss ich nur vorher wissen, weil ich dann anders markieren würde.)
 

galaxykarl

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Feinheiten

Hallo Jon,

zunächst mal ein Dankeschön für dein Urteil, das es keine größeren Fehler gibt, und du dich auf die Feinarbeit konzentrierst.

Zu "zu viel Aufwand":
Die paar Szenen (Krankenhaus, Schießerei, Kirchengemeinde) sind doch wirklich nicht zuviel. Sie repräsentieren eben verschiedene, zeitgleich stattfindende Szenen einer Großstadt.

Zu "Fettdruck":
Ist eine gute Idee, hatte ich auch. Hab aber darauf verzichtet, da es ja kein Roman mit Kapiteln ist, sondern nur eine SF-Story. Die abgesetzten Abschnitte sind doch durch die Uhrzeit ausreichend voneinander getrennt.

Zu "glattrasierten Schädeln":
Es gibt sicher tausende Gruppierungen, welche sich die Schädel rasieren. Ich hätte mir nicht angemaßt - auf welche Entfernung auch immer - hier eine Differenzierung zu unterstellen. Das TV-Team kann aber durch die Glatzen diese Personen sehr einfach von normalen Passanten und der Polizei unterscheiden. Nicht mehr und nicht weniger.

Zu "Kugeln im Wagenblech":
Wie kommst du darauf auch die andere Seite zu sehen? ICH habe das nicht behauptet. Ich unterstelle - erfahren aus hunderten von ähnlichen Szenen in Krimis, Western und SF-Filmen - dass man bei einer Ballerei sich hinter irgend etwas verschanzt und eben nur eine Seite Kugeln abbekommt. Hätte sich die Schießerei so ausgeweitet, das eine Partei sich hinter nix verstecken kann, da die Gegenpartei von 2 Seiten aus ballert, hätte ich das erwähnt. Ist doch aber auch die weniger häufige Situation.

Zu "einsamen Inseln":
Wenn wir mal als Beispiel Papua Neuguinea nehmen oder meinetwegen die Osterinseln, wird man das goldene Licht zwar mit der Heilung schon irgendwie assoziieren, abr doch nicht mit einer außerirdischen Macht, eher vielleicht mit den lokalen Göttern. Den globalen und damit existenzveränderten Effekt nehmen die Insulaner natürlich nicht wahr und bewerten ergo den Effekt nur lokal.

Zu "nach weiteren 2 bis 3 Minuten":
Secarme und ihre Besatzung sind ja auch Menschen. Sie lassen allen Zusehern die paar Minuten, um sich an den Anblick eines echten Raumschiffes zu gewöhnen. Ein stehendes Bild ohne hektischen Aktionismus soll beruhigen, nicht verängstigen. Mehr nicht. Und wieso "zeitversetzt"? Habe ich nicht gesagt, sondern eher das Gegenteil: Zeitgleich auf dem ganzen Planeten.

Zu "Sie war keinem irdischen Volk zuzuordnen":
Einen Satz vorher wird angedeutet, dass sie Merkmale aller Völker in sich vereint. Ich darf hier schüchtern auf die Perry-Rhodan-Serie verweisen, welche von vielen arrogant als Schund/Trivial/Heftchen-SF abgekanzelt wird. Aber die Terraner späterer Zyklen haben sich soweit vermischt, dass einzelne Völker nicht mehr zu unterscheiden sind. Terraner haben z.B. eine Hautfarbe, die einem mittleren Braunton entspricht. Genauso kann man sich das für Augen, Gesichts- und Kopfform usw. daraus ableiten. Ich habe mich mit einer Biologin darüber unterhalten und sie hält es durchaus für denkbar, dass nach Jahrhunderten der Globalisierung regionale Körpermerkmale sich abschwächen, was wir ja schon heute durch Mischehen erleben dürfen. Auch alle Astronauten haben sich innerhalb kürzester Zeit an neue Lebensbedingungen durch Muskel- und Knochenabbau angepaßt. Ich unterstelle der Spezies Mensch ein enormes Anpassungsvermögen. Und das erst Recht, wenn mann Jahrhundert oder länger dazu Zeit hat. Damit wird übrigens angedeutet, das Secarme und ihr Volk schon viel länger als die irdische Menschheit über solche Kleinigkeiten wie Hautfarbe usw. hinweg, sich weiterentwickelt hat.

Alles in allem hast du Recht, wenn es eine Novelle wäre, dann könnte man dies alles feiner ausarbeiten. Es ist aber weder eine Novelle, noch ein Roman. Ich hab in vielen Schreibwerkstätten gelesen, das die "Kunst des Weglassens" Bestandteil einer Story ist.

Übrigens gefällt mir dein "krümelkackerisch", ich bin überall als "Die Korinthe" verschrieen.

Und der Schlußgag, das wir irdischen Menschen mit einigen Milliarden zerstrittenen, boshaften, egoistischen, kriminellen und kranken Individuen, die Hoffnung für das Überleben der ganzen Spezies Mensch in der Milchstraße sein sollen, fand ich schon heftig und nicht dünn. Unsere Arroganz, uns als die Krone der Schöpfung zu betrachten, bekommt hier einen Arschtritt, unsere Ignoranz der nackten Tatsache, das ein ganzes Universum mit mehr gefüllt ist, als wir uns vorstellen, ebenso.

Ich sage IST; und nicht MÖGLICHERWEISE.

Noch mal herzlichen Dank. Bitte, bitte mach(t) dies auch bei meinen nächsten Beiträgen.

Liebe Grüße
Werner

P.S. Ich sehe, dass bisher 45 Personen meine Geschichte gelesen haben. Ich würde mich freuen, wenn nur 10% davon auch ihre Meinung dazu äußern würden. Oder sind die Kommentare den Lektroren/Seitenbetreibern vorbehalten?
 

jon

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Hallo Werner,

MIR ist es zu viel Aufwand, drei pure „Illustrationszenen“ zu bekommen, die kaum einen „Mehrwert“ haben.
In Szene 1 hätte ein Mehrwert entstehen können, wenn der (beginnende) Aufwand für die Figur des Arztes weitergeführt und er als eine Identifikationsfigur (durch dessen Augen man schaut) aufgebaut worden wäre. Stattdessen wird in Szene zwei gar keine Figur gezeigt (es gibt Personen, aber die sind nur Action-Träger) und in Szene drei wird wieder eine Figur skizziert, im Ganzen merkt man aber den Info-Charakter (das Licht wandert) sehr deutlich. Die Wissenschaftler sind dann wieder 99%ig nur noch Info-Statisten.
Ein „Mehrwert“ entstünde vielleicht auch, wenn der in Szene 3 thematisierte und in Szene 4 angedeutete Aspekt „Erlösung oder Verdammnis?“ (also die Reaktion der Leute auf das Geschehen!) einen roten Faden bilden würde.


Zu "Fettdruck":
Ist eine gute Idee, hatte ich auch. Hab aber darauf verzichtet, da es ja kein Roman mit Kapiteln ist, sondern nur eine SF-Story. Die abgesetzten Abschnitte sind doch durch die Uhrzeit ausreichend voneinander getrennt.
Was der Lesbarkeit dient, ist doch nicht überflüssig … Gedruckt (also wenn die Absätze nicht durch Leerzeilen getrennt wären), wär das auch ok, aber hier wär fett oder kursiv schöner gewesen.
Apropos ZwiTitel: Es ist auch besser, einheitlich vorzugehen – also entweder überall „Stunde x“ oder überall „x. Stunde“. Es wirkt schlichtweg durchdachter, fertiger und sorgfältiger gemacht.


Zu "Kugeln im Wagenblech":
Wie kommst du darauf auch die andere Seite zu sehen? ICH habe das nicht behauptet.
Ich komme drauf wegen:
Diese Momente nutzten die umstehenden Polizisten, um einen Ring um die Szene zu schließen und nun konzentriert auf den Wagen zu feuern. Die Kamera des Fernsehteams zoomte auf den Wagen und die Öffentlichkeit konnte jede einzelne Kugel in das Wagenblech einschlagen sehen.
Der erste Satz heißt: Die Polizisten stehen rundrum und feuern von rundrum auf den Wagen. Der zweite Satz heißt, man kann jeder dieser rundum einschlagenden Kugeln sehen.
Dass du das wahrscheinlich in deinem Kopf-Kino beim Schreiben anders gesehen hast, glaub ich dir ja, aber geschrieben hast du es so.


Zu "nach weiteren 2 bis 3 Minuten":
… Und wieso "zeitversetzt"? Habe ich nicht gesagt, sondern eher das Gegenteil: Zeitgleich auf dem ganzen Planeten.
… mag ja sein, aber das erzeugt nur ein Widerspruch, löst die Frage mit dem „2 bis 3 Minuten“ nicht. „2 bis 3 Minuten“ heißt, es gibt verschiedene Vor/Durchgänge (können ähnlicher oder gleicher Art sein), bei denen bei einem Vorgang z.B. 2,1 Minute vergeht, bei zweiten 2,6 Minuten, beim dritten 3, bei vierten 2,2 … Was du meinst, ist, dass es nach einer Zeit passiert, die zwischen 2 und 3 Minuten liegt – also bei 2,1 ODER 2,5 ODER 2,8. Du kannst/willst es nur nicht so exakt angeben.
Übrigens: Deine Lösung mit „2 oder 3“ ist auch nicht ideal – du als Autor solltest wissen, ob es 2 oder 3 sind. Ok, es kommt in Wirklichkeit nicht drauf an. So muss es aber auch klingen: dass die genaue Zeit egal ist (nicht, dass der Autor es nicht weiß). Was anderes wäre es, wenn du einen Protagonisten hättest, aus dessen Blick erzählt wird – der könnte als Wahrnehmung „2 oder 3 Minuten“ einschätzen.
Wie wäre es da mit „Nach reichlich 2 Minuten / knapp 3 Minuten / etwas mehr als 2 Minuten …“?
Apropos: (Übersichtliche) Zahlen werden im Erzähltext eigentlich ausgeschrieben.

Zu "Sie war keinem irdischen Volk zuzuordnen":
Das meine ich ungefähr: Es ist heute schon „üblich“ nicht zuordenbar zu sein, das hier zu erwähnen, ist beinahe wie zu erzählen, dass der Platzhirsch männlich ist.

die weder einen überaus privaten, aber auch keinen besonders militärischen Charakter zeigte.
Ähnliches Kaliber: Heißt das, sie trägt Business-Look? Kittel, Anzug oder Blaumann? Sari, T-Shirt oder Blazer? Schon bei der Farbe ist es interessant (offenbar weiß der Autor wiedermal was nicht), ob es eher grau oder eher Neonfarben ist, rot, gelb, grün, braun … Vielleicht ist das inhaltlich nicht wichtig (ich halte es für das Kopf-Kino-Bild für extrem wichtig!), aber wenn ich als Leser den Eindruck hab, der Autor weiß es selbst nicht, dann beschleicht mich ein Gefüphl von „vielleicht schreibt der erstmal fertig, bevor er es serviert“.
Du schreibst, wie sie auf ALLE Menschen wirkt, aber was „privat“, was „militärisch“ oder „Business“ ist, wird ganz unterschiedlich wahrgenommen. Das Problem löst sich sofort, wenn du sie durch die Augen eines konkreten Menschen zeigst …


Alles in allem hast du Recht, wenn es eine Novelle wäre, dann könnte man dies alles feiner ausarbeiten. Es ist aber weder eine Novelle, noch ein Roman. Ich hab in vielen Schreibwerkstätten gelesen, das die "Kunst des Weglassens" Bestandteil einer Story ist.
Des Weglassens schon, aber nicht des „Rumschluderns“ (um es mal zu überspitzen). Kurze Texte müssen – eben weil sie kurz sind und man nicht ellenlang schwammige oder gar fehlerhafte Aussagen wortreich „ausbügeln“ kann – präzise sein. Meiner Meinung nach muss jeder Text präzise sein, aber bei kurzen Texte ist es eben besonders wichtig. Weil man, wie gerade gesagt, keine „Zeit“ hat, Schwächen auszubügeln. Und weil jedes Detail zählt (es gibt einfach nicht so viele, kein „Haufen“, in dem Stolperstellen untergehen). Und: Der Leser taucht nicht so tief ein – bei einem Roman wird man von der Handlung getragen, da gleitet man auf dem weit gezogenen Spannungsbogen auch über diese und jene „komische Formulierung“ hinweg. Spannungsbögen in Kurzgeschichten sind in der Regel nicht so robust.

Und der Schlußgag, das wir irdischen Menschen mit einigen Milliarden zerstrittenen, boshaften, egoistischen, kriminellen und kranken Individuen, die Hoffnung für das Überleben der ganzen Spezies Mensch in der Milchstraße sein sollen, fand ich schon heftig und nicht dünn. Unsere Arroganz, uns als die Krone der Schöpfung zu betrachten, bekommt hier einen Arschtritt, unsere Ignoranz der nackten Tatsache, das ein ganzes Universum mit mehr gefüllt ist, als wir uns vorstellen, ebenso.
…eh … aber erst, als „wir“ „gereinigt“ wurden, das nimmt dieser Pointe ziemlich viel Kraft: Nicht „ausgerechnet die verderbte Menschheit“ ist die Rettung sondern die „Biomasse“ namens Mensch nach Abzug der „Verderbtheit“.
Für mich bestand die Pointe übrigens in was anderem: Die „höheren Menschen“ maßen sich an, zu bestimmen, was richtig ist (Secarme ahnt wohl, dass die Sache so nicht funktionieren wird und dass die „tollen Gaben“ in Wirklichkeit Sch… sind). Ehrlich gesagt, fängt für mich hier erst die interessante Geschichte an … (auch wenn sie schon mehrfach erzählt wurde.)
„Mensch NICHT Krone der Schöpfung“ ist für einen SF-Leser (und für viele andere Leser) nun wirklich nicht neu – damit punktest du nicht.



P.S. Ich sehe, dass bisher 45 Personen meine Geschichte gelesen haben. Ich würde mich freuen, wenn nur 10% davon auch ihre Meinung dazu äußern würden. Oder sind die Kommentare den Lektroren/Seitenbetreibern vorbehalten?
Sind sie natürlich nicht …
 

galaxykarl

Mitglied
Jetzt wird´s konkret

Hallo Jon,

jetzt kann ich deinen Angaben etwas abgewinnen. In mehreren Punkten gebe ich dir Recht und nehme diese sehr gerne an. Ich werde bei Gelegenheit deine Vorschläge aufnehmen und versuchen sie umzusetzen.

Danke noch mal. Grüße von galaxykarl ;-))
 

galaxykarl

Mitglied
Das goldene Licht des ewigen Lebens

1. Stunde


„Dr. Hauss.“ Die Krankenschwester schüttelte den Arzt heftig an der Schulter. „Dr. Hauss, wachen Sie auf!“ Sie drehte sich um und machte das Licht im Aufenthaltsraum des Arztes an. Als sie sich ihm wieder zuwandte, hatte er sich schon aufgerichtet. Zahllose Male war er schon auf ähnlich unsanfte Art geweckt worden. Und immer war es nötig gewesen, ihn aus seinem verdienten Schlummer zu reißen. Verschlafen tastete er nach seiner Brille und blinzelte ihr dabei mit verschwollenen Augen ins Gesicht.

„Katrin, was gibt es, dass Sie schon wieder versuchen, mich umzubringen?“, murmelte er nicht ganz ernst. „Brennt die Station oder haben wir heute Nacht mehr als einen umgebracht?“, fragte er mit schon deutlicherer Stimme, aber immer noch mit halb geschlossenen Lidern. Wo habe ich nur meine verdammte Brille hingelegt?

„Weder noch, Doktor, aber Sie sollten sofort eine Visite machen.“ Ihre Stimme schwankte ein wenig, hatte Sie doch gerade dem Oberarzt der Intensivstation mehr oder weniger einen Befehl erteilt. Oder hörte er einen Anflug von Panik in ihrer Stimme? Nein, eher Erstaunen.

„Eine Visite? Um vier Uhr morgens?“ Er hatte seine Brille immer noch nicht auf, konnte aber die feinen Linien der Ziffern auf seiner Armbanduhr einwandfrei erkennen. Nun war es an ihm, erstaunt zu sein.

„Ich... es tut mir leid, aber der Dienst habende Arzt hat nach Ihnen verlangt, Doktor. Er weiß sich keinen Rat und hat mich gebeten..“, lenkte sie ihn von seiner Suche ab.

„Ist schon gut Katrin, ich komme ja. Aber seien Sie so gut und besorgen mir einen anständigen Kaffee, ja? Nicht die Plörre aus der Kantine, sondern von dem guten Schwesternkaffee.“ Er lächelte sie dabei an und sie strahlte zurück, zufrieden die Verantwortung los zu sein.

„Aber gern.“ Sie wollte aus dem Zimmer eilen.

„Stopp, Schwester. Wo ist Dr. Münnering jetzt?“

„Oh, Entschuldigung, in Raum 7 bei dem Feuerwehrmann. Er... er ist aufgewacht und hat nach Essen verlangt.“

„Er hat was?“ Bevor sie ihm antworten konnte, stürmte Dr. Hauss an ihr vorbei und hatte nach dreißig Schritten Raum 7 erreicht. Dr. Münnering stand, umgeben von zwei Assistenzärzten und einer weiteren Schwester, vor dem Bett des Feuerwehrmannes und lachte gerade herzhaft, als er Dr. Hauss bemerkte.

„Guten Morgen, Hannes“, begrüßte ihn Münnering. „Du siehst schrecklich aus.“

„Danke, du auch“, spottete Dr. Hauss und schob sich durch die Gruppe zum Patienten vor. Der saß scheinbar quietsch vergnügt aufrecht im Bett und blinzelte der zweiten Schwester zu. Mit einem Blick überflog Hauss die Anzeigen der Überwachungsgeräte und Monitore. Ausnahmslos zeigten sie grüne Werte an.

„Vielen Dank, Doktor, Sie haben mich wieder zusammengeflickt“, begann der Feuerwehrmann, bevor Hauss auch nur ein weiteres Wort sagen konnte. „Muss mich schwer erwischt haben, wenn ich hier auf der Intensiv liege, was? Wie lange war ich denn weg?“, fragte er, eher neugierig als besorgt.

„Viereinhalb Wochen“, entgegnete Dr. Hauss automatisch und staunte immer mehr. Ein zweites Mal kontrollierte er die Anzeigen, dieses Mal aber konzentriert und vollständig.

„Wochen?!“ Nun zeigte der bullige Mann doch, dass auch er Nerven hatte. „Was... was hat mich denn erwischt?“

„Sie haben die volle Wucht einer Gasexplosion abbekommen“, sprang Dr. Münnering für den immer aufgeregter werdenden Hauss ein. „Ihre Haut war zu vierzig Prozent verbrannt und wir haben Sie in ein künstliches Koma gelegt, um die anderen Verletzungen behandeln zu können. Dreifacher Bruch des Beckens, Splitterbrüche in beiden Beinen und einen Lungenriss“, zählte Münnering auf.

„Oh Mann, ich hab´ nen vollen Filmriss. Kann mich nur noch daran erinnern, wie ich mit zwei Jungs die Treppe hoch stürmte. Wie geht es den beiden?“

„Die haben nur leichte Schrammen, die Wucht hat sie gegen ihre Kollegen geschleudert. Sie wirkten wie ein Schutzschild für die beiden“, warf jetzt Dr. Hauss ein und unterbrach seine Untersuchung, die er während des Gespräches der beiden vorgenommen hatte. Wieder suchte er nach seiner Brille, fand sie nicht und setzte sich auf den Bettrand. „Sie sind völlig gesund..“, sagte er langsam und betont. „Ihre Haut ist zwar etwas rosig, aber jede Verbrennung ist verschwunden. Kein sichtbares Narbengewebe, keine Schwellungen an den Bruchstellen ihrer Beine und am Becken, sogar die Nähte von ihrer Lungen-OP sind weg...“

„Nun, Doktor, ich danke Ihnen nochmals. Sie haben´s hingekriegt. Was haben Sie gemacht?“ So langsam dämmerte es dem Feuerwehrmann, dass sein Zustand nicht seinen Verletzungen entsprach.

„Nichts. Ich meine Nichts außer der Lungen-OP und Ihrer Brüche. Da Sie im künstlichen Koma lagen, haben wir auf die Gipse verzichtet, sie konnten sich ohnehin nicht bewegen..“, seine letzten Worte verloren sich fast in Gemurmel.

„Und meine Haut? Sie sagten, sie wäre zu – wie viel Prozent – verbrannt gewesen?“

„Vierzig.“

„Was haben Sie gemacht? Eine Hauttransplantation oder so was?“

„Nein, nichts“, sagte Dr. Hauss und fand endlich seine Brille in der rechten Seitentasche seines Kittels. Mechanisch setzte er sie auf und sah schlechter als ohne sie. Er setzte sie wieder ab und blickte in die Gesichter der Umstehenden. Gestochen scharf. Wieder schob er die Brille auf seine Nase, wieder war das Bild verschwommen. Verwirrt nahm er sie ab und schob sie zurück in die Kitteltasche. „Ich brauche sie nicht mehr“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu seinem Team.

3. Stunde

„...berichten wir live für CBA-KA aus Downtown-Philadelphia. Unsere Reporterin vor Ort ist Maggy Santiago. Maggy, was gibt es Neues vom Bandenkrieg? Wir hörten von bisher achtzehn Toten auf beiden Seiten innerhalb der letzten beiden Tage...“

„Ja, Chris, das ist richtig. Die Black-Diamand-Rippers und die Dragon-Skins liefern sich seit zwei Jahren eine erbitterte Schlacht um die Vorherrschaft in dem von beiden beanspruchten Viertel der Stadt. Bisher war es der Polizei nicht gelungen, dem Einhalt zu gebieten. Stadtrat Monroe wirft dem Bürgermeister und Polizeichef Harris vor, dies mit voller Absicht zu unterlassen. Scheinbar ist man im Bürgermeisterbüro der Meinung, dass sich die beiden Gangs gegenseitig so dezimieren sollen, dass es am Ende den Behörden leichter fällt, den Rest einzukassieren.“

„Das ist zynisch, Maggy. Was sagt außer Stadtrat Monroe der Rest der Opposition zu diesem Verhalten?“

Die Kamera schwenkte ein wenig zur Seite, um neben der Reporterin einen Blick auf den Stadtpark zu ermöglichen, in dem im Hintergrund zwei Sanitätsfahrzeuge und etliche Polizeiwagen zu sehen waren. Zwischen blinkenden Lichtern waren im vollen Tageslicht drei unverhüllte Männer zu sehen, die blutüberströmt am Boden lagen. Trotz der Entfernung konnte man bei zweien die glatt rasierten Köpfe der chinesischen Dragon-Gang erkennen, die dritte Leiche war ein Schwarzer mit seiner typischen schwarzen Lederjacke mit aufgenähten Diamanten.

„Aus den Reihen der Republikaner haben sich fast alle geschlossen hinter Stadtrat Monroe gestellt und ein sofortiges scharfes Vorgehen der Polizei verlangt.“ Maggy Santiago drehte sich zur Seite und deutete auf eine Gruppe von Beamten, die einen schmalbrüstigen Chinesen in Richtung auf einen vergitterten Transporter abführten. „Die Festnahme von Yu-Cho Shienn stellt nach Meinung des Bürgermeisters einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung...“

Noch während die Reporterin sprach, raste mit kreischenden Reifen eine Corvette um die Ecke. Aus dem Fahrzeuginneren ragten die Läufe von mehreren automatischen Waffen, die in diesem Augenblick zu feuern begannen. Das Knattern der Schüsse mischte sich mit den Schreien der Polizisten und der Sanitäter, die sich hinter ihre Fahrzeuge warfen. Die Beamten rissen ihre Waffen aus den Halftern und erwiderten das Feuer. Die Corvette war tiefschwarz lackiert, auf der Motorhaube ein riesiger Diamant gesprayt. Das Logo der Black-Diamond-Rippers. Die Menge der neugierigen Gaffer spritzte auseinander wie ein Wassertropfen der auf Beton klatscht.

Maggy Santiago duckte sich hinter eine niedrige Grundstücksmauer, während ihr Kameramann nur soweit herunterging, das die Linse gerade noch über den Rand der Mauer das Geschehen aufnehmen konnte. Weder das wütende Gegenfeuer der Polizei, noch die Anwesenheit hunderter Beobachter hielt die Corvette davon ab, unmittelbar vor dem Chinesen in Handschellen anzuhalten und gezielt auf die Dreiergruppe aus Verhafteten und zwei Beamten zu schießen. Alle drei wurden getroffen und sanken zu Boden. Für einige Sekunden setzte der Beschuss der schwarzen Gang aus, aber nur, um neue Magazine in die Waffen zu stecken. Diese Momente nutzten die umstehenden Polizisten, um einen Ring um die Szene zu schließen und nun konzentriert auf den Wagen zu feuern. Die Kamera des Fernsehteams zoomte auf die Fahrerseite des Wagens und die Öffentlichkeit konnte jedes durch einschlagende Kugeln gestanzte Loch erkennen.

Für ein, zwei Sekunden schob sich ein gold gleißender Vorhang durch die Szene, dann herrschte plötzliche Stille, einzig unterbrochen vom Stöhnen der am Boden liegenden Getroffenen. Kein weiterer Schuss fiel, weder seitens der Polizei, noch von den Schwarzen, die nun langsam aus der zerschossenen Corvette stiegen.

Maggies Kameramann war kaltblütig genug, um sich aufzurichten. Aus den Augenwinkeln sah er das goldene Leuchten direkt auf sich zukommen und schwenkte die Linse in diese Richtung. Mit der Geschwindigkeit der Terminatorlinie glitt der Vorhang aus Gold über ihn hinweg. Mit geübter Drehung verfolgte die Kamera den Weg des Vorhanges, der sich nach wenigen Augenblicken in den Häuserschluchten verlor und nur noch oberhalb der Skyline zu sehen war. Allerdings schien es nach oben keinerlei Ende zu geben. Das goldene Licht vermischte sich weit oben mit dem Strahlen der Sonne, bis es nicht mehr zu sehen war.

Maggy erhob sich hinter der Mauer, blickte zuerst in Richtung des verschwindenden Leuchtens, dann zurück zum Ort der Schiesserei. Dort erhoben sich gerade die vorher zu Boden gesunkenen Polizisten und der Dragon-Skin, zwar blutverschmiert, aber scheinbar nicht tödlich verletzt. Niemand hatte noch Waffen in der Hand, die entweder achtlos auf der Straße oder im Gras lagen. Die Getroffenen blickten überrascht erst um sich, dann auf ihre vermeintlichen Wunden. Keiner wies auch nur die geringste Verletzung auf. Der Chinese, vier Schwarze der Black-Diamond-Rippers und fast fünfzig Polizeibeamte standen dicht an dicht, unbewaffnet, wortlos. Die langsam näher kommende Menge der Passanten war ebenso sprachlos, wie Maggy Santiago, die mit herabhängendem Mikrofon neben ihrem Kameramann dem am Horizont verblassenden goldenen Licht nachsah.

8. Stunde

„Liebe Brüder und Schwestern. Der Tag ist gekommen, auf den wir, unsere Gemeinde, ja die ganze Welt, so lange gewartet haben.“ Der Prediger setzte sein Standardlächeln auf. „Halleluja!“

„Halleluja!“, antwortete die Menge, die neugierig auf den Bänken saß und mit allen möglichen Dingen sich ein wenig frische Luft zuzufächeln versuchte. Es war heiß in der Kirche und die bis auf den letzten Platz belegten Bänke waren mit schwitzenden Gläubigen gefüllt.

„Der Tag ist noch nicht einmal zur Hälfte beendet und schon sind die Werke des Herrn überall auf dieser Seite des Planeten zu beobachten.“ Er ging auf den Rand der Bühne zu, wollte seinem Publikum so nahe wie möglich sein. „Habt ihr das Zeichen gesehen?“, rief er ihnen zu und als niemand sofort in seinem Sinne antwortete, schrie er lauter. „Habt ihr nicht das goldene Zeichen des Herrn gesehen?“

Einige riefen ihm ein zaghaftes Ja zu, andere wussten nicht, von welchem Zeichen der Prediger sprach.

„Ihr habt es nicht gesehen?!“ Ein wenig mitleidiges Staunen, ein wenig Verständnis ob der Ahnungslosigkeit seiner Schäfchen erfüllte den großen Mann in dem blütenweißen Anzug. Er begann am Rand der Bühne mit kräftigen Schritten auf und ab zu gehen. „Ihm armseligen Sünder habt mehr als zweitausend Jahre auf den Herrn gewartet und wenn er kommt, erkennt ihr ihn nicht?“, donnerte sein Vorwurf auf sie nieder. Er blieb stehen und riss die Arme in die Höhe. „Oh, Herr, vergib Ihnen, Sie sind mehr mit Computern und Geld beschäftigt, als damit auf deine Zeichen zu achten.“

Er senkte die Arme wieder und ging zurück in die Mitte der Bühne und drückte einen Knopf. Ein hochmoderner Beamer warf in bester Qualität Filmszenen auf eine riesige Projektionswand hinter ihm. Die Bühnenautomatik dimmte ein wenig die Beleuchtung herunter, damit auch die hinteren Reihen alles perfekt sehen konnten. Geschickt verfolgte den Prediger ein Beleuchter mit einem Spot, der seinen weißen Anzug wie in einer Diskothek zum Strahlen brachte. Der Prediger wirkte wie ein Prophet, eine Lichtgestalt im wahrsten Sinne des Wortes. Moderne Technik war ihm nicht unangenehm, er unterschied sich hier von vielen seiner Zunft.

„Seht auf das Werk unseres Herrn!“ Sein rechter Arm zeigte kerzengerade auf die Schiesserei des Vormittages in Philadelphia. Als der Moment mit dem goldenen Schleier kam, fror er das Bild mit einem Klick seiner Fernbedienung ein. „Könnt ihr es nun sehen?“, rief er wieder und wandte sich seiner Gemeinde zu.

„Ja“, kam es vielfältig aus dem Raum. Doch den Stimmen war immer noch die Unverständnis anzuhören.

„Ihr armseligen Sünder“, wiederholte er seinen Vorwurf. „Ihr erkennt es wirklich nicht.“ Er gab seiner Stimme einen Anflug von Verzweiflung. „Dem Herrn sei gedankt, dass er mich an eure Seite gestellt hat. Nun, ich will euch das Werk des Herrn offenbaren“, fügte er versöhnlich zu. „Dieses Bild ist eines von Tausenden Ereignissen, die seit heute Morgen überall auf der Erde geschehen sind. Überfälle, Vergewaltigungen, Bürgerkriege, Straßenkämpfe, Mord und Totschlag sind mit einem Wink des Herrn von der Erde getilgt worden.“
Die Menge zu seinen Füßen saß gebannt in ihren Bänken und lauschte endlich mit voller Aufmerksamkeit. Manche Hand mit Strickzeug und anderen Ablenkungen war auf den Schoß niedergesunken und vergessen.

„Dieses goldene Licht beendete all die Gräuel, mit denen unser Land gepeinigt war. Tödlich verwundete Polizisten und Verbrecher erhoben sich unversehrt, als das Licht sie passierte. Von dieser Sekunde an schwiegen alle Waffen und das Licht zog über das Land und hinterließ... FRIEDEN!“ Seine Stimme hatte sich Wort für Wort gesteigert und das letzte davon in Verzückung geschrieen.

„Halleluja!“, donnerte er erneut und dieses Mal kam die Antwort erheblich lauter.

„Halleluja!“

„Jawohl, ich habe es gesehen, als ich auf dem Weg hierher an dieser scheußlichen Szene vorbeifuhr.“ Er verschwieg, dass er dabei in seiner kugelsicheren, fünfzehn Meter langen Limousine saß, und die Schiesserei im fahrzeugeigenen Fernseher verfolgte. „Das goldene Licht hat die Wunden der Menschen geheilt und nicht nur diese! Aus allen Teilen des Landes melden die Nachrichtenagenturen, dass jedweder Mensch, der durch das goldene Licht ging, von allen seinen Krankheiten erlöst wurde. Krankenhäuser, Altenheime, Pflegestationen entlassen von Stunde zu Stunde ihre völlig genesenen Patienten. Im Koma liegende Menschen standen auf, lösten die Verbindungen zu den medizinischen Geräten und gingen nach Hause!“

Nun saß niemand mehr auf seinem Sitz und fast alle erhoben die Hände zum Himmel. Auch die Alten und bisher Gebrechlichen waren aufgesprungen. Sie fühlten sich gut, nein topfit.

„Alle verfügbaren Satelliten beobachten den Lauf des goldenen Lichtes und melden die Einstellung jeglicher Kampfhandlungen in Israel, Palästina, Irak und der bisher vom Licht berührten Erde. In weniger als einem halben Tag wird der komplette Planet vom goldenen Licht gesegnet werden!“ Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Gleichzeitig drückte er seine Fernbedienung und eine Satellitenaufnahme - anscheinend live – zeigte den Weg des Lichtes wie die Linie des Terminators über die Erde streifen.

„Seht ihr nun das Zeichen des Herrn?“, rief er erneut. „Seht ihr es?“

Hundertfaches Ja antwortete ihm.

12. Stunde

„Es war genau ein voller Umlauf“, sagte Professor Marcel Lucién vom französischen Astronomischen Institut und erhob sich von seinem Computer. „Und mit Beendigung erlosch es ohne die geringste Spur zu hinterlassen.“

„Nun, ohne Spur würde ich nicht sagen, mein Freund“, entgegnete Sabine, seine Assistentin. „Sie werden doch weltweiten Frieden nicht als keine Spur bezeichnen wollen.“

„Nein, natürlich nicht. Aber Sie wissen genau, wie ich es gemeint habe. Das Licht selbst muss ja von irgendwoher gekommen sein oder von etwas...“

„...oder jemand..“, warf sie ein.

„...erzeugt worden sein“, fuhr er fort. „Oder jemand“, bestätigte er. „Und um herauszufinden, wer dieser jemand sein könnte, müssen wir nach der Quelle des Lichtes suchen.“

Sie streckte die Arme aus und erhob sich ebenfalls von ihrem Platz. Sie schob das Teleskop zur Seite und ging auf ihren Computerarbeitsplatz zu. „Mein Programm hat den Verlauf des Lichtvorhanges komplettiert und den Startzeitpunkt errechnet. Um genau 8 Uhr und 37 Minuten MEZ muss der Effekt begonnen haben. Und nach exakt einer vollen Planetenumkreisung ist er beendet worden. Allen weltweiten Nachrichten zufolge ist seitdem kein einziger Schuss aus welcher Waffe auch immer abgefeuert worden.“

„Jedes angefragte Krankenhaus bestätigt, dass es leer ist oder in wenigen Minuten sein wird. Alle Patienten sind vollkommen gesundet und zeigen auch keinerlei Spuren ihrer Krankheiten mehr auf. Selbst komatöse Kranke sind von selbst erwacht und unheilbare Krankheiten sind verschwunden. Wahnsinn. Weltweit sind alle Ärzte, Krankenschwester, Pfleger, ja die gesamte Pharmaindustrie arbeitslos. Wahnsinn“, wiederholte er, ungläubig den Kopf schüttelnd.

„Auch die Militärkonzerne, jede Armee, jeder Waffenhändler ist arbeitslos. Scheinbar will niemand freiwillig noch eine Waffe in die Hand nehmen. Kommt jetzt das Paradies? Oder stürzen wir in den Wahnsinn?“ Ist dies ein zeitlich begrenzter Effekt oder bleibt es für alle Zeiten so? Professor Lucién schüttelte den Kopf über seine eigenen Worte. „Nein, kein Wahnsinn, es ist ein Wunder.“

„Oder der Tag des Jüngsten Gerichtes, wenn Sie ein gläubiger Mensch sind, Professor.“ Sie wandte sich ihm zu. „Sie sind doch ein gläubiger Mensch, oder?“

„Nun, ich äh... bin Wissenschaftler.“ Er wandte sich wieder der Arbeit zu. „Zeigen Sie mir doch einmal Ihre Messdaten des ersten Auftretens des Lichtvorhanges.“ Lucién fand die Werte, die er suchte und gab sie in seinen Computer ein. Es dauerte ein paar Minuten, danach wiederholte er drei, vier Mal seine Berechnung, was Sabine neugierig machte. Professor Lucién wiederholte extrem selten eigene Berechnungen, zu sehr war er sich seiner pedantischen Arbeitsweise sicher, als das er befürchten müsste, Leichtsinnsfehler zu begehen. Sie trat an seine Seite und blickte ihm über die Schulter. Nach wenigen Augenblicken hatte sie begriffen, was er machte.

„Sie suchen den Ausgangspunkt der Lichtstrahlen“, sagte sie.

„Ja, wenn wir alle optischen Beobachtungen mit den zeitlichen Daten korrelieren, ergibt sich ein Winkel, der die Linie des goldenen Lichtes beschreibt. Nachdem der Effekt planetenweit Wirkung zeigte, muss die auslösende Quelle im freien Raum zu suchen sein“, resümierte er.

„Nicht der Mond“, warf sie ein.

„Nein, dort nicht. Seine Umlaufzeit um die Erde passt nicht zum Zeitablauf des Strahles. Es muss irgendein Punkt mitten im Raum sein“, dachte er nach. Er hob den Kopf und blickte Sabine direkt an.

Sie saß mittlerweile ruhig in ihrem Drehstuhl neben ihm und nickte. „Und nicht zu weit entfernt, um auf welchem Himmelskörper auch immer, stationär zu sein.“

„Also mitten im Weltall“, bestätigte er.

„Ein Raumschiff.“

„Ja.“

Tag 1 der Ewigkeit

Auf der ganzen Welt waren Millionen Menschen damit beschäftigt, dass Ereignis zu besprechen. Es gab nur in entlegenen Gebieten der Wüsten und des Dschungels Bereiche, in denen das Licht kein Thema war. Auch auf einsamen Inseln ohne Verbindung zur Zivilisation wurde der Effekt zwar wahrgenommen, aber aufgrund ohnehin nicht vorhandener Aggressivität nicht richtig bewertet. Man hielt es für ein natürliches Phänomen.

Der erheblich überwiegende Teil des Planeten erging sich jedoch in tausenderlei Spekulationen, bis zu dem Augenblick, an dem sich das Raumschiff in unmittelbarer Nähe der Erde wie aus einem unsichtbaren Kokon schälte. Alle geeigneten Satelliten, Radar- und Beobachtungsstationen konnten es nun ungehindert anmessen.

Das Raumschiff war riesig, mehr als 45 Kilometer an seiner größten Ausdehnung lang und mindestens acht bis neun Kilometer dick. Seine Form war unregelmäßig, in keiner Weise symmetrisch oder einer anderen geometrischen Figur ähnelnd. Ruhig schwebte es auf einer stabilen Umlaufbahn und zeigte nicht die geringste Neigung, landen zu wollen.
Es verging in etwa eine Stunde, bis plötzlich alle Fernsehgeräte und Computermonitore der Erde das aktuell ausgestrahlte Programm verloren und ein Bild des Raumschiffes auf den Schirmen zu sehen war. Ebenso verstummten in allen Radio-, Funk- und Mobilgeräten die Sendungen und ein angenehmer Summton ersetzte die unterbrochenen Mitteilungen.
Für mehrere Minuten blieb das ruhige Bild des schwebenden Riesenraumschiffes bestehen und nichts rührte sich. Dann verschwand das Bild des Raumschiffes und das Gesicht einer Frau erschien auf den Bildschirmen. In den Radiogeräten erlosch das Summen.

Sie war keine überragende Schönheit, aber doch strahlte sie eine Aura aus, die sofort jeden gefangen nahm, der ihr ins offene Gesicht blickte. Ihr Haar war seltsam geschnitten, dessen Farbe ein mittlerer Braunton, ebenso wie die Färbung ihrer Haut. Sie besaß keinerlei völkerspezifische oder individuelle Besonderheiten, sondern hinterließ in allen Details den Eindruck von Ausgewogenheit, ja Eleganz, ohne jeden Anspruch auf Perfektion, trotzdem aber offensichtlich doch menschlich. Den sichtbaren Teil ihres Oberkörpers bedeckte eine sandfarbene Kleidung, die weder einen überaus privaten, aber auch keinen besonders militärischen Charakter zeigte. Kein Rangabzeichen welcher Art auch immer war zu sehen, weder Schmuck noch andere Accessoires. Einzig um den Hals trug sie ein Amulett, das ein fremdes Symbol zeigte. Sie lächelte verhalten, aber viele Betrachter hatten den Eindruck, eine Spur von Traurigkeit in ihren Zügen zu erkennen.

Nach einer Weile begann sie mit ruhiger Stimme zu sprechen. Die Worte, welche aus den Lautsprechern kamen, waren in jeder Landessprache verständlich.

„Mein Name ist Secarme, aber das ist eigentlich nicht wichtig. Es dient nur der Höflichkeit, mich Ihnen allen vorzustellen. Ich bin ein Mensch, wie sie alle, nur nicht auf der Erde geboren, wie sie sich vielleicht denken können.“ Sie machte eine kleine Pause, wie um auf einen Einwand zu warten, der aber nicht kommen würde.

„Im Verlauf der letzten Planetendrehung wurde ihr Planet, bzw. Sie einer Behandlung unterzogen, die unabänderlich Wirkung zeigen wird.“ Wieder machte sie eine kleine Pause. „Sie haben sicherlich schon erkannt, dass nach Passieren der Strahlung jedweder Mensch von allen seinen Krankheiten vollständig und unwiderruflich geheilt wurde. Und wenn ich alle sagte, dann meinte ich alle. Wir... betrachten Aggression gegenüber Artgenossen als Krankheit, selbstverständlich biologisch verursachte Fehler und deren Auswirkungen. Und das Alter...“

Sie war sich bewusst, was sie gerade gesagt hatte, aber Millionen von Menschen benötigten etwas länger, um die Bedeutung ihrer Worte zu begreifen.

„Der wichtigste Bestandteil unserer Behandlung ist die Aufhebung des Alterungsprozesses. Sie werden feststellen, dass – egal welches biologische Alter sie erreicht haben – sie ab heute keinem weiteren körperlichen Verfall unterliegen. Im Gegenteil: Sie alle werden sich zunehmend gesünder, kräftiger und belastbarer fühlen und definitiv auch sein. Einzig noch nicht ausgewachsene Menschen, also Kinder, entwickeln sich weiter, bis sie das Stadium der Adoleszenz erreicht haben. So gesehen, sind sie rein biologisch gesehen..“, sie machte eine kleine Pause. „...unsterblich.“ Ihr bisheriges Lächeln wich jetzt deutlich einer Traurigkeit, die tief sitzen musste.

„Das heißt nicht, dass Sie unverwundbar sind. Jeder von Ihnen – und uns – ist mittels Gewalt verletzbar und kann getötet werden. Es ist aber absolut notwendig, dass ab sofort kein einziges Individuum Ihres Planeten auf diese Weise ums Leben kommt.“ Viele der Zuhörer hatten das Gefühl, das sie die Wörter auf diese Weise seltsam betont hatte.
Sie seufzte unhörbar, aber sichtlich bewegt und holte ein wenig Luft.

„Nun fragen Sie sich, wer wir sind und warum wir Sie in den Genuss der relativen Unsterblichkeit gelangen ließen und diese Fragen sind natürlich berechtigt.“ Sie wandte ihren Blick kurz zur Seite, wie um von einem nicht sichtbaren Gefährten oder einer Gefährtin Ermunterung zu erhalten, aber es war niemand zu hören oder zu sehen.

„Wir sind Bestandteil einer Lebensform, welche sehr dünn gesät ist im bekannten Universum. In den vergangenen Jahrhunderten ist es nur zweimal gelungen, Humanoiden auf anderen Planeten zu entdecken. Sie... Ihr Planet... ist hiermit das dritte, erfreuliche... und viel zu seltene Ereignis dieser Art. Wir selbst betrachten uns nicht unbedingt als Ursprung unserer gemeinsamen Gattung, aber möglich wäre es, da wir von allen Brudervölkern das Älteste zu sein scheinen. Es ist nach Meinung unserer Wissenschaftler nicht unmöglich, dass Sie Nachkommen früherer Kolonisten unseres Volkes sind, es aber vergessen haben. Wir sind biologisch absolut identisch und kompatibel. Die Heilung beweist es.“
Sie senkte für zwei Sekunden den Kopf und erhob ihn nur wie unter schwerer Anstrengung.

„Es tut mir Leid Ihnen eröffnen zu müssen, das wir im Krieg mit einem gnadenlosen Gegner stehen, der in den vergangenen vier Jahrhunderten fast alle unsere bewohnten Planeten überfallen und vernichtet hat. Es existiert nur noch ein einziger Planet mit wenigen Millionen Bewohnern, auf dem sich die Überlebenden unserer Gattung gerettet haben. Bis heute ist es dem Gegner nicht gelungen, diesen Planeten zu finden. Über die Natur des Gegners wissen wir nur soviel, als dass er nicht menschlich ist. Auch über seine Gründe, uns zu hassen und zu jagen, wissen wir nichts. Unsere einzige Hoffnung auf Überleben ist der Kontakt zu weiteren Menschen... zu Ihnen.“
Sie straffte sich innerlich.

„Hiermit bitten wir jeden Menschen auf Ihrem Planeten, uns im Überlebenskampf beizustehen. Sie sind fast acht Milliarden Individuen, wir sind nur noch wenige Millionen. Wir wissen, dass Sie keine einheitliche Regierung besitzen, die für Sie alle sprechen kann, aber vielleicht können Sie sich innerhalb einer Zeitspanne von fünf Planetenumdrehungen entscheiden.“

In die wieder sichtbare Traurigkeit mischte sich nun ein verzweifelter Zug.

„Es steht Ihnen in doppelter Hinsicht leider nicht mehr Zeit zur Verfügung. Und uns leider auch nicht. In zwei Tagen sind vier weitere Transporter dieser Bauart im Orbit, um Sie – wenn möglich, alle, ohne Ausnahme – aufzunehmen. Die Evakuierung Ihres Planeten wird weitere zwei Tage dauern, dann müssen wir weg sein. Diese Transporter sind nicht bewaffnet.“

Jetzt hatte ihr Gesicht einen unerbittlichen Ausdruck angenommen.

„Am fünften Tag wird ein Kampfschiff des Gegners eintreffen.“

Sie brauchte nichts mehr zu sagen.

- Ende -

Copyright © 2007 by Werner Karl (überarbeitete Fassung 2010)
 



 
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