Das letzte Rennen

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Drachenbootsport

Die genormten Boote im Drachenbootsport sind, ohne Kopf und Schwanz, 12,49 m lang und 1,16 m breit. Die Besatzung besteht aus 20 Paddlern, die paarweise, hintereinander in Fahrtrichtung, auf schmalen Bänken sitzen. Am Heck steht der Steuermann, der die wichtige und schwierige Aufgabe hat das Boot, mittels Langruder, auf Kurs zu halten und das Gleichgewicht auszubalancieren. Im Bug ist die große Trommel befestigt. Dort sitzt der Trommler mit Blick auf die Besatzung und gibt den Takt der Schlaggeschwindigkeit, die die beiden ersten Paddler im Boot vorgeben, an den Rest der Mannschaft weiter. Gepaddelt wird mit Stechpaddeln aus Kunststoff, Holz oder Carbon. Ein vollbesetztes Drachenboot wiegt über 2.000 kg. Zu wichtigen Ereignissen, wie z.B. einem Rennen, werden Drachenkopf und ein gezackter Schwanz am Boot befestigt.
Die Geschwindigkeit, mit der solch ein Boot unterwegs ist, ist nicht so sehr von der Kraft des Einzelnen abhängig, sondern vom Gleichklang und der Harmonie des Teams.
AHOI!



Das letzte Rennen

Wir sitzen alle in einem Boot. Der Steuermann hat die Plätze verteilt und entschieden, wer in der vordersten Reihe, dem Schlag, paddelt. Das Gewicht ist austariert, das Boot liegt gut im Wasser. Der strahlend blaue Himmel, der sich zu Beginn des Rennens über das Flusstal spannte, ist unter einer dicken Wolkendecke verschwunden. Nieselregen hat eingesetzt.
Lockeres Paddeln zum Aufwärmen und dann geht es an den Start. Fünf Drachenboote haben sich nebeneinander aufgereiht. Wir konnten uns für dieses letzte, entscheidende Rennen qualifizieren. Das ist mehr, als wir zu hoffen gewagt hatten. Über Megafon erteilt der Starter Anweisungen: „Boot 2, drei Schläge vor! Boot 3“, das sind wir, „zwei Schläge zurück!“
Nervös peitscht unser Drache seinen gezackten Schwanz durchs Wasser. Ruhig Drache, ruhig! Nach der langen Winterpause ist Draco heute endlich wieder zum Leben erwacht und schnuppert Wettkampfluft. Es wird still in den Booten. Volle Konzentration! Die Startphase ist enorm wichtig. Es kann sein, dass in diesen wenigen Sekunden bereits das Rennen entschieden wird. Unzählige Male haben wir den Start in den letzten Wochen geübt, fünf kräftige Schläge, zehn kurze und dann die Streckenschläge, lang, lang, ...
Alle warten auf den Startschuss!
Das Signal des Starters ertönt: „Are you ready? Attention! PENG!!!“
Hundert Stechpaddel tauchen tief ins trübe Flusswasser, ziehen mit Anriss druckvoll durch, um in weniger als einer Sekunde wieder einzutauchen. Zack! Zack! Zack!
Jede Mannschaft versucht ihr zentnerschweres Boot in Bewegung zu setzen, sich dem Gesetz der Trägheit entgegen zu stemmen.
Die Trommlerin schlägt den Takt und feuert uns an, brüllt aus vollem Hals: „Eins, zwei, drei, vier, ... Weiter so! Strengt euch an!“ Der Steuermann steht hinten im Boot, das Langruder fest in der Hand und seine Mannschaft im Blick. Boot Nummer 2, zur Rechten, die Mannschaft in den leuchtend blauen T-Shirts, bricht aus, warum auch immer, und kommt uns gefährlich nahe. Kurzes Touchieren der Paddel, dann gelingt es unserem Steuermann uns aus der Gefahrenzone zu lotsen. Weiter geht's mit langen kräftigen Schlägen. Boot 4, ein rotes Boot mit schwarzer Flagge am Heck, schiebt sich an uns vorbei, Meter um Meter. Boot 2 hat seinen Rhythmus noch nicht wieder gefunden und fällt zurück.
„Weiter so! Boot liegt gut!“, ruft der Steuermann. In absoluter Übereinstimmung tauchen die Paddel ins aufgewühlte Wasser. Im Bauch des Drachen pulsiert die Energie und die Kraft der zwanzig Paddler, die zu einer Einheit verschmelzen und das Boot vorantreiben, verbunden durch den Willen gemeinsam zu siegen.
„Lang! Lang!“ schreit die Trommlerin. Es ist wichtig, dass sich der Abstand zu Boot 4 nicht vergrößert. Das monotone Bumm, Bumm der Trommel gibt die Schlagzahl der ersten beiden Paddler vorn im Boot weiter. Die Mannschaft keucht, die Arme erlahmen,
„Reißt euch zusammen“, brüllt die Trommlerin. „Die kriegen wir!“
Wir liegen gleichauf mit Boot 1, doch das erkennt nur der Steuermann. Die Mannschaft schaut weder rechts noch links, sie paddelt was das Zeug hält. Der zweite Platz scheint sicher, wenn wir nicht einbrechen und die Schlagzahl halten können.
Die Trommlerin schreit sich die Seele aus dem Leib. „Zieh! Zieh! Lang! Lang! Nicht nachlassen!“
Der Himmel hat seine Schleusen geöffnet, aber das ist egal. Klatschnass sind wir sowieso. Wir kämpfen weiter, mobilisieren die letzten Reserven. Jetzt ist nur noch das rote Boot vor uns, dessen schwarze Flagge am Heck, verdammt noch mal, nicht näher kommt. Wir erhöhen die Schlagzahl. Draco mag es nicht hinterher zu paddeln, und folgt zornig dem roten Boot, auf dessen schwarzer Flagge am Heck ein leuchtend rot-oranger Drache uns hämisch angrinst. „Flieg, Draco! Flieg!“
Schnaubend setzt er nach und seine Wut lässt den Bauch des Bootes vibrieren. Wir kämpfen uns heran, Zentimeter um Zentimeter. Die schwarze Flagge ist fast zum Greifen nahe, als wir das Ziel erreichen. Wir schaffen es!
Ein lautes Hupen reißt uns aus unserer Euphorie. Das rote Boot hat die Lichtschranke am Zieleinlauf passiert. Sekunden später verkündet die Hupe, dass auch unser Boot das Ziel erreicht hat.
Die immense Anspannung fällt ab, durchschnaufen, die steifen Muskeln lockern. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl breitet sich aus. Die Mannschaft jubelt. Wir sind hocherfreut über unseren zweiten Platz und jeder in der Mannschaft ist stolz, dass er seinen „inneren Schweinehund“ während des Rennens niedergekämpft und nicht aufgegeben hat.

Der Steuermann wendet das Boot. Langsames Paddeln zum Steg. Wir legen an und booten aus. Unsere Trommlerin steigt von ihrem erhöhten Sitz am Bug des Drachenbootes. Etwas steifbeinig steht sie auf dem hölzernen Steg, strahlt uns an und fragt mit heiser krächzender Stimme. „Und? War ich gut oder war ich gut?“
„Du warst klasse!!!“
Erschöpft und vergnügt klatschen wir ab und gehen triefnass mit unseren Paddeln in der Hand die Uferböschung hinauf. Ob es Flusswasser oder Regenwasser ist, das aus unseren Kleidern tropft, interessiert niemanden. Wir sind stolz auf unseren zweiten Platz!
An der Uferpromenade bleiben wir stehen und warten auf unseren Steuermann, der unseren Draco noch an die Leine legen muss.
Der Steuermann macht ihn am Steg fest und tätschelt ihm das Maul mit den großen, bedrohlich ausschauenden, spitzen Zähnen.
„Na, Draco, hat's Spaß gemacht?“
Draco zwinkert ihm zu, grinst, schließt die Augen, aber nur solange bis der Tag kommt, an dem es wieder heißt: „Are you ready? Attention! GO!“
 
K

Kara

Gast
... da möchte ich doch gleich mit einsteigen!
Viele Grüße
Uschi
 
Hallo Uschi,
freut mich sehr, dass du einsteigen möchtest!
Probier es mal aus. Drachanboot-Vereine gibt es überall auf der Welt. Mich hat es voll erwischt, bin süchtig nach Drachenboot-Paddeln!

Gruß
Anita K-M
 
Ich hatte meine Kurzgeschichte an die Tageszeitung hier vor Ort geschickt. Sie wurde unter der Überschrift "Flieg, Draco! Flieg!" am letzten Samstag veröffenlicht.
Ich hoffe, es ist mir damit gelungen das Drachenboot-Paddeln hier in der Region bekannter zu machen.

AHOI!
Anita Koschorrek-Müller
 
Hallo Anita Koschorrek-Müller,

Uschi schrieb, dass sie am liebsten gleich selbst in das Drachenboot einsteigen würde. Also, ich weiß nicht, das Wettkampf-Paddeln liest sich doch ganz schön anstrengend. Aber ich brauche ja gar nicht real einzusteigen, denn du beschreibst das Rennen so packend und anschaulich, als ob man bereits im Boot sitzt, man kämpft und paddelt richtig mit. Du verstehst es wirklich, deine Faszination für das Drachenboot rüberzubringen. Witzig finde ich auch, wie du dem hölzernen Drachenkopf Leben und Persönlichkeit verleihst. Also, vielleicht paddel ich doch einmal realiter in einem Drachenboot mit, aber wahrscheinlich erst in meinem nächsten Leben.

Grüße
Stefan Sternau
 
Hallo Anita

Das freut mich für Dich! Ich habe zuvor noch nie was von Drachenbootsport gehört, aber Deine Geschichte macht Lust darauf :) Mir gefällt auch Deine Einleitung für die im Drachenbootsport (noch) Unerfahrenen.

Schöne Grüsse

Claudia
 
Hallo Stefan Sternau,
es freut mich sehr, dass du dich ins Boot gesetzt und mit gekämpft hast. Das ist ein ganz großes Kompliment.
Ich wollte mit der Geschichte für den Drachenbootsport in der Region werben. Der Text erschien, mit Foto, in der hiesigen Tageszeitung, doch bisher keine Resonanz. Mal abwarten, ob die steigenden Temperaturen ein paar Interessierte ins Boot locken?

Du solltest mit deiner ersten Fahrt im Drachenboot nicht zu lange warten! Probier es aus, könnte sein, dass dir ein kleines Abenteuer entgeht. Und ob du in deinem nächsten Leben in der Lage bist, je nach dem, als was du nochmal auf der Bildfläche erscheinst, ein Paddel zu halten - wer weiß?
Ein bisschen anstrengender als ein Gaspedal betätigen ist es schon, aber wirklich nur ein bisschen. ;-)

Liebe Grüße
Anita
 
Hallo Claudia,
mit der Einleitung hatte ich mich erst ein wenig schwer getan. Anfangs hatte ich einige Fakten über den Drachenbootsport in der Geschichte eingebaut, doch "Das letzte Rennen" hat dadurch an Spannung verloren.
Freut mich, dass dir die Lösung, vorab ein paar Information über diese meist unbekannte Sportart zu bringen, gefällt.

Wenn du Interesse hast, schau doch mal bei youtube nach. Da gibt es etliche Filmchen über Drachenbootrennen. Unter anderem auch über den Monkey-Jumble in Saarbrücken, 11km Langstrecke im Massenstart mit über vierzig Booten. Ich hab mir das letztes Jahr angeschaut - Wahnsinn!!!
Dort mitzupaddeln trau mir allerdings nicht mehr zu.

Vielen Dank für deine positve Rückmeldung

Liebe Grüße
Anita
 



 
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