Das kurze Nichts

Sofia lag auf ihrem Bett und starrte auf die weiße Decke. Die Vögel zwitscherten und hüpften von einem einen auf den anderen Ast des Baumes, der vor Sofias Fenster wuchs und die Aussicht auf die saftig grünen Hügel versperrte. Die Luft flimmerte noch nicht, aber man spürte, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde.
Sofias Lippen bewegten sich selbstständig und formten die Worte und Sätze des Liedes, welche aus den zitterndes Boxen der Anlage dröhnten. Ihre Hand glitt über ihre Brust, ihren Bauch – sie spürte es nicht. Über ihre Beine kroch eine Gänsehaut, ihre Zehen wippten zum Takt des Songs – das junge Mädchen registrierte es nicht. Sofia war leer und alleine. In ihr drängten sich Termine, Worte, Momente, Ängste und Hoffnungen aneinander, kämpften um jeden Zentimeter, Augenblick und vereinten sich, ohne sich zu berühren, zu einer endlosen Weite, zum Nichts.
Während in der Bremer Straße ein LKW in ein rotes Personenkraftfahrzeug preschte, Frau Sturen, Sofias Nachbarin, ihren ersten Pflaumenkuchen des Jahres backte, und Theresa sich zum ersten Mal mit Tom vereinte, passierte bei Sofia nichts. Absolut nichts. Tote Hose.
Und doch erlebte auch sie ein erstes Mal. Sofia erlebte ihr erstes, bewusstes Nichts. Eine Leere, eine Belanglosigkeit, die das junge Mädchen als "heilig", gleichzeitig aber auch als bedrohlich empfand. Fremd.
Als Sofia sich ihrer Situation bewusst wurde, durchfuhren sie tausend Gedanken. Zu viele, um sie aufzuzählen. Gerade wollte sie diesem Zustand ein Ende setzen, da wurde ihr klar, wie wertvoll ein solches Erlebnis war und dass sie sich nach genau dem gesehnt hatte. Oft hatte sie von Ruhe geträumt, Erholung gesucht – jetzt war er da. Der Moment, in dem sie aufhörte zu sein und sich dennoch in ganz neuen Formen zu erleben.
Sofia drückte die Lider aufeinander und freute sich. Sie hoffte, nun Kraft und Erkenntnis zu gewinnen – da war es vorbei.
Die Vögel zwitscherten, der Kuchen wurde in den Ofen geschoben und Theresa stieg aus dem Bett. Es war vorbei.
 



 
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