Das italienische Gericht

Gilmon

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Vor wenigen Tagen hatte nur wenige Häuserblocks von meiner Wohnung entfernt ein neues italienisches Restaurant eröffnet. Ich beschloss, mir etwas Gutes zu gönnen und es an einem Abend auszuprobieren. Einige Tage nach meinem Entschluss warf ich mich in Schale und ging die wenigen Blocks dorthin. Das Restaurant war stilvoll eingerichtet, das Licht war leicht gedimmt. Im Hintergrund spielte leise italienische Musik und aus der Küche kam mir ein verführerischer Duft entgegen.
Es war so gegen halb neun und ich war offenbar der erste Gast. Mir fiel auf, dass alle Tische so aufgebaut waren, dass an ihnen mindestens sechs Personen sitzen konnten. Da jedoch auf keinem Tisch ein Schild „Reserviert“ stand, suchte ich mir jenen aus, der mir am meisten zusagte, ganz nah an der Theke und dem Eingang zur Küche. Mir fiel auf, dass direkt über der Theke eine Tafel mit verschiedenen Bildern von italienischen Gerichten mit Nummern angebracht war. Noch bevor ich mir diese Tafel genauer anschauen konnte, kam ein älterer, gepflegter Herr mit schwarzer Hose und weißem Hemd aus der Küche. Sobald er mich bemerke, nahm er eine Speisekarte und kam zu meinem Tisch.
„Guten Abend, der Herr.“, begrüßte er mich freundlich, während er die Kerze auf meinem Tisch anzündete und mir die Karte überreichte. Ich erwiderte seinen Gruß. „Ich werde in einigen Minuten wiederkommen, wenn Sie gewählt haben. Ist es Ihnen so recht, mein Herr.“, fragte er anschließend. Ich bejahte dies. Daraufhin ging er zurück in die Küche. Ich begann sofort, interessiert die Karte zu studieren. Sie war, wie so häufig, durchnummeriert. Schnell wurde mir klar, dass die Nummern auf der Tafel über der Theke natürlich die Speisen in der Karte abbildeten. Ich stand auf und schaute mir diese näher an. Über ihr stand in geschwungenen Buchstaben „Unsere Empfehlungen des Hauses“. Darauf abgebildet waren zwölf Gerichte. Hier hatte das Restaurant offenbar eine Auswahl der besten Speisen getroffen. Nr. 8 sah mir besonders schmackhaft aus. Es waren Nudeln mit reichlich Gorgonzolasoße. Wieder am Tisch angekommen, sah ich, dass Nr. 8 mit 9 € ein gutes und günstiges Gericht war. Als ich zu den Getränken weiter blätterte, kam bereits der Kellner aus der Küche.
„Hat der Herr schon gewählt?“, frage er sogleich.
„Ja“, sagte ich, „ich hätte gerne das Gericht Nr.8. Beim Getränk bin ich mir noch unschlüssig.“
„Ich würde Ihnen ein Glas Chianti empfehlen.“, warf er ein.
Natürlich, eine gute Idee. Ich war sowieso zu Fuß unterwegs. „Ja, ich nehme den Chianti.“, erwiderte ich.
„Vielen Dank für ihre Bestellung, mein Herr.“
Daraufhin ging er wieder in die Küche. Heute würde ich mir etwas gönnen, der Preis für einen Chianti würde mich schon nicht umbringen. Apropos Preis. Ich hatte bei der Bestellung meines Essens nur auf die Nummer und den Preis geachtet, jedoch mir nicht einmal den Namen des Gerichtes angeschaut. Dies sollte jedoch beim Bezahlen kein Problem darstellen. Ich kannte die Nummer und könnte es im schlimmsten Fall auf der Tafel zeigen. Nach einigen Minuten kam der Kellner wieder aus der Küche und ich sah, wie er auf sämtliche Tische ein Reserviert-Schild stellte.
Daraufhin kam er an meinen Tisch und wandte sich an mich: „Mein Herr, ich muss Sie leider stören. Ich möchte mit einer Bitte an Sie herantreten. Ich habe soeben erfahren, dass sich für den heutigen Abend noch mehrere Personen angekündigt haben. Ich möchte Sie deshalb höflich fragen, ob es Ihnen etwas ausmachen würde, einen Platz im ersten Stock einzunehmen, da wir auch ihren Tisch benötigen. Im oberen Geschoss haben wir sehr schöne Plätze für ein bis zwei Personen. Ich zeige jedoch auch volles Verständnis, wenn Sie an ihrem jetzigen Platz verbleiben möchten.“
„Das werde ich gerne machen. Ich wusste gar nicht, dass Sie noch Plätze in einem weiteren Stockwerk haben.“, erwiderte ich.
„Doch,“, dabei zeigte er in eine Richtung, „da hinten leicht versteckt ist eine Treppe, die ins obere Stockwerk führt. Ich werde Sie zu ihren neuen Platz begleiten.“
„Das ist doch nicht nötig. Ich finde den Weg allein. Und ich möchte Ihnen keine Umstände machen.“
„Mein Herr, die Person die Umstände macht bin ich und zwar Ihnen. Ich bestehe darauf, Sie zu begleiten. Ich möchte Ihnen dabei einen besonders schönen Platz empfehlen.“
Dies hatte der sonst zurückhaltende Kellner mit einer solchen Entschlossenheit gesagt, dass ich nicht wagte zu widersprechen. Also gingen wir gemeinsam in den ersten Stock, der eben so einladend eingerichtet war wie der untere Bereich. Er war wesentlich kleiner mit vier Tischen für jeweils zwei Personen.
Der Kellner blieb an einem Tisch am Fenster stehen: „Mein Herr, ich möchte Ihnen gerne meine Empfehlung für Tisch Nr.10 aussprechen. Sie sitzen hier mit einem angenehmen Blick aus dem Fenster. Außerdem nehmen Sie den Platz so ein, dass Sie unsere Musik noch gut hören können und dabei nicht von ihrer Lautstärke belästigt werden.“ Er wies dabei auf den Lautsprecher an der Decke. Das war wirklich ein schöner Platz und ich setzte mich hin. „Ich danke Ihnen für ihr Verständnis und werde Ihnen bald ihr Essen bringen“, sagte der Kellner und ging nach unten.
Tatsächlich kam er nach wenigen Minuten bereits mit meinem Essen. Zusätzlich stellte er eine kleine Karaffe mit Wein auf den Tisch. Er sagte erläuternd dazu: „Da wir Ihnen so viele Umstände gemacht haben, hat sich das Haus dazu entschieden, Ihnen eine kleine Karaffe Wein für den Preis von einem Glas Chianti zu berechnen. Sie haben so etwas mehr als zwei Gläser Wein für den Preis von einem Glas. Unten weiß man Bescheid.“
Daraufhin blieb er kurz verlegen stehen und fragte dann: „Werden Sie im Verlauf des Abends noch etwas benötigen?“
Ich überlegte kurz: „Nein, ich denke der Wein und natürlich auch das Essen sollten mir reichen.“
Ich sah, dass die Portion mehr als reichlich war und mit dem Wein war ich froh, dass ich zu Fuß gekommen war. Nach einer weiteren verlegenen Pause sagte er wieder: „Dann fürchte ich, dass ich mit einer weiteren Bitte an Sie herantreten muss. Wir haben heute nur sehr wenig Personal. Würde es Ihnen große Umstände bereiten, wenn Sie, nachdem Sie gespeist haben, nach unten an die Theke kommen, um zu zahlen?“
Das war mir sogar ganz recht, da ich so nicht warten musste, bis jemand nach oben kam. „Das ist überhaupt kein Problem für mich.“, sprach ich und fügte hinzu: „Sie sprachen vorhin von Tisch Nr. 10. Muss ich diesen unten beim Bezahlen angeben?“
„Nein, nein,“, gab er zur Antwort, „dies ist nur für uns intern. Aber vielleicht verzeihen Sie uns die heutigen Fehler und besuchen uns erneut, dann können sie beim Reservieren Tisch Nr.10 angeben. Merken Sie sich Nr. 10. Nr. 10.“
Die letzten Worte, bevor er endgültig nach unten ging, hatte er geradezu hypnotisch gesprochen. Das Essen war ausgezeichnet und mehr als reichlich. Jedoch so köstlich, dass nur noch der Teller blitzblank zurückblieb. Der Wein passte, ich hatte eine gute Empfehlung erhalten. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal so gut gegessen hatte. Ich war den ganzen Abend allein im Stockwerk geblieben. Mein Essen fand in einer angenehmen Stille statt. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, als ob man den ersten Stock nur für mich geöffnet hätte und dieser geradezu nur für mich da sei.
Bei einem meiner letzten Schlückchen Wein sinnierte ich darüber, dass zahlreiche Menschen ein Lieblingsrestaurant hatten und ich einen solchen Gedanken eigentlich nie in Erwägung gezogen hatte. Und mit einem Mal beschloss ich: Ja, nun würde auch ich ein Lieblingsrestaurant haben und dies sollte es sein. Ich trank den Rest von meinem Wein aus und ging nach unten zum Zahlen.
Es war kurz nach 22 Uhr. Alle Tische im Restaurant waren bereits leer geräumt. Ich war offenbar der letzte Gast. Um die Theke herum standen vier Kellner. Einer stand an der Kasse, der Zweite säuberte Gläser, eine dritte Person räumt sie ein und der vierte Kellner bewegte sich am Müllereimer hin und her. Keiner der vier Personen war der freundliche ältere Herr, der mich bedient hatte. Ich ging auf den Mann an der Kasse zu und sagte: „Guten Abend, ich möchte gerne zahlen.“
Dieser schaute von der Kasse auf und fragte: „Kommen Sie von oben?“
Ich nickte. Daraufhin wandte er sich zum Kellner an der Mülltonne und sagte: „Räume oben ab!“ Dann wieder an mich: „Was hatten Sie?“
„Es war ein Glas Chianti…“ Dann fiel mir ein, dass der Kellner gleich mit der kleinen Karaffe herunterkommen würde, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, fing ich erneut an: „Es war eine kleine Karaffe Wein, da ich mich jedoch nach oben setzten musste, wird diese als ein Glas Wein berechnet. Sie wissen angeblich Bescheid.“
Der Mann an der Kasse schaute mich entgeistert an und sagte dann: „Nur, weil Sie oben gesessen sind, bekommen Sie den Wein nicht billiger.“
„Der Kellner, ein älterer Herr, sagte mir, da ich den Platz wechseln musste und den großen Tisch verlassen musste, würde mir die Karaffe wie ein Glas Wein berechnet. Er sagte, dass man unten Bescheid wüsste.“
Der Mann an der Kasse schien mit meinen Worten nichts anfangen zu können und sagte nur: „Bei uns arbeitet keine Person, auf welche die Beschreibung zutrifft.“
Mittlerweile war der andere Kellner mit meinem Teller und der Karaffe unten und stellte beides auf die Theke. Der Mann an der Kasse schaute kurz drauf und sagte dann: „Also eine kleine Karaffe Chianti. Was hatten Sie noch?“
Er schrieb das Getränk auf die Rechnung. Ich wollte mir den schönen Abend nicht durch solche Diskussionen verderben und ließ die Sache mit dem Wein darauf beruhen. Nun kam die Frage, was ich gegessen hätte. Ich bemerkte jetzt, dass der Wein mich leicht benebelt hatte. War es nun Gericht Nr. 10 für 8 € und Tisch 9. Oder Gericht Nr. 9 für 10 € und Tisch 8. Etwas verlegen sagte ich: „Es war Gericht Nr. 8 oder Nr. 9.“ Das es auch Nr. 10 sein könnte, wagte ich nicht zu sagen.
„Das muss ich schon genau wissen.“, warf der Kellner ein, „Sagen Sie mir doch einfach den Namen des Gerichtes.“
Eben den wusste ich nicht. „Es war ein Gericht mit Gorgonzola“, versuchte ich zu präzisieren.
„Wir haben sehr viele Gerichte mit Gorgonzola. Sie helfen mir vielmehr, wenn Sie mir den Namen sagen.“, gab er mir zur Antwort.
Ich überlegte kurz, ob ich sagen sollte, dass ich Nudeln gegessen hatte, aber ein solcher Hinweis schien mir in einem italienischen Restaurant verfehlt. Wie ich so nachdachte, begann der Kellner, der die Gläser einräumte, zu lachen und sagte: „Zumindest weiß er, dass er Chianti getrunken hat, zwar nicht wie viel, jedoch weiß er, dass es Chianti war.“ Dabei machte er eine eindeutige Trinkbewegung mit einem größeren Glas. Die anderen stimmten in sein Gelächter mit ein. Ich ignorierte diese Bemerkung. Mittlerweile war mir die Tafel über der Theke eingefallen. Nachdem das Gelächter verstummt war, sagte ich: „Warten Sie, die Tafel, ich zeige Ihnen auf der Tafel was ich gesessen habe.“
Doch statt auf etwas zu zeigen, schaute ich vielmehr völlig verwundert auf die Stelle, wo noch vor Kurzem die Tafel gehangen war. Nichts deutete mehr daraufhin, dass hier einmal eine Tafel war.
„Hier hing doch noch vor Kurzem eine Tafel, wo die Gerichte abgebildet waren.“, rief ich völlig verzweifelt.
„Bitte, sagen Sie mir doch einfach den Namen des Gerichtes.“, sagte der Mann an der Kasse erneut.
Mir kam eine weitere Idee: „Bitte, geben Sie mir doch die Speisekarte. Dann kann ich genau sagen, was ich gegessen habe.“
Etwas widerwillig gab man mir die Speisekarte. Ich konnte es nicht fassen. Hier fehlt eben die Seite, die ich suchte. „Hier fehlt die Seite, die ich suche. Bitte geben Sie mir eine zweite Karte.“
Der Mann an der Kasse seufzte und machte damit deutlich, dass ihn mein Verhalten ganz offensichtlich nervte. Auch in dieser Speisekarte fehlte die entscheidende Seite. Dies konnte doch kein Zufall sein. Der Mann an der Kasse fing wieder an: „Bitte, sagen Sie uns einfach den Namen des Gerichtes, damit wir endlich abrechnen können.“
Der Kellner, der die Gläser einräumte, rief: „Wie können Sie nicht wissen, was Sie noch vor ein paar Minuten gegessen haben.“
Jetzt riss mir der Geduldsfaden. „Verdammt, ich weiß nicht den Namen des verdammten Gerichtes. Es waren Nudeln mit Gorgonzola. Es war Nr. 9 für 8 € auf Tisch 10. Oder Nr. 10 für 9 € auf Tisch 8. Oder noch etwas anderes. Ich weiß es nicht mehr.“
Nun völlig außer mir verlor ich die Kontrolle, ich nahm die Karaffe, welche der Kellner am Tresen abgestellt hatte, hielt sie hoch und schrie: „Und das sollte eigentlich nur ein Glas Wein sein. Ich habe nur ein Glas Wein bestellt.“
Und mir voller Wucht donnerte ich die kleine Weinkaraffe auf den Boden, so dass diese in 1000 Stücke zerbrach. Damit hatte meine Wut ein Ventil gefunden. Als ich daraufhin sah, dass der Kellner an der Kasse zu einem Telefon griff und 110 wählte, ging mir durch den Kopf: Wie dumm, dass dieses Restaurant nun nicht mehr als mein Lieblingsrestaurant infrage käme.
 

Ofterdingen

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Hallo Gilmon,

Sicherlich hat keiner etwas dagegen, wenn ein Text mysteriös daherkommt und überrascht, ganz im Gegenteil, aber wenn das Rätsel anschließend nicht in irgendeiner Weise aufgelöst wird, dürften sich die meisten Leser veräppelt fühlen.

Ein weiteres Problem deiner Erzählung sind die Dialoge: Sie wirken geschraubt und altbacken oder sonst unpassend.

Die Story würde im Übrigen durchaus einige gute Möglichkeiten bieten, doch hast du sie m.E. nicht wirklich genutzt. Schade eigentlich.

Vielleicht solltest du dir den Text noch einmal vornehmen und ihn auch sprachlich/stilistisch ein wenig glatt bürsten.

Frohes Schaffen wünscht

Ofterdingen
 



 
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