Das politische Gedicht

Duisburger

Mitglied
Hallo,

augehend von dieser diskussion hier
http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=79389
möchte ich diese hier weiterführen.
Es ging um die u.a. um die frage, ob sich eine ernsthafte politische auseinandersetzung angemessen lyrisch umsetzen lässt. Sicherlich hat der ein oder andere sich daran schon mal versucht. So auch ich und bin daran gescheitert, wie ich finde. Das hier schrieb in kurz vor dem zweiten golfkrieg. Das ergebnis betärkte mich in meiner meinung, dass die lyrik kein besonders geeignetes medium für komplizierte politische themen ist.

In diesen Tagen

Die Furien des Krieges
zerren an ihren Ketten
wieder einmal bereit
zu töten und verwunden
im Namen einer gerechten Sache

Gerecht nach jenen Werten
die ein einzelner propagiert
eines engstirnigen Demagogen
der selbst die Mächtigen einstimmt
in den Chor der Schlachtlüsteren

Jedem Argument verschlossen
nur seinem eigenen Plan folgend
welcher einzig allein ihn leitet
in seines Vaters blutiger Spur
die er nun auch beschreiten will

Die Schlacht wird geschlagen
die Mächtigen stolzgeschwellt
die breiten Massen geblendet
die Kämpfenden blutend
der eine zutiefst befriedigt

Töricht zu Glauben
das es nicht wieder geschieht


Aber bitte, es geht hier nicht um dieses werk, das dient nur als (abschreckendes :D) Beispiel, sondern um das "politische gedicht" an sich.

lg
duisburger
 

knychen

Mitglied
ich denke, daß sich lyrik genau wie alle anderen stile der literatur eignet, politisch stellung zu beziehen und aufmerksamkeit zu erregen.
nimm nur die "moabiter sonette" von albrecht haushofer.
man fand die manuskripte in der leichenstarren faust des hingerichteten autors auf einem brachgrundstück in berlin kurz nach ende des zweiten weltkrieges. der blanvaletverlag eröffnete damit seine nachkriegseditionen.
geschrieben im moabiter knast und bei sich getragen auf dem angeblichen weg in die freiheit.
da bekommen zeilen wie:

Es gibt wohl Zeiten, die der Irrsinn lenkt.
Dann sind's die besten Köpfe, die man henkt."

eine wucht, die diese zeilen dann auch einprägt.
gruß us berlin.
knychen
 
H

HFleiss

Gast
Das Beispielgedicht, Duisburger, krankt daran, dass du zuwenig hinter die Kulissen siehst, sondern lediglich in ein, durchaus verständliches, folgenloses Klagen ausbrichst. Zeig die Hintergründe auf, zeig, wie es funktioniert, und zwar nicht der Krieg an sich und seine Auswirkungen, sondern welche Machtmechanismen hier tätig sind. Um das tun zu können, muss man sich allerdings mit den Dingen beschäftigt haben und sich eben nicht nur mit der Oberfläche oder, um bei deinem anderen Gedicht zu bleiben, mit den Kulissen zufriedengeben. Kein Mensch, der nicht von ihm profitiert, mag den Krieg, und insofern ist das vorgestellte Gedicht für mich doch recht allgemeinkonkret, menschelnd.

Gruß
Hanna
 

Walther

Mitglied
Moin Duisburger,

mit diesem Text wärst Du wohl nicht zum "Fast-Bestseller-Autor" geworden. :)

Nun zum Thema.

Wichtig ist, daß gute politische Lyrik nur aus der verarbeiteten Betroffenheit entsteht. Betroffenheitslyrik jeder Art ist meist schlecht. Oder
allgemeinkonkret, menschelnd
, wie Hanna das treffend beschreibt.

Kurz gesagt: Gute politische Kunst ist noch seltener als "normale" gute Kunst, eigentlich eine Rarität. Daher gibt es davon in der Tat mehr abschreckende als einladende Beispiele.

So weit, so schlecht. ;)

Gruß W.
 

Duisburger

Mitglied
Hallo,

das bestätigt meine meinung, dass man eine tiefgehende auseinandersetzung mit lyrik kaum umsetzen kann.
Zeig die Hintergründe auf, zeig, wie es funktioniert, und zwar nicht der Krieg an sich und seine Auswirkungen, sondern welche Machtmechanismen hier tätig sind.
Das ist mir bei politischen themen nicht möglich und ich werde es auch nicht mehr versuchen.
Aber mal weg von meinem "werk" und hin zu fried und nicaragua.
Dieses werk wird ja immer wieder als paradebeispiel eines politischen gedichtes herangezogen. Inhaltlich für mich ganz ausgezeichnet. In dieser politischen auseinandersetzung ist ein roter faden vorhanden, an dem man langlesen kann. Fried erzeugt betroffenheit und/oder unbehagen (je nachdem) mit einfachen mitteln, ohne plakativ zu wirken.
Aber ist es ein gedicht? Erfüllt es die formalen kriterien? Oder ist es eher ein prosatext, dem eine versform gegeben wurde, weil diese block für block den leser den leser an freids intension heranführt? Die versform unterstützt sicherlich die einzelnen "wahrheiten" und gibt ihnen einen optischen rahmen.
Reicht das für ein gedicht?

lg
duisburger
 

Walther

Mitglied
Moin Duisburger,

das Thema "Erich Fried und Lyrik" wäre sicherlich ein abend(foren-)füllendes. Ich schätze Erich Fried und seine Poesie sehr.

Allerdings: Ich empfinde seine auf aktuelle politische Ereignisse reagierenden Texte als seine schwächsten. Lyrik setzt bei einem Thema Verarbeitung, Transparenz, Distanz und Überzeitlichkeit voraus. Frische Eindrücke lassen sich zwangsweise nicht verdichten, wie auch. Sie sind ja frisch. Des Pudels Kern findet sich meist erst nach längerer Betrachtung einer Fragestellung. Und um den geht es in der Lyrik.

Frische Eindrücke sind etwas für Texte mit etwas epischer Breite. Gut geeignet: Publikumsbeschimpfungen im Essay- oder Kommentarstil. Oder auch: Kabarett und Satire. Aber bitte nicht in Lyrik. Da will alles wohl abgehangen sein. Auch die Leiche im Keller. :)

Es grüßt

der W., jetzt wieder im Off
 
N

nobody

Gast
Hallo!

Beim Lesen der Eingangsfrage

„ob sich eine ernsthafte politische auseinandersetzung angemessen lyrisch umsetzen lässt“
und der Meinung
„dass die lyrik kein besonders geeignetes medium für komplizierte politische themen ist“

habe ich mich ernsthaft gefragt: Was soll das? Die Existenz politischer Lyrik ist ein Fakt, mit den Wirkungen hat sich die Wissenschaft (kontrovers) auseinandergesetzt, wem danach ist, der dichtet sowieso (oder agitiert oder greint sicht aus oder drückt sonst seine Befindlichkeit aus). Also was soll’s?

fragt sich mit lieben Grüßen
Franz

PS:
Im Februar 2006 hatte ich im Rahmen einer „Schreibaufgabe nach vorgegebenen Wörtern“ folgendes Gedicht hier eingestellt. Den Thread habe ich längst gelöscht, aber vielleicht regt der Text dazu an, einen „Katalog von Negativ-Kriterien für politische Gedichte“ aufzustellen.

Veröffentlicht von nobody am 05. 02. 2006 18:07

Vision

Der Tod ist ein Meister
nicht nur in Deutschland.
Grinsend streckt er wieder den Schädel
über die Achsen des Bösen.

Ich höre das Geifern der Menschenmenge
schreiend die Vernichtung des Ungläubigen fordern,
sehe den Gutmensch, tödlich den Finger am Abzug,
die Rechte auf dem patriotischen Herzen.

Ich sehe die Flüchtenden ohne Schuhe
stolpernd vor den trampelnden Stiefeln,
erfroren unter dem Schleier der Sonntagsreden,
sehe Berge von Haaren, Zähnen und Brillen,
sehe die ewigen Warner verständnisvoll nicken,
irrational im Traum von der Toleranz.

Ich sehe die Dome, Moscheen, Synagogen,
die Allerheiligste Börse verwüstet.
Zerstrahlt von den goldenen Sonnen der Freiheit
liegt der Mensch unter den Trümmern der Welt,
grau brennt der Schnee über den Leichen.
Der Tod ist ein Meister urbi et orbi.
 

Duisburger

Mitglied
Die Existenz politischer Lyrik ist ein Fakt, mit den Wirkungen hat sich die Wissenschaft (kontrovers) auseinandergesetzt, wem danach ist, der dichtet sowieso (oder agitiert oder greint sicht aus oder drückt sonst seine Befindlichkeit aus). Also was soll’s?
Aha, sollen wir mit diesem statement nun die diskussion abschließen? Ausserdem hast du die provokative frage als solche wohl nicht verstanden.
Diese sollte eine kontroverse diskussion auslösen.
Im übrigen, warum du dann nach dem "was solls" noch weiterschreibst und einen beweis antreten willst, verstehe ich dann nicht.
Aber ich würde mich freuen, wenn du weiter mitdiskutieren würdest.

lg
duisburger
 
H

HFleiss

Gast
Nobody, zu dem Gedicht will ich mal nichts weiter sagen, es meiner Ansicht nach nicht schlecht, aber auch nicht überragend gut (wobei es vermieden werden sollte, wie du es tust, bei anderen Dichtern zu klauen: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland z. B.) Du sprichst darin alles an, was überhaupt anfiel zu einem gewissen Zeitpunkt und da machst du genau dasselbe was auch Chatchaturian gemacht hat: einen Rundumschlag. Deshalb scheint mir die Wirkung doch nicht so ungeheuer groß zu sein. Aber gerade mit dem politischen Gedicht will man ja als Autor provozieren, dozieren, instrumentalisieren usw.

Es gibt noch einen deutschsprachigen Autor, der sehr viele politische Gedichte gemacht hat, im Westen wohl kaum bekannt: Erich Weinert, einen Zeitgenossen von Tucholsky. Er vermeidet im Grunde jeden Bierernst, er nimmt die Politik und seine Gegenwart auf die Schippe. Er hatte damit bei seinen Vorträgen vor Proleten sehr viel Zuspruch, aber er war Kommunist, also ein Nicht-Dichter, den man schleunigst vergessen muss.

Nun schreibt man in unserer Zeit nicht mehr so wie er oder Tucholsky, und ich bin ganz hilflos, Duisburgers Gedicht ist es meiner Ansicht nach auch nicht, und am nächsten kommt wohl Walther dem, worauf es bei einem politischen Gedicht ankommt.

Nun gibt es aber mindestens zwei Arten des politischen Gedichts: das, was Walther meint, das reflektierende, und das aktuelle Gedicht, sie verhalten sich wie in der Musik wie E und U, scheint es mir. Welche Gründe gibt es dafür?

Gruß
Hanna
 
N

nobody

Gast
@Duisburger:
Tatsächlich ist mir das Provokative in Deiner Frage nicht bewusst geworden - entweder war es so geschickt getarnt, oder nachträglich behauptet, oder es liegt an meinem nachlassenden Auffassungsvermögen. Wie dem auch sei - auch Du scheinst die Provokation nicht verstanden zu haben, die in meiner Antwort lag. Es ging mir doch ganz offensichtlich nicht darum, die Diskussion hier abzuwürgen, sondern ihr Impulse zur Weiterführung zu geben. Deshalb auch das angehängte Gedicht, das expressis verbis nicht auf Applaus abzielte, sondern gerade diesen wirkungslosen Rundumschlag dokumentieren sollte, den HFleiss andeutete.

Jedenfalls fühle ich mich geehrt, wenn Du schreibst, es würde Dich freuen, wenn ich hier weiter mitdiskutiere. Nach den neuen Regeln bist Du ja der absolute Herrscher über diesen Thread...

@HFleiss:
Du schreibst:
„...(wobei es vermieden werden sollte, wie du es tust, bei anderen Dichtern zu klauen: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland z. B.)...“

Meine Anspielung auf Celans wohl bekanntestes Gedicht als „klauen“ zu bezeichnen, halte ich für unangebracht, wenn nicht gar ehrenrührig. Ich halte es für legitim, dieses zum Allgemeingut gehörende Zitat (in bewusst und erkennbar veränderter Form) als Aufhänger für das Gedicht zu verwenden. Das „z.B.“ suggeriert außerdem weitere „Diebstähle“ - könntest Du mich da bitte aufklären? Außer Celan habe ich niemand bewusst zitiert.

Zum Thema:
Womit ich hier die meisten Schwierigkeiten habe, sind die Begriffe „Lyrik“ und „lyrisch“. Anscheinend wissen alle bescheid, worüber genau gesprochen wird, nur ich nicht. Seiten über Seiten von Definitionen, Abgrenzungen zur Epik, Überschneidungen, historische Entwicklungen, aber kein Lexikon bringt es auf den Punkt. Es ist ja schon hier in der Leselupe nicht immer jedem klar, wohin er seine Texte schicken soll. Walther sagt etwas zum Inhalt, andere wiederum meinen sicher die Form - und dann schon gar „politische Dichtung“ und „politische Gedichte“. E- oder U-Musik? Ich bin hilflos.

Was „politische Gedichte“ angeht, bin ich ja eher auf der Verbraucher- als auf der Erzeugerseite. Als solcher erreicht mich ein politischer Text dann, wenn er mich emotionalisiert, also betroffen macht, nachdenklich macht, zornig macht, auf die Barrikaden treibt - sei es als Prosa, sei es in Gedichtform (bzw. in epischer oder lyrischer Form). Nur „gut“ muss er sein. Als „besonders geeignet“ würde ich die lyrische Form so pauschal eben aus diesem Grunde nicht bezeichnen - es kommt darauf an... Warum sollen nicht auch komplizierte politische Themen gedichtmäßig behandelt werden können - Abtreibung, Sterbehilfe, Globalisierung etc.? Erreichen sie mich dann weniger als Prosa?
Deshalb würde ich das Gewicht der Eingangsfrage (ob sich eine ernsthafte politische auseinandersetzung angemessen lyrisch umsetzen lässt) weniger auf das „ob“, sondern mehr auf das „wie“ legen.

Gruß Franz
 
H

HFleiss

Gast
Nobody, ein einziger Klau reicht aus, um Ärger zu kriegen. Hier in diesem von dir eingestellten Gedicht wirkt das Zitat wie ein Abendkleid in der Warteschlange beim Arbeitsamt, entschuldige, dass ich das so drastisch schreibe. Ich denke, es sollte jedem klar sein, dass er eigene Werke nur mit eigenen Worten produzieren sollte, nicht nur wegen der Plagiatsfrage. Benutzen kann man dieses Celan-Zitat selbstverständlich, aber niemals in der eigenen Lyrik, es sei denn, man paraphrasiert. Soviel zum Klau des Celan-Zitats "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland".

Gruß
Hanna
 
Ich denke da spontan

an Heine und "Die Schlesischen Weber", und an viele Texte aus dem Bereich der ehemaligen DDR und UDSSR, oder gerade auch an südamerikanische/ afrikanische Schriftsteller.

Die "Impotenz" zu politischer Lyrik (und Prosa) liegt nicht in der Natur der Sache (Lyrik und Politik seien unvereinbar), sondern in der Natur der Autoren (in ihrem Welterleben/ ihren pol.Weltbildern, usw.).
 
Und hier ein Beispiel aus uralten Tagen von mir:

aus aktuellem Anlass: Schwarzkopf 1991

Sie haben wieder ein Land ins Mittelalter zurückgebombt,
so wie damals –
es ist schon vergessen für diejenigen,
die nicht täglich eine Handvoll
agent-orange vergifteten Reis
aus dem alten Vater Mekong essen,
als sie Seelen aus Leibern bombten.

Jene Zensur der Bilder,
jenes Verbot des Sprechens,
welches sie fast unsichtbar über ihre Videospiele legten,
das den Flug der cruise missiles über Bagdads Dächern harmlos machte
und die Schläge der Artillerie in freundliche Beduinenfeuer übersetzte,
wäre nicht notwendig gewesen.

Denn es verrieten uns die programmierten Waffencomputer nichts Menschliches,
es schwiegen die Schiffe im Golf uns an,
wenn sie mit Namen wie Präsident Lincoln oder Korallensee beim Abfeuern der Schiffsgeschütze
ein wenig nach Feuerlee überneigten,
die Flugzeuge waren nur ein weißes Rauschen,
als sie mit laufenden Nachbrennern
und der achtzigtausendsten Bombenlast
von den Pisten Dharans im Nachthimmel verschwanden.

Jene Furcht vor der Macht der Sprache und der Bilder
auf Seiten derer,
die Freiheit und Gerechtigkeit auf solche Art bringen,
war unbegründet,
denn dieser Wüstensturm
und das vorsätzlich damit erzeugte Elend
reichen hunderttausend Tode weiter
als die schildernden und beschreibenden Fähigkeiten irgendeiner Sprache des Erbarmens.
 
L

label

Gast
ob politische gedichte "möglich" sind - ist das eine germanistische haarspitzenspalt-diskussion?

Frische Eindrücke sind etwas für Texte mit etwas epischer Breite. Gut geeignet: Publikumsbeschimpfungen im Essay- oder Kommentarstil. Oder auch: Kabarett und Satire. Aber bitte nicht in Lyrik. Da will alles wohl abgehangen sein. Auch die Leiche im Keller.
bei der aussage gruselt mich "wohl abgehangen sein" d. h. da ist etwas tot, schon länger und das entspricht lyrik?


politische gedichte existieren - demzufolge sind sie möglich

in welcher form die innewohnenden gedanken erscheinen - ist geschmackssache (frisch, druchgekaut, abgestorben) - es sei denn dass die germanisten schablonenvorgaben haben (die zu beachten ist zwingend notwendig, wenn die form wichtiger ist, als der inhalt)
ich fasse den gedicht-begriff etwas anders auf.
ein verdichteter text- nicht fliessend wie die rede, sondern dichter, kompakter - umgeformt, worthinterfragt mit assosationskettenmechanik.
es gibt natürlich auch die schluck-weg gedichte, die kein nach-denken erforderlich machen (ergo konsumfreundlich), leicht verdaulich und deshalb vergnüglich.

der inhalt eines verdichteten textes kann meines erachtens keinesfalls vorgeschrieben werden (das klingt schon verdächtig nach verbrennt die bücher/werke/hersteller)
ausnahmen davon gelten höchstens im germanisten-universum, dort gibt es inhalts-bullen, form-enzykliken und stil-dogmen.

letzlich ist es geschmackssache was mundet
 

Walther

Mitglied
Moin Label,

irgendwie scheinst Du etwas über das Ziel hinauszuschießen. Wir sind hier unter zivilisierten Menschen, und da gehören solche Formulierungen wie die unten nicht dazu.
der inhalt eines verdichteten textes kann meines erachtens keinesfalls vorgeschrieben werden (das klingt schon verdächtig nach verbrennt die bücher/werke/hersteller)
Kurz: Das ist für mich völlig unirdisch und total daneben.

Jedem steht zu, das zu sagen, was er für richtig hält, solange man bei den Formen bleibt. Hier aber wurde die Grenze des guten Geschmacks deutlich überschritten.

Nun zum Inhalt Deines Eintrags. Ich habe meine Meinung gesagt, daß Betroffenheitslyrik in der Regel schlecht ist. Das gilt auch für die meiste politische Lyrik, die sich sehr häufig als emotionaler Schnellschuß aus der Hüfte herausstellt. Für die meiste Liebeslyrik gilt übrigens die gleiche Einschätzung.

Es bleibt Dir selbstverständlich unbenommen, das anders zu sehen. Das ist in der Tat eine Meinungs- und Einschätzungsfrage. Wie man überhaupt zum Glück in diesem Land jede Meinung haben kann, und sei es auch die dümmste aller Zeiten, und diese sagen darf, solang es sich nicht um eine Aufforderung zu einem Verbrechen handelt.

Gruß W.
 
L

label

Gast
Hallo Walther

ich entnehme deiner Antwort, dass unter zivilisierten Menschen die Aussage "der Inhalt eines verdichteten Textes dürfe nicht vorgeschrieben werden", die Grenzen des guten Geschmacks überschreite.


Geschmack ist auch geregelt und vorgeschrieben?
von Wem?

Wir haben schon einmal Worte gekreuzt und ich kann mich DEUTLICH erinnern.
Mich beschleicht das unangenehme Gefühl, daß du bei sachlicher Kritik sofort persönlich wirst.
Ich lese deine Antwort so: Du bist im Besitz von guten Geschmack, meine Aussage passt nicht zu deiner - ergo habe ich (label) KEINEN guten Geschmack und gehöre demzufolge auch nicht zu den zivilisierten Lebensformen.

Das kränkt mich

Ich empfinde dich als übergriffig und in meinen Rechten als Individuum verletzt

label
 

Walther

Mitglied
Label,

das klingt schon verdächtig nach verbrennt die bücher/werke/hersteller
- darum gings, und das, was Du da geschrieben hat, ist völlig daneben. Ende.

Der Rest Deines Eintrags sind Ablenkungsmanöver. Oder Schlimmeres.

Nochmals: Ich habe weder die Weisheit noch die Wahrheit gepachtet. Und ich habe auch nichts gegen Kritik oder abweichende Ansichten. Wer sich aber in seinen Vergleichen wie oben derartig versteigt, der sollte sich nicht wundern, wenn es dann eine entsprechende Antwort hagelt.

Mit der Hitlerei, mit der möchte ich nicht einmal andeutungsweise in Verbindung und auf gar keinen Fall verglichen werden. Schon gar nicht mit Bücherverbrennern. Wer andere Ansichten damit in Verbindung bringt, Entschuldigung, aber da braucht man eigentlich nichts mehr dazu zu sagen, so jenseitig ist das.

Wenn hier einer beleidigt also sein darf, dann bin ich das. Ich aber habe mich nur gegen diese obige Verbindung mit dem Naziregime verwahrt. Daher gibt es auch keine Entschuldigung vor mir. Ebenso, wie ich von Dir weder eine verlange noch eine erwarte.

Was man evtl. erwarten könnte, wäre ein Einsehen, daß man seine Wortwahl und die Vergleiche, die man zieht, einmal prüfen sollte, bevor man sie in die Welt setzt. Denn nachher ist manchmal spät oder sogar zu spät.


Gruß W.
 
Label, Du hast fans: mich zB bzgl. Deiner Aussagen in "politische gedichte existieren - demzufolge sind sie möglich" und dem dann Folgenden.
Meine volle Zustimmung.

Allerdings stimmt es wohl auch, dass aktuelle Lyrik + in BRD heute + dem hier eingestellten PISA-Syndrom, das sämtliche Bevölkerungsschichten durchseucht, "tot und abgehangen" daherkommt. Äußerlich und vorderhand also nichtssagend und repetitiv-nostalgisch bis zum fast-Erbrechen, gerade deshalb aber sehr vielsagend als Vermeidungsstrategie: unpolitisch, unsozial, egozentrisch, selbstvergessen-und-trotzdem-individualistisch, scheu+klappig, unaktuell - die Inhalte defizitär, dass man sich fragt, weshalb sie überhaupt geschrieben werden, und gerade deshalb die Formen überbewertend wie krebsige Neoplasien.
Eine Ritual-Verbalisation der Aussichtslosigkeit, die sich nach Nostalgien streckt, weil sie der Gegenwart und Zukunft nicht gewachsen ist. Die unermüdliche Anbetung und formelhafte, lyrische Nachsprechung vermeintlich großer alter Meister/ das ist verzweifeltes Gebet, es ist zwergliche Adoration des vermeintlich einst gewesenen Großen (siehe Liebeslyriken und Naturlyriken), Leerlauf in überkommenen Formen - mechanisch wie ein technisches Getriebe, weil es an eigenem Mut, an Ideen, an Realitätsbegreifungen, an Experimentierfreude fehlt, an der Fähigkeit heute aktuelle Wirklichkeiten zu packen - gerade so, als würde die Sprache zu ihrem Begreifen nicht mehr funktionieren.
Die Form schützt äußerlich davor, nachzuerleben, dass die inhaltliche Seele nicht vorhanden ist, denn mit Seele müsste man sich zu weit aus sämtlichen Fenstern einer untergehenden Welt lehnen (beware political and psycho-social correctness).

Walther bringt es ja genau auf den Punkt: "Jedem steht zu, das zu sagen, was er für richtig hält, solange man bei den Formen bleibt. Hier aber wurde die Grenze des guten Geschmacks deutlich überschritten." - die Form ist also die Zensur, der vermeintlich (absolut-dogmatische) gute Geschmack der Leitstern aller Äußerung und damit allen Denkens, sein Tellerrand, sein Verließ, das Zwangskorsett. Kunst und Literatur hätten aber eigentlich genau die originäre Aufgabe, auch diese Fesseln immer wieder erneut zu sprengen. (das Prinzip des Lebens: Denn Neues kann nur geschaffen werden, wenn man vorher Altes zerstört.) Tun sie dies nicht, sind sie nur masturbatorische und süchtig zugeführte Selbstbestätigungen eines Weltentwurfes, der vermeintlich dann der einzig wahre ist, solange jedenfalls, bis ihn die letztlich unvermeidliche Realität hinwegfegen wird.

(Schau jetzt: der vollzogen werdende Anachronismus einer alt-neu-deutschen apolitisch-anheimelnden Weihnacht unter der Bedingung des längst real-gewordenen global village und einer unübersehbaren Klimaveränderung mit möglicherweise apokalyptischen Konsequenzen- sowas müsste eigentlich schon vom rein-ästhetischen Bauchgefühl her wehtun wie eine Migräne, man sollte erwarten, dass die Leute den ganzen Weihnachtsplunder angeekelt aus den Fenstern werfen und schreiend in echten mentalen Schmerzen auf die Straßen laufen. Aber auch hier geben die alten, überkommenen Formen weiterhin vermeintliche Sicherheit, Tröstung, Ausblendungen, Verdrängungen. Opferlamm-Schweigen wo tatsächliche Notwehr angesagt wäre.)

Man könnte dies den "Pamir-Effekt" nennen (Segelschiff, welches praktisch von der eigenen Mannschaft aus Dummheit versenkt wurde): Ein Orkan kommt auf uns zu, wir sind darüber informiert, aber der Befehl ist: leer-formelhaftes Kurshalten um jeden Preis.



Post-modernistisch dies? Nein, im Gegenteil, historisch bekannt: Es ist lediglich eine erneute Epoche des Biedermeier, neudeutsches Reform-Biedermeier, kleine, heile Welt, ängstliche Selbstverzwergung, weil im Rahmen der realen Entwicklungen ein globaler Orkan ansteht, der so ziemlich alles wegfegen wird, was uns Abendländern bisher "lieb und theuer" ist, auch unseren eurozentristischen, ego- und anthropomanen und heile-Welt SprachMissbrauch.

Da werden Lyrik (und übrigens Prosa) als Kitt und Pflaster benutzt, die unübersehbaren Risse in unserer nur vermeintlich noch-heilen-Welt immer wieder zu überkitten, wegzupflastern - der Himmel wird uns nicht auf den Kopf fallen, solange die Kathedralen der alten Formen = das Äußere wenigstens noch stehen. Daher die Wichtigkeit der Form über den Inhalt, leerlaufende Rituale aus formelhaftem Stoff statt Geist.

Es fehlt an Witterung, an der Fähigkeit zu espern, am Instinkt wilder Tiere, das heraufkommende Unwetter der drastischen Weltbildveränderung zu er-riechen, in Sprache zu fassen - stattdessen Unfassbarkeiten, Sprachlosigkeit, Formelhaftes und das Rückwärtsschauen in aussichtslose Grüfte (unbewusste Sehnsucht nach Absterben, nach Selbstaufgabe, nach Friedhof, nach Epitaph). Heutige BRD-Lyrik als tröstender weil selbstbestätigender Epilog, den man hierzuland als post-modern verkennt, und dass dabei gerade auch politische Lyrik vermieden wird, leuchtet ein.

Zum Thema ein spontanes Textelein unter:
http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=79584
 

Walther

Mitglied
Lieber Waldemar,

es ist immer wieder spannend, Deine Volten zu lesen. :D Ich finde es ebenso spannend, heute lesen zu dürfen, daß ich für das Zwangskorsett sei. Am allerspannendsten ist aber ist, daß ich da auch noch als Protagonist herhalten soll.

Du gestattest mir zu Deinen sehr langen einige kürzere Bemerkungen:

(1) Ohne Umgangsformen kein miteinander friedfertig Umgehen. Menschen brauchen Ordnung, sonst ist der Mord an der Tagesordnung.

(2) Ordnung ist kein Selbstzweck, in der Tat. Zerstörung per se aber auch nicht. Sie muß das Ziel haben, etwas Positives bewegen/bewirken zu wollen. Sonst ist die Ordnung Zwang und Einengung und die Zerstörung energieverschwendende Vernichtung von Strukturen und Inhalten.

(3) Ich bin kein Prophet des Biedermeiers, allerdings auch kein Anstifter und schon gar kein Biedermann. Mich darunter zu subsummieren, ist so weit hergeholt, wie wenn behauptet würde, Titan sei ein Mond der Erde, mindestens.

Ich finde es geradezu heroisch von Dir, daß Du Label vor mir verteidigst. Ich weiß allerdings nicht, und das würde mich jetzt schon interessieren, wie Du das mit dem von mir zurecht kritisch begleiteten Zitat der Bücherverbrennung in Zusammenhang mit meinem Eintrag zum Thema hältst.

Oder hast Du Dich da bewußt des Kommentars enthalten? Oder gar keine Meinung? Oder bedeutet Dein Eintrag etwa Zustimmung?

Ich bin und bleibe gespannt auf diese Deine Äußerung zu dem o.g. Thema.

Es grüßt, leicht amüsiert,

der W.
 



 
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